Wenn die Natur Geschichten erzählen könnte: Der Hambacher Forst blickt auf eine ereignisreiche Historie zurück. Doch auch in der Gegenwart bleibt es nicht ruhig.
Wenn die Natur Geschichten erzählen könnte: Der Hambacher Forst blickt auf eine ereignisreiche Historie zurück. Doch auch in der Gegenwart bleibt es nicht ruhig.
von Felicitas Appel und Jana Thiel
30 Kilometer westlich von Köln, wo einmal ein Wald von der Fläche Eichstätts wuchs, befindet sich heute der Tagebau Hambach. Seit 40 Jahren demonstrieren Aktivisten gegen den größten Braunkohletagebau Europas: Sie kämpfen gegen den Energieversorgungskonzern Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG (RWE). Direkt unter dem Hambacher Forst liegt die Braunkohle, weshalb seit den 1970er Jahren große Stücke des Waldes gerodet werden. „Klimakiller Nummer eins“, nennt Dirk Jansen die Braunkohle. Er ist Geschäftsführer des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Nordrhein-Westfalen. Beim BUND ist die Braunkohle das Thema Nummer eins. Denn RWE bereitet sich im Moment auf die nächsten Rodungen vor.
Noch im Oktober 2018 soll ein weiterer Teil des Hambacher Forst gefällt werden. Um das zu verhindern, hat der BUND im April 2018 eine Klage gegen RWE eingereicht. „Letztes Jahr haben wir es erstmals seit 40 Jahren geschafft, dass bis auf zwei Tage nicht gerodet wurde“, erzählt Dirk Jansen. Doch RWE ist zuversichtlich, dass sie im Herbst wieder Bäume fällen können. Jansen will einen Ausbau des Stromsystems auf Basis von 100 Prozent erneuerbarer Energie. „Momentan sind wir bei 35 Prozent, das heißt wir sind noch weit davon entfernt.“
Für Guido Steffen von RWE ist Braunkohle dagegen eine wichtige Quelle für die Energieversorgung in Deutschland – vor allem in Zeiten, zu denen weder Sonne scheint noch Wind weht. „Energiespeicher gibt es schlichtweg noch nicht.“ Für den BUND überwiegen jedoch die Umweltschäden. Für die Naturschützer Grund genug, aus der Braunkohle auszusteigen. Ein großes Problem sind laut Jansen zum Beispiel die CO2-Emissionen: Laut BUND erzeugt eine Tonne Braunkohle, die zur Stromerzeugung verbrannt wird, einen Ausstoß von einer Tonne CO2. Die Braunkohlekraftwerke im Rheinland würden insgesamt etwa zehn Prozent der Treibhausgasemission in ganz Deutschland ausmachen, so Jansen.
Infos zum Tagebau
Ein Tagebau kann nur existieren, wenn er wandern kann. Damit Braunkohle abgebaut werden kann, müssen am Anfang alle Sedimentschichten darüber abgetragen werden. Diese Schichten werden dann auf der anderen Seite des Tagebaus aufgeschüttet. In dieser sogenannten Verkippungszone wurde die Braunkohle bereits abgebaut. Die Abbauzone rückt immer weiter vor, während die Verkippungszone der Abbauzone folgt – auf diese Weise wandert der Tagebau innerhalb des genehmigten Abbaugebiets. Das bedeutet, der Tagebau muss sich beständig ausweiten – in diesem Fall zum Beispiel den Hambacher Forst roden – um bestehen zu bleiben. Die Verkippungszone wird nach und nach rekultiviert. Hinter dem Tagebau Hambach ist so die Sophienhöhe entstanden, ein Naherholungsgebiet, das zu circa 90 Prozent bewaldet und forstlich bewirtschaftet ist.
Dafür sei auch das Alter der Kraftwerke verantwortlich. „Die 15 der 18 Kraftwerke, die in Betrieb sind, sind alle 40 bis über 50 Jahre alt. Das heißt, sie können nicht schnell und flexibel hoch- und runtergefahren werden, wie zum Beispiel Gaskraftwerke. Die Braunkohlekraftwerke blasen außerdem dreimal mehr Kohlenstoffdioxid in die Luft als Gaskraftwerke”, kritisiert Jansen.
