Ein Napf voll Liebe

von Eva Deiler

Weiße Pfoten tapsen über den Asphalt. Perra, eine Australian Shepherd-Hündin mit glänzend schwarzem Fell, saust mit schlackernden Ohren auf den Ausgabetisch mit dem Tierfutter zu. Im Maul trägt sie ein pinkes, zerkautes Frisbee. Schlitternd bleibt Perra vor Andy Schiffer (46), einem Ehrenamtlichen der Tiertafel, stehen. Schwarze Knopfaugen fixieren ihn. Lächelnd beugt er sich runter, verwuschelt das gepflegte Fell, schnappt sich das Frisbee und schleudert es davon. Perra rast hinterher. Erst jetzt kommt Oli, Perras Besitzer, dazu. Der 52-Jährige ist fast jede Woche hier, seit es die Tiertafel gibt. Er begrüßt Andy, Karin Leitl (65) und Ludger Jung (60). Die drei bilden das Kernteam der Tiertafel Neumarkt in der Oberpfalz, wie Ludger sagt. Er lehnt sich im Klappstuhl neben dem Stand mit dem Tierfutter zurück und beobachtet die herumschnüffelnde Hündin. „Perra verschenkt einmal im Leben ihr Herz, das hat sie an Oli verschenkt. Wenn ich die jetzt auseinanderreißen würde, das wäre für den Hund das Schlimmste“, ist sich Ludger sicher.

Auf dem Ausgabetisch liegt alles, was das Herz der Tiere begehrt. Auch die Spendendose und das Maskottchen dürfen nicht fehlen.

Dass Menschen mit finanziellen Problemen – wie es auch bei Oli der Fall ist – ihre Haustiere nicht abgeben müssen, ist Ludger wichtig. 2022 hat er deshalb mit Unterstützung seiner Frau Karin die Tiertafel in Neumarkt gegründet. Es ist die einzige zwischen Nürnberg und Regensburg, erzählt er stolz. Jeden Freitag steht Ludger als Vorsitzender mit anderen der 15 Ehrenamtlichen des Vereins „Glücksstreuner“ an zwei verschiedenen Standorten in Neumarkt. Zuerst am Bahnhof, dann am Rathausplatz. Mittlerweile kommen jeden Monat rund 400 Menschen vorbei. Hier erhalten sie Tiernahrung für Hunde und Katzen, Tierzubehör wie Leinen und Futternäpfe oder Katzenstreu.

„So viel Liebe ich ihnen auch gebe, es füllt halt nicht den Magen“

Rund eine halbe Stunde bevor Oli mit Perra die Tiertafel besucht, ist von der Ausgabestelle noch nichts zu sehen; der Parkplatz in der Nähe des Bahnhofs ist verwaist, vereinzelt schlendern Menschen auf dem Gehweg vorbei. Bis ein weißer Lieferwagen heranrollt. Auf der Seite des Transporters prangt die Aufschrift „Glücksstreuner“. Andy und Karin steigen aus, Ludger wartet schon auf die beiden. Jetzt heißt es: Kofferraum auf, Klapptisch raus, Infotafel aufstellen. Andys Augen huschen über die Verpackungen, die sich im Kofferraum stapeln. Zielgerichtet packt er Tüten mit Katzenfutter, Hundefutter aus der Dose und jede Menge Leckerlis auf den Tisch. In der Mitte platziert er die Spendendose. Ludger hat sogar bei sich zu Hause immer einen kleinen Vorrat an Tierprodukten. Falls jemand anruft und dringend etwas braucht.

Oli und seine Hündin sind heute eine der ersten, die auf die Tiertafel zusteuern. „Gib’ der Perra doch noch was“, ruft Ludger Andy zu. „Der arme verhungerte Hund“, entgegnet Andy, verdreht die Augen und lächelt. Er legt das Leckerli in seine Hand; Perra schnappt es sich, verschlingt es und blickt erwartungsvoll zu Andy hoch. Der greift nach einem Gummiball und schleudert ihn davon. Die Hündin prescht drauflos, den Ball im Visier.


