(Non) Gender Beauty

Frauen sollen keine Haare an den Achseln, Beinen oder im Genitalbereich haben. Sie müssen volle Lippen, große Brüste haben und dünn sein. Sie müssen Make-up auftragen und sich feminin kleiden.

Männer sollen groß, muskulös und männlich sein. Sie dürfen weder Make-up noch Röcke tragen. Sie sollen vorzugsweise tiefe Stimmen und kurze Haare haben.

Wenn diese Eigenschaften nicht erfüllt werden, bist du komisch, zu wenig feminin oder zu wenig maskulin. Zumindest schreibt uns die Gesellschaft das so vor. Aber wer sagt eigentlich, was schön und was hässlich ist? Ist der Begriff der Schönheit nicht generell etwas Subjektives? Trotzdem fühlen wir uns immer noch unter Druck gesetzt, einem Schönheitsstandard zu entsprechen.

Sowohl Cis- Personen, die sich in jeder Hinsicht mit ihrem Geburtsgeschlecht identifiziert als auch Transgender- Personen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifiziert, mit dem sie geboren wurde und nicht-binären Personen, die sich keinem bestimmten Geschlecht zugehörig wahrnimmt Personen, fühlen täglich den ästhetischen Druck der Gesellschaft, der sich auf ihr Selbstwertgefühl auswirkt. Aber für die queere Sammelbegriff für Personen, deren Geschlechtsidentität und/oder sexuelle Orientierung nicht der zweigeschlechtlichen gesellschaftlichen Norm entspricht Community ist dieser Standard noch um einiges schwieriger zu erfüllen. Nicht-binäre und Transgender-Menschen werden täglich mit Vorurteilen hinsichtlich ihres Aussehens konfrontiert, weil sie tendenziell nicht den Standards der normativen Cis-Gesellschaft entsprechen.

Um besser zu verstehen, wie sich diese Menschen fühlen, haben wir unterschiedliche Personen getroffen, darunter Transgender-, nicht-binäre-, Cis-, hetero und queere Menschen. Gerda, Merlyn, Sophie, Nana, Jörg, Lena, Alex und Jay erzählen uns, wie sie Schönheit empfinden, welchen Einfluss gesellschaftliche Vorstellungen von Schönheit und Geschlecht auf sie haben und wie ihr Weg hinsichtlich Selbstakzeptanz und Selbstwertgefühl verläuft.

“Schönheit heißt für mich Aufrichtigkeit und Authentizität. Dass ich als der Mensch auftreten kann, der ich wirklich bin und keine Angst haben muss, ich selbst zu sein.”

Nana, 19, nicht-binär Person, die sich keinem bestimmten Geschlecht zugehörig wahrnimmt (Dey/Dem/Er/Ihn)

„Als ich zum ersten Mal einen Anzug anhatte, habe ich in den Spiegel geschaut und ich habe mich so unfassbar gut gefühlt, weil ich zum ersten Mal keine Frau gesehen habe, sondern einfach einen Menschen.“

Nana hat schon als Kind gemerkt, dass er nicht in die Geschlechterbilder hineinpasst. Er hat sich nie als weiblich gesehen. Seine Interessen sind immer eher androgyn oder männlich. Bis Nana sich selbst findet, erlebt er großen Schmerz und Verwirrung. Es gibt Tage, wo er mit seinem eigenen Spiegelbild nicht umgehen kann. Das ändert sich nach und nach, als er beginnt, offen mit seiner Geschlechtsidentität umzugehen.
Für Nana ist es das Schönste, einfach zuerst in die androgyne Richtung zu gehen und dann auch wirklich ins Männliche. Nicht nur Kleidungsstücke wie Anzüge tragen dazu bei, dass er sich schön und authentisch fühlt: Kürzlich hat Nana mit Taping experimentiert, also dem Abkleben der Brüste. Er sagt, die Erfahrung sei wundervoll für ihn gewesen. Die Brüste würden kleiner wirken und er habe gemerkt, wenn er wollte, dann könnte er jetzt als männlich gelesene Person auftreten. Das sei für ihn unglaublich befreiend. Zum ersten Mal bestehe die Möglichkeit, die „Frau“-Tür zu schließen und nicht mehr als Frau gelesen zu werden.