RWE modernisierte für zwölf Milliarden Euro seinen Kraftwerkspark und legte gleichzeitig alte Anlagen still. „Wir achten auch darauf, dass wir die gesetzlichen Grenzwerte einhalten. Auch haben wir den Feinstaubausstoß aus dem Tagebau deutlich limitiert“, erklärt Guido Steffen, der Pressesprecher von RWE. Außerdem würden die Menschen in Nordrhein-Westfalen schon seit mehr als zwei Jahrzehnten von und mit der Braunkohle leben. Der Umweltschutz sei auch RWE ein Anliegen, seit 40 Jahren rekultiviert der Energiekonzern am Tagebau Hambach. RWE bepflanzt die abgenutzten Flächen und forstet neu auf. Nach Aussage des Konzerns hinterlässt der Hambacher Tagebau am Ende mehr Wald, als vorher da war.
„Der alte Wald wird so nie wieder dort stehen, weil die gesamte Bodenstruktur durch den Tagebau zerstört wird“, sagt Jansen. Für ihn wird der Wald trotz Rekultivierung unwiederbringlich verloren sein, samt wertvoller Natur- und Tierbestände. Das Ziel der Politik sei es, den Hambacher Wald komplett abholzen zu lassen.
RWE-Sprecher Steffen hält dagegen: RWE schütze die Arten und vergrößere das Gebiet mit dem neuen Wald.
„Zwei von drei Leuten in NRW wollen aus der Braunkohle raus, das heißt, wir haben die Bevölkerung hinter uns“
Der erbitterte Kampf zwischen Umweltschützern und RWE-Vertretern setzt sich auch in der Politik fort. Ausgetragen wird er im Landtag von Nordrhein-Westfalen von den Grünen und der Koalition aus CDU und FDP. Die Grünen sind damit die einzige Partei in Nordrhein- Westfalen, die sich im Landtag für den Erhalt des Hambacher Forst einsetzt. „Wir wissen durch Befragungen des WDR, dass zwei von drei Leuten aus NRW aus der Braunkohle raus wollen, das heißt, wir haben die Bevölkerung hinter uns“, erzählt Mona Neubaur, die Landesvorsitzende. Das sieht die CDU anders und gilt als eine der größten Verfechter der Braunkohle. Abgeordnete Romina Plonsker bezeichnete die Aktivisten im Hambacher Forst als Terroristen.
Grund für ihre Aussage sei vor allem deren aggressives und gewalttätiges Vorgehen. RWE protokollierte in der Vergangenheit Sachschäden an Betriebseigentum in Höhe von über einer Million Euro. Sprecher Steffen meint dazu: „Wir sind ja hier nicht in Nordkorea. Man kann in die Politik gehen oder rechtliche Mittel in Anspruch nehmen, so wie es der BUND mit einem gewissen Erfolg auch tut. Man muss nicht Gewalt ausüben“.
Diesen Vorwurf weist Neubaur entschieden von sich: „Sich als Grüne gegen das Roden des Waldes zu stellen hat nichts mit Terrorismus zu tun und alle, die sich dagegen einsetzen in einen Sack zu werfen und durchzurütteln, ist populistisch und das ist nichts, was wir in einer demokratischen Auseinandersetzung brauchen“.
Doch als Oppositionspartei ohne Bündnispartner sind die Handlungsmöglichkeiten der Grünen im Streit gegen die Koalition sehr eingeschränkt. So bleibt der Partei nur, parlamentarischen Druck auszuüben und die Öffentlichkeit zu mobilisieren: „Wir hätten stärker und früher die Geschichte des Hambacher Waldes erzählen und zu einem nationalen Thema machen müssen. Wir hätten die Kraft gehabt und haben sie nicht genutzt“, so Neubaur. Zwar liege auch der CDU Umweltschutz am Herzen, doch gleichzeitig muss „Ökonomie und Ökologie im Gleichgewicht sein“, so Plonsker, „wir brauchen als Wirtschaftsstandort Deutschland und NRW preisgünstigen Strom.“
Diesen liefert die Braunkohle, die laut CDU zudem auch der einzige heimische Rohstoff sei, mit dem sich verlässlich Strom erzeugen ließe. „Qualitätsstrom und Versorgungssicherheit braucht Deutschland als hoch industrialisiertes Land“, bestätigt RWE-Sprecher Steffen. Jansen vom BUND dagegen betont, dass in Deutschland viel mehr Kohlekraftwerke als nötig in Betrieb seien. „Bis 2020 können 50 davon stillgelegt werden, ohne dass das Licht ausgeht“, so Jansen. Plonsker hingegen fürchtet einen Blackout, wenn alle Kraftwerke vom Netz gehen würden.
