Der Mensch in meinem Spiegel

Als der kreisrunde Haarausfall kommt, verliert Kerstin Zienert erst ihre Haare und dann ihr Selbstbewusstsein. Heute macht sie für sich selbst und für andere Perücken – und hat die Schönheit zu ihrem Beruf gemacht.


Am Anfang kleben die Haare in der Dusche. Wenn Kerstin Zienert mit den Händen den Kopf einseift, hängen mehr Haare als Shampoo zwischen den Fingern. Dann landen sie im Essen. Im Tee. Auf dem Kopfkissen. In der Kleidung. In der Arbeit fegt ihr Azubi die Haare vom Schreibtisch, wenn sie in die Kaffeeküche huscht.

Viele sprechen Kerstin Zienert auf ihre Haare an, schon immer. Auf ihre wilden, dicken, braunen 80s-Wuschellocken. „Ich war mit keinem Friseur zufrieden, hab mir meine Strähnchen immer selbst gemacht“, sagt sie. Als sie mit 20 dann doch zu einem geht, sagt der, sie habe da so eine kahle Stelle am Hinterkopf. Sie fühlt nach und spürt nur Haut. Circa zwei Zentimeter ist das Loch zuerst.

Die Haare fallen nicht mehr, sie rieseln. Wie aus einem Salzstreuer rieseln sie dahin, wo Zienert hingeht. Immer, überall, ohne Pause. Zwei bis drei Mal zieht sie jetzt beim Duschen die Haare aus dem Abfluss, damit das Wasser beim Duschen überhaupt abfließen kann. „Nie ist Ruhe. Das hat mich kirre gemacht.“

In der Arbeit trägt sie jetzt immer Kopftuch, ihre Kollegen reißen Witze auf ihre Kosten. Beim Blick in den Spiegel fühlt sie sich wie in einem Horrorfilm.


„Nur dass ich der Mensch war, der auf halbtot geschminkt worden ist“

Fragenkataloge und Taschentücher

Wenn heute das Glockenspiel über Kerstin Zienerts Perückenladen bimmelt und ihre Kundinnen und Kunden sich auf den braunen Polsterstuhl an ihren Schreibtisch setzen, hört Zienert erstmal zu. Manche zücken direkt ihren Fragenkatalog und legen los: Sieht man, dass die Perücke unecht ist? Nein, die Perücke wird in der Regel auf den eigenen Kopf maßgeschneidert. Wie viel übernimmt die Krankenkasse? Je nach Krankenkasse zwischen 290 und knapp über 1.000 Euro. Wie lange dauert die Anfertigung? Etwa vier Monate.

Manche Kundinnen und Kunden setzen sich und weinen erstmal. Dann holt Zienert die Kleenex-Packung aus dem Regal neben dem Haarschneideplatz. Teilweise ist die halbe Packung leer, bevor überhaupt das erste Wort gesagt wird. „Die meisten“, sagt Zienert, „wollen einfach wieder aussehen wie früher“. Wenn alle Geschichten erzählt sind, dann probieren sie verschiedene Monturen an. Das sind die Perückenhauben, auf die später die Haare geknüpft werden. Wenn Zienert merkt, dass eine Kundin noch nicht bereit für eine Perücke ist, dann schickt sie die Person wieder weg. „Ich kann der doch nix auf den auf den Kopf zimmern, wenn die keine will“, sagt sie.

Zienerts Kollegin Gudrun Fischer ist bei vielen Terminen dabei. Die Chefin, sagt Fischer, sei eine Frau, „die kernig ihr Ding durchzieht, aber auch was ganz liebenswertes hat“. Wenn die beiden zusammenarbeiten, ist die Aufgabenteilung klar: Zienert gipst, Fischer misst den Kopf. Die Montur wird daran angepasst und soll später sitzen wie eine zweite Haut. Als Friseurmeisterin ist es später auch Gudrun Fischers Aufgabe, die Perücke zu schneiden und zu stylen.

In jede Perücke müssen ca. 100.000 einzelne Haare geknüpft werden.

Je nach Wunsch können sich Kunden und Kundinnen für eine Kunsthaar- oder eine Echthaarperücke entscheiden.

Die Echthaarperücken sind strapazierfähig, sie können gestylt und gefärbt werden. So kann die vorherige Frisur und die Haarfarbe einer Person rekonstruiert werden. Mit der Perücke sieht sie dann genauso aus, wie vor ihrem Haarverlust.