Für Nana ist Nicht-Binarität die Erlaubnis, sich selbst auszuprobieren. Und obwohl er sich eher auf der maskulinen und androgynen Seite sieht, liebt er auch seine weiblichen Merkmale. „Mein Körper ist in erster Linie mein Körper. Und was ich an meinem Körper auch so liebe, ist, dass er sowohl weibliche als auch männliche Züge hat. Ich habe auch erst sehr spät gelernt, dass ich meine weiblichen Anteile unfassbar schön finde und, dass ich unfassbar stolz auf meine Kurven bin.“

Dennoch fühlt er bei einigen Arten von Damenkleidung wie Kleidern und Röcken Unsicherheit. Nana würde gerne Kleider tragen, weil er sie schön findet. Aber er weiß, dass er feminin auftritt, wenn er das tut und ihn die Menschen direkt als weiblich lesen. Die ideale Welt wäre für Nana eine Welt, in der man das anziehen kann, was man anziehen möchte und die eigene Identität trotzdem valide bleibt. Eine Welt, wo ein Kleid, ein Anzug und rasierte Haare ein Schönheitsideal für Männer und Frauen sein können. Wo er sich in jeder Art von Kleidung schön fühlen kann.

„Schönheit ist ein Wohlgefallen, also keine Beleidigung der Augen oder der Sinne, sondern eine Bereicherung.“

Gerda, 58, Transgender Person, die sich nicht mit dem Geschlecht identifiziert, mit dem sie geboren wurde (Sie/Ihr)

„Ich habe mit Sicherheit fürchterlich ausgeschaut, aber ich habe mich wohlgefühlt. Der Rock war zu kurz, das Make-up war zu grell, der Lippenstift zu bunt. Aber ich habe mich richtig toll gefühlt.“

Gerda lächelt viel und strahlt eine Wärme aus, die direkt aus ihrem Herzen zu fließen scheint. Die 58-jährige Ingolstädterin will anderen Menschen Mut machen, die auch transident sind. Dafür engagiert sie sich beim Trans*Treff Ingolstadt. Dort sind alle willkommen, ganz getreu dem Motto „You are not alone“. Gerda ist angekommen, weiß, dass sie so akzeptiert und wertgeschätzt wird, wie sie ist.

Schon in ihrer Kindheit hat sie gemerkt, dass sie anders ist, als andere, doch sie hatte keine Worte dafür. Die Gesellschaft hatte keine Worte dafür. „Alles war nur schwul und bäh“, sagt Gerda. Sie lässt sich von den Meinungen anderer nicht von ihrem eigenen Weg abbringen. Sie probiert sich aus, spielt mit Make-up, Kleidung und Frisuren. In ihrer Pubertät sucht sie nach Wegen, um ihre Weiblichkeit ausleben zu können. Mit einer Dauerwelle gefällt ihr das eigene Spiegelbild noch besser. Die anderen hätten sie zwar ausgelacht, aber das sei ihr egal gewesen, denn sie habe sich so endlich ein Stück mehr wie sie selbst gefühlt.

Gerda weiß, wer sie ist, und erkennt ihren Körper als das an, was er ist: ihr Körper. Zwar hätte sie sich gefreut, wenn sie in der Pubertät statt eines Bartes einen Brustansatz bekommen hätte, doch Gerda sagt, dass Weiblichkeit auch von jedem Menschen anders definiert werde. Für sie bedeutet es hauptsächlich, dass sie nicht männlich ist. Als sie das erste Mal in einem Kleid zur Arbeit geht, steht sie ganze fünf Minuten vor der Tür zu ihrem Büro, bevor sie es schafft, die Türklinke herunterzudrücken. Doch sie meistert es, und hat zum ersten Mal das Gefühl, angekommen zu sein. Der gesellschaftliche Druck lastet hin und wieder dennoch auf ihren Schultern. Allein sei sie damit aber nicht: „Uns transidenten Menschen geht es, glaube ich, genauso wie jeder Cis-Frau, jedem Cis-Mann, dass wir unter diesen harten Geschlechternormen auch ein Stück weit leiden. Es ist schwierig diesen Normen immer wieder zu entsprechen.“

