Zwischen Bergluft und Küchenduft

von Merlin Isabo

Die Wirtsleute der „Stuhlalm“: Tina Schumacher und Stephan Wieland.

Weltcup und Wirtsstube

Seit vier Jahren führen Tina und Stephan die „Stuhlalm“ am Gosaukamm bei Annaberg im österreichischen Lammertal. Platz bietet sie für bis zu 28 Übernachtungsgäste, dazu kommen die Tageswanderer:innen. Je nach Wetter und Wochentag sind das mal mehr und mal weniger – für das Paar nicht immer leicht zu planen. Ein Leben auf knapp 1.500 Höhenmetern war eigentlich nie Ziel der beiden. „Des war ois a recht spontane Entscheidung“, erzählt Stephan. Tina wächst unten im Tal auf, ist schon als Kind häufig auf der Alm. „Trotzdem hätt i aa nie glaubt, dass i des amoi mach.“ Als die beiden das Angebot eines Bekannten bekommen, zögern sie nicht lange. „So a Chance muaß ma eifoch nutzn“, sind sie sich einig. Immerhin werden Privatalmen nicht oft zur Pacht ausgeschrieben. Besonders dann nicht, wenn die Familie von Marcel Hirscher Vorbesitzer ist. Mit acht Weltcup-Siegen und zweimal Gold bei Olympia gehört er zu den erfolgreichsten Skirennläufern überhaupt. „Des is natürlich bis heit a guate Werbung fia uns“, sagt Stephan.

Geöffnet hat die „Stuhlalm“ von Donnerstag bis Montag. Aber auch an den restlichen Tagen gibt es hier oben alle Hände voll zu tun. Langeweile kommt so schnell nicht auf. Heute müssen beispielsweise die Zucchini eingepflanzt werden. Mit einem kleinen Spaten gräbt der 35-Jährige Loch für Loch ins Hochbeet. Hier und da windet sich ein Regenwurm durch die nasse Erde. Im Hintergrund plätschert ein Brunnen, Kuhglocken machen das Almklischee perfekt. Stephan rückt seine weiße Kappe zurecht, dann versenkt er die zarten Pflänzchen im Boden. Etwas Humus drüber, andrücken, gießen – fertig. „Mia ham scho vor zwoa Wochn weiche eingsetzt, dann is nomoi Schnee kemma und ois war hi.“ In den Bergen bestimmt die Natur noch den Lebensrhythmus. Stephan und Tina haben gelernt, damit umzugehen. Mit der Natur zu leben und sie zu lieben. 

Grasende Milchkühe vor der Hütte machen das Almklischee perfekt.

Speck aus Eigenproduktion

Anbauen können sie hier oben nicht viel, dafür ist das Klima zu wechselhaft. Trotzdem legt Stephan großen Wert auf regionale Produkte. Milch und Käse von ansässigen Landwirt:innen, Gemüse aus dem Garten von Tinas Eltern. Und auch den Speck für die Jause – eine kalte Zwischenmahlzeit – macht er selbst. In einer 300 Jahre alten Räucherkammer, nach Familienrezept versteht sich. Etwa 150 Kilogramm werden pro Saison serviert. Neulich erst hat er den Jagdschein gemacht, möchte in Zukunft mehr Fleisch auf die Karte setzen. „Dann woaß ma wenigstns, dass’s d’Tiern guad gengan is.“ Viele Fleischgerichte wird es wohl trotzdem nicht geben. Die Almhütte verfügt nur über zwei kleine Kühlschränke und einen Erdkeller zur Lagerung. Für mehr Strom können die kleinen Solaranlagen nicht sorgen. „Do muaß i manchmal kreativ sei, oba dann gibt’s hoit mehr Gmias, des hält sich eh länger.“ So haben Vegetarier:innen wenigstens eine große Auswahl, das ist Stephan wichtig.  

Stephan pflanzt Zucchini im Hochbeet. Viele Produkte bezieht er von regionalen Landwirten oder baut sie selbst an.

Manches wächst aber auch ganz von allein. Auf einem Hügel hinter der Hütte knien Tina und Stephan in der Almwiese. Vor ihnen liegt eine Schüssel im dichten Gras. Die Augen der beiden wandern über das Grün. „Dass ma au ja nix Falschs pflückst“, scherzt Stephan und meint damit giftige Pflanzen wie etwa Maiglöckchen oder Eisenhut. – „Sehr witzig, sunst mach i’s aa imma allan.“ Die beiden sammeln Zutaten für das Wildkräuterpesto. Gezielt zupfen sie Frauenmantel, Schafgarbe und das sternförmige Labkraut. Zwischen Kräutern und bunten Blümchen schwirren Bienen umher, ein frischer Windstoß wirbelt durch Tinas Haare. Nach einer guten Viertelstunde ist die Schüssel fast voll. Fehlen nur noch Brennnesseln. Tina schlüpft dafür in Handschuhe, Stephan braucht die nicht: „Wennst’s nur am Stängel anpackst, stech’n’s di ned.“ 

Aus Frauenmantel, Schafgarbe und dem sternförmigen Labkraut produziert Stephan sein Wildkräuterpesto.