Armut unter Haustierbesitzer:innen


„Ludger, wie geht’s dir, alles gut überstanden?“, erkundigt sich Miriam. Ludger seufzt. Er war einige Wochen nicht da, musste an der Lunge operiert werden und ist noch nicht ganz fit. „Es hat mir sehr wehgetan, dass ich nicht hier sein konnte, als ich im Krankenhaus war“, erzählt Ludger später. Miriam bekommt Futter für ihren Hund und ihre vier Katzen. Die 33-Jährige ist psychisch erkrankt; ihre Tiere geben ihr Halt. „Deshalb bin ich unglaublich dankbar, dass sie noch bei mir sind und weiter auch bei mir bleiben können dank der Tiertafel“, sagt sie. Trotzdem kämpft sie mit Schuldgefühlen. „So viel Liebe ich ihnen auch gebe, es füllt halt nicht den Magen.“

Unterstützung statt Tierheim


So viel kostet ein Hund

Anschaffung

mindestens 300€

Zubehör

mindestens 230€

z.B. Napf, Leine, Transportbox

Monatliche Fixkosten

mindestens 100€

z.B. Futter, Impfungen, Entwurmung


Doch bevor die Menschen Unterstützung erhalten, müssen sie einen Nachweis erbringen, dass sie bedürftig sind. Alle drei Monate müssen sie deshalb einen Bürgergeld- oder Rentenbescheid vorlegen. Das klappe fast immer sehr gut, sagt Ludger. „Es sind arme, aber ehrliche Menschen.“ Einmal aber habe ihnen ein „böser Mann“ die Polizei geschickt. Die Tiertafel würde illegal mit Hunden handeln, so der Vorwurf. Und das nur, weil der Mann wegen fehlender Bedürftigkeit nicht unterstützt wurde. Ludger wird noch heute wütend, wenn er davon erzählt.


Die „Glücksstreuner“

Der Tierschutzverein „Glücksstreuner“ in Neumarkt in der Oberpfalz zählt 15 Mitglieder. Sie organisieren seit 2022 jeden Freitag die Tiertafel für Hunde- und Katzenbesitzer:innen in der Region zwischen Nürnberg und Regensburg. 400 Menschen kommen regelmäßig vorbei. Der Verein unterstützt nicht nur bedürftige Menschen durch die Tiertafel, sondern vermittelt seit 2020 auch Streuner aus Bosnien an Hundeliebhaber:innen.


Inzwischen ist es ruhiger geworden am Bahnhofsplatz. Der erste große Ansturm ist vorbei. Hinter den Ehrenamtlichen rauscht der Straßenlärm weiter, Passant:innen eilen über den Gehweg, graue Wolken überziehen den Himmel. Einzelne Regentropfen fallen auf Ludgers „Glücksstreuner“-Kappe. Karin zieht den Reißverschluss ihrer Jacke bis ganz nach oben. Die Ausgabestelle der Tiertafel ist bei jedem Wetter draußen.

Rumms. Eine Autotür kracht zu. Zielgerichtet steuert eine Mutter mit ihrem Sohn auf die Tiertafel zu. Sie möchten etwas Geld spenden. Dankbar streckt ihnen Andy die Spendendose entgegen. „Dankeschön“, ruft Ludger von seinem Stuhl aus. Die „Glücksstreuner“ sind auf Spendengelder angewiesen, müssen das Futter davon finanzieren. Das sei nicht immer leicht. „Wir stehen hier manchmal für fünf Euro, aber das ist egal. Wichtig ist, dass es den Tieren gut geht. Für die mach ich das eigentlich“, sagt Ludger.

Hilfe mit Herz

„Hallo Sandra“, ruft Ludger. Der Gruß geht im Hundegezeter fast unter. Sandras Hund, Passo, zieht an der Leine, fiept und winselt. „Mein Süßer, mein Süßer“, versucht Sandra den braunen Dackelmischling zu beruhigen. Passo wuselt unter dem Tisch herum. Ludger bleibt gelassen. „Das ist immer so, er will von allen begrüßt werden.“ Ludger schmunzelt. Dann wird er wieder ernst. Die Tiertafel habe Passo vor Kurzem das Leben gerettet, weil sie die Kosten für den Tierarztbesuch übernommen hat. Auch dabei unterstützt der Verein.

