salonfähig scheitern
unternehmer erzählen von ihren misserfolgenIn unserer Gesellschaft gilt Scheitern häufig als Tabuthema. Die „FuckUp Nights“ sollen das Image des Scheiterns in der Gesellschaft verbessern.
FuckUp Nights Erfurt
FuckUp Nights
FuckUp steht für Misserfolg. Bei den sogenannten FuckUp Nights erzählen seit 2016 Unternehmer von ihren größten persönlichen Misserfolgen.
Die erste FuckUp Night Erfurt fand im November 2016 statt. Diese wurde vom Verein Gründer – Unternehmer – Thüringen (GUT e.V. ) ins Leben gerufen. Der Verein arbeitet unter dem Motto „Mehr Unternehmergeist“ für die Themen Start-Up, Unternehmensnachfolge, nachhaltige Unternehmensführung und Kreativwirtschaft in Thüringen. Am 15. Juni gingen die FuckUp Nights Erfurt in die dritte Runde. 120 Zuhörer konnten vier Rednern lauschen, die von ihren FuckUps erzählten. Wolfram Treydte war einer davon. Der Erfurter Unternehmer baute 1996 ein Call Center auf. Es folgte ein jahrelanges Insolvenzverfahren mit vielen persönlichen Schicksalsschlägen. Heute berät er Unternehmer in Potenzialentwicklung und Selbstverwirklichung und schreibt aktuell an seinem dritten Buch.
Was sind FuckUp Nights?
Die FuckUp Nights sind Veranstaltungen, bei denen drei bis vier Redner von ihren geschäftlichen Misserfolgen berichten.
Jeder Redner hat sieben Minuten Zeit und darf zehn Bilder für seine Präsentation verwenden. Nach jedem Vortrag gibt es Zeit für Fragen und Networking.
Mexico City, 2012: Fünf Freunde diskutieren darüber, dass in ihrem Umfeld ständig nur über Erfolg geredet wird. Es zählt nur das unternehmerische Gelingen.
Also beschließen sie, einmal den Erfolgsdruck zu vergessen und sich gegenseitig von ihren größten Misserfolgen zu erzählen.
Die Idee schreit nach Wiederholung. Die FuckUp Nights sind geboren.
FuckUp Nights weltweit
Auf jedem Kontinent der Welt, bis auf die Antarktis, finden heute FuckUp Nights statt. Somit insgesamt in 250 Städten in mehr als 80 Ländern. Jeden Monat besuchen mehr als 10.000 Menschen rund um den Globus eine solche Veranstaltung.
Die Zuschauer wollen echte Geschichten von Menschen hören, die an den Abenden von ihren ganz persönlichen Misserfolgen, sogenannten FuckUps, erzählen. Heute sind die FuckUp Nights eine der aktivsten Gründerbewegungen überhaupt.
Das Ziel ist es, Scheitern in der Gesellschaft als einen Lebensbestandteil zu etablieren. Durch die Veranstaltungen wollen sie somit eine neue Mentalität des Scheiterns in die Köpfe der Zuhörer zu bringen und das vorherrschende Negativbild bekämpfen.
Das sagen die Besucher
Städte in Deutschland veranstalten FuckUp Nights
fand in Frankfurt am Main die zweitgrößte FuckUp Night der Welt statt
„Fuck it – ich komme wieder hoch.“
Ben Teeuwsen ist Initiator der Düsseldorfer FuckUp Nights. Er war es, der das Veranstaltungskonzept der FuckUp Nights vor drei Jahren von Mexico City nach Deutschland geholt hat. Im Interview mit Einsteins verrät er, wie sich seine eigene Sicht auf das Thema Verlieren gewandelt hat und warum die FuckUp Nights dem Scheitern an sich in der Gesellschaft zu einem positiveren Image verhelfen können.
Teeuwsen hat die FuckUp Nights nach Deutschland gebracht
Ben, Ihr habt die FuckUp Nights nach Düsseldorf geholt und wart damit die ersten Veranstalter in Deutschland. Wie seid ihr darauf gekommen?