Neben den Diskussionen über die Umweltschädlichkeit von Braunkohle bringt der Tagebau auch gesellschaftliche Folgen mit sich. Denn damit RWE nach Plan roden kann, müssen mehrere tausend Menschen in den nahegelegenen Ortschaften umgesiedelt werden. Ein betroffenes Dorf ist Morschenich.
Morschenich ist wie leergefegt, kaum ein Mensch ist auf den Straßen zu sehen. Jochen Finke* wohnt noch dort. Laut Aussage einer Mitarbeiterin von RWE wird es das Dorf 2020 nicht mehr geben. Bis dahin werden alle Gebäude und Häuser abgerissen. Finke wohnt schon seit neun Jahren in Morschenich. Er erzählt, dass seit den 70er Jahren bekannt ist, dass dieses Dorf eines Tages dem Tagebau zum Opfer fallen wird. „Man weiß nie, wie lange man irgendwo wohnt, meint Finke. „Das Haus hier war einfach attraktiv für uns, für eine große Familie ist es hier ein idealer Standort. Morschenich hat einfach idyllische Verhältnisse.“ Finke ist aber auch aus einem anderen Grund noch nicht aus seinem todgeweihten Dorf weggezogen. Als Baumschuler kennt er die wertvollen Naturbestände im Hambacher Forst. „Ich befürworte die Aktion im Wald und bin auch als Unterstützer aktiv“, erzählt er.
„Nicht zuletzt, weil der Wald sehr außergewöhnlich ist mit einem Bestand, den ich so noch nirgends gesehen habe.” Zum einen sind dort Stieleichen und Hainbuchen prägende Baumarten und zum anderen leben dort 140 geschützte Tierarten, darunter die Bechsteinfledermaus. „Ich kenne mich mit Pflanzen aus, ich weiß, wovon ich spreche. Es ist eine echte Schande, dass dieser Wald abgeholzt wird.“
„Don’t call me cute! I’m an eco-terrorist!“
Das kniehohe Gras kitzelt an den Füßen. Der Hambacher Forst ist nur ein paar hundert Meter entfernt. Vor dem Wald liegt ein kleines Camp – so scheint es. Es erinnert ein wenig an ein Slum. Selbstgebaute Hütten aus Lehm mit Glasflaschen als Fenster reihen sich entlang des Trampelpfads aneinander. Ein Müllberg türmt sich neben einem Wohnwagen auf – es riecht nach verschimmelten Essensresten. Der Wohnwagen besitzt keine Räder mehr und ist von oben bis unten mit Graffiti besprüht: „Hambi bleibt!“ – „Don’t call me cute! I’m an eco-terrorist!“.
„Wir haben keine Bosse und Anführer und versuchen, Hierarchie soweit es geht abzubauen.“
Es weht der Geruch von Marihuana herüber, als sich in einer Sofa-Bucht zwischen den selbstgebastelten Behausungen eine kleine Gruppe versammelt. Sie reden über Hierarchien: „Für uns ist klar, dass der Kampf um Klimagerechtigkeit gleichzeitig ein Kampf um eine herrschaftsfreie Welt jenseits von kapitalistischen Zwängen ist. Wir haben keine Bosse und Anführer und versuchen Hierarchie soweit es geht abzubauen. Wir wollen, dass der Ort, den wir uns erkämpft haben und den wir beschützen wollen, auch Raum bietet für die Emanzipation jedes*r einzelnen“, so schreiben die Waldbesetzer in ihrem Selbstverständnis auf ihrer Website. Die Rettung des Hambacher Waldes vor den Baggern RWEs ist nur eines ihrer Ziele, daneben steht unter anderem noch der Kampf gegen Kapitalismus.
Sie bezeichnen sich als anarchistisches Waldprojekt. Viele wollen nicht einmal preisgeben, wie lange sie schon im Wald leben. So auch Benni. Ihr Gesicht ist maskiert, nur ihre Augen schauen zwischen der Mütze und einem bis zur Nase gezogenen Schal hervor. „Benni” ist nicht ihr richtiger Name, so wird sie nur im Wald genannt. Ihr altes Leben haben die Aktivisten zurückgelassen. Doch nicht nur ihre echten Namen behalten sie für sich. Auch über ihre Familie, Freunde, Herkunft und ihren Arbeitsplatz wollen sie nicht sprechen. Auf ihrer Website schreiben die Aktivisten: „Hier leben und wirken Menschen mit den verschiedensten Lebensentwürfen.“ Benni bezeichnet den Wald als ihren festen Wohnsitz, an dem sie auch die meiste Zeit des Jahres verbringt.