„Für mich ist Schönheit eher eine Sache der Ästhetik und tatsächlich sehr philosophisch. Schönheit ist absolut nicht nur etwas Äußeres, sondern das ist für mich so ein Gesamtkonstrukt.“

Merlyn/Earl Grey, 22, Drag King Person, die sich auf stilisierte Weise mit einem übertriebenen männlichen Geschlechtsausdruck kleidet und verhält und nicht-Binär Person, die sich keinem bestimmten Geschlecht zugehörig wahrnimmt (Alle Pronomen)

Ganz entspannt sitzt er auf seinem Bett, die Beine leicht verschränkt. Das Outfit ist komplett in schwarz gehalten, auffällig sind jedoch die türkisfarbenen Socken auf denen immer wieder „Fuck Racism“ steht. So schlicht wie heute sieht man ihn in der Öffentlichkeit selten. Merlyn ist 22 Jahre alt und Dragkünstler.

Vor ein paar Jahren, während der Pandemie merkt Merlyn, dass er sich als nicht-binär identifiziert. Innerhalb seiner Familie lebt er nicht offiziell als nicht-binär, deshalb verwenden sie auch noch seinen alten Namen. Aktuell habe er nicht die Energie oder das Bedürfnis das zu ändern.

Im Dezember 2022 sieht Merlyn online zufällig, dass noch ein:e Teilnehmer:in für ein Drag-Lipsync-Battle in München gesucht wird und entschließt sich kurzfristig, daran teilzunehmen. Schon lange fasziniert ihn die Drag-Szene, die Möglichkeit sich selbst in so vielen unterschiedlichen Formen auszudrücken, die Freiheit mit einer ganz eigenen Schönheit zu experimentieren. Er findet es spannend die Schönheit aus scheinbar nicht schönen Dingen herauszuarbeiten, wie zum Beispiel aus dem Horror oder dem Zirkus.

Mittlerweile ist er in der Drag-Szene angekommen und hat seinen eigenen Drag-Charakter etabliert: Earl Grey. Er ist für Merlyn zwar er selbst, aber immer noch eine Kunstfigur. Wenn Merlyn als Earl Grey draußen ist, dann ist er nicht immer hundertprozentig im Charakter: „Wenn ich mit meinen Freunden rede, komme ich da schonmal wieder raus. Manchmal bin ich mir nicht ganz sicher, welche Version von mir selbst da gerade unterwegs ist.“

Drag ist für Merlyn vor allem auch die Möglichkeit und die Freiheit seinen Körper so darzustellen, wie er möchte. Viele Jahre lang hat er Ballett getanzt und dort toxische Körperbilder erlebt. Seit seiner Jugend wird er in die Schönheitsideale hineingepresst, die im klassischen Tanz vorherrschen: langgliedrig, schmal, groß und flexibel. Unter diesem Bild hat früher auch sein Selbstwertgefühl gelitten. Seitdem hat sich jedoch viel verbessert, weil er die Zeit hatte mit sich selbst ins Reine zu kommen. „Durch Drag habe ich die Chance, zu zeigen, wer ich bin und das zu tun, was mir Spaß macht und worin ich gut bin.“

„Schönheit ist, wenn man in sich ruht und wenn man weiß, wer man ist. Wenn du mit dir im Reinen bist, dann bist du schön. Die Haltung, die du zu dir hast, das ist schön.“

Jörg, 46, homosexuell (Er/Ihn)

Seit 28 Jahren ist Jörg geoutet. Schönheit war für ihn lange Zeit kein großes Thema. Als schwuler junger Mann in den 90ern, in einem kleinen Dorf in der Oberpfalz, beschäftigt ihn nur die Frage: Wie kann ich schwul leben? Über die Pfadfindergruppe connected er sich das erste Mal mit anderen queeren Menschen und taucht in eine für ihn ganz neue und aufregende Welt ein.


