Gegen das System

„Scheiß Bullen, haut ab“

Aggression und Wut auf Demonstrationen: Polizeioberrat Steffen Haas erzählt von seinen Erfahrungen und Strategien im Umgang mit gewaltbereiten Protestierenden.

Aggression und Wut auf Demonstrationen: Polizeioberrat Steffen Haas erzählt von seinen Erfahrungen und Strategien im Umgang mit gewaltbereiten Protestierenden.


von Julia Leiber und Fabienne Simon

 
EINSTEINS: Herr Haas, schlägt Ihnen als Polizist auf Protesten oft Wut entgegen?

Steffen Haas: Ja. Ich glaube, es wird mittlerweile offen kommuniziert, was die Menschen von uns halten. Ob das der Ausdruck „Scheiß Bulle“ ist oder andere Beschimpfungen, wie „haut ab“. Man erkennt nicht immer, dass hinter der Uniform auch ein Mensch steckt und vielleicht ist dieser sogar der gleichen Meinung wie man selbst. Es gibt Gruppierungen, die uns als Gegner sehen und bewusst die Konfrontation mit uns suchen. Das lässt sich nicht vermeiden. Dadurch, dass wir das Recht und Gesetz in Deutschland vertreten, sind wir immer wieder Ziel von Übergriffen. Wir sind dann für einige Demonstranten die Schuldigen, nicht zuletzt, weil wir ihnen aus ihrer Sicht die Konfrontation nehmen. Doch auch wir üben nur unseren Job aus.

Steffen Haas ist Polizeioberrat der Bereitschaftspolizei in Göppingen. Der 46-Jährige leitet die Einsatzabteilung der örtlichen Bereitschaftspolizeidirektion. In dieser Zeit sammelte er Erfahrungen bei Protesten, wie beim NPD Bundesparteitag in Weinheim oder auf dem AFD Bundesparteitag in Hannover.

Mit welchen Gefühlen gehen Sie in Einsätze, bei denen Sie mit gewaltbereiten Demonstranten rechnen?

Von vornherein sollte man die Angriffe als Polizist nicht persönlich nehmen. Es ist kein Angriff auf die eigene Person, sondern vielmehr einer im Allgemeinen auf die Polizei. Zudem braucht man ein dickes Fell, um sich auch nicht provozieren zu lassen. Und es ist wichtig, sich selbst einzugestehen, wenn es nicht mehr geht und ein Kollege für einen übernehmen soll. Außerdem muss man sich vorstellen: Es herrscht eine angespannte Stimmung, von den Kollegen kommen verschiedene Lagemeldungen und gleichzeitig muss man von vorne aufpassen, dass man nicht verletzt wird. Das bringt einen an seine Grenzen.
 


Im Interview „Das Erbe der 68er“ im EINSTEINS Print-Magazin erzählt Simon Teune aus wissenschaflicher Perspektive von typisch deutschem Protest, den 68ern und Frieden und Gewalt.


 
Der aktuellen Kriminalstatistik von 2016 ist zu entnehmen, dass allgemein gesprochen die Gewalt gegen Polizeibeamte, im Vergleich zu 2015, um 11 Prozent zugenommen hat. Wie würden Sie die Lage einschätzen: Sind Demonstrierende gewaltbereiter geworden?

Dem Gefühl nach zu urteilen ist es eine Zunahme. Ich denke, die Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden, ist im Allgemeinen niedriger geworden. Dennoch darf man das nicht pauschalisieren. Denn nicht alle Demonstranten sind auch gleich gewalttätig. Es sind eher einzelne Splittergruppen, die Gewalt anwenden. Wir haben sehr viele Demonstrationen, die absolut friedlich verlaufen.

Welche Formen von Gewalt wenden Protestierende an?