Mit ihrem Wohnsitz meint sie das Camp, das größtenteils aus Baumhäusern besteht. Insgesamt 40 Stück befinden sich momentan dort, schätzt Benni. Statt Nägeln verwenden die Aktivisten Seile zur Befestigung ihrer Baumhäuser, um die Bäume nicht zu verletzen. Das habe gleichzeitig den Vorteil, dass diese sehr flexibel sind und sich mit dem Baum bei Wind und Wetter mitbewegen. Das größte Baumhaus ist dreistöckig und besitzt eine Küche, Bettenlager, zwei Balkone sowie einen Lastenaufzug. Selbst WLAN gibt es im sogenannten Tower. Im Winter müssen sich die Aktivisten auch mal zu zwanzigst in das Bettenlager des Towers quetschen, denn dort gibt es einen Kamin, der das Baumhaus in eine Sauna verwandelt. Auch wenn es im Winter ungemütlicher wird, ist es umso wichtiger, dass die Baumhäuser besetzt sind. Denn Räumungsgefahr besteht 365 Tage im Jahr.
RWE kann nicht roden,solange die Aktivisten in ihren Baumhäusern wohnen. Für sie ist die Besetzung ihre Hauptaufgabe im Wald. Wenn RWE dann hin und wieder doch mit Baggern und Polizeihundertschaften vor dem Wald steht, ketten sich die Waldbesetzer an ihre Baumhäuser. Schaut euch die Camps und die Situation im Wald in der interaktiven Karte an.
Für die Rodungen im Oktober 2018 die Räumungen haben bereits begonnen, eine Genehmigung liegt vor. Auch wenn das „Wann” noch ungewiss ist, so ist doch eines klar: Der Hambacher Forst wird früher oder später gerodet.
Der Widerstand gegen die Tagebaue in Nordrhein-Westfalen formiert sich schon früh. Jetzt sind es genau 40 Jahre, in denen sich die Betroffenen gegen den Tagebau in Hambach wehren.
Mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag 1983 bekommt der Widerstand auch eine Stimme in der Politik. Daraus erwächst erstmals auch ein politischer Widerstand gegen neue Tagebaue.
Der BUND beschließt, nun auch juristisch gegen die weitere Abholzung des Hambacher Forst vorzugehen. Im Juli 1996 legt er beim Amtsgericht eine Klage gegen die Zulassung von RWE ein.
2007 gibt der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) seinen Jahresbericht heraus. Dabei fällt auf, dass der Fokus für Deutschland dabei auf dem Klimaschutz liegt.
Am 14. April 2012 wird ein Kulturfest zum Erhalt des Hambacher Forstes angemeldet, bei dem über 200 Menschen erscheinen. Das ist der Beginn der Waldbesetzung. Etwa sieben Monate später kommt es zur ersten Räumung.
Im Jahr 2015 veranstaltet die Region mit der Anti-Kohle-Kette bei Garzweiler die größte jemals organisierte Veranstaltung: Etwa 6 000 Demonstrierende fordern das Ende der Braunkohle.
Zur UN-Weltklimakonferenz im November 2017 in Bonn kommen 25 000 Menschen, die nicht nur für mehr Klimaschutz, sondern auch einem Ende der Kohleverstromung auf die Straße gehen.
Die Bezirksregierung Arnsberg genehmigt am 29. März den Hauptbetriebsplan für den Zeitraum von 2018 bis 2020. Sie ist außerdem für den Bergbau in Nordrhein Westfalen zuständig.
Bis zum Jahr 2045 soll RWE auf einer Fläche von 85 Quadratkilometern und in einer Tiefe von bis zu 450 Metern Kohle fördern. Ganze 41 Quadratkilometer davon sind der Hambacher Forst.
In EINSTEINS TV seht ihr mehr zum Hambacher Forst.
Zahlen, Daten, Fakten:
Der Tagebau Hambach hat momentan eine Betriebsfläche von ca. 43 Quadratkilometern – damit ist er fast so groß wie die Stadt Eichstätt (47,78 km²).
Die Förderbandanlage zum Transport der Braunkohle im Tagebau hat eine Gesamtlänge von 115 Kilometern, das entspricht einer Luftlinie von München nach Salzburg.