Später fällt ihm auf, wie oberflächlich die schwule Szene sein kann. Hier werde sich oft noch mehr an Äußerlichkeiten orientiert und in Schubladen gesteckt als anderswo. Auf Partys, im Club und beim Dating werde schon stark darauf geachtet, in welcher Körperform man ist. Auch in der schwulen Szene herrschen typisch männliche Schönheitsideale, was Jörg heute noch verunsichert. Er selbst habe beispielsweise keinen tollen Bartwuchs und meint, mit Bart käme er viel besser an.


Sein Gewicht ist Jörgs größte Unsicherheit. Sogar an eine Schönheitsoperation hat er deswegen schon gedacht, erzählt er – aber 30 Tausend Euro für eine Fettabsaugung? Er versucht, das ganze Thema Schönheit mit mehr Gelassenheit zu sehen, sich auch mal gutes Essen, ein Gläschen Wein – oder auch mal eine Flasche, wenn er Lust hat – zu gönnen, sich nicht verrückt zu machen.

„Ich würde mir gern Frauenkleidung kaufen. Ich bin gerne Mann und will keine Frau sein, aber was Kleidung und Körperkult anbelangt, fühle ich mich benachteiligt.“
Wenn Jörg durch die Geschäfte bummelt, ist er schnell genervt von der kleinen und langweiligen Auswahl in der Männerabteilung. Hemd, Shirt, Pullover, Hose – das ist wenig individuell. Jörg findet, dass alle Männer gleich aussehen. Die Bandbreite an Frauenkleidung sei viel größer und gefalle ihm oft viel besser. Frauenkleidung zu kaufen, traut Jörg sich nicht. Dafür fehle ihm der Mut. Ein Mann in Rock oder Kleid werde belächelt oder sogar diskriminiert, ärgert er sich.
Die Frage danach, was eigentlich schön ist – was männlich, was weiblich ist, beschäftigt ihn. Er denkt dabei vor allem an die jugendliche queere Community. Die jungen Menschen würden sich heutzutage mehr trauen und nach außen zeigen, dass sie der Norm entfliehen – mit Kleidung, Makeup und Frisuren. Das bewundert er. „Zieht an was ihr wollt, ihr seid gut so wie ihr seid. Lasst euch von außen nicht unter Druck setzen!“

„Schönheit ist für mich etwas, das aus dem Inneren kommt. Wenn man diese typischen männlichen und weiblichen Schönheitsideale von der Gesellschaft beiseitelässt, dann kommt die Schönheit wirklich einfach nur von innen. Schönheit ist so individuell, man muss sie gar nicht in Geschlechter einteilen.“

Lena, 18, Cis-Frau Person, die sich in jeder Hinsicht mit ihrem Geburtsgeschlecht identifiziert (Sie/Ihr)

Sie wirkt ruhig, zurückhaltend, fast schon schüchtern, doch sobald sie anfängt zu sprechen beginnen ihre Augen hell zu leuchten. Lena ist 18 Jahre alt und Eiskunstläuferin. Durch ihren Sport wird sie schon früh mit dem Thema Schönheit konfrontiert.

Im Eiskunstlauf spielen die Äußerlichkeiten der Sportler:innen eine große Rolle. Immer stünden die Figur und der Körper im Fokus, man solle klein und zierlich sein, keine Kurven und ein möglichst geringes Gewicht haben, erzählt Lena. Heute findet sie diese Schönheitsideale übertrieben, und lässt sich davon gar nicht mehr beeinflussen.