Die Echthaare stammen aus Indien. Sie werden chemisch behandelt, in eine Perücke geknüpft und zur Weiterverarbeitung nach Deutschland exportiert. Fast alle Perücken werden mit asiatischen Haaren gemacht. Europäisches Echthaar ist selten, oft zu dünn und wellig und lässt sich deshalb schlecht zu einer Perücke verarbeiten.

Die Kunsthaarperücken bestehen aus Synthetikfasern. Sie sind vor allem für Kinder gut geeignet, da sie pflegeleicht, kostengünstiger und schnell aufgesetzt sind.

Sobald die Perückenteile bei Kerstin Zienert angekommen sind, nimmt sich ihre Kollegin Gudrun Fischer ca. drei Stunden Zeit, um die Perücke nach Wunsch der Kunden und Kundinnen zu schneiden, färben und stylen.

Die Kosten liegen bei den fertigen Echthaarperücken je nach Farbe und Haarlänge zwischen 1.200 und 3.000€. Die Kunsthaarperücken kosten 300-600€.

Falsche Diagnosen

Die Zeit, in der Kerstin Zienert nicht weiß, was mit ihr los ist, fühlt sich ewig an. Ihre Haare kommen und gehen. Und sie rennt von einem Arzt zum anderen. „Glückwunsch Frau Zienert, Sie sind pumperlgsund“, sagt ihr einer. Bei einem anderen wird ihr diffuser Haarausfall diagnostiziert.
Zienert probiert sich durch sämtliche Therapien. Sie besucht Wunderheiler, Hellseher und Schamanen, läuft mit einem Geistheiler über virtuelle grüne Wiesen, lässt sich die Chakren behandeln und den Darm durchspülen. Ihre Eltern begleiten sie überall hin, sprechen ihr gut zu und halten sie fest, wenn sie der Haarausfall besonders belastet. Insgesamt geben sie etwa 30.000 Euro für die Therapien ihrer Tochter aus.

Manchmal kommen Haare auf den kahlen Stellen wieder: „Man kann das richtig spüren. Erst erscheinen kleine Pickelchen und die Kopfhaut spannt. Dann kommen die richtigen Haare durch.“ Dann wieder ist sie auf dem Hinterkopf und an den Schläfen komplett kahl. Ihr Haarausfall sei psychisch bedingt, sagen ihr viele Ärzte. Er sei ein Symptom von einem unterdrückten Kinderwunsch, von Stress, eine allergische Reaktion auf ihren Hund. „Ich bin dann zum nächsten Hausarzt und hab gesagt, ich wäre verheiratet, ich
hab drei Kinder. Und dann hat er gesagt, ich wäre mit den Kindern überfordert“, sagt sie.

Zwei Jahre dauert die Suche nach der Diagnose. In einer Sendung vom Bayerischen Rundfunk über Haarausfall erkennt sie sich in einem Krankheitsbild wieder: Es ist Alopecia areata, kreisrunder Haarausfall.

Was ist Alopecia Areata?

Alopecia Areata ist eine Autoimmunerkrankung,
bei der die körpereigenen Haare meist
kreisartig ausfallen.

  • 1,5 Mio. Betroffene in Deutschland
  • Das bedeutet: Mehr als jede 60. Person ist betroffen

Was ist Alopecia Areata?

Alopecia Areata ist eine Autoimmunerkrankung,
bei der die körpereigenen Haare meist kreisartig ausfallen.

  • 1,5 Mio. Betroffene in Deutschland
  • Das bedeutet: Mehr als jede 60. Person ist betroffen

„Ich liebe heulende Ehemänner“

Zienerts Kundinnen und Kunden kommen aus Deutschland, Österreich oder Norwegen. Sie sind die Supermarktverkäuferin von nebenan oder steigen mit Dior-Handtasche aus ihrem Jaguar. Zwei Drittel ihrer Kundschaft hat Alopecia areata, andere kommen nach einer Bestrahlung zu ihr. Es sind fast ausschließlich Frauen, die bei Zienert eine Perücke bestellen. Viele ihrer Kundinnen kennt sie seit Jahren, hat sie aufwachsen sehen und liebgewonnen.