Etwa 40 Millionen Tonnen Kohle werden jedes Jahr im Tagebau Hambach gefördert. Das sind ungefähr 10 000 Tonnen pro Tag.
Wenn die Natur Geschichten erzählen könnte: Der Hambacher Forst blickt auf eine ereignisreiche Historie zurück. Doch auch in der Gegenwart bleibt es nicht ruhig.
von Felicitas Appel und Jana Thiel
30 Kilometer westlich von Köln, wo einmal ein Wald von der Fläche Eichstätts wuchs, befindet sich heute der Tagebau Hambach. Seit 40 Jahren demonstrieren Aktivisten gegen den größten Braunkohletagebau Europas: Sie kämpfen gegen den Energieversorgungskonzern Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG (RWE). Direkt unter dem Hambacher Forst liegt die Braunkohle, weshalb seit den 1970er Jahren große Stücke des Waldes gerodet werden. „Klimakiller Nummer eins“, nennt Dirk Jansen die Braunkohle. Er ist Geschäftsführer des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Nordrhein-Westfalen. Beim BUND ist die Braunkohle das Thema Nummer eins. Denn RWE bereitet sich im Moment auf die nächsten Rodungen vor.
Noch im Oktober 2018 soll ein weiterer Teil des Hambacher Forst gefällt werden. Um das zu verhindern, hat der BUND im April 2018 eine Klage gegen RWE eingereicht. „Letztes Jahr haben wir es erstmals seit 40 Jahren geschafft, dass bis auf zwei Tage nicht gerodet wurde“, erzählt Dirk Jansen. Doch RWE ist zuversichtlich, dass sie im Herbst wieder Bäume fällen können. Jansen will einen Ausbau des Stromsystems auf Basis von 100 Prozent erneuerbarer Energie. „Momentan sind wir bei 35 Prozent, das heißt wir sind noch weit davon entfernt.“
Für Guido Steffen von RWE ist Braunkohle dagegen eine wichtige Quelle für die Energieversorgung in Deutschland – vor allem in Zeiten, zu denen weder Sonne scheint noch Wind weht. „Energiespeicher gibt es schlichtweg noch nicht.“ Für den BUND überwiegen jedoch die Umweltschäden. Für die Naturschützer Grund genug, aus der Braunkohle auszusteigen. Ein großes Problem sind laut Jansen zum Beispiel die CO2-Emissionen: Laut BUND erzeugt eine Tonne Braunkohle, die zur Stromerzeugung verbrannt wird, einen Ausstoß von einer Tonne CO2. Die Braunkohlekraftwerke im Rheinland würden insgesamt etwa zehn Prozent der Treibhausgasemission in ganz Deutschland ausmachen, so Jansen.
Ein Tagebau kann nur existieren, wenn er wandern kann. Damit Braunkohle abgebaut werden kann, müssen am Anfang alle Sedimentschichten darüber abgetragen werden. Diese Schichten werden dann auf der anderen Seite des Tagebaus aufgeschüttet. In dieser sogenannten Verkippungszone wurde die Braunkohle bereits abgebaut. Die Abbauzone rückt immer weiter vor, während die Verkippungszone der Abbauzone folgt – auf diese Weise wandert der Tagebau innerhalb des genehmigten Abbaugebiets. Das bedeutet, der Tagebau muss sich beständig ausweiten – in diesem Fall zum Beispiel den Hambacher Forst roden – um bestehen zu bleiben. Die Verkippungszone wird nach und nach rekultiviert. Hinter dem Tagebau Hambach ist so die Sophienhöhe entstanden, ein Naherholungsgebiet, das zu circa 90 Prozent bewaldet und forstlich bewirtschaftet ist.
Dafür sei auch das Alter der Kraftwerke verantwortlich. „Die 15 der 18 Kraftwerke, die in Betrieb sind, sind alle 40 bis über 50 Jahre alt. Das heißt, sie können nicht schnell und flexibel hoch- und runtergefahren werden, wie zum Beispiel Gaskraftwerke. Die Braunkohlekraftwerke blasen außerdem dreimal mehr Kohlenstoffdioxid in die Luft als Gaskraftwerke”, kritisiert Jansen.
