Text: Patrik Eisenacher, Tobias Hecker, Leon Krafczyk und Nicolas Linner
einsteins. Bericht
Wie in so vielen Branchen sorgt das Coronavirus auch im bezahlten Fußball für Existenz-Ängste. Der plötzliche Wegfall vieler Merchandising‑, Sponsoren- und Ticket-Einnahmen bringt so gut wie alle Vereine ins Schwanken, vom millionenschweren Fußball-Unternehmen bis zum ambitionierten Amateurklub. Oft kann nur ein solidarischer Gehaltsverzicht seitens der Spieler und teils der Mitarbeiter*innen selbst Entlassungen oder Insolvenzen verhindern. einsteins. hat einen Blick auf Fußball-Deutschland sowie die vier weiteren Top-Ligen Europas geworfen und in Gesprächen mit Journalisten vor Ort die Frage geklärt: Findet sich die größte Solidarität da, wo das Geld am lockersten sitzt?
Ein Vergleich der Top-5-Ligen im europäischen Fußball und der deutschen Regionalliga:
🇩🇪 Bundesliga
🇩🇪 Regionalliga
🇫🇷 Ligue 1
🏴 Premier League
🇪🇸 Primera División
🇮🇹 Serie A
🇩🇪 Bundesliga: Hier kassiert weiterhin nur einer, der Stürmer und sonst keiner.
Zwischen alten Industriebauten ist im Stadtteil Köpenick der Fußball-Bundesligist Union Berlin zuhause. Der kickt zwar trotz des zweitkleinsten Liga-Etats von 40 Millionen Euro in einer Spielklasse mit internationalen Spitzenklubs wie dem FC Bayern und Dortmund, hat sich aber seine Identität als heimatverbundener und bodenständiger Arbeiterverein bewahrt. Um überhaupt in der Bundesliga spielen zu können, waren die „Eisernen“ beim Stadionumbau 2015 auf die finanzielle Unterstützung ihrer Fans angewiesen: Die Stärke der Berliner ist ihr Zusammenhalt im und um den Verein.
In Zeiten des Coronavirus hat Unions Profimannschaft das bewiesen. Alle Spieler stimmten Anfang April einem rund 20-prozentigen Gehaltsverzicht bis Ende Juni zu, um die klammen Klub-Kassen nicht noch weiter zu leeren! Doch einer kassiert hier weiter, es ist der Stürmer Sebastian Polter und sonst keiner. „Er ist ein typischer Berliner Klassiker, groß, fannah, immer für einen flotten Spruch zu haben. Auf dem Platz gibt es alles für Union“, sagt Union-Reporter Kit Holden vom Berliner Tagesspiegel. Polter lehnte den Verzicht ab, machte stattdessen ein Gegenangebot, bei dem er finanziell deutlich besser weggekommen wäre als seine Kollegen. Union schlug aus, Polter wurde mit sofortiger Wirkung suspendiert.
Neben Polter verzichtet nur Hoffenheim nicht:
tabellarisch dargestellt die größten und kleinsten Gehaltsverzichte
Verein | Gehaltsverzicht der Spieler | Gehaltsverzicht der Mitarbeiter*innen | durchschnittliches Spieler-Jahresgehalt (2019/20)* |
---|---|---|---|
M’gladbach | 20–30% | Kurzarbeit | 1,7 Mio. Euro |
Bayern München | 20% | 0% (dank Spielerverzicht) | 7,2 Mio. Euro |
Union Berlin | 10–20% | Kurzarbeit | 0,6 Mio. Euro |
Paderborn | Ja (Höhe unbekannt) | Kurzarbeit | 0,3 Mio. Euro |
Hoffenheim | 0% (nicht gefordert) | 0% (nicht gefordert) | 1,5 Mio. Euro |
Bundesliga Durchschnitt | etwa 15 % | etwa 30% (Staat übernimmt den Rest bei Kurzarbeit) | 1,81 Mio. Euro |
Warum Polter diese solidarische Geste, mitunter zur Rettung einfacher Arbeitsplätze, trotz eines geschätzten Monatsgehalts von weit über 100 000 Euro nicht mitmachen wollte? Holden meint: „Bei Union gab es wohl keinen wahren Gehaltsverzicht, sondern eine Gehaltsstundung. Das aktuell ausbleibende Gehalt wird wahrscheinlich im Herbst oder Winter zurückerstattet. Da ist Polter aber nicht mehr im Verein (sein Vertrag lief am 1. Juli aus) deshalb hat ihm der Verein wohl eine Rückzahlung zu späterer Zeit ausgeschlagen.“ Dieses Gehaltsverzichts-Veto passt weder zu Polters Aussage von letztem Sommer, der Verein sei für ihn eine Herzensangelegenheit, noch zu Unions Selbstverständnis, der Stürmer habe sich „gegenüber Betreuer*innen, Management und Mitarbeiter*innen nicht solidarisch gezeigt.“
Trotzdem kam Polter zu Unions erstem Heimspiel nach seiner Freistellung ins heimische Stadion, er nahm Platz neben seinen ehemaligen Vereinskollegen, die es nicht in den Kader geschafft hatten. Mit einem Mundschutz, auf den das Vereins-Logo eingestickt war.
