Swipe aus der Einsamkeit
Das Geschäft mit der digitalen Romantik floriert: Auf Tinder, Parship & Co. irrlichtern Singles auf der Suche nach der großen Liebe. Doch der Weg zu Herzen ist teuer: User zahlen nicht nur mit ihrem Geld, sondern auch mit ihrer Zeit, zerrütteten Nerven und schmerzlicher Enttäuschung.
Text und Illustrationen: Tessa Mallon und Simon Weber
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Elf Jahre Beziehung. Ein Drittel ihres Lebens. Dann war Schluss. Nach dem Motto: „Jetzt bin ich frei, jetzt will ich auch mal ‘was ausprobieren“, stürzt Hanna Kuschel sich in die Welt der Dating-Apps. Die promovierte Wirtschafts- und Sozial-Psychologin nennt es selbst ein riesiges „Sozialexperiment.“ Tinder, Bumble, Hinge, Parship – dreieinhalb Jahre lang wischt sich Hanna durch die Apps, sammelt Matchs. Jeder Treffer steigert ihren Selbstwert.
Doch die meisten Chats laufen ins Leere. Ihre Lieblingsplattform: Bumble. Ihre Matchs: anspruchsvoll, bemüht und interessiert. Ihre Masche: Matchen, 24 Stunden lang Funkstille, Match ablaufen lassen, Match verlängern – für 1,99 Euro gibt’ s einen super Aufhänger für eine Unterhaltung. Irgendwann reicht ihr das nicht mehr. Sie will noch mehr Herzen verteilen, sehen, wer ihr seins schenkt und Matchs grenzenlos verlängern – von da an investiert sie monatlich 32,99 Euro in Bumble Premium. Ihr Profil sammelt über 1500 Likes. Sie ist überwältigt.
Online daten: match or pass?
In der Hoffnung, schneller die bessere Hälfte zu finden, sind vor allem einsame Menschen eher bereit, für Premium-Dienste zu bezahlen, sagt Wirtschaftsinformatiker und Marktkenner Henning Wiechers. Er ist Gründer eines Portals, auf dem er über zwanzig Jahre Single-Börsen von Tinder bis Parship verglichen und hunderte Testberichte zum Thema Online-Partnervermittlung veröffentlicht hat.
„Wenn ich mich einsam fühle, steigt mein Wunsch nach einer Beziehung“ – nach einer bevölkerungsrepräsentativen Studie von Parship aus diesem Jahr stimmt mehr als die Hälfte der 16- bis 29-jährigen Singles dieser Aussage zu. Im Internet oder auf Dating-Apps funkt es am häufigsten. Dieses Jahr lernte sich jedes fünfte verheiratete Paar online kennen – das zeigt eine Hochzeitsstudie der Kartenmacherei aus dem Jahr 2024. Das Unternehmen ist bekannt für den Online-Verkauf von Karten und führt jährlich die größte Hochzeitsstudie in Deutschland durch.
Ob und wie Online-Dating tatsächlich gegen Einsamkeit helfen kann, ist noch nicht wissenschaftlich belegt. Doch die Vergangenheit zeigt: In Zeiten von Abstandsregelungen, Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen erlebte Online-Dating einen Boom. Eine Erhebung durch den Digitalverband Bitkom von 2022 belegt, dass die Userzahlen von Tinder, Parship und Bumble während der Corona-Pandemie explodierten.
Von Parship bis JOYClub
Wer sich auf die Liebes-Odyssee durchs Netz begibt, findet unzählige Möglichkeiten. Kein Angebot gleicht dem nächsten. Hinter jedem Klick wartet eine neue Plattform und lockt User mit Sonderangeboten. Ob eine lebenslange Partnerschaft, eine Nacht Spaß oder doch locker daten – von Partnervermittlungen wie Parship und ElitePartner über Erotikportale wie JOYclub oder Dating-Apps wie Tinder und Bumble: Online schlägt jedes Herz höher.
Jeder dritte User von Online-Dating-Plattformen wischt besonders gerne und oft bei Tinder nach links oder rechts – das bestätigt eine Erhebung durch die Statista Consumer Insights im Februar 2024. Der Erfolg zeigt sich auch im Umsatz: Der weltweite Gewinn von Tinders Muttergesellschaft Match Group, mit Sitz in den USA, belief sich Ende 2023 auf etwa 230 Millionen US-Dollar – mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr. Der Erfolg der Match Group beruht besonders auf den Plattformen Tinder und Hinge.