Karin (links) tauscht sich regelmäßig mit den Menschen, die bei der Tiertafel vorbeikommen, aus. So wie hier mit Sandra. Hund Passo bekommt sein Leckerli.

Für Rentner Ludger ist das Ehrenamt ein Vollzeit-Job. Die Leute rufen ihn immer an, egal, ob am Wochenende oder an Weihnachten. „Ich komm mir immer vor wie so’n Seelsorger, weil mir viele ihre Sorgen und Nöte erzählen. Ich meine, da musst du schon drauf eingehen. Keine Lust, dass sich irgendeiner umbringt.“ Er habe schon Vieles zu hören bekommen. Ludger erzählt von Menschen, die ausschließlich trockenes Toastbrot gegessen haben, um sich das Futter für ihre Haustiere leisten zu können. Und von einem Mann, der aus der Ukraine geflüchtet ist und seinen Dackel den ganzen Weg nach Deutschland getragen hat. Zu Sorgen und Nöten der Menschen zählt es aber auch, Fragebögen fürs Jobcenter auszufüllen oder Probleme mit der Krankenkasse zu klären. „Wenn ich dann die glücklichen Augen der Tiere sehe, entschädigt mich das für alles“, sagt Ludger.


So viel kostet eine Katze

Anschaffung

mindestens 100€

Zubehör

mindestens 200€

z.B. Napf, Kratzbaum, Katzentoilette

Monatliche Fixkosten

mindestens 65€

z.B. Futter, Impfungen, Einstreu


Um kurz vor 14 Uhr verstaut Andy alles im Lieferwagen. Nach rund zwei Stunden beim Bahnhof zieht die Tiertafel weiter zum nächsten Standort: dem Rathausplatz. Hier kommen deutlich weniger Menschen zur Ausgabestelle. Zu groß ist die Angst, von Bekannten erkannt zu werden, erklärt Karin. Viele huschen nur schnell vorbei. Schlimm findet Ludger das. „Es muss ja keiner Angst haben, herzukommen.“

Der Lieferwagen der Tiertafel steht am Rathausplatz in Neumarkt: Alle, die möchten, können vorbeikommen.

Kaum, dass Andy am Rathausplatz alles wieder aufgebaut hat – wenn auch mit deutlich weniger Futter auf dem Tisch – nähert sich Tamara*. Die 33-Jährige möchte lieber anonym bleiben, es ist ihr unangenehm, dass Arbeitskolleg:innen sie erkennen könnten. Seit rund drei Monaten wird sie von der Tiertafel unterstützt: eine Erleichterung für sie. Ihre drei Katzen kann sie so trotz ihrer aktuell schwierigen finanziellen Lage gut versorgen. Dank der Futterspende kann sie die Operationen von zwei ihrer Fellnasen sogar selbst finanzieren. Solange die Versorgung der Katzen „irgendwie möglich“ sei, wolle sie die Tiere nicht abgeben. „Sie sollen nicht in falsche Hände geraten“, sagt Tamara. Die Tiertafel gebe ihr ein Stück Unabhängigkeit zurück. Andy verstaut das Futter für ihre Katzen in einer großen Plastiktasche. Nächsten Freitag wird Tamara wieder vorbeikommen, wenn die Tiertafel um die gleiche Uhrzeit ihre Hilfe anbietet.

* Der Name wurde auf Wunsch geändert; Fotos: Sebastian von Henning

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Andi lebt seit Jahren ohne festen Wohnsitz. Gemeinsam mit seinem Hund Grim hat er jetzt einen Platz gefunden: im QuarTier in Nürnberg.🐾 Das ist eine der wenigen Unterkünfte, die auch die Hunde der wohnungslosen Menschen mit aufnehmen. Da das in den allermeisten Fällen nicht möglich ist, entscheiden sich viele dafür, lieber mit dem Hund auf der Straße zu schlafen. Ein Zuhause ist eben mehr als vier Wände – es ist Liebe und Geborgenheit.❤️

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Und das sind wir:

v.l.n.r: Sebastian von Henning,Vroni Becker, Marleen Morell, Eva Deiler

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