🇩🇪 Regionalliga: Wenig haben und dennoch viel geben
Anders ticken da die Regionalliga-Kicker des FC Memmingen. Von Gehältern wie in der Bundesliga können sie in Deutschlands vierthöchster Spielklasse nur träumen – an deren Solidarität ändert das aber nichts. Weil mit dem pandemiebedingten Stopp des Spielbetriebs die Ticketerlöse als wichtigste Einnahmequelle aller Amateurklubs wegfiel, blieb zur Existenzsicherung meist nichts anderes übrig, als Gehalts-Einsparungen durchzusetzen. In Memmingen passierte das schon Mitte März, die Zahlung der Spieler-Saläre wurde vollständig auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Ein hartes Mittel, das Präsident Armin Buchmann rechtfertigt: „Uns war sofort klar, dass wir als kleiner Verein schnell reagieren müssen, um auch künftig bestehen zu können. Wir haben daher allen fast einhundert Angestellten, also auch unseren Spielern, den Gehaltsverzicht von 100 Prozent auf freiwilliger Basis angeboten.“ Ein wenig attraktives Angebot, alternativ blieb nur ein Vereinswechsel. Wegen der Sondersituation ermöglichte das Vertragsrecht nämlich außerordentliche Kündigungen seitens des Vereins. Buchmann sagt: „Bis auf vier Spieler war der Verzicht für alle in Ordnung. Diese mussten den Verein im Mai leider verlassen.“
Warum sich diese verweigerten? Aus Gründen der Existenz-Sicherung. Weil in Memmingen eben keine Unsummen verdient werden, meint Regionalliga-Experte Christoph Leischwitz von der Süddeutschen Zeitung. „Da sind ein Großteil der Spieler Studenten, die sich mit ihrer Leidenschaft nebenher ihr Studium finanzieren. Wir reden hier in der Regel von Gehältern auf Minijob-Basis.“ Streicht man ihnen für ein paar Monate diese kleine Einnahmequelle, wird das Decken der Lebenshaltungskosten schwieriger – anders als bei den vermögenderen Kollegen zwei Ligen höher. Präsident Buchmann zeigt deswegen Verständnis für die Kicker, die sich gegen den Nulltarif während und womöglich auch einige Zeit nach Corona entschieden haben: „Wenn die einzige Einkommensquelle versiegt, ist es die einzige logische Konsequenz, dass sich die entsprechenden Spieler eine neue suchen müssen.“ Den Nicht-Verzichtern wird also nichts vorgeworfen von der Führungsetage und den verbliebenen Spieler des FC Memmingen.
Der 22-jährige David Remiger erklärt seinen Verzicht damit, dass er sich seinem Verein gegenüber „verpflichtet fühle und alles geben möchte“, um auch zukünftig für Memmingen spielen zu können. „Dazu kommt, dass ich einfach nicht auf das Spielergehalt angewiesen bin und mir daher den Verzicht erlauben kann“, erklärt der hauptberufliche Bauzeichner. Er versichert: „Ich habe aber vollstes Verständnis für ehemalige Teamkollegen, die nicht von heute auf morgen auf ihre 450-Euro-Basis verzichten können.“ Zusammenhalt – zwischen Klubs in Geldnot und kickenden Kleinverdienern. Aber auch zwischen denen, die den Verein mit ihrem Verzicht durch die Krise bringen wollen und jenen, die sich eine solche Geste nicht leisten können.