RWE modernisierte für zwölf Milliarden Euro seinen Kraftwerkspark und legte gleichzeitig alte Anlagen still. „Wir achten auch darauf, dass wir die gesetzlichen Grenzwerte einhalten. Auch haben wir den Feinstaubausstoß aus dem Tagebau deutlich limitiert“, erklärt Guido Steffen, der Pressesprecher von RWE. Außerdem würden die Menschen in Nordrhein-Westfalen schon seit mehr als zwei Jahrzehnten von und mit der Braunkohle leben. Der Umweltschutz sei auch RWE ein Anliegen, seit 40 Jahren rekultiviert der Energiekonzern am Tagebau Hambach. RWE bepflanzt die abgenutzten Flächen und forstet neu auf. Nach Aussage des Konzerns hinterlässt der Hambacher Tagebau am Ende mehr Wald, als vorher da war.
„Der alte Wald wird so nie wieder dort stehen, weil die gesamte Bodenstruktur durch den Tagebau zerstört wird“, sagt Jansen. Für ihn wird der Wald trotz Rekultivierung unwiederbringlich verloren sein, samt wertvoller Natur- und Tierbestände. Das Ziel der Politik sei es, den Hambacher Wald komplett abholzen zu lassen.
RWE-Sprecher Steffen hält dagegen: RWE schütze die Arten und vergrößere das Gebiet mit dem neuen Wald.
„Zwei von drei Leuten in NRW wollen aus der Braunkohle raus, das heißt, wir haben die Bevölkerung hinter uns“
Der erbitterte Kampf zwischen Umweltschützern und RWE-Vertretern setzt sich auch in der Politik fort. Ausgetragen wird er im Landtag von Nordrhein-Westfalen von den Grünen und der Koalition aus CDU und FDP. Die Grünen sind damit die einzige Partei in Nordrhein- Westfalen, die sich im Landtag für den Erhalt des Hambacher Forst einsetzt. „Wir wissen durch Befragungen des WDR, dass zwei von drei Leuten aus NRW aus der Braunkohle raus wollen, das heißt, wir haben die Bevölkerung hinter uns“, erzählt Mona Neubaur, die Landesvorsitzende. Das sieht die CDU anders und gilt als eine der größten Verfechter der Braunkohle. Abgeordnete Romina Plonsker bezeichnete die Aktivisten im Hambacher Forst als Terroristen.
Grund für ihre Aussage sei vor allem deren aggressives und gewalttätiges Vorgehen. RWE protokollierte in der Vergangenheit Sachschäden an Betriebseigentum in Höhe von über einer Million Euro. Sprecher Steffen meint dazu: „Wir sind ja hier nicht in Nordkorea. Man kann in die Politik gehen oder rechtliche Mittel in Anspruch nehmen, so wie es der BUND mit einem gewissen Erfolg auch tut. Man muss nicht Gewalt ausüben“.
Diesen Vorwurf weist Neubaur entschieden von sich: „Sich als Grüne gegen das Roden des Waldes zu stellen hat nichts mit Terrorismus zu tun und alle, die sich dagegen einsetzen in einen Sack zu werfen und durchzurütteln, ist populistisch und das ist nichts, was wir in einer demokratischen Auseinandersetzung brauchen“.
Doch als Oppositionspartei ohne Bündnispartner sind die Handlungsmöglichkeiten der Grünen im Streit gegen die Koalition sehr eingeschränkt. So bleibt der Partei nur, parlamentarischen Druck auszuüben und die Öffentlichkeit zu mobilisieren: „Wir hätten stärker und früher die Geschichte des Hambacher Waldes erzählen und zu einem nationalen Thema machen müssen. Wir hätten die Kraft gehabt und haben sie nicht genutzt“, so Neubaur. Zwar liege auch der CDU Umweltschutz am Herzen, doch gleichzeitig muss „Ökonomie und Ökologie im Gleichgewicht sein“, so Plonsker, „wir brauchen als Wirtschaftsstandort Deutschland und NRW preisgünstigen Strom.“
Diesen liefert die Braunkohle, die laut CDU zudem auch der einzige heimische Rohstoff sei, mit dem sich verlässlich Strom erzeugen ließe. „Qualitätsstrom und Versorgungssicherheit braucht Deutschland als hoch industrialisiertes Land“, bestätigt RWE-Sprecher Steffen. Jansen vom BUND dagegen betont, dass in Deutschland viel mehr Kohlekraftwerke als nötig in Betrieb seien. „Bis 2020 können 50 davon stillgelegt werden, ohne dass das Licht ausgeht“, so Jansen. Plonsker hingegen fürchtet einen Blackout, wenn alle Kraftwerke vom Netz gehen würden.
