Hintergründe zur Migration in die Bundesrepublik

 

Deutschland, deine Einwanderer


Vertreibung, Asyl und Anwerberabkommen: Deutschlands Geschichte ist die seiner Zuwanderungen. In Einsteins erzählen sechs Migranten von ihrem persönlichen Weg in die neue Heimat. Außerdem erfahren Sie, welche geschichtlichen Hintergründe dazu führten und wer noch davon betroffen war.

Zweiter Weltkrieg – Vertrieben aus dem eigenen Land


 

Etwa 14 Millionen Deutsche wurden nach dem Zweiten Weltkrieg aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten – der Tschechoslowakei, Ostpreußen und Schlesien – vertrieben. Rache und der Wunsch nach „ethnischer Säuberung“ waren die Gründe dafür.

Etwa 12,5 Millionen Menschen wurden in die BRD und DDR vertrieben. Heute gehören die ehemaligen deutschen Ostgebiete zu Polen, den baltischen Staaten, Ungarn, Tschechien, der Slowakei, dem ehemaligen Jugoslawien und Rumänien.

„Hildchen, musst du auch weg?“

Hildegard Strauß (86) war eine von ihnen. Sie ist mit 18 Jahren mit ihren Eltern aus Niederschlesien vertrieben worden. Das war im August 1947. Das Gebiet war damals schon vom russischen und polnischen Staat besetzt. Hildegard arbeitete als Friseurin, sie hatte einen polnischen Chef, der von der Ausweisung wusste und sie vorwarnte. Das verschaffte ihr genug Zeit, um ihre Sachen zu packen. Als Hildegard mit ihren Eltern an dem Bahnhof ankam, wurde jeder kontrolliert und durchsucht. Eine Kundin vom Salon stand als Kontrolleurin vor ihr: Hildchen, musst du auch weg? Wer soll mir denn jetzt meine Haare machen? Statt Hildegard zu durchsuchen, rauchte die ehemalige Kundin mit ihr eine Zigarette zum Abschied.

Zusammen mit ungefähr 40 anderen Menschen wurde Hildegard in einen Viehwaggon gesteckt. Hildegard hatte Angst, doch sie war froh, dass ihre Eltern da waren. Die Fahrt schien kein Ende zu nehmen. Wann bekamen sie wieder etwas zu essen und zu trinken? Während der Fahrt zählte für alle nur ein Gedanke: hoffentlich nach Deutschland kommen. Denn sie wussten damals nicht, wohin sie gebracht werden. Wer sich weigerte zu gehen, wurde Kriegsgefangener der sogenannten Roten Armee. Heute lebt Hildegard mit ihrem Lebensgefährten im Saarland.


DDR – Flucht über die Mauer


Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland in vier Besatzungszonen geteilt, eine sowjetische, eine französische, eine amerikanische und eine britische. Die DDR fiel der sowjetischen Besatzungszone zu, die BRD den anderen.

Unter der sowjetischen Diktatur Stalins (1927-1953) verließen viele tausende Bürger Ostdeutschland. Mit der Gründung der DDR (Deutsche Demokratische Republik) im Jahr 1949 kam die SED – die Sozialistische Einheitspartei Deutschland – an die Macht. Bis 1990 flüchteten 3,85 Millionen Menschen nach Westdeutschland – die Mehrheit, um sich der kommunistischen Ausrichtung zu entziehen. Um die zunehmende „Republik-Flucht“ zu stoppen, wurde 1961 die Berliner Mauer und danach die Grenzbefestigungen zur Bundesrepublik erbaut. Bis zum Mauerfall reisten etwa 730.000 Menschen legal von der DDR in die BRD, weitere 180.000 flüchteten.

„Sie glauben doch den Scheiß selber nicht, den Sie uns hier sagen!“

Doris Rizzitano (46) hat erst nach der Grenzöffnung den Schritt in die BRD gewagt. Sie ist in der DDR aufgewachsen, genauer in Thüringen, und hat die USA und den Westen schon immer bewundert: Sie hörte und sah heimlich Sender aus dem Westen und konnte Englisch. Für Doris war immer klar, dass sie aus der DDR hinauswollte. In der Schule hatten sie das Fach ‚Staatsbürgerkunde‘, in dem sie lernten, dass die Mauer ein antifaschistischer Schutzwall sei, der sie schützt. Und dass der Westen böse und ‚hier‘, im Osten, alles gut sei. Sie erinnert sich, einer Lehrerin einmal ins Gesicht gesagt zu haben: „Sie glauben doch den Scheiß selber nicht, den Sie uns hier sagen!“ Damals war Doris 13 Jahre alt.

Während die Mauer noch stand, wagte sie es nicht, die DDR zu verlassen. Kurz vor der Grenzöffnung 1989 erfuhr sie aus Radio- und Fernsehbeiträgen, dass Menschen über die Grenze gelassen wurden. Mit ihrem damaligen Freund sei sie dann einfach mit dem Auto los und über die Grenze gefahren – ohne vorher irgendwelche Sachen zusammenzupacken. An der Grenze standen Kontrolleure. Doris hatte Panik, dass sie und ihr Freund erschossen würden. „Aber die haben uns einfach durchgewunken“, sagt sie heute.

Als sie bei Doris‘ Tante in Bayern ankamen, meinte ihr Freund: Wir müssen zurück und unser Zeug holen! Doris antwortete: Ich fahr‘ keinen Meter mehr zurück. Erst nachdem die Regierung zwei Monate später zurücktrat, fuhr