🇫🇷 Ligue 1: Über 100 Entlassungen, weil Pariser Millionäre nicht verzichten
In der höchsten Liga Frankreichs sollte lieber gar nicht weitergespielt werden, „auch, um den Spielern eine bessere Position bei der Vermeidung eines Gehaltsverzichts zu verschaffen“, sagt Alexis Menuge, Frankreich-Experte beim Sport-Streamingdienst DAZN. „Dafür hat sich die nationale Spielergewerkschaft im März und April eingesetzt.“ Folglich rollte in der Ligue 1 bis August kein Ball mehr, die Spielzeit wurde abgebrochen und Paris Saint-Germain nach 25 von 38 Spieltagen zum Meister gekürt. Dass die Hauptstädter in der Tabelle auch dieses Jahr ganz oben stehen verwundert nicht, verdienen deren Spieler doch durchschnittlich 7,7 Millionen Euro – und damit dreimal so viel wie bei der AS Monaco, die mit 2,5 Millionen Euro das zweithöchste Durchschnittsgehalt der Ligue 1 zahlt.
Bei diesen Summen überrascht es umso mehr, dass sich in Paris nicht ein einziger der 29 Profis bereit erklärt, auf einen Teil seines Nettogehalts zu verzichten, der über die 16 Prozent der staatlichen Kurzarbeitsregelung hinausgeht. „Das ist eine Frechheit. Paris hat um die 800, 900 Mitarbeiter, die meisten von ihnen mussten wegen der Pandemie in Kurzarbeit gehen. Nach meinen Informationen werden im Herbst etwa 100 bis 130 der Mitarbeiter von PSG entlassen werden, weil die Spieler nicht verzichten wollen“, sagt Menuge empört. „Wenn sie da auch nur ein bisschen solidarisch gewesen wären, wäre es dazu nicht gekommen. Das ist einfach ein trauriges Bild.“ Dabei wären die drei Millionen Euro, die es bräuchte, um diese Massen-Entlassung zu verhindern, schnell eingesammelt: Nur ein einziger Spieler wie Kylian Mbappé (Monatsgehalt etwa 3 Millionen Euro) müsste dazu für drei Monate auf ein Drittel seines Salärs verzichten.
Doch der 21-jährige Weltstar verzichtet bisher nicht. Er spendet lieber eine erhebliche Summe an die Abbé-Pierre-Stiftung. „Da hätte er auf jeden Fall beides machen können – spenden und seinem Verein helfen. Natürlich ist es toll, was er außerhalb des Vereins gemacht hat, aber dass er seinen Verein nicht stärken will, ist mir unerklärlich“, sagt Menuge. Dieses Verhalten hatte besondere Konsequenzen auf den Arbeitsalltag in Paris:
„Ich weiß, dass die Stimmung auf dem Trainingsgelände von PSG deshalb zwischen den Spielern und den Mitarbeitern sehr angespannt ist, angespannter denn je. Die Mitarbeiter bleiben lieber in ihren Büros, als beim Training der Profis vorbeizuschauen. Eine Art des Protests.“
Alexis Menuge
Die Führungsetage bemüht sich, einen Gehaltsverzicht mit seinen Spielern zu erzielen. Es geht um die Gehälter aus den Monaten April, Mai und Juni. „Sie wollen ähnliche Bezugskürzungen wie bei Juventus Turin oder dem FC Barcelona durchsetzen. Aber die Spieler sind nicht bereit, auf fünf oder zehn Prozent zu verzichten. Sie gehen nicht einmal mehr an ihre Handys, um mit der Führungsetage über das Thema zu sprechen“, sagt Menuge.
