"kill the journalists"

wenn reporter krieg spielen

Viele Journalisten berichten aus Krisengebieten. Deshalb gibt es spezielle Sicherheitstrainings, die sie für solche Einsätze vorbereiten. Aber kann man seine Angst hier wirklich verlieren?

KU/Florentina Czerny

Bürgermeister Charlie (l.) im Gespräch mit Minister Janovich (r.)

Es knallt. Ein paar Meter vor mir explodiert ein Molotowcocktail. Die Flamme frisst sich durch das ausgetrocknete Gras. Minister Janovich verbarrikadiert sich dahinter in einer Holzhütte. Sein weißes Haar klebt verschwitzt an den Schläfen. Mit verzweifeltem Gesicht hebt er seine Arme hoch und sein karierter Anzug spannt an seiner Brust. Er ergibt sich. „Janovich raus, Janovich raus, Janovich raus“, brüllt ihm der Mob auf der anderen Seite entgegen. Die Bewohner von Eberhardtsdorf lassen ihrer Wut gegen die Regierung freien Lauf. Ihr geben sie die Schuld für das Leid in ihrem Dorf: für das abgefackelte Krankenhaus, für die Armut, für den Tod von geliebten Menschen.

Unbeabsichtigt finde ich mich mitten im Mob wieder. Innerhalb von Sekunden ist der Besuch des Ministers eskaliert. Die Meute entlädt all die angestaute Wut gegen Janovich. Ich bin allein zwischen den beiden Fronten. Meine Kommilitonin Lily habe ich im Gedränge verloren. Wo die anderen Journalisten sind, kann ich von hier aus nicht sehen. Heruntergekommene Holzhütten versperren mir die Sicht in alle Richtungen. Wieder explodiert ein Molotowcocktail. Die Hälfte der Einwohner von Eberhardtsdorf hat Masken übergezogen und sich bewaffnet. Wieder Explosionen. Janovichs Personenschützer feuert mehrere Schreckschüsse ab. Ich stolpere rückwärts hinter eine der Holzbaracken, um mich hinter den Brettern zu schützen. Vor ein paar Minuten dachte ich noch, dass das Rollenspiel langweilig wird. Jetzt wische ich mir mit meinem schmutzigen Handrücken den Angstschweiß von der Stirn. Ich suche panisch nach einem Ausweg aus den Holztrümmern. Vor Verzweiflung stehen mir Tränen in den Augen – obwohl mir bewusst ist, dass das Ganze nur eine Übung ist.

„Janovich raus!“, brüllen mir zwei Bewohner in den Nacken. Sie greifen in die Holzbaracke hinter sich und ziehen weitere Molotowcocktails heraus. Beide tragen Sturmmasken. Ihre Augen glühen in einer Mischung aus Wut und Ekstase. Sie zünden die Cocktails an und schleudern sie Richtung Janovich.

Ich drehe mich um und eine Frau schreit mir „Kill the journalists!“ mitten ins Gesicht. Ich fühle mich, als hätte sie mir eine gescheuert. Für einen Augenblick verkrampft mein ganzer Körper. Wie verwurzelt bleibe ich auf der Stelle stehen. Bis eben hatte ich das Gefühl, dass die Wut der Dorfbewohner sich nur gegen Janovich richtet. Aber plötzlich bin ich nicht mehr Beobachter, sondern Zielscheibe für ihren Hass.

"Janovich raus!", brüllen die aufgebrachten Dorfbewohner.

Eine halbe Stunde früher

Eingeengt von dem Kameraequipment der anderen kauere ich in der Mitte der Rückbank. Zusammen mit vier anderen Journalisten holpere ich in einem Geländewagen über den Feldweg. Von der Übung, die wir gleich absolvieren müssen, weiß ich nicht viel. Wir müssen einen Checkpoint passieren, um in den abgelegenen Ort „Eberhardtsdorf“ zu kommen. Die Regierung von dem fiktiven Land hat uns eingeladen, in das befreite Dorf zu kommen, in dem ein Teil der dortigen Minderheitsbevölkerung lebt. Die ethnische Mehrheit „Bosians“ regiert das Land. Seit einigen Jahren herrscht dort Krieg zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen. Das Dorf liegt nur ein paar Kilometer von der Front entfernt und wurde durch Luftangriffe verwüstet. Wir sind die ersten Journalisten, die aus dem Krisengebiet berichten können. Wie das Ganze gleich ablaufen wird, kann ich mir noch nicht wirklich vorstellen.