Tinders größter Konkurrent Bumble schrieb 2023 dagegen rote Zahlen: Das Unternehmen verzeichnete weltweit einen Verlust von fast zwei Millionen US-Dollar. Auch für die deutsche ParshipMeet Group, zu der mittlerweile unter anderem Lovoo, ElitePartner und das amerikanische eHarmony gehört, war das letzte Jahr weniger erfolgreich. Das Geschäft mit der Liebe brachte dem Unternehmen, das 2020 von der ProSiebenSat.1 Media SE aufgekauft wurde, im vierten Quartal 2023 einen Umsatz von etwa 102 Millionen Euro. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Umsatz um 25 Millionen Euro gesunken.
Prognosen des Statista Research Departments zufolge soll der Umsatz von Dating-Services in Zukunft aber insgesamt steigen. Eine Erhebung von Statista aus dem letzten Jahr zeigt: 2028 werden Singlebörsen in Deutschland pro Online-User durchschnittlich 14,09 Euro verdienen, Casual-Dating-Plattformen mit 29,93 Euro pro User doppelt so viel. Partnervermittlungen werden 2028 im Durchschnitt den höchsten Umsatz pro User erwirtschaften: 70,68 Euro.
Dabei investiert nur ein Drittel der User tatsächlich Geld in die digitale Partnersuche. Vor allem Männer und ältere Menschen schrecken auf der Suche nach der Liebe nicht vor Bezahlschranken zurück, wie eine Erhebung des Digitalverbands Bitkom bestätigt.
Wie auch Bumble und Hinge ist Tinder eingeschränkt kostenlos nutzbar, die Anzahl an Likes pro Tag ist aber stark beschränkt. Möchten User rund um die Uhr vom Sofa über den Globus swipen, heimliche Lover enttarnen oder ihrem Crush schon vor dem Match Liebesbriefe schicken, müssen sie je nach Vertrag für ein Jahr zwischen 54,96 Euro (*Stand Juni 2024) und 174,96 Euro* pro Monat aufbringen.
Doch auch ohne ein kostenpflichtiges Abonnement ist die Nutzung von Tinder nicht umsonst: Nach Informationen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zahlen Tinder-User mit personenbezogenen Daten, die das Unternehmen für personalisierte Werbung auf der Plattform nutzt. ElitePartner greift zu ähnlichen Mitteln. Nach Abschnitt 4.2 der AGB dürfen User die Plattform kostenlos nutzen und im Gegenzug werden ihre Daten innerhalb der Grenzen der Datenschutzhinweise weiterverarbeitet und zu Werbezwecken verkauft.
Klassische Online-Partnervermittlungen wie Parship locken neue User mit niedrigschwelligen Angeboten – wie einer kostenlosen Anmeldung.
Wer aber seinem Match eine Nachricht senden möchte, muss auf Parship eine Premium-Mitgliedschaft für 45,90 Euro* pro Monat abschließen.
Die Mitgliedschaft bindet die User für ein halbes, ein ganzes oder sogar zwei Jahre. Eine frühe Vertragskündigung ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Lernt ein User schon im ersten Monat seinen Partner oder seine Partnerin kennen, bezahlt er trotzdem den vollen Preis für 24 Monate:
Geschäftsmodell lebenslang swipen?
Die Dating-App Hinge wirbt international mit dem Slogan „designed to be deleted.“ Das Geschäftsmodell von Dating-Services ist paradox: Einerseits werben sie mit der Aussicht auf feste Beziehungen, andererseits profitieren sie von der langfristigen Nutzung durch Singles, die zahlungspflichtige Verträge verlängern und in Zusatzfunktionen investieren.
Hanna kann das bestätigen. Öffnete sie die App, ploppen besonders attraktive Kandidaten auf ihrem Bildschirm auf. Auch beim Swipen begegnen ihr ständig gut aussehende Männer, die aber auf den zweiten Blick schon nicht mehr in Frage kommen. Hanna hat das Gefühl, die Plattform wolle ihr keinen Wunschpartner vermitteln, um sie nicht als Kundin zu verlieren, sondern sie lediglich zum Weiterswipen motivieren.
Trotzdem hat Hanna mit etwa 350 Euro für Premium-Funktionen auf Parship und Bumble das Geschäftsmodell unterstützt. Auf Parship macht sie die Erfahrung: Die vergleichsweise teure Plattform verbessert nicht das Angebot an Kandidaten. Ihr Schlüssel zum Glück: die Masse. „Love is a number scan: Man muss einfach nur ganz viele kennenlernen und dann wird da schon jemand dabei sein“ – nach diesem Motto swipt Hanna durch die Plattformen.