Mittlerweile trainiert sie nicht mehr auf Profi-Niveau, läuft nur noch für sich selbst und unterrichtet Jüngere in der Eishalle in Ingolstadt. „Ich würde sagen, dass ich jetzt auf jeden Fall viel mehr mir selbst bewusst bin. Ich habe gelernt mich zu akzeptieren und bin jetzt auch voll ok, dass ich so bin, wie ich bin. Das war früher nicht der Fall.“ Für Lena zählt nur ihre eigene Sicht auf sich selbst. Nur ihre eigene Meinung ist ihr wirklich wichtig und es ist ihr egal, was andere über sie denken oder sagen.

Die Corona-Pandemie ist für Lena eine besonders schwierige Zeit. Sie verbringt viel Zeit in den Sozialen Medien und fängt an sich selbst mit anderen Sportler:innen zu vergleichen, denkt oft, sie wäre gerne dünner. Im Nachhinein findet sie das unsinnig. Sie merkt, dass sie genug essen muss, um einen gesunden Körper zu haben, sodass sie nach dem Sport nicht sofort erschöpft ist und genug Kraft hat.

Inzwischen hat Lena eine neue Sportart für sich entdeckt: Calisthenics – Kraftsport mit dem eigenen Körpergewicht. Für sie ist Calisthenics ein starker Kontrast zum Eiskunstlauf. Der Fokus liegt hierbei auf einem starken Oberkörper und nicht auf ästhetischen Bewegungen. Der Kraftsport hat Lena verändert und sie lässt sich mittlerweile auch von anderen Leuten inspirieren: „Ich sehe auf Social Media dann auch andere Frauen, die diesen Sport machen und das finde ich mega. Früher hätte ich mich vielleicht unter Druck gesetzt gefühlt, aber mittlerweile habe ich da eine ganz andere Sicht.“

„Für mich bedeutet Schönheit, wenn Menschen bei sich selbst angekommen sind und für sich selbst ihr bestes Leben führen und sich wohlfühlen in ihrem Körper, auch wenn sie manchmal strugglen.“

Sophie, 34, Transgender Person, die sich nicht mit dem Geschlecht identifiziert, mit dem sie geboren wurde (Sie/Ihr)

„Ich fühle mich viel freier, unabhängig davon, wie fortgeschritten die Transition ist. Ich fühle mich mit jedem Tag freier und viel mehr bei mir und in meinem Körper angekommen.“

Sophie ist 34 Jahre alt und lebt seit 2020 öffentlich als Transfrau. Schon in ihrer Kindheit merkt sie, dass sie im falschen Körper geboren wurde. Benennen kann sie ihre Gefühle damals noch nicht. Sie wächst in einer Zeit auf, in der Social Media noch nicht existiert und queere Menschen in der Gesellschaft nicht repräsentiert werden.

Mit 19 Jahren bringt sie den Mut dazu auf, sich auch nach außen hin als Frau zu zeigen. Die Gesellschaft lese sie zwar nicht immer als weiblich, aber da könne sie drüberstehen. Sie erzählt, dass sie sich lange mit sich selbst auseinandergesetzt habe und jetzt weiß, wer sie ist. Mittlerweile fühlt sich Sophie frei, ist selbstbewusster geworden.

Heute hat sie Freunde, bei denen sie sich ausprobieren kann, die sie nicht verurteilen und ihr ein ehrliches Feedback geben. Sophie ist dankbar dafür, denn für sie sei die Transition wie eine erneute Pubertät. Deshalb lässt sie sich oft auch von ihren Freund:innen inspirieren. Sie muss ihren eigenen Stil noch finden. Von klassischen Schönheitsidealen distanziert sie sich aber. Ihr ist ihre mentale Gesundheit wichtiger, als ihren Körper in ein utopisches Ideal zu quetschen.
Gender ist für Sophie etwas Fluides, etwas, das man nicht in Worte fassen kann. Deshalb steht sie auch über den gesellschaftlichen Erwartungen an das Aussehen einer Frau. Sie benutzt kein Make-up, das passe einfach nicht zu ihr. Stattdessen zeigt sie ihre Stimmung immer mit der Kleidung, die sie trägt. „Wenn ich irgendwo hinfahre, dann kann ich nicht einfach nur ein T-Shirt mitnehmen, sondern es müssen mindestens zwei sein. Es kann ja sein, dass ich jetzt gelb nicht fühle an dem Tag, sondern gerne blau haben würde.“ Besonders wichtig sind ihr bei einem Outfit die Schuhe. Gerade wenn sie auf Veranstaltungen geht, wo sie auf Menschen trifft, die ihr gegenüber abweisend reagieren, entscheidet sie sich immer für Schuhe, die ihr Halt geben. Das passiert Sophie immer wieder, vor allem, weil sie sich für Frauenrechte und queere Themen engagiert. Auch bei den JUSOS in Würzburg ist sie sehr aktiv und hofft, dass sie in ihrer Funktion als Vorsitzende etwas bewegen kann. Vor allem jüngere Menschen will sie unterstützen.