Am meisten liebt sie aber die heulenden Ehemänner. Sie sind dabei, wenn ihre Frauen Bilder von früher mit zur Perückenberatung bringen, wenn der Gipsabdruck vom Kopf gemacht wird und sie ihre erste Perücke bekommen. Dann ist es still im Laden, die Frau auf dem Friseurstuhl, der Ehemann im Blickfeld. Und Zienert und Fischer, die Schnitt für Schnitt aus Perücken Haare machen. Erst die Grundlänge, dann die Spitzen, und vielleicht auch Stufen. „Schau mal Schatzi, komm mal her! So war mein Pony, oder?“, rufen die Frauen dann manchmal und spüren das Ziehen von Gudruns Händen am Kopf. Es fühlt sich an wie Haare. Die Frisur sitzt. Die Frauen stolzieren durch den Laden, greifen sich durchs Haar, weinen manchmal. Und die Männer heulen mit.

Zienert sagt: „Das ist dieses Gefühl, dass die Frauen dann oft bekommen: Selbstvertrauen. Ich darf mich schön fühlen.“ Dafür muss die Perücke gar nicht unbedingt auf dem Kopf sitzen. Oft reicht schon das Wissen: Ich habe die Wahl, wie ich heute rausgehe. Mit Haaren oder mit Glatze. In solchen Momenten muss Kerstin Zienert sich zusammenreißen.


„Ich bin für die Schönheit zuständig, für die Haare. Die Leute wollen nicht, dass ich ihnen jetzt die Hände halte oder mit ihnen bete. Sie sagen mir schon, was sie wollen.“


„Und genau da habe ich meine Verpflichtung, die Hintergrundgeschichte aus meinem Kopf zu streichen. Das geht mich auch gar nichts an. Mich geht nur an, was sie von mir wollen und das mache ich.“ Manchmal weint auch sie im Nachhinein. „Aber wir kriegen das meistens gut hin.“

Gefährliche Medikamente

Zienert versteht gut, warum die meisten Alopecia areata-Betroffenen eine Perücke wollen. Wenn sie mit Glatze unterwegs ist, dann reagieren die Menschen darauf. Im Supermarkt schüttelt ihr ein Mann die Hand und sagt: „Durchhalten, Mädchen, durchhalten“.  Im Biergarten schreit die Bedienung: „Nazi-Schweine bedienen wir hier nicht“. Im Türkei-Urlaub bekommt sie kein Abendessen, ihre Krankheit könnte ja ansteckend sein.

Irgendwann wird der Haarwunsch auch bei ihr so belastend, dass sie sich medikamentös behandeln lässt. „Ich habe ausgeschaut wie eine alte Frau, wo nur noch ein paar Strähnen vom Kopf runterhingen“. Also bekommt sie Tabletten aus der Lepraforschung, die ihr Immunsystem herunterfahren und ­– so die Hoffnung – auch bei Autoimmunerkrankungen helfen könnten. Mögliche Nebenwirkungen: Atemwegsinfekte, Venenthrombose, Lungenembolie.

Erst hat sie keine Kraft mehr, mit ihrem Hund spazieren zu gehen. Dann kann sie nicht mehr arbeiten gehen. Irgendwann braucht sie Hilfe beim Aufstehen. Alles, nur damit die Haare zurückkommen. Sie kommen nicht wieder. Ihre Freundinnen alarmieren den Hausarzt, der ihr die Tabletten wegnimmt. Es dauert ein Dreivierteljahr, bis Zienert wieder hergestellt ist.

Therapiemöglichkeiten

Alopecia Areata ist bislang nicht heilbar.
Alle aktuellen Behandlungsmethoden sind also
Symptombehandlungen. Innerhalb des ersten Jahres liegt
die Spontanheilungsrate noch bei etwa 70 bis 80 Prozent.
Sie nimmt mit Stärke und Zeitrahmen der Erkrankung ab.

Therapie

Alopecia Areata ist bislang nicht heilbar. Alle aktuellen Behandlungsmethoden sind also Symptombehandlungen. Innerhalb des ersten Jahres liegt die Spontanheilungsrate noch bei etwa 70 bis 80 Prozent. Sie nimmt mit Stärke und Zeitrahmen der Erkrankung ab.