Was in Deutschland zwar nicht zulässig ist, bei Protesten aber gerne eingesetzt wird, ist die Pyrotechnik. Bis dagegen die ersten Steine fliegen, dauert es meistens länger. Was auch zugenommen hat, ist die körperliche Gewalt gegenüber Polizisten. Die Polizei wird dann durch Verkettungen der Demonstranten auf die Seite geschoben und abgedrängt. Ich denke, die Menschen möchten ihre Interessen durchsetzen, auch, wenn dies vereinzelt bedeutet, dass sie sich dabei der Polizei in den Weg stellen.

Wie reagieren Sie, wenn Sie von Demonstrierenden angegriffen werden?

Wenn wir Polizisten körperlich angegangen werden, wehren wir uns zuerst mit den mildesten Mitteln gegen die Angriffe. Was oftmals ein großes Problem darstellt, ist, dass die Reaktionen der Demonstranten aus der Gruppe heraus passieren und diese dabei anonym bleiben möchten. Wir wissen also nicht: Wer hat diesen Stein, die Flasche oder den Feuerwerkskörper geworfen? Die Polizei hat hier wenige Möglichkeiten. Für uns als Polizei steht im Vordergrund, die Gewalt nicht zu erwidern, sondern den Täter dann festzunehmen, ihn zu identifizieren und die Strafverfolgung aufzunehmen. Hier geht es dann natürlich auch darum, unsere eigene Gesundheit zu schützen. Wenn beispielsweise 15 Polizeibeamte von einer Gruppe von 30 oder 40 Leuten bedrängt werden, dann müssen die Beamten entscheiden, sich entweder zu wehren oder die Flucht zu ergreifen.

Wenn es aus Ihrer Sicht die Situation dann doch erfordern sollte, Gewalt gegenüber Demonstranten anzuwenden: Wie schwierig ist es, eine solche Entscheidung zu treffen?

Auch wenn es manchmal vergessen wird: Jeder Polizist ist ein Mensch, der eine Familie, Freunde und Angehörige hat. Vielleicht ist es sogar ein Freund, der bei dem Protest mit dabei ist und politisch anders eingestellt ist, als man selbst. In jedem Fall ist es schwer und lässt einen nicht kalt. Im Nachhinein gibt es immer wieder Situationen, in denen man sich fragt, ob es nicht eine andere Möglichkeit gegeben hätte. Die Polizei versucht, zunächst alle Möglichkeiten einsatztaktisch so auszuschöpfen, dass wir nicht zu diesem Punkt kommen.

Die Polizei benutzt Wasserwerfer zur polizeilichen Gefahrenabwehr. Hat die Polizei ihre Arbeit im Umgang mit Protestierenden verschärft, dass solche Mittel gegenüber gewaltbereiten Demonstranten benutzt werden müssen?

Der Wasserwerfer ist schon immer bei größeren Einsätzen mit dabei, bei denen es nicht auszuschließen ist, dass es zu gewalttätigen Übergriffen kommen kann. Dieser ist allerdings in der Eskalationsstufe sehr weit oben angesiedelt. Mit Hilfe des Wasserwerfers können beispielsweise Personen zum Zurückweichen gebracht werden. Das verschafft uns in manchen Situationen ein bisschen Freiheit, um agieren zu können. Jedoch hat durch einen verletzten Mann bei einem Protest gegen Stuttgart 21 das Ansehen eines Wasserwerfers in der Bevölkerung sehr gelitten.

Haben Sie neue Strategien im Umgang mit Demonstrierenden?

Bedingt. Womit sich die Polizei vermehrt befasst, ist die Kommunikation zwischen Polizei und Demonstranten. Dafür haben wir die sogenannten Anti-Konflikt-Teams. Die Kollegen tragen hier keine polizeiliche Uniform, denn im Vordergrund steht es, den Bürgern die polizeilichen Maßnahmen transparent zu vermitteln. Oftmals kommen vor Ort von Menschen Fragen: Wieso habt ihr einen Helm auf? Oder: Wieso seid ihr komplett aufgerüstet? Die Polizei hat gemerkt, dass die Kommunikation beim Bürger gut ankommt und wir damit, so hoffen wir, die Situationen und die Kluft zwischen Polizei und Demonstranten auch für die Zukunft etwas entschärfen können.