Wer nicht will, der hat auch noch nicht:
tabellarisch dargestellt die größten und kleinsten Gehaltsverzichte
Verein | Gehaltsverzicht der Spieler | Gehaltsverzicht der Mitarbeiter*innen | Durchschnittliches Spieler-Jahresgehalt (2019/20)* |
---|---|---|---|
Rennes | Ja | Ja | 0,9 Mio. Euro |
Marseille | Teils abgelehnt! (Nur Payet verzichtet) | 0% | 1,8 Mio. Euro |
Monaco | 0% (Abgelehnt!) | 0% | 2,5 Mio. Euro |
Paris SG | 0% (Abgelehnt!) | 0% | 7,8 Mio. Euro |
Ligue 1 Durchschnitt | Etwa 1% | Etwa 1% | 1,02 Mio. Euro |
Auch sonst hat in der Ligue 1 so gut wie kein Spieler auf Gehalt verzichtet. In einer Reihe mit Paris stehen unter anderem Monaco, Lyon und Marseille. „Marseilles Präsident Jacques-Henri Eyraud war gezielt auf die Spieler mit dem höchsten Salär zugegangen, um den Verein finanziell zu entlasten“, erzählt Menuge. Die Spieler sträubten sich aber dagegen, obwohl Olympique Marseille (OM) schon vor der Pandemie finanzielle Probleme hatte. Menuge: „Eyraud ist ohnehin nicht für einen autoritären Stil bekannt, er hat es dann einfach dabei belassen.“
Star-Spieler Dimitri Payet sprach sich Anfang Juni sogar öffentlich gegen den Verzicht aus: „Ich habe eine Familie zu versorgen und Kredite abzubezahlen.“ Doch dann, Ende Juni, verlängerte Payet plötzlich seinen Vertrag um zwei weitere Jahre, bis 2024. Die unerwartete Wendung: Mit der Unterschrift halbiert sich sein Gehalt von 500 000 auf 250 000 Euro pro Monat.
🏴 Premier League: Lieber doppelt so viel Gehalt als keinen Titel
Die größte Gefahr für den FC Liverpool während der Coronakrise war nicht die Kündigung einiger Mitarbeiter*innen wie in Paris, sondern der Gewinn der ersten Meisterschaft seit 30 Jahren. Nur durch einen Abbruch der Liga hätte ihnen der erste Meistertitel seit 30 Jahren noch genommen werden können. Keir Radnedge, England-Korrespondent beim kicker sagt: „Die Fans in Liverpool waren so verrückt auf den Titel, dass sie wohl nichts dagegen gehabt hätten, wenn die Spieler doppelt so viel Gehalt bekommen hätten.“ Die reichsten englischen Top-Klubs und ihre oft milliardenschweren Besitzer schienen es einfach nicht nötig zu haben, die Spieler mit einem Gehaltsverzicht zu vergraulen, Mitarbeiter*innen-Plätze waren bei ihnen ohnehin nicht in Gefahr.
Dafür übernahmen die Liverpool-Spieler, wie viele Spieler der Liga, soziale Verantwortung in der englischen Gesellschaft, gut umsetzbar bei einem ligaweiten Durchschnittsgehalt von 3,5 Millionen Euro. Sie spendeten Teile ihrer Gehälter an das Gesundheitssystem, verschiedenste Stiftungen oder an ihre Gemeinde. LFC-Kapitän Jordan Henderson war einer von 20 Premier-League-Spielern, die einen Spendenfond ins Leben riefen, über den jeder an das nationale Gesundheitssystem spenden kann. Die Gründer machten gemeinsam den Start mit mit 4,4 Millionen Euro. „Die meisten machten das auch gerne im Hintergrund ohne viel PR, weil sie sich verantwortlich dafür sahen, ihre Region finanziell zu unterstützen. Viele Vereine selbst haben ihre Spieler dazu ermutigt, das war viel üblicher als der Gehaltsverzicht für den Verein“, erklärt Radnedge.
Nur das Arsenal-Team unterstützt den Verein:
tabellarisch dargestellt die größten und kleinsten Gehaltsverzichte
Verein | Gehaltsverzicht der Spieler | Gehaltsverzicht der Mitarbeiter*innen | Durchschnittliches Spieler-Jahresgehalt (2019/20)* |
---|---|---|---|
Arsenal | 12,5% | 12,5 % | 5,3 Mio. Euro |
Watford | 30 % (Stundung) | 30 % (Stundung) | 2,2 Mio. Euro |
FC Liverpool | 0 % (Nicht gefordert) | 100% | 6,1 Mio. Euro |
Manchester City | 0 % (Nicht gefordert) | 100% | 7,8 Mio. Euro |
Everton | 0 % (nicht gefordert) | 0 % (nicht gefordert) | 4,5 Mio. Euro |
Premier League Durchschnitt | 2,1 % | 23% | 3,5 Mio. Euro |
Zu Anfang der Pandemie lief es in ganz England aber nicht so unproblematisch beim Thema Gehaltsverzicht ab, wie in Liverpool. Damals rief der Gesundheitsminister Matt Hancock die Premier League Spieler zum Gehaltsverzicht auf. Diese Meinung hatte aber nur eine kurze Verweildauer in der Bevölkerung.