„Ich will mich selbst im Spiegel wiedererkennen“

Zienerts erste Perücke ist aus Kunsthaar, die zweite eine 2.500 Euro teure Echthaarperücke. Aber ihre Haare lösen bei ihr kein Kribbeln im Bauch, sondern Ausschläge im Nacken aus. „Und dann habe ich irgendwann gesagt: So, und jetzt habe ich die Schnauze voll.“

Mit Freundinnen, die selbst Friseurinnen sind, fängt sie an herumzubasteln. Sie bringt sich selbst das Knüpfen, Nähen und Gipsen bei und erschafft sich ihre erste eigene Perücke. Als eine Person aus der Alopecia-Selbsthilfegruppe fragt, ob sie eine Perücke haben könnte, sagt Zienert erst Nein – und kann dann doch nicht ablehnen. Wenig später steht sie schwitzend in der Küche und fertigt den Gipsabdruck für ihre erste Kundin an. Immer mehr Menschen fragen nach einer Perücke. Sie erkennt das Potenzial und fängt nebenbei ein Studium in Wirtschaftswissenschaften an. Heute ist sie Diplomkauffrau und Friseurmeisterin.

Zienert ist Geschäftsfrau: Das Knüpfen und Färben hat sie längst ausgelagert nach Asien. Dort hat sie etwa 30 Mitarbeitende, die sie selbst beschäftigt. Das Lohnniveau in Deutschland sei zu hoch, „160 Knüpfstunden für eine Perücke kann ich hier nicht bezahlen“. Die Haare, mit der ihre Perücke geknüpft werden, sind indische Tempelhaare Haarspenden gläubiger Hindus. Sie gelten als ethisch vertretbarste Option für Perücken, denn die Tempel verkaufen das Haar und unterstützen mit dem Erlös ihrer Angaben nach soziale Aktivitäten. , die im Anschluss gefärbt und geschnitten werden. Europäisches Echthaar ist selten, oft zu dünn und wellig – und vor allem zu teuer. „Also ich finde es nicht verwerflich“, sagt sie. Sie habe sich gut über die Situation vor Ort informiert und stehe in engen Kontakt zu ihren Zulieferern. Vor ihrer Kundschaft will Zienert vor allem den Druck aus der Thematik wegnehmen. Weg vom panischen Ich muss eine Perücke habe, hin zu Haare nach Wunsch.

Das Ziel: Sich selbst im Spiegel wiedererkennen können.

Wasserski mit Perücke

Hinter all die Fragezeichen in ihrem Kopf hat Kerstin Zienert mit den Jahren Ausrufezeichen gehängt. Seit über 20 Jahren engagiert sie sich im Verein Alopecia Areata Deutschland e. V. Zehn Jahre war sie erste Vorsitzende, heute ist sie dort im medizinischen Beirat. Gemeinsam mit der Charité Berlin arbeitet sie an einem Leitfaden für Hautärzte, der eine schnellere Diagnose und eine gute Weitervermittlung an Hilfestellen bietet.

Aber sie sagt auch: „Mein Leben ist nicht mehr die Krankheit, sondern meine Familie, meine Freunde, mein Hund, mein Wohnmobil“. Im Sommer geht sie gerne Wasserskifahren auf der Donau – mit Perücke. Die hält auch bei Gegenwind fest auf dem Kopf, außerdem brennt ihr dann die Sonne nicht so auf den Kopf. Ihre echten Haare hätte sie trotzdem gerne wieder.


„Natürlich, also wer nicht? Aber ich komme im Alltag gut damit zurecht. Ich fühle mich wohl in meiner Haut, mit meinen Haaren auf dem Kopf. Das sind meine. Die habe ich mir selbst ausgesucht.“


Carolin Eitel
Online Produktion

Sophia Grabendorfer
Online Konzeption

Symmetrie

Wie beeinflusst Symmetrie unser Schönheitsempfinden heute?

Wir finden Symmetrie überall auf der Erde. 95% aller Tiere und auch der Mensch sind bilateral symmetrisch, also ihr Körper ist in zwei beinahe spiegelbildliche Hälften teilbar. Man kann sie in den Kristallen der Schneeflocke, den Streifen des Zebras, den geordneten Planetenbahnen und noch vielem mehr finden.