Kunden(un)zufriedenheit
Anfang 2024 ermittelt das Deutsche Institut für Service-Qualität (DISQ) eine mittelmäßige Zufriedenheit unter Usern von Online-Partnervermittlungen. Auch Parship kann sich nur das Qualitätsurteil „befriedigend“ verdienen. Unter allen Dating-Apps schnitten Bumble und Tinder im Jahr 2022 am besten ab. Das DISQ beurteilte die Kundenzufriedenheit beider Plattformen insgesamt als befriedigend.
Ein Blick auf das im Internet frei zugängliche Bewertungsportal „Trustpilot“ vermittelt jedoch einen anderen Eindruck: Nach 3.401 Bewertungen (Stand 16.07.2024) erreicht Tinder 1,2 von fünf Sternen und ist damit „ungenügend”. User warnen vor fieser Abzocke, beschweren sich über raue Mengen an Fake-Profilen, die über die Plattform geistern und klagen über die vermeintlich unberechtigte Sperrung ihres Profils.
Eine Person schreibt am 17.April 2024 unter dem Pseudonym „Realone“: „Tinder ist eine Pay to win Plattform, es geht nicht darum zwei Menschen unkompliziert miteinander zu verbinden – es geht darum, dem entsprechenden User das Geld aus der Tasche zu ziehen” (Rechtschreibung unverändert). Im Vergleich zu Tinder fallen die Bewertungen von Parship auf „Trustpilot“ etwas besser aus: 4.278 Bewertende (Stand 16.07.2024) verteilen insgesamt 2,3 Sterne an die Plattform – das entspricht der Note mangelhaft. User klagen hier besonders über unverhältnismäßig hohe Preise, Probleme bei der Kündigung und wenig Matchs.
Auf den Vorwurf eines Users, Parship betrüge mit Fake-Profilen, entgegnet die Plattform: „Es soll bei uns ausschließlich echte Menschen mit echten Gefühlen geben. Wir arbeiten unermüdlich daran, Fake-Profile von unserer Website fernzuhalten.”
Fake Love
Ganz im Gegensatz zu anderen Plattformen: Die Singlebörse Yoomee hat genau diese Fake-Profile als Geschäftsmodell etabliert. Auf dieser vergleichsweise kleinen Plattform swipt eine junge, größtenteils männliche Zielgruppe wie auf Tinder nach rechts oder links.
Darunter sind auch Mitarbeitende der Plattform: Sie spielen mit den ernsten Absichten und Hoffnungen der User, einen Partner zu finden. Wie im Fall von Alexander Meier. Er meldet sich im Urlaub auf Yoomee an, beginnt sich durch das Portal zu klicken, schreibt Frauen an.
1,33 Euro* kostet es, eine Nachricht auf Yoomee zu versenden. Was er nicht weiß: Die Plattform bezahlt ihre Mitarbeitenden, damit sie sich mit Profilen unter die User mischen. Ihr Ziel: Die User so lange wie möglich im Chat und auf der Plattform halten, um sie abzukassieren.
Mitten in der Konversation löscht die Plattform die Nachricht einer Nutzerin an ihn, sie hat nach seiner WhatsApp-Nummer gefragt. Dann schreiben Meier erstaunlich viele Frauen an – sein Misstrauen erwacht.
Auf den Blick in die AGB folgt die bittere Erkenntnis: Mit dem Abschluss des Vertrages akzeptiert er die Existenz von sogenannten bezahlten „Moderatoren” auf Yoomee. Sie chatten zwar, stehen für Treffen aber nicht zur Verfügung.
Meier fühlt sich „verarscht” und konfrontiert den Kundensupport von Yoomee. Eine Antwort bleibt aus. Er wendet sich an die Verbraucherzentrale Bayern und erfährt: Trotz fehlender direkter Kennzeichnung der falschen Profile bewegt sich die Plattform in einer rechtlichen Grauzone.
Diese Praktiken sind ein „Dauerthema mit großer Verbraucherrelevanz“, bestätigt Tatjana Halm von der Verbraucherzentrale Bayern. Zwielichtige Grauzonen-Geschäfte wie dieses sind ihr Fachgebiet. Im Laufe eines Monats erreichen die Rechtsberaterin eine Handvoll Beschwerden. Dabei geht es nicht nur um Fake-Profile… Auf ihrem Schreibtisch landen viele Fälle von Menschen, die im Dopamin- und Oxytocin-Rausch vergessen, ihren Vertrag oder ihr Abonnement zu kündigen.
Online-Dating ist in der Gesellschaft immer noch mit Scham behaftet, besonders wenn es erfolglos ist. Leider schweigen viele Menschen lieber, statt wie Meier Hilfe oder Rat bei Tatjana Halm und ihrem Team vom Verbraucherschutz zu suchen.
Halm vermutet daher eine „riesige Dunkelziffer” an Betrugsfällen. Plattformen wie Yoomee spekulieren genau auf dieses Schamgefühl und nutzen Grauzonen bis an die Grenze eines Straftatbestandes aus.