Neben den Diskussionen über die Umweltschädlichkeit von Braunkohle bringt der Tagebau auch gesellschaftliche Folgen mit sich. Denn damit RWE nach Plan roden kann, müssen mehrere tausend Menschen in den nahegelegenen Ortschaften umgesiedelt werden. Ein betroffenes Dorf ist Morschenich.
Morschenich ist wie leergefegt, kaum ein Mensch ist auf den Straßen zu sehen. Jochen Finke* wohnt noch dort. Laut Aussage einer Mitarbeiterin von RWE wird es das Dorf 2020 nicht mehr geben. Bis dahin werden alle Gebäude und Häuser abgerissen. Finke wohnt schon seit neun Jahren in Morschenich. Er erzählt, dass seit den 70er Jahren bekannt ist, dass dieses Dorf eines Tages dem Tagebau zum Opfer fallen wird. „Man weiß nie, wie lange man irgendwo wohnt, meint Finke. „Das Haus hier war einfach attraktiv für uns, für eine große Familie ist es hier ein idealer Standort. Morschenich hat einfach idyllische Verhältnisse.“ Finke ist aber auch aus einem anderen Grund noch nicht aus seinem todgeweihten Dorf weggezogen. Als Baumschuler kennt er die wertvollen Naturbestände im Hambacher Forst. „Ich befürworte die Aktion im Wald und bin auch als Unterstützer aktiv“, erzählt er.
„Nicht zuletzt, weil der Wald sehr außergewöhnlich ist mit einem Bestand, den ich so noch nirgends gesehen habe.” Zum einen sind dort Stieleichen und Hainbuchen prägende Baumarten und zum anderen leben dort 140 geschützte Tierarten, darunter die Bechsteinfledermaus. „Ich kenne mich mit Pflanzen aus, ich weiß, wovon ich spreche. Es ist eine echte Schande, dass dieser Wald abgeholzt wird.“
„Don’t call me cute! I’m an eco-terrorist!“
Das kniehohe Gras kitzelt an den Füßen. Der Hambacher Forst ist nur ein paar hundert Meter entfernt. Vor dem Wald liegt ein kleines Camp – so scheint es. Es erinnert ein wenig an ein Slum. Selbstgebaute Hütten aus Lehm mit Glasflaschen als Fenster reihen sich entlang des Trampelpfads aneinander. Ein Müllberg türmt sich neben einem Wohnwagen auf – es riecht nach verschimmelten Essensresten. Der Wohnwagen besitzt keine Räder mehr und ist von oben bis unten mit Graffiti besprüht: „Hambi bleibt!“ – „Don’t call me cute! I’m an eco-terrorist!“.
„Wir haben keine Bosse und Anführer und versuchen, Hierarchie soweit es geht abzubauen.“
Es weht der Geruch von Marihuana herüber, als sich in einer Sofa-Bucht zwischen den selbstgebastelten Behausungen eine kleine Gruppe versammelt. Sie reden über Hierarchien: „Für uns ist klar, dass der Kampf um Klimagerechtigkeit gleichzeitig ein Kampf um eine herrschaftsfreie Welt jenseits von kapitalistischen Zwängen ist. Wir haben keine Bosse und Anführer und versuchen Hierarchie soweit es geht abzubauen. Wir wollen, dass der Ort, den wir uns erkämpft haben und den wir beschützen wollen, auch Raum bietet für die Emanzipation jedes*r einzelnen“, so schreiben die Waldbesetzer in ihrem Selbstverständnis auf ihrer Website. Die Rettung des Hambacher Waldes vor den Baggern RWEs ist nur eines ihrer Ziele, daneben steht unter anderem noch der Kampf gegen Kapitalismus.
Sie bezeichnen sich als anarchistisches Waldprojekt. Viele wollen nicht einmal preisgeben, wie lange sie schon im Wald leben. So auch Benni. Ihr Gesicht ist maskiert, nur ihre Augen schauen zwischen der Mütze und einem bis zur Nase gezogenen Schal hervor. „Benni” ist nicht ihr richtiger Name, so wird sie nur im Wald genannt. Ihr altes Leben haben die Aktivisten zurückgelassen. Doch nicht nur ihre echten Namen behalten sie für sich. Auch über ihre Familie, Freunde, Herkunft und ihren Arbeitsplatz wollen sie nicht sprechen. Auf ihrer Website schreiben die Aktivisten: „Hier leben und wirken Menschen mit den verschiedensten Lebensentwürfen.“ Benni bezeichnet den Wald als ihren festen Wohnsitz, an dem sie auch die meiste Zeit des Jahres verbringt.