Lebewesen sind nicht ohne Grund symmetrisch. Die Suche nach den Gründen führt uns von der Zelle, über den Schmetterling, den Frosch, die Rauchschwalbe und den Hirsch bis zu uns, den Menschen. Unsere Spurensuche ist dabei stets mit der Frage verbunden: „Wie beeinflusst Symmetrie unser Schönheitsempfinden“ und „Finden wir alles symmetrische attraktiv?“ So einfach zu klären ist die Frage nämlich nicht …

Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, muss zunächst geklärt werden, was man eigentlich unter Symmetrie versteht. Auch bei Symmetrie gibt es nicht nur Achsensymmetrie und Punktsymmetrie, wie man sie aus dem Matheunterricht kennt. In der Wissenschaft spricht man bei Achsensymmetrie von Zygomorph. Spiegelsymmetrie kann auch als Bilaterale Symmetrie bezeichnet werden. Radialsymmetrisch aufgebaute Lebewesen haben mehrere strahlenförmig durch die Längsachse verlaufende Symmetrieebenen. Und auch drehsymmetrische Symmetrie existiert, wenn die Eigenschaften von Lebewesen bei einer Drehung unverändert bleiben.

Arten von Symmetrie

Symmetrische Dinge, sind einfacher zu bauen

Warum tritt Symmetrie in der Natur an so vielfältigen Stellen auf? Zunächst hat die Ursache wenig mit den Aspekten „Schönheit“ oder „Attraktivität“ zu tun. Vielmehr geht es um einen pragmatischen Grund: Symmetrische Dinge sind leichter zu bauen.

Warum die Symmetrie so einfach ist

Was es damit auf sich hat, erklärt uns Gabor Paal, Leiter der Abteilung Wissenschaft und Bildung beim SWR. Er hat sich in Artikeln, Hörbeiträgen und Büchern viel mit dem Thema Symmetrie und Schönheit im wissenschaftlichen Kontext beschäftigt:

Ein anschauliches Beispiel, warum Symmetrisches einfacher zu „bauen“ ist als Asymmetrisches, sehen wir im Aufbau der Zelle.

Die einzelne Zelle ist die kleinste Einheit des pflanzlichen, tierischen und damit auch des menschlichen Körpers.

Der Organismus beginnt als einzelne Zelle und muss sein genetisches Material zu organisieren, um sicherzustellen, dass jede Tochterzelle eine Kopie jedes Genes hat, bevor es sich spaltet.

Eine einfachere Bauweise bedeutet auch, dass der Aufwand und die Komplexität reduziert wird. Denn bei einem symmetrischen Körper braucht die Zelle nur einen Bauplan und nicht zwei. Alle Abweichungen von der Symmetrie müssen einen zusätzlichen Regulationsvorgang haben.

Komplexität von symmetrischen Tieren

Auch wenn wir mit Blick auf die Zelle gesehen haben, dass Symmetrie die Konstruktion von Lebewesen vereinfacht, heißt das nicht, dass Symmetrie per se „einfach“ ist. Deutlich wird das beispielsweise, wenn wir uns die Schönheit und Komplexität der Schmetterlinge vor Augen führen.

Schmetterlinge faszinieren mit ihren Farben und Formen, ihrer Eleganz und mit exakter Symmetrie. Hält man einen Spiegel in die Mitte des Tieres, ergänzt sich die Hälfte zu einem Ganzen. Die zwei Flügel sind in Bezug auf ihre Größe, Farbe und Muster fast komplett achsensymmetrisch und damit ein Paradebeispiel für Symmetrie in der Natur. Dennoch sind sämtliche Arten der Symmetrie Idealformen, eine vollkommene, perfekte Symmetrie findet sich in der Natur selten.

Erkennung von Artgenossen
Einzigartige Muster und Farben von Schmetterlingsarten dienen der Erkennung ihrer Artgenossen. Unterschiedlichste Flügelfarbmuster zieren die südamerikanischen Heliconius Falter. Jeder Falter trägt ein Muster ganz spezifisch für seine Art.

Aus verschiedenen Populationen züchteten Forscher künstliche Hybride. Es entstanden Farbkombinationen, die so nie in der Natur vorkämen. Keiner der gezüchteten konnte sich mit den natürlichen Faltern fortpflanzen.

Abwehr von Fressfeinden
Auf manchen Schmetterlingsflügeln wie zum Beispiel beim Tagepfauenauge finden sich nachgeahmte Augen. Diese halten Fressfeinde fern. Nährt sich ein Feind, klappt er schnell seine Flügel mit den Augen auf. Die großen Augen sollen Fressfeinden, wie Vögeln signalisieren: Hier handelt es sich um ein großes Tier und keine Beute. So besitzt das Tagpfauenauge durch seine symmetrischen Muster einen Überlebensvorteil gegenüber anderen Arten.