„Aber schon nach ein paar Tagen tauchte diese Debatte wieder ab. Denn viele Engländer dachten: ‚nunja, auch andere Großverdiener wie Bänker und Bauunternehmer verzichten nicht auf Teile ihres Gehalts. Warum sollte man also nur die Fußballer herausheben?‘ Dieser Gedanke kam auch, weil einige Spieler ihr Geld andersweitig spendeten.“
Keir Radnege
Letztendlich verzichtete nur ein Team in der Liga auf Teile ihres Gehalts: der FC Arsenal setzte einen Verzicht von 12,5 Prozent des Spieler- und Trainerstabs durch. Dieser würde wieder zurückgezahlt werden, wenn die Spieler den Verein in die Champions League bringen würden. Dazu kam es allerdings nicht, Arsenal freut sich über den Finanzausgleich.
🇪🇸 Primera División: Verständlicherweise unsolidarisch?
Beim FC Barcelona hatten Ende März einige Angestellte, wie die Verkäufer*innen in den Fanshops und das Personal des Vereins-Museums, den Eindruck, ihre Jobs wären den hochbezahlten Profis des Klubs egal. Damals wurde öffentlich, dass Lionel Messi – mit 50 Millionen Euro Netto-Jahresgehalt der bestbezahlte Fußballer der Welt – und seine Teamkollegen sich einem von Barça vorgeschlagenen Gehaltsverzicht verweigert hatten. Für alle Kleinverdiener*innen bei den Katalanen ein Schlag ins Gesicht, denn: Obwohl es dessen Transferausgaben von rund einer Milliarde Euro in den letzten drei Saisons nicht vermuten lassen, ist der Klub finanziell schwer angeschlagen. Durch die Corona-Pandemie waren folglich einige der 540 Arbeitsplätze akut gefährdet. Dass das kickende Personal trotz eines jährlichen Netto-Durchschnittsgehalts von knapp elf Millionen Euro zur Sicherung einiger Jobs nicht auf den Verzichts-Vorschlag einging, erschien vielen im und um den Verein unsolidarisch.
José Álvarez, Reporter der spanischen Sport-Fernsehsendung El Chiringuito, kennt die Hintergründe und relativiert: „Hilfsbereitschaft war von Anfang an da. Nur ärgerten sich die Spieler darüber, dass ein 70-prozentiger Verzicht für die Dauer der Spielbetriebspause von ihnen gefordert wurde.“ Der Grund: In den Verhandlungen betonte der Vorstand immer wieder, wie schwer es wirtschaftlich um den Klub steht. Zeitgleich berichtete die Presse von einem geplanten Transfer von Lautaro Martínez für über 100 Millionen Euro. Álvarez: „Dass der Klub einen Gehaltsverzicht gefordert und Kurzarbeit beantragt, parallel aber über so teure Einkäufe gesprochen hat, erschwerte die Verhandlungen enorm.“ Das Team befürchtete, ausgenutzt zu werden und verhandelte in den Tagen nach der ersten Absage weiter hart. Ein Image-Schaden, insbesondere bei einigen Angestellten, den das letztlich geschnürte Hilfspaket nicht wettmachen konnte – dabei war dieses mehr als großzügig: Messi und Co. gaben nach, stimmten dem Verzicht auf 70 Prozent des Gehalts während des Alarmzustands zu. Allein von April bis Anfang Juni bedeutete das eine Ersparnis von 43 Millionen Euro. Obendrein verzichteten die Spieler auf weitere zwei Prozent ihres Salärs, damit die 309 in Kurzarbeit angestellten ihr Gehalt auf 100 Prozent aufgestockt bekommen.
