Sammeln schafft Sinn

Sammelt der Mensch aus Überforderung, aus Langeweile oder aus Interesse? Einsteins im Gespräch mit dem Bamberger Psychologen Dietrich Dörner.

Dietrich Dörner

Hintergrund Sammeln: eine Leidenschaft, die die Deutschen eint

Was für ein emotionales Bedürfnis ist es, dass uns zu Sammlern werden lässt?
Jeder Mensch hat das Bestreben, seine Umwelt bewältigen zu können. In der großen Welt ist das unmöglich. Deshalb ist es nur natürlich, dass sich die Menschen kleine Welten schaffen, in denen sie sich bewähren können – Ersatzrealitätsbereiche sozusagen. Wenn ein Sammler eine Briefmarkenserie vervollständigen kann oder die Erstausgabe eines bestimmten Buches nach langer Suche in einem Antiquariat entdeckt, dann sind das Erfolgserlebnisse, die alltägliche Niederlagen ausgleichen und die Kompetenzbilanz wieder ins rechte Lot bringen.

Warum entdeckt der eine seine Sammelleidenschaft, während der andere ein Musikinstrument erlernt, der dritte sportlich aktiv wird?
Zunächst einmal braucht es für das Tennisspielen oder das Musizieren auf der Querflöte natürlich eine gewisse Begabung.

Wollen Sie damit sagen, dass nur talentlose Menschen sammeln?
Das wäre eine sehr bösartige Interpretation der Freizeitbeschäftigung Sammeln. Auf Sammler von Bierdeckeln oder Bierkrügen mag das vielleicht zutreffen, aber Sammeln kann auch ungeheure Mengen an Sachverstand voraussetzen. Der Kunstsammler etwa will einen Fachbereich, in dem er sich in der Regel durch großes Interesse und Wissen auszeichnet, fest im Griff haben. Er will sich täglich über die Bilder Gedanken machen können und sich darüber mit anderen Menschen austauschen.

Menschen dagegen, die emotional so stark vom Sammeln leben, dass es ihnen zur Sucht wird, sind häufig sozial isoliert. Was sind das für Menschen?
Zwanghafte Sammler sind Menschen, die von allen anderen möglichen Bereichen des Kompetenzerwerbs abgeschnitten sind, aus welchen Gründen auch immer. Das können Menschen sein, die durch den Verlust ihres Ehepartners oder ihrer Freunde einsam geworden sind. Menschen, die auf Grund ihres hohen Lebensalters keine Chance mehr sehen, soziale Kontakte aufzubauen. Diesen Menschen wird ihr Hobby zum Lebensinhalt. Der Erwerb eines begehrten Objekts übersteigt für sie alles andere an Bedeutung. Sammelsüchtige vergraben sich immer tiefer hinein in ihre Ersatzrealität, kapseln sich bewusst ab, weil sie sich von der Welt nichts mehr versprechen. Ihre Sammelleidenschaft ist eine Flucht.


Eine Leidenschaft, die die Deutschen eint

Sammeln Sie irgendwas? Drei von vier Deutschen haben auf diese Frage mit „ja“ geantwortet, als das Forschungsinstitut Emnid sie zu ihrem Sammelverhalten befragte. Bei der Studie stellte sich heraus, dass Alter, Geschlecht und Bildungsniveau in punkto Sammelleidenschaft keine große Rolle spielen. Lediglich in der Auswahl der Objekte bestehen Unterschiede: Frauen begeistern sich mehr für Porzellan, Stofftiere und Puppen, Männer eher für Münzen und Briefmarken.

Selbst wenn man „neumodische“ Sammelobjekte wie Bonuspunkte oder Flugmeilen außer Acht lässt, bleibt das Sammeln ein weit verbreitetes Hobby. Bücher, CDs und Münzen führen die Rangliste der begehrtesten Sammelobjekte an. Es folgen Geschirr, Kristall, Figuren, Stofftiere, Puppen, Porzellan, Antiquitäten, Briefmarken, Mineralien, Steine und Miniaturmodelle. Der Wert solcher Sammlungen beläuft sich – so schätzen es die Sammler selber ein – oftmals auf mehr als 1.000 Euro, bisweilen sogar auf über 5.000 Euro. Es fällt auf, dass Männer diesem Aspekt wesentlich mehr Bedeutung beimessen als Frauen. Bei den Sammlerinnen steht vielmehr die Freude am Motiv im Vordergrund.


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