Zeichen für Umweltstress

Ungleichheit Asymmetrie der Flügel bedeutet bei Schmetterlingen Umweltstress. Die Struktur, Muster und Farben der Flügel unterscheiden sich dann – und das zufällig.  So weichen kleine isolierte Populationen teils stark von der eigentlichen Art ab. Oft sind sie nicht mehr symmetrisch. So erzählen die Flügel des Schmetterlings uns die Geschichte ihrer Evolution und ihren Populationen.

Fluktuierende und gerichtete Asymmetrie

Nicht nur Symmetrie kann man kategorisieren und einteilen, auch Asymmetrien können in gerichtete Asymmetrien und fluktuierende Asymmetrien unterteilt werden. Bei einer gerichteten Asymmetrie befindet sich das Merkmal ganz gezielt genetisch nur auf einer Körperseite. Beispielsweise ist ein Schneckenhaus immer in die gleiche Richtung gedreht. Eine Drehung in die andere Richtung ist äußerst selten. Anders sieht dies bei einer fluktuierenden Asymmetrie aus, dort befindet sich das Merkmal mal links, mal rechts. Zum Beispiel kann im menschlichen Gesicht das linke Ohr ein bisschen höher als das rechte Ohr sein.

Warum die Symmetrie so einfach ist

Nimmt man das Beispiel der asymmetrischen Muster auf den Flügeln der Schmetterlinge, fällt auf, dass Asymmetrien evolutionär nicht geplant sind. Was die Forschung dazu sagt, erklärt der Direktor des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie:

„Es kann eher angenommen werden, dass die Evolution Abweichungen von der Symmetrie geschaffen hat, als dass sie Symmetrie geschaffen hat, denn immer, wenn sich neue Bewegungsweisen oder Sinne entwickeln, dann müssen Symmetriebrechungen stattfinden.“

Blumen unterliegen oft einer stark gerichteten Selektion, also Anpassung, an Bestäuber.

Diese starke Anpassung der Blumen an ihre Bestäuber kann das Gleichgewicht der Entwicklung von Blumen stören. Dies kann sich darin äußern, dass Blumen während der Evolution ihre Blüten verändern, um neue und passende Bestäuber anzulocken.

Dieses Ungleichgewicht der Entwicklung äußert sich dann in fluktuierender Asymmetrie, also einer unregelmäßigen, asymmetrischen Anordnung von zum Beispiel Blütenblättern.

Fluktuierende Asymmetrie in Blüten kann zu einer sexuellen Selektion führen, wenn Bestäuber ausschließlich symmetrische Blüten besuchen. So werden die angepassten asymmetrischen Blüten nur noch von einem bestimmten Bestäuber besucht und nicht mehr von allen Bestäubern.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Bestäuber symmetrische Blüten bevorzugen, da diese mehr Nektar beinhalten als asymmetrische Blüten. Bei asymmetrischen Blüten ist die Anzahl der Bestäuber automatisch limitiert, da die Bestäuber exakt auf die Blüte angepasst sein müssen. Diese Anpassung nennt man auch Koevolution.

Symmetrie als Stabilität der Fortbewegung

Auch wenn Fortbewegung in Form von beispielsweise Laufen, Springen und Rennen nicht unbedingt gleich mit Symmetrie assoziiert wird, spielt sich auch dort eine wichtige Rolle.

Die meisten Lebewesen zeigen, dass ein symmetrischer Körper sowohl im Stand als auch in Bewegung stabiler ist als ein asymmetrischer. Sind beispielsweise die Beine eines Frosches links und rechts gleich, kann er sich schneller und effizienter bewegen. Gleichen sich aber Gliedmaßen nicht aus, ist das Gewicht des Tieres schlecht ausbalanciert und sie bewegen sich ineffizienter und oft langsamer. Ohne eine Symmetrie der Flügel könnten Vögel, wie z.B. die Rauchschwalbe, nicht oder schlechter fliegen. Asymmetrisch angelegte Flügel haben dann Auswirkungen auf den Paarungserfolg und Nachkommen. Erstens können symmetrisch gebaute Vögel beispielsweise besser und schneller zu einem für die Paarung interessanten Weibchen fliegen. Zweitens wurde das Weibchen evolutionär so geprägt, dass es symmetrisch gebaute Männchen bei der Partnerwahl bevorzugt.  

Besserer Flug mit symmetrischen Federn?

Zur Wirkung von symmetrischen Flügeln bei der Rauchschwalbe führte der Forscher Anders Pape Moeller eine heutzutage immer noch sehr relevante Studie durch. Genauere Ausführungen und eine Einordnung schildert der Evolutionsbiologe und Zoologe Prof. Dr. Heinze der Universität Regensburg.