Die Top-Clubs verzichten am meisten:
tabellarisch dargestellt die größten und kleinsten Gehaltsverzichte
Verein | Gehaltsverzicht Spieler | Gehaltsverzicht Mitarbeiter*innen | Durchschnittliches Spieler-Jahresgehalt (2019/20)* |
---|---|---|---|
FC Barcelona | 72% | Kurzarbeit | 11,0 Mio. Euro |
Atlético Madrid | 70% | Kurzarbeit, zeitweise ohne Arbeitszeit und Lohn (bekommen Teile durch Spielerverzicht) | 6,2 Mio. Euro |
Real Madrid | 10% (der Jahresgehälter) | 0% (dank Profiverzicht) | 10,1 Mio. Euro |
Valladolid | 0% (nicht gefordert) | 0% (nicht gefordert) | 0,4 Mio. Euro |
Mallorca | 0% (nicht gefordert) | 0% (nicht gefordert) | 0,6 Mio. Euro |
La Liga Durchschnitt | 15,3% | Etwa 2% | 2,34 Mio. Euro |
Als die Vereins-Bosse Ende Mai allerdings mit der Bitte um einen erneuten Gehaltsverzicht von insgesamt rund zehn Millionen Euro auf die Profis zukamen, stellten diese sich endgültig quer, stimmten nicht zu. Zum einen, weil den Spielern noch der Imageverlust von der ersten Absage schmerzt. Zum anderen aufgrund ihres Unverständnisses für die offenbar mehr als prekäre Finanzlage des Vereins. Die Mannschaft des FC Barcelona hat ihrer Solidarität so Grenzen gesetzt.
🇮🇹 Serie A: Gibst du mir, gebe ich dir
Schier grenzenlos erscheint die Solidarität eines Erstliga-Teams aus der süditalienischen Region Kampanien. Beim SSC Neapel war die Geldnot schon wenige Tage nach dem Spiel-Stopp der Serie A groß. So groß, dass Präsident Aurelio De Laurentiis aus Angst vor dem wirtschaftlichen Kollaps seines Klubs ab März kein einziges Profi-Gehalt mehr überwies.
Auf die Barrikaden gingen die Spieler deshalb nicht. Im Gegenteil: Neben der Hilfe für die SCC schnürten der Trainer Gennaro Gattuso und sein Team ein Hilfspaket für die anderen Angestellten, die De Laurentiis für drei Monate in Kurzarbeit geschickt hatte. Bei dieser übernimmt der Staat in Italien aber nur 60 Prozent des vertraglich vereinbarten Gehalts, was die Neapel-Stars dem Team hinter dem Team ersparen wollten. Sportreporter Mirko Calemme, der die Mannschaft vom Fuße des Vesuvs für das italienische Online-Fußballmagazin Calciomercato sowie die spanische Sportzeitung AS begleitet: „Der Sportdirektor, der Coach und seine Jungs haben zusammengelegt und allen Mitarbeitern das Kurzarbeiter-Geld auf einhundert Prozent ihres Gehalts aufgestockt.“ Da kommen viele tausend Euro zusammen, aber den Spielern war es das wert: „Sie haben die normalen Vereinsangestellten über die Jahre liebgewonnen und wollten nicht, dass diese als Kleinverdiener plötzlich mit noch weniger auskommen müssen“, sagt Calemme.
Spielergewerkschaft handelt 16,7 Prozent aus – ob alle mitmachen?
tabellarisch dargestellt die größten und kleinsten Gehaltsverzichte
Verein | Gehatsverzicht der Spieler | Gehaltsverzicht der Mitarbeiter*innen | Durchschnittliches Spieler-Jahresgehalt (2019/20)* |
---|---|---|---|
Juventus | Rund 30% (Jahresgehalt) | Dank Spieler-Verzicht keine Maßnahmen nötig | 9,0 Mio. Euro |
Inter Mailand | Rund 15% (Jahresgehalt) | - | 3,6 Mio. Euro |
Brescia | 16,7% | - | 0,6 Mio. Euro |
Florenz | 8,3 % | - | 1,3 Mio. Euro |
Serie A Durchschnitt | 21% | 0% | 2,02 Mio. Euro |
Doch damit nicht genug – auch außerhalb des Klubs setzte die Mannschaft einige Zeichen des Zusammenhalts. Eines der bewegendsten Beispiele: Lorenzo Insigne, in Neapel geboren und im Trikot der SSC zum Idol der Hafenstadt geworden, spendete 100 000 Euro an das Ospedale Domenico Cotugno. Das größte Krankenhaus Neapels wurde von der Masse an Corona-Kranken überrannt. Mit seinem Geld für Tests und Schutzkleidung wollte Insigne die Held*innen dieser Krise besser rüsten sowie die Patient*innen und ihre besorgten Angehörigen unterstützen. Ebenfalls zur Hilfe verschiedener sozialer Einrichtungen und gemeinnütziger Organisationen versteigerte der Klub reihenweise Trikots von populären Ex-Spielern wie der Fußball-Ikone Diego Armando Maradona sowie aktiven SSC-Profis und sammelte so mehrere zehntausend Euro für den gemeinschaftlichen Kampf aller Neapolitaner gegen das Virus. „Neapel ist ein etwas anderer Klub. Die Vereinsstrukturen sind nicht so gut wie bei Juventus oder Inter Mailand, aber der Zusammenhalt zwischen der Mannschaft und der Stadt macht Neapel stark“, beschreibt Calemme und erzählt: „Ein schönes Beispiel war auch das Erledigen der täglichen Einkäufe für Risikogruppen wie Senioren. Das hat der Verein organisiert und alle Kosten übernommen. Auch der ein oder andere Spieler hat sich beteiligt.“ Dass sich die Spieler seines Vereins so für ihre Mitbürger*innen einsetzen, ihre Privilegien nutzen, um anderen in schweren Situationen zu helfen, macht Präsident De Laurentiis stolz.