Ben Teeuwesen: Das war ein glücklicher Zufall. Ich bin auf einer Reise in Mexiko gewesen und habe dort von den FuckUp Nights gehört. Ich war zu dieser Zeit in einem Düsseldorfer Co-Working-Space engagiert, mit dem wir auf der Suche nach neuen Veranstaltungsformaten waren. Das Konzept der FuckUp Nights hatte alles, was wir gesucht haben. Es war neu, provokativ aber auch relevant. Wir waren sehr gespannt was passiert, wenn man das Thema „Scheitern“ hier nach Deutschland – „in das Perfektionsland“ – bringt. Die FuckUp Nights sind eine Haltung. Eine Kritik an dem gegenwärtigen Erfolgsverständnis.
Inwieweit unterscheidet sich eure FuckUp Night in Düsseldorf vom Original aus Mexico City?
Im Gegensatz zu Mexico City laufen wir so ein bisschen unter dem Radar. Wir wollen gar nicht so schnell wachsen und machen lieber Veranstaltungen für 200 als für 2.000 Gäste. Dadurch bleiben unsere FuckUp Nights im kleinen und persönlichen Rahmen. Das unterscheidet uns von Mexico City. Die FuckUp Nights dort richten sich an ein deutlich größeres Publikum.
Wenn man solche Veranstaltungen macht, dann verändert sich ja auch die eigene Sicht auf das Thema „Scheitern und Verlieren“. Wie hat sich dein Blick darauf verändert?
Es geht darum, das Scheitern zu akzeptieren, daraus zu lernen und Dinge besser zu machen. Für mich ist Scheitern auch charakterbildend. Was sich bei mir geändert hat, ist auch Mut und Risiko einzugehen. Dinge in Angriff zu nehmen, auch wenn man scheitern kann. Zum Schluss aber auch das Scheitern mit Stolz und Würde zu tragen und zu sagen: „Fuck it – ich komme wieder hoch.“
Was uns jetzt natürlich interessiert: Was war Dein größter FuckUp?
Mein persönlicher FuckUp ist keine konkrete Geschichte, sondern eher meine Schwäche, mutige Entscheidungen zu treffen. Zum Teil sind das berufliche Entscheidungen: Welchen Job nimmt man an, welchen nicht, was traut man sich selber zu. Ich wäre gerne Drehbuchautor und Geschichtenerzähler geworden. Das bin ich heute in der Werbebranche zwar auch ein bisschen, aber eben immer mit einem starken kommerziellen Ziel. Es gab mehrfach Momente, in denen ich mich gefragt habe: Sattel ich vielleicht nochmal um? Aber irgendwie ist man dann doch auch eingefahren in seinem Alltag. Ich schaffe es, denke ich, in meinem Leben zu selten auf meine innere Stimme zu hören. Ich hoffe, mir gelingt es, ihr in Zukunft häufiger zu folgen.
Was nimmst Du für Dich persönlich von den FuckUp Nights mit?
Ich nehme vor allem mit, dass es besser ist, gescheitert zu sein und es probiert zu haben, als nicht gescheitert zu sein, es aber nie probiert zu haben. Es gibt einen Spruch, der sagt: Angst ist die größte Quelle, die einen von den Dingen abhält, die man eigentlich machen will. Gerade das darf eben nicht passieren und das merke ich auf den Veranstaltungen immer wieder.
Denkst Du, die FuckUp Nights können dazu beitragen, das Scheitern in der Gesellschaft ein Stück weit zu normalisieren oder sogar zu positivieren?
Ich denke schon, dass die FuckUp Nights etwas verändern können. Wenn man so einen inspirierenden Abend erlebt und dann nach Hause geht und anderen Leuten davon erzählt, dann haben wir schon etwas erreicht. Deswegen kann ich nur empfehlen, über dieses Thema nicht nur zu lesen, sondern so eine Veranstaltung zu besuchen. Denn dieses Gefühl bekommt man durchs Lesen nicht.
die autoren
text & interview niklas gramann
text & bild carla ochsenkühn
interview clarissa tatschner