Kritik an der Studie:

Doch es gibt durchaus auch berechtige Kritik an der Studie. Einer der Gründe ist, dass die Asymmetrie der Schwanzfedern sich natürlich auch auf das Flugverhalten der Männchen auswirkt. Das spielt wahrscheinlich auch bei der Partnerwahl eine große Rolle. Außerdem engagieren sich die Männchen auch an der Verpflegung der Nachkommen und wenn das Weibchen sieht „dieses Männchen kann nicht so toll fliegen“, dann sucht es sich vielleicht ein anderes Männchen aus, dass die Nachkommen besser versorgen kann.

Asymmetrien entstehen während der Embryonalentwicklung. Auslöser sind äußere Faktoren, wie Stress auf die Mutter, Krankheiten, Inzucht oder andere genetische Probleme.

Die Entwicklung des Embryos ist nicht so gut gepuffert und so entstehen Mutationen.

Dies bewirkt einen Nachteil bei der Partnerwahl, da Tiere mit Mutationen nicht die „schönen Gene“ besitzen und Weibchen sie so bei der Auswahl benachteiligen.

Symmetrie als natürliche und sexuelle Selektion

Eine symmetrische Anordnung der Augen und Ohren ist für Tiere überlebenswichtig. Das liegt daran, dass ein Körper motorisch umso besser funktioniert, je symmetrischer er ist. Dadurch konnten sich über Jahrtausende hinweg symmetrisch gebaute Tiere mit ihren Genen durchsetzen. Auch für die Partnerwahl spielt dies eine Rolle. Denn auf Weibchen wirkt ein symmetrischer Körperbau gesünder und fitter als ein asymmetrischer. Bei der Partnersuche des Hirsches wirkt das Männchen mit großem, symmetrischem Geweih attraktiver. Die Rauchschwalbe paart sich eher mit einem Männchen, das gleich lange Schwanzfedern hat und somit symmetrisch ist. Symmetrie wirkt auf viele Tiere gesünder und fitter. Sie zeigt, dass ein möglicher Partner starke, gute Gene hat. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Hirsch, dessen symmetrisches und großes Geweih einen sexuellen Selektionsvorteil bietet.

Doch sexuelle Selektion kann zur Gefahr für Populationen werden. In Rangkämpfen konnten sich Hirsche mit großen Geweihen gegenüber anderen Männchen durchsetzen. Ein großes Geweih interpretieren Rehweibchen deshalb als Anzeichen für gute Gene. Ist das Geweih aber zu groß, wird es für die Hirsche lebensbedrohlich.

Mit einem zu großen Geweih können sich Hirsche nicht mehr frei zwischen eng stehenden Bäumen bewegen. Das macht sie zu leichterem Fressen für Beutetiere. Auch die Nahrungssuche der Hirsche erschwert das Geweih stark. Zusätzlich kostet es beim Wachsen bereits viel Energie und Nahrung.

Der Riesenhirsch hat das größte Geweih jemals auf seinem Kopf getragen. Das Geweih war mit einer Spannweite von 3,5 Metern und 40 Kilogramm Gewicht zwar attraktiv, aber auch zu groß und zu schwer für die Tiere. Vor etwa 7700 Jahren starben sie aus.

Aber orientiert sich eine Hirschkuh bei der Partnerwahl nur an der Größe und Symmetrie des Geweihs?

Die Kluft zwischen Forschung und Realität

Finden Menschen symmetrische Körper und Gesichter attraktiv, weil sie gute Gene signalisieren?

Menschen sind von Natur aus fast symmetrisch. Besonders deutlich wir das mit Blick auf das menschliche Gesicht.  Die Augen haben in den meisten Fällen den gleichen Abstand von der Nase, die Ohren sitzen an beide Seiten ungefähr auf gleicher Höhe. Die Lippen könnte man einmal in der Mitte spiegeln, würde nicht unnatürlich aussehen.
Also zeigen uns symmetrische Körper eine Entwicklungsstabilität. Als Instabilitäten, also Fehler in der Entwicklung würden beispielsweise asymmetrische Körpermerkmale bezeichnet werden.
Stabilitäten lassen sich dadurch begründen, dass Symmetrie von Gesundheit und einem guten Immunsystem zeugt. Solche Merkmale erhöhen die Wahrscheinlichkeit gesunde Nachkommen zu zeugen und helfen bei der Partnerwahl „gute Gene“ von weniger guten abzugrenzen.
Im Umkehrschluss entwickeln zum Beispiel kranke, unterernährte oder von Parasiten geplagte Menschen Asymmetrien. Aus evolutionärer Perspektive können Asymmetrien ein Signal für scheinbar schlechtere Gene sein.

