Artenschutz in Zoos: Mehr als nur süße Tiere
Text: Maximilian Weidmann, Celine Pickel, Tim Goppelt, Patrizia Viertbauer, Carina Kremer
einsteins. Bericht
Es ist der bekannte Streit zwischen Befürworter*innen und Gegner*innen von Zoos. Beide Seiten wollen Tiere schützen – entweder vor dem Aussterben oder vor einem Leben hinter abgeschlossenen Gehegen. Der Tierpark Hellabrunn in München stellt sich seinen Kritiker*innen und will aufklären.
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ffensichtlich ekelt sich der kleine Junge von dem intensiven Fäkalgeruch, der ihm plötzlich in der Nase beißt, als er seinen Eltern auf dem Pflastersteinweg hinterher trottet. „Bäääh! Igitt!“. Der Grund für sein Naserümpfen liegt auch nur ein paar Meter entfernt. Dutzende Flamingos sammeln sich hinter einer Holzabsperrung auf einer kleinen Insel. Umgeben von seichtem Wasser stehen sie da, ganz steif, mit ihren stelzenartigen Beinen und dem rosa-rot blassen Gefieder. Vereinzelt breiten sie ihre Flügel aus, schlagen kurz aus und geben dabei quakende Laute/Geräusche von sich. Laut und meist voller strenger Gerüche ist die Tierwelt. Aber auch bedroht.
Nach Angaben der „International Union for Conservation of Nature’s Red List of Threatened Species“ (IUCN) waren im Jahr 2019 mehr als ein Viertel der rund 112 000 von der Organisation weltweit untersuchten Pflanzen- und Tierarten als gefährdet gelistet. Dazu zählen Spezies, die entweder ein hohes Aussterberisiko in der Natur aufweisen oder in unmittelbarer Zukunft sogar direkt vom Aussterben bedroht sind. Unter ihnen finden sich viele bekannte Tierarten wie Eisbären, Löwen oder Schimpansen. Aber auch weniger bekannte Tierarten, etwa der Mesopotamische Damhirsch oder der Grauhals-Kronenkranich, müssen um das Überleben ihrer Art bangen.
Beim Tierpark Hellabrunn in München weiß man um diese Zahlen und ist sich des stetig zunehmenden Trends bewusst. Mit dem hauseigenen Artenschutzzentrum biete der Tierpark den Besucher*innen daher eine Anlaufstelle, um aufzuklären, was Zoos und auch Privatpersonen zu einer Sicherung der Artenvielfalt beitragen können, erklärt Julia Knoll. Seit 2016 ist die 35-jährige Edukations- und Artenschutzmanagerin im Tierpark Hellabrunn. Natur- und Artenschutz gehöre mit zu den Hauptaufgaben moderner Zoos, versichert die studierte Biologin. Denn Mensch und Tier seien gleichermaßen Teil der Natur und damit auch desselben Systems. Sich eben dieser Zusammengehörigkeit bewusst zu sein und dadurch für Andere einzutreten und Hilfe anzubieten, sei solidarisch, meint Knoll. Artenschutz lasse sich daher durchaus als solidarisches Handeln auffassen. „Ich fühle mich mit einem Tier oder einer Art verbunden, also möchte ich helfen und setze mich so für deren Schutz ein.“
Für Besucher*innen von Zoos und Tierparks seien dabei vor allem Geldspenden eine einfache Möglichkeit, sich für den Erhalt der Artenvielfalt einzusetzen. „Wir sammeln beispielsweise in unseren Tierhäusern Spenden, die wir dann zu 100 Prozent an Organisationen weiterleiten, die sich vor Ort für den Schutz der Tiere und ihrer Lebensräume einsetzen“, sagt Knoll. Dabei setze man vor allem auf die Etablierung langfristiger Partnerschaften, führt die Artenschutz- und Edukationsmanagerin aus. Schließlich seien diese auf regelmäßige Einnahmen angewiesen, um ihre Projekte auch durchführen zu können. Aktuell unterstützt der Tierpark 13 solcher Artenschutzprojekte. Eines davon betreibt der Verein Rettet den Drill e.V., der sich um den Schutz von natürlichen Lebensräumen der afrikanischen Drill-Affen bemüht. Nach eigenen Angaben beteiligt sich der Tierpark Hellabrunn auch mit sogenannten Zuchtbüchern an der Erhaltung der stark bedrohten Affenart. In solchen Büchern werden von den Zoos alle relevanten Tierdaten, wie Stammbaum oder Lebensweg, festgehalten. Diese Informationen helfen den Zuchtbuchkoordinator*innen später dabei, die weltweite Zucht der Tierart zu organisieren und „dass die ‚Partnerbörse‘ unter den Tieren gut funktioniert“, wie den Tierpark-Besucher*innen auf Informationstafeln im hauseigenen Artenschutzzentrum erklärt wird. So könne vermieden werden, dass Tiere, die miteinander gepaart werden sollen, keinen identischen Verwandtschaftsgrad aufweisen und sich dadurch eine möglichst gesunde Population entwickelt.
Dass das Aussterben von Tierarten aber nicht nur ein Problem ferner Länder ist, zeigt auch ein Blick auf die Rote Liste in Bayern. Laut des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU) waren nach der letzten Untersuchung im Jahr 2017, rund ein Drittel der 79 in Bayern nachgewiesenen Säugetiere als „bestandgefährdete Arten“ eingestuft. Nach Definition des Bundesamtes für Naturschutz zählen darunter alle Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind oder einen anderweitigen Gefährdungsgrad aufweisen. Tierarten gelten dabei insofern als „gefährdet“ , sobald diese „merklich zurückgegangen oder durch laufende, beziehungsweise absehbare menschliche Einwirkungen bedroht sind“.
Für die Edukations- und Artenschutzmanagerin des Tierparks Hellabrunn, Julia Knoll, ist es nicht überraschend, dass die Bedrohungslage von exotischen und heimischen Tierarten unterschiedlich wahrgenommen wird. Vielen dieser Tierarten fehle einfach der „Niedlichkeitsfaktor“, meint Knoll. „Beim Tiger oder dem Nashorn wissen sicher mittlerweile die meisten Menschen, dass sie gefährdet sind. Versucht man aber beispielsweise ein Artenschutzprojekt für Wasserkäfer zu initiieren, hält sich die Solidarität der Menschen wohl eher in Grenzen.“ Mit Folgen: Denn alle Tierarten, egal ob klein oder groß, würden eine zentrale Rolle in der Natur übernehmen, betont Knoll. Ökosysteme seien komplexe Netze. „Jede Art hat ihre bestimmte Aufgabe. Geht sie verloren, kann das schwere Auswirkungen haben.“
Hinter der Geschichte
Mit 27 Zoos und Tierparks haben wir telefoniert, um einen geeigneten Drehort und Protagonist*innen zu finden. Mit 3 Autos sind wir dann am Drehtag insgesamt 860 Kilometer durch Bayern gefahren, um alles in einem Zeitfenster von 2 Stunden abdrehen zu dürfen.