„Schönheit sollte das sein, was wir für uns selbst definieren. Schönheit sollte nicht von außen definiert werden. Schönheit soll für uns alle da sein. Sie soll uns allen gehören.“

Alex, 24, nicht-Binär Person, die sich keinem bestimmten Geschlecht zugehörig wahrnimmt (Dey/Dem/Sie/Ihr)

„Ich habe mich nie wirklich wohl gefühlt, nie wirklich zuhause oder angekommen“, erzählt Alex Khloé Kocso (25) von der Zeit davor. Vor Corona, vor ihrem ersten Mal Farbe oder vielleicht Freiheit auf den Fingernägeln. Vor ihrem Outing als genderfluide Person.

Ihr Alltag war nicht ganz dunkel, weil nie irgendetwas nur eine Farbe hat, aber doch mehr grau als leuchtend. Sie konnte nicht strahlen. Nicht als der Mann Alex.

Sie hat ihn lange für die Welt und vor allem ihre Freunde, ihre Eltern, gespielt. Erst mit 22 oder 23 outet sie sich und stellt fest: „Ich hätte es einfach sagen können.“ Zumindest ihren Eltern. Dass Alex als Kind bei ihren Großeltern heimlich mit Puppen gespielt hat und jetzt geblümte Röcke trägt, kümmert sie nicht. Sie lieben ihre Tochter so wie sie ist.
Aber ihre Kumpels verstehen sie nicht. Sie verbieten ihr, sich mit Frauen anzufreunden und halten Abstand, wenn sie Nagellack trägt.

„Gerade in der Corona Zeit habe ich gemerkt: Fuck it, das muss ich nicht mitmachen. Da möchte ich jetzt ausbrechen.“ Und das tut sie. In Paris lässt Alex sich von der Fashion Week inspirieren. Sie shoppt Second-Hand-Outfits, die sie nicht verkleiden. Mit John-Lennon-Sonnenbrille, langem Mantel und Regenbogenschal fühlt sie sich zum ersten Mal wie sie selbst.
Sie macht sich von ihrer konservativen Freundesgruppe frei, lernt neue Menschen kennen und beginnt mit ihrem Aussehen zu experimentieren. Eyeliner-Wings, rasierte Beine und schwingende Röcke richten ihren Rücken auf. Sie wird selbstbewusster. Fürchtet sich weniger davor, zurückgelassen zu werden.

Und das, obwohl sie jetzt nicht mehr nur mit Ablehnung kämpft, sondern angefeindet wird. Zwei Jungen gestikulieren homophobe Beleidigungen in ihre Richtung, jemand stellt ihr ein Bein.
Viel wichtiger als die Meinung Fremder, die sie auf ihre Nicht-Binarität reduzieren, ist sie sich selbst. Sie will sich in ihrem Körper wohl fühlen. Das bedeutet: Bemalte Augenlieder, schulterlanges, buntes Haar, aber manchmal eben auch Schnauzer und Adidas Sporthose.
Wenn sie jemand falsch gendert, dann sticht das zwar, aber Alex weiß: „Nur weil ich nicht ständig Bock habe meine Beine zu rasieren, macht mich das nicht weniger nicht binär oder mehr cis.“ Seit sie das gelernt hat, traut sie sich wieder zu Eishockey-Spielen. Sie grölt mit der Menge, weil sie Freude daran hat. Gibt zu, dass sie Eishockey und Fußball schön findet. Ihr ist fast egal geworden, dass die Gesellschaft Sportschauen als maskulin gestempelt hat.