Finden wir Symmetrie attraktiv, weil sie oft die Durchschnittlichkeit widerspiegelt?
Mit Gesichtsmorphing-Softwares ist es möglich aus den Gesichtern vieler verschiedener Menschen ein Durchschnittsgesicht zu berechnen. Mit der Morphing-Software von Gesichtsforscherin Lisa DeBruine mischt es hier ein Durchschnittsgesicht aus etwa 15 Fotografien zusammen.

Das Vermischen der Gesichter merzt kleine Asymmetrien, wie ungleiche Augen oder Lippen, aus. Das Durchschnittsgesicht wird also symmetrischer.

Links abgebildet steht nun der berechnete Durchschnitt aus etwa 15 Frauengesichtern. Studien von Lisa DeBruine haben gezeigt: das künstliche Durchschnittsgesicht wirkt schöner als ein echtes Gesicht. Denn es entspricht mehr der evolutionären Norm und wirkt gesünder.

Doch ein Problem hat die Forschung zu Symmetrie und Gesichtern: Forschungsergebnisse variieren bei unterschiedlichen Forschungsmethoden.

Außerdem gibt es wie überall in der Wissenschaft den sogenannten „Publication bias“. Das bedeutet, dass Studien, die einen Zusammenhang zwischen Symmetrie und zum Beispiel Attraktivität finden veröffentlicht werden, aber Untersuchungen, die keinen Zusammenhang zeigen oft nicht veröffentlicht werden. Ebenfalls besteht bei evolutionären Forschungsansätzen immer
die Gefahr von Zirkelschlüssen, also dass es zwar plausible Begründungen gibt, diese aber nur schwer zu beweisen sind.

Lisa DeBruine

Allerdings achten Menschen nicht nur auf „gute Gene“ bei der Partnerwahl. Die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Lisa deBruine forscht an der Universität Glasgow außerdem zu Attraktivitätsmerkmalen.

Hängt die Symmetrie mit anderen Attraktivitätsmerkmalen zusammen?
Ein Attraktivitätsurteil wird unbewusst im Lust- und Belohnungszentrum des Körpers gefällt. Daher hat Symmetrie auch einen großen Einfluss auf das Attraktivitätsempfinden.
Das Schönheitsurteil jedoch ist umfassender und wird in zwei Bereichen des Gehirns, der Großhirnrinde und im orbitofrontalen Cortex, gefällt. Trotzdem hängen Attraktivität und Schönheit zusammen und der Mensch kann symmetrische Dinge auch schön und nicht nur attraktiv finden.

Welche Attraktivitätsmerkmale gibt es?

Drei Bereiche nehmen großen Einfluss auf ein Attraktivitätsurteil:
1) Alle Merkmale, die auf Jugendlichkeit hindeuten
2) Alles, was Gesundheit ausstrahlt
3) Alles, was geschlechtertypisch aussieht

Kleinere Einflüsse auf das Attraktivitätsurteil:
4) Symmetrie
5) Durchschnittlichkeit
6) Hautfarbe
7) Körpergeruch

Schlussendlich ist die Frage wie Symmetrie unser Schönheitsempfinden beeinflusst sehr komplex, da allein die Definition von Schönheit schwer und nur teilweise mithilfe der empirischen Ästhetik wissenschaftlich zu erfassen ist. Dennoch ist eins sicher: Symmetrie hat einen messbaren Einfluss: Vor allem auf Tiere und Pflanzen, aber auch auf das Schönheits- und Attraktivitätsempfinden des modernen Menschen. Dennoch sind wir in unsere Gesellschaft weit darüber hinaus nur das schön zu finden, was die Natur uns mitgegeben hat. Das ist eben auch, was die Schönheit von der Attraktivität unterscheidet, sie bleibt nicht bei der Reaktion auf elementare Reize stehen. So ist Symmetrie sicherlich ein Teilbereich von Schönheit, aber eben bei weitem nicht alles.


Luis Beyerbach
Online Produktion

Hanna Uhl
Online Konzeption