Almküche mit Sterne-Flair

Powidl Pofesen

Zutaten:

  • 2 Brötchen vom Vortag
  • 80 Gramm Pflaumenmus
  • 250 Milliliter Milch
  • 2 Eier
  • Zucker
  • Zimt
  • Puderzucker
  • Rum
  • Öl

Das Brot in etwa 1 cm dicke Scheiben schneiden. Die Hälfte mit Pflaumenmus bestreichen und mit der jeweils anderen Brothälfte zusammensetzen. Milch, Eier, etwas Zucker und Rum nach Geschmack verrühren. Pofesen einlegen und kurz ziehen lassen. Öl erhitzen, Pofesen beidseitig goldgelb backen, aus dem Fett heben und abtropfen lassen. Mit Zimt und Puderzucker servieren.

Gäste aus aller Welt

Wieder steht ein fremder Mann mit Hut in der Küche: „Do you have a room for five people tonight?“ Er kommt aus Peru und macht hier Urlaub mit seiner Familie. Eigentlich wollten sie bis zur nächsten Hütte wandern, das schlechte Wetter macht ihnen aber einen Strich durch die Rechnung. „Yes of course, I can show you everything right away”, sagt Tina. Sie freut sich, waren doch heute nicht viele Gäste angekündigt. In der Zwischenzeit schneidet Stephan Scheibe für Scheibe. Der Laib wird immer kleiner, während sich auf der anderen Seite eine Säule geschnittener Toastscheiben auftürmt. Nach dem letzten Stück verstummt die Maschine. Aus dem Kühlschrank greift sich der Koch ein Gläschen Powidl – Pflaumenmus. Das verstreicht er gleichmäßig mit einem Löffel auf den Hälften und legt die restlichen Brotscheiben darauf. 

Die beliebten Powidl Pofesen gehören zu den Spezialitäten der Alm.

Stephan schlurft wieder zum Kühlschrank. Das Pflaumenmus tauscht er jetzt gegen eine Schüssel Palatschinkenteig aus. Er packt die Weißbrotscheiben mit einer grauen Zange und wälzt sie im Teig. Dann wühlt er in seiner Hosentasche und zieht ein rotes Feuerzeug hervor. Stephan dreht den Gasherd auf und entzündet ein Flämmchen. Eine weitere Umdrehung am Schalter und sie baut sich zu einer stattlichen Flamme auf. Als nächstes greift er sich eine verbeulte Bratpfanne, gießt ordentlich Öl hinein und stellt sie auf den Herd. Mit einem lauten Zisch landen die Pofesen im brutzelnden Fett. Als sie goldbraun ausgebacken sind, fischt Stephan sie aus der Pfanne. Zum Schluss schneidet er die Powidl Pofesen der Länge nach auf und bestreut sie mit Puderzucker. Schon kommt Tina angestürmt: „San d’ Pofesen endlich fertig? De Leit wird’n scho langsam ungeduldig.“ Bevor Stephan überhaupt antworten kann, ist sie auch schon wieder mit den Tellern verschwunden.   

Die Landschaft rund um die Bischofsmütze ist eine beliebte Wanderregion.
Tina und Stephan pflücken Brennesseln.
Im Garten von Tinas Eltern wachsen verschiedene Gemüsesorten.
Gulasch mit Zucchinistreifen.
Mohnkuchen mit Grantnschleck.
Powidl Pofesen.
Rindertartar.

Fotos: Leonie Hohle, Jessica Adel, Lucio Jünemann, Merlin Isabo

Mehr von der Recherchegruppe Naturliebe

Zwischen Wetterchaos und Panorama-Idylle

Die Natur und Berge sind für viele Leute der optimale Rückzugsort. Ruhe, Frieden, Freiheit – in den Bergen finden die meisten einen Ort zum Verlieben. Sowohl im Sommer als auch im Winter. Doch auch die Berge haben ihre Gefahren. Von Lawinen über Starkregen bis hin zu übermäßiger Hitze und Wassermangel. In dieser Folge spricht Host Yannick mit Leonie. Sie und ihr Team haben zum Thema Naturliebe recherchiert. Dafür waren sie auf der Stuhlalm und haben mit den Wirtsleuten Tina und Stefan gesprochen. Welche Gefahren die Natur mit sich bringt und warum sie trotzdem so viele lieben, all das hört ihr in dieser Folge. 

Instagram

Tina und Stephan sind Hüttenwirte im Salzburger Land. Auf der Stuhlalm (1.467m) am Gosaukamm arbeiten und leben sie den Großteil des Sommers. Während sich viele Menschen eine Auszeit auf der Alm wünschen und das Leben mitten in den Bergen oft romantisieren, sieht die Realität in den meisten Fällen etwas anders aus.
Mit der Alm-Klischee-Challenge wollen wir mit einigen dieser Vorurteile aufräumen.
Einig sind sich Tina und Stephan, dass man für die Arbeit auf der Alm auf alle Fälle eine große Portion Liebe zur Natur mitbringen sollte🌿🏔️🥾💜
Woran denkt ihr beim Thema „Leben auf der Alm“? 🙌🏻

Im Rhythmus der Natur

Die Stuhlalm – beliebte Wanderhütte im Salzburgerland, unterhalb des schroffen Gosaukamms auf 1.500 Metern. Im Hintergrund thront die markante Bischofsmütze. Seit drei Jahren sind Tina Schumacher und Stephan Wieland hier Hüttenwirte. Die Natur ist für sie nicht nur Arbeitsplatz, sondern auch Kraftort. Selbst an freien Tagen entdecken sie rund um die Alm noch Neues und verlieben sich immer wieder aufs Neue. Einsteins-Reporterin Jess hat die beiden besucht und gelernt, was es heißt, die Natur zu lieben.

Und das sind wir:

v.l.n.r: Merlin Isabo, Jessica Adel, Leonie Hohle, Lucio Jünemann

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