Deswegen und weil mit dem Re-Start der Serie A ein größerer wirtschaftlicher Schaden für die SSC abgewendet werden konnte, hat der Klub-Boss den Profis die schrittweise Rückzahlung der ausgefallenen Gehälter versprochen. Somit haben rund um die SSC Neapel wirklich alle von einem außergewöhnlichen Zusammenhalt in außergewöhnlichen Zeiten profitiert.
Top-10-Teams der Verzichter – Keine Engländer und Franzosen
Platzierung | Verein | Gehaltsverzicht der Spieler in Prozent | Gehaltsverzicht der Mitarbeiter*innen in Prozent | Durchschnittliches Spieler-Jahresgehalt in Mio. Euro (2019/20)* |
---|---|---|---|---|
1. | Juventus | Rund 30% (Jahresgehalt) | Dank Spieler-Verzicht keine Maßnahmen nötig | 9,0 Mio. Euro |
2. | FC Barcelona | 72% | Kurzarbeit | 11,0 |
3. | Atlético Madrid | 70% | Kurzarbeit, zeitweise ohne Arbeitszeit und Lohn (bekommen Teile durch Spielerverzicht) | 6,2 |
4. | Inter Mailand | Rund 15% (Jahresgehalt) | - | 3,6 |
5. | Alavés | Kurzarbeit bis zur Wiederaufnahme des Spielbetriebs + rund 10% des Jahresgehalts | Kurzarbeit | 0,5 |
5. | Real Madrid | 10% (der Jahresgehälter) | 0% (dank Profiverzicht) | 10,1 |
5. | M’gladbach | 20–30% | Kurzarbeit | 1,7 |
6. | Bayern München | 20% | Nein | 7,2 |
7. | Frankfurt | 20% | Kurzarbeit | 1,3 |
10. | Union Berlin | 10–20% | Kurzarbeit | 0,6 |
Top-10-Teams der Unsolidarität: Zwei Ablehner aus Frankreich, viele andere wohl nicht öffentlich bekannt:
Platzierung | Verein | Gehaltsverzicht der Spieler in Prozent | Gehaltsverzicht der Mitarbeiter*innen in Prozent | Durchschnittliches Spieler-Jahresgehalt in Mio. Euro (2019/20)* |
---|---|---|---|---|
1. | Paris SG | 0% (Abgelehnt!) | 0% | 7,8 Mio. Euro |
2. | Monaco | 0% (Abgelehnt!) | 0% | 2,5 |
3. | FC Liverpool | 0 % (Nicht gefordert!) | 100% | 6,1 Mio. Euro |
4. | Manchester City | 0 % (Nicht gefordert) | 100% | 7,8 |
5. | Osasuna | 0% (nicht gefordert) | 0% (nicht gefordert) | 0,4 |
6. | Valladolid | 0% (nicht gefordert) | 0% (nicht gefordert) | 0,4 |
7. | Mallorca | 0% (nicht gefordert) | 0% (nicht gefordert) | 0,6 |
8. | Everton | 0 % Nicht gefordert!) | 0 % (Nicht gefordert!) | 4,5 |
9. | Getafe | Nicht gefordert! | Nicht gefordert! | 0,8 |
10. | Hoffenheim | 0% (nicht gefordert) | 0% (nicht gefordert) | 1,5 |
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