User gegen Plattformen
Dass Online-Dating-Plattformen permanent in der Kritik stehen und es auf Trustpilot nur so von Ein-Sterne-Bewertungen wimmelt, hat aber nicht nur mit den Geschäftspraktiken der Anbieter zu tun. Dating-Services wie Parship, Tinder & Co. verstehen sich lediglich als Hilfestellung für Menschen auf der Suche nach dem Partner fürs Leben oder dem Abenteuer für eine Nacht. Plattformen versprechen ihren Usern nicht, die Liebe ihres Lebens zu finden.
Auch Heike Anna Koch reicht bei der Verbraucherzentrale Bayern Beschwerde ein: Obwohl sie auf der Plattform LemonSwan fristgerecht Widerruf eingelegt hatte, muss sie 150 Euro* für ein sogenanntes „Starterpaket” bezahlen. Sie selbst arbeitet als „Mental Coach” und führt eine Praxis für Psychotherapie und Paartherapie – LemonSwan nutzt sie nicht zur Partnersuche, sondern nur zu Recherchezwecken. Auf unsere schriftliche Anfrage antwortet sie: „Die angeblichen Psychologen mit den Fragebögen sind Scharlatane mit allgemeintauglichen Kalendersprüchen. Das hat mich ehrlich gesagt geärgert, dass Kollegen hier am Werk sind und Menschen bewusst blenden.”
Paul Uhlig, Managing Director von LemonSwan, äußert sich zu Kochs Fall. Menschen hätten Verträge abgeschlossen, Nachrichten versendet und den Vertrag widerrufen – immer wieder. Nun stellt die Plattform Usern den bis zum Widerruf erbrachten Teil ihrer Dienstleistung in Rechnung. Auf Trustpilot ist LemonSwan mit 2,7 Sternen die von Usern am besten bewertete Plattform. Trotzdem hagelt es Kritik. Menschen hätten die Erwartung, dass sie von Online-Partnervermittlungen einen Partner oder eine Partnerin aus dem Internet geliefert bekämen. Das sei natürlich nicht so. Stattdessen müssten die Menschen selbst aktiv werden, um einen Gefährten oder eine Gefährtin fürs Leben zu finden, erklärt Uhlig den Frust vieler User.
Für einen Großteil der Menschen ist der Wunsch nach einer festen Beziehung jedoch die treibende Kraft bei einer Anmeldung auf einer Dating-Plattform.
Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Service-Qualität konnte 2023 nicht einmal jeder zehnte User über die Online-Suche erfolgreich einen Partner oder eine Partnerin finden. Über 40 Prozent der befragten User von Online-Dating-Services haben die digitale Partnersuche aufgegeben. Erfolglose Menschen sind besonders unzufrieden.
Die Interessen von Usern und das Geschäftsmodell der Plattformbetreibenden passen daher nur bedingt zusammen. Wie bei allen Vertragsabschlüssen sollte ein Blick auf die AGB geworfen werden. Auch Verbraucherschützerin Halm empfiehlt das Usern, die sich auf das Wagnis, die große Liebe online zu suchen, einlassen wollen.
Gleichzeitig wünscht sie sich von den Plattformbetreibenden, dass sie die erbrachten Leistungen, Kostenstrukturen und realistischen Erfolgschancen klarer und ehrlicher offenlegen. Jeannine Michèle Kock, Communications Senior von Parship, antwortet auf Anfrage:
Kritische Fragen zum Geschäftsmodell kann Parship auch nach mehrmaliger Aufforderung aufgrund von knappen zeitlichen und personellen Ressourcen nicht beantworten. Doch um umfangreich die Vorzüge der eigenen Plattform zu erläutern, scheinen die Ressourcen zu reichen. Auch Tinder verweigert dreimal das Gespräch: „Aktuell haben wir für ein Interview leider keine Kapazitäten” (28. und 31. Mai 2024, 10. Juni 2024). Kleinere Plattformen wie Yoomee und c.date haben auf keine der Anfragen reagiert.
Doch allen Suchenden steht es frei, eine Partnerin oder einen Partner auf einem der vielen Datingportale zu finden – oder im echten Leben auf die Suche zu gehen. Der nächste Swipe könnte immer der letzte sein. Für Hanna ist die virtuelle Partnersuche beendet: Ein Herz gehört ihr heute noch. Nach über dreieinhalb Jahren, hunderten von Euros, Matchs und Chats trifft sie auf Bumble ihren aktuellen Partner. Allein ist sie heute nicht mehr.
* Die Preisangabe entspricht dem Stand von Juni 2024.
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