„Für mich gehört zu bunt auch dazu, dass man vielleicht etwas persönlich nicht so schön findet, aber trotzdem einfach diese Person so respektiert und akzeptiert und schön findet, dass die andere Person das schön findet.“

Jay/Pinay Colada, 36, Homosexuell und Drag Queen Person, die sich auf stilisierte Weise mit einem übertrieben weiblichen Geschlechtsausdruck kleidet und verhält (Er/Ihn)

„Ich bin so wie ich bin und ich bin laut“, sagt Jay Miniano (36). Heute. Mit seinem Pfauenaugenlidschatten und den lackierten Nägeln, die pinke Schlieren in die Luft zeichnen, während er spricht, sieht er aus wie eine Person, die Unsicherheit nicht mal definieren kann. Aber er hat lange gebraucht, um dieses Selbstbewusstsein aus seinem Inneren herauszuarbeiten. Es fiel ihm schwer, seine Homosexualität als einen schönen Teil von sich selbst zu sehen. Vor allem in der Schule, wo ihn seine Klassenkamerad:innen mit Worten auseinander stückelten.

„Diesen Prozess, dass ich angefangen habe, mich zu lieben, oder mich besser zu finden und auch so zu akzeptieren, wie ich bin, mit all meinen Fehlern und Speckfalten und Pickeln, das hat sich gefestigt als ich meinen Mann kennengelernt habe. Weil der mir beigebracht hat, dass ich schön bin. Also, ich wusste es vorher auch schon, aber jetzt weiß ich es wirklich auch öfter.“
Jay trifft Ulli 2016, über eine Dating-App. Sie verabreden sich ungezwungen. Ohne große Zukunftspläne. Vier oder fünf Trennungen und ein paar Jahre später heiraten sie. Jetzt schauen sie sich in ihrer gemeinsamen Wohnung jeden Tag mit Schokoladenblick an.

Ulli unterstützt Jay, als er mit 33 die Entscheidung trifft, seinen Job im Einzelhandel hinzuschmeißen, um sich zuerst zum Make-up-Artist ausbilden zu lassen und dann ein „Beautiful, Fabulous Clown“ zu werden: Miss Pinay Colada, eine Drag Queen, die weich und feminin, aber auch reißende Elektrizität ist. Sie stolziert mit flatternden Schmetterlingswimpern zuerst durch CSD-Menschenmengen und dann auf Bühnen herum. Pinay ist keine Kunstfigur, sondern Jays Selbstbewusstsein, seine personifizierte feminine Seite.

Mit ihrem wallenden Sirenenhaar und den extravaganten Kleidern findet nicht nur Jay sie sexy. Er bekommt auf Instagram regelmäßig Anfragen von Männern, die mehr als nur eine Show wollen. Vor Clubs und wenn er nach Hause geht, pfeifen ihm fremde Typen hinterher, nennen ihn Mädchen und werden obszön. Einmal reagiert er wütend, dreht sich um und ruft mit dunkler Männerstimme: „Was?“ Er kann die Glasflasche, die ihm entgegen geschmettert wird, knapp auffangen. Am gleichen Abend verspricht er Ulli, nie wieder allein in Drag durch München zu laufen.
Aber gemeinsam mit seiner Community, dem Künstler:innen Kollektiv queer:raum, stolziert Jay weiter. Er bringt Fremde und Freunde zum Lachen. Unterstützt junge, queere Menschen dabei, ihre Schönheit lieben zu lernen.

Antonia Ambron
Video Produktion

Isabella Astrauskas
Online Produktion

Elisa Hikel
Online Konzeption

Nina Kiermayer
Audio/Video Konzeption

Lena Mehlhase
Social-Media-Redaktion