Vor uns fährt ein weiteres Korrespondenten-Team in einem Geländewagen. Um uns sind ausgetrocknete Felder, sonst weit und breit nichts. Die Journalisten in meinem Auto sind weitaus älter als meine Kommilitonin Lily und ich. Sie kommen aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden und haben bereits alle in Krisen- und Kriegsgebieten gearbeitet. Ich dagegen habe noch nicht mal einen einzigen Checkpoint überquert. Das einzige, was ich über Checkpoints weiß, habe ich in einem Crashkurs am Vormittag gelernt. Ein schwarzer Kleinbus versperrt den Weg. Der Fahrer unseres Autos bremst den Geländewagen langsam und wir halten neben einem Mann, der am Straßenrand steht. Er ist braungebrannt, trägt Militäruniform und hat eine Plastik-Kalaschnikow in der Hand. Er wedelt mit seinem Getränk in der Gegend rum, verschüttet es dabei. Wir sollen ihm unsere Ausweise zeigen. Einer der norwegischen Journalisten steigt aus dem Wagen und verhandelt mit ihm. Durch den offenen Fensterschlitz verstehe ich ein paar Brocken Englisch, wirklich verfolgen kann ich ihre Unterhaltung aber nicht. Der Norweger steigt zurück auf den Beifahrersitz. Wenige Minuten später räumt der Militär den Feldweg frei und wir können weiter. Lily und ich lachen uns zu und nehmen das Rollenspiel nicht recht ernst.

Wir parken am Ende der Straße und bevor wir überhaupt aussteigen können, eilen bereits Leute auf uns zu und reißen die Autotüren auf. „Trinken, Essen, wir haben Hunger“. Ich reiche ihnen meine Wasserflasche aus der Seitentasche meines Rucksacks. Die zweite Flasche in meinem Rucksack behalte ich, es ist gut 30 Grad heiß. Sie maulen Lily an, dass sie ihr Wasser hergeben soll. Sie lacht und behält es. „Was lachst du da, da gibts nichts zu lachen! Steig gfälligst aus!“ Sie grinst verunsichert zu mir und bleibt sitzen. Die Leute ziehen an ihren Armen und fordern sie auf, endlich auszusteigen.

Ein schwarz gekleideter Mann mit Kappe eilt zu uns. Er fuchtelt mit einem Stock und fragt uns, wer wir sind, was wir hier wollen. Er heißt Charlie und ist der Bürgermeister. Zögerlich erklärt er sich bereit, uns seinen Ort zu zeigen und führt uns über einen Trampelpfad durch den Wald. An den Rändern liegen faustgroße Kugeln, die von rot angemalten Steinen umkreist sind. Wir sollen uns von diesen Minen fernhalten.

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Stimmungswechsel

Das kleine Dorf besteht aus eingefallenen Holzhütten. Am Dorfeingang lungern drei Jungs mit verrosteten Fahrrädern. Eine alte Frau kauert in einem Klappstuhl, der Mann daneben stützt sich auf einem Gehstock ab. Sie schauen uns mit neugierigen Blicken an. Ich fühle mich wie ein Alien. „Was wollen die hier? Mein Junge liegt tot da! Oh Charlie!“ Eine Frau kommt auf den Bürgermeister zu und klammert sich an seine Schulter. Die anderen Journalisten fragen den Bürgermeister, was passiert ist. „Das ist meine Schwester. Sie sagten uns, dass es sicher ist zurückzukommen. Ihr Sohn Max war in dem Teil des Krankenhauses, das Jets vor zwei Tagen zerstört haben, sie töteten ihn. Zwei andere Menschen werden auch vermisst.“ Charlie zeigt auf das Krankenhaus. Rauchwolken drücken aus der kleinen Holzhütte mit einem angepinselten roten Kreuz. Der Rauch trocknet meine Augen aus und ich muss husten. Charlie führt uns durch das Dorf. Ein wütender Mann hinkt ihm hinterher und schreit ihn immer wieder an: „Du hast Mitschuld!“ Seine braune Haut wirft tiefe Falten, in seinen Augen steht Wut. Ich bin verwirrt. Ich verstehe nicht, warum Charlie Schuld an dem Unglück der Leute haben soll.

Vom Feldweg kommt ein großer Geländewagen und ein Mann in Anzug steigt aus. Er wird begleitet von dem Militär des Checkpoints. Der Mann heißt Janovich und ist der Minister für ländliche Entwicklung. „Janovich ist Schuld!“, brüllen die Dorfbewohner. Charlie führt ihn zum Grab seines Neffen. Zwei kleine Äste sind zu einem Kreuz zusammengenagelt, vertrocknete Blumen liegen auf dem kleinen Erdhaufen. „Die Regierung hat mein Vertrauen und sie werden mir helfen, dass ich mein Dorf wieder aufbauen kann.“  Immer wieder pöbelt der eine Mann Charlie an, er habe Mitschuld. Am Rückweg interviewe ich Charlies Schwester. Währenddessen führt Charlie den Minister zwischen den Holzbaracken durchs Dorf.

Ein grüner Stein peitscht an meinen Augen vorbei. Die Bewohner feuern nasse Steckschwämme auf Janovich. Zwei davon treffen auch mich, einer mit Absicht. Aus Unsicherheit heraus muss ich lachen. Die Stimmung kippte während meines Interviews anscheinend von schlecht auf miserabel. Den genauen Auslöser habe ich verpasst. Mir geht alles zu schnell. Im Augenwinkel sehe ich, wie Bewohner Charlie wegzerren. Eine Frau ruft alle zusammen. „Ich bin die Bürgermeisterin jetzt! Wir werden die Polizeistation angreifen, da ist Janovich!“ Noch ignoriert sie mich.