Mit ihrem Wohnsitz meint sie das Camp, das größtenteils aus Baumhäusern besteht. Insgesamt 40 Stück befinden sich momentan dort, schätzt Benni. Statt Nägeln verwenden die Aktivisten Seile zur Befestigung ihrer Baumhäuser, um die Bäume nicht zu verletzen. Das habe gleichzeitig den Vorteil, dass diese sehr flexibel sind und sich mit dem Baum bei Wind und Wetter mitbewegen. Das größte Baumhaus ist dreistöckig und besitzt eine Küche, Bettenlager, zwei Balkone sowie einen Lastenaufzug. Selbst WLAN gibt es im sogenannten Tower. Im Winter müssen sich die Aktivisten auch mal zu zwanzigst in das Bettenlager des Towers quetschen, denn dort gibt es einen Kamin, der das Baumhaus in eine Sauna verwandelt. Auch wenn es im Winter ungemütlicher wird, ist es umso wichtiger, dass die Baumhäuser besetzt sind. Denn Räumungsgefahr besteht 365 Tage im Jahr.
RWE kann nicht roden,solange die Aktivisten in ihren Baumhäusern wohnen. Für sie ist die Besetzung ihre Hauptaufgabe im Wald. Wenn RWE dann hin und wieder doch mit Baggern und Polizeihundertschaften vor dem Wald steht, ketten sich die Waldbesetzer an ihre Baumhäuser. Schaut euch die Camps und die Situation im Wald in der interaktiven Karte an.
Für die Rodungen im Oktober 2018 die Räumungen haben bereits begonnen, eine Genehmigung liegt vor. Auch wenn das „Wann” noch ungewiss ist, so ist doch eines klar: Der Hambacher Forst wird früher oder später gerodet.
Die Geschichte des Hambacher Forst
1978
Der Beginn des Widerstands
Der Widerstand gegen die Tagebaue in Nordrhein-Westfalen formiert sich schon früh. Jetzt sind es genau 40 Jahre, in denen sich die Betroffenen gegen den Tagebau in Hambach wehren.
1983
Eine Region wehrt sich
Mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag 1983 bekommt der Widerstand auch eine Stimme in der Politik. Daraus erwächst erstmals auch ein politischer Widerstand gegen neue Tagebaue.
1996
Der BUND klagt
Der BUND beschließt, nun auch juristisch gegen die weitere Abholzung des Hambacher Forst vorzugehen. Im Juli 1996 legt er beim Amtsgericht eine Klage gegen die Zulassung von RWE ein.
2007
Eine Klimabewegung entsteht
2007 gibt der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) seinen Jahresbericht heraus. Dabei fällt auf, dass der Fokus für Deutschland dabei auf dem Klimaschutz liegt.
2012
Der Beginn der Waldbesetzung
Am 14. April 2012 wird ein Kulturfest zum Erhalt des Hambacher Forstes angemeldet, bei dem über 200 Menschen erscheinen. Das ist der Beginn der Waldbesetzung. Etwa sieben Monate später kommt es zur ersten Räumung.
2015
Die Anti-Kohle-Kette
Im Jahr 2015 veranstaltet die Region mit der Anti-Kohle-Kette bei Garzweiler die größte jemals organisierte Veranstaltung: Etwa 6 000 Demonstrierende fordern das Ende der Braunkohle.
2017
Neue Formen des Widerstands
Zur UN-Weltklimakonferenz im November 2017 in Bonn kommen 25 000 Menschen, die nicht nur für mehr Klimaschutz, sondern auch einem Ende der Kohleverstromung auf die Straße gehen.
2018
Die aktuelle Situation
Die Bezirksregierung Arnsberg genehmigt am 29. März den Hauptbetriebsplan für den Zeitraum von 2018 bis 2020. Sie ist außerdem für den Bergbau in Nordrhein Westfalen zuständig.
2045
Zukunftsausblick
Bis zum Jahr 2045 soll RWE auf einer Fläche von 85 Quadratkilometern und in einer Tiefe von bis zu 450 Metern Kohle fördern. Ganze 41 Quadratkilometer davon sind der Hambacher Forst.
In EINSTEINS TV seht ihr mehr zum Hambacher Forst.
Zahlen, Daten, Fakten:
*Name geändert