Vom Beobachter zur Zielscheibe

Wenige Minuten später schreit sie mir ins Gesicht: „Kill the journalists!“ Links vorbei an den Holzbaracken renne ich Richtung Wald. Am Weg finde ich Lily und zwei andere Journalisten. Auf dem schmalen Pfad hetzen wir in Richtung Auto. Aber dort warten bereits wütende Dorfbewohner auf uns. „Wir müssen weiter in den Wald!“ Zusammen sprinten Lily und ich immer weiter in das Dickicht hinein. Ohne ein wirkliches Ziel, außer möglichst weit wegzukommen. Ich renne quer bergab. Mir ist egal, dass ich nicht mehr auf dem sicheren Pfad laufe. Erst später verstehe ich, dass ich mich in einer realen Situation schwer verletzt hätte.

Rauch zieht in den Wald. Die Äste und das Laub rascheln laut unter unseren Füßen. Mir geht der Atem aus. Ich verstecke mich hinter einem Baumstamm, Lily geht schwer atmend auf und ab. Schweißperlen laufen mir den Rücken hinunter. „Es ist nur ein Spiel und ich hab echt Schiss“, lache ich verzweifelt zu Lily, die pausenlos in ihr Aufnahmegerät schwafelt. Ein paar Minuten später wagen wir uns langsam wieder Richtung Dorf.

Die Komparsen, die gerade noch mit Sturmhauben vermummt Molotowcocktail-Attrappen geworfen und uns verfolgt haben, stehen jetzt entspannt in einem Kreis und trinken Bier und Apfelsaft. Verschwitzt, dreckig und erschöpft laufen wir durch die Kulisse. Mit einem erleichterten Lächeln im Gesicht kommen uns die anderen Journalisten entgegen. Charlie, der gerade noch den gestürzten Bürgermeister spielte, ruft jetzt alle zusammen: „Beredet mit Eurem Team, was gerade in der Übung gut und was schlecht gelaufen ist.“ Lily und ich lassen uns im Schatten auf den Rasen fallen –  erleichtert, dass die Übung vorbei ist. Doch das mulmige Gefühl bleibt. Ich weiß nicht, ob ich diese Angst verlieren kann und will.

das safety-training

ein interview mit einer psychologin und den teilnehmern

 

Das Safety Training der EBU

An Safety Trainings können Journalisten aus aller Welt teilnehmen. Dabei sollen sie sowohl körperlich als auch mental auf potentielle Gefahren bei der Berichterstattung in gefährlichen und unberechenbaren Situationen vorbereitet werden. In Theorie und Praxis – unter anderem in simulierten Kriegssituationen – erlernen die Teilnehmer Fertigkeiten, die ihnen helfen sollen, die Gefahren in Krisenregionen richtig einzuschätzen. Trainiert werden sie dabei von ehemaligen Soldaten, Ärzten und Journalisten, die selbst schon im Ausland gearbeitet haben.

Interview mit den Teilnehmern

 

Interview mit Fee Rojas, Psychotherapeutin und Journalistin

Psychotherapeutin Fee Rojas, Bildurheberrecht: privat

Wie sehr werden Journalisten bei gefährlichen Auslandseinsätzen in Krisengebieten traumatisiert?

Da gibt es keine allgemeingültige Antwort darauf. Das ist individuell unterschiedlich. Das hängt mit den Sachen zusammen, die man dort erlebt und mit den Sachen, die man schon vorher in seinem Leben erlebt hat. Und natürlich auch wie man sich vorbereitet und mit welchen Menschen man zusammen ist. Gute soziale Kontakte sind ein guter Schutz vor einer dauerhaften Traumatisierung.

 

Können Safety-Trainings den Journalisten helfen, die Angst vor diesen Einsätzen zu verlieren?

Ich glaube nicht, dass diese Trainings helfen, die Angst zu verlieren. Sondern sie können einem klarmachen: Wo liegen meine Schwachpunkte? Wo gerate ich in Angst und was kann ich dann tun, um dann eben nicht in Angst zu geraten?

 

Sollte man die Angst vor diesen Einsätzen denn überhaupt verlieren?

Angst gehört zum Leben dazu. Wichtig ist die Frage: Wie gehe ich mit meiner Angst um und wie kann ich trotzdem noch klar denken, obwohl ich Angst habe? Dafür gibt es gute Methoden, die den Körper mit einbeziehen – Damit ich trotz meiner Angst noch Herr oder Frau meiner Sinne bleibe. Das sind zum Beispiel Übungen aus dem Yoga, die ich machen kann, wenn mein Körper die Angst zwar spüren kann, die mich aber wieder in die Selbstwirksamkeit zurückbringen. So dass ich nicht von der Angst weggespült werde. Es geht darum, seine Angst zu seinem Freund und seinem Ratgeber zu machen. Und nicht, sie zu bekämpfen.

 

die autoren

text  carla ochsenkühn

bild  florentina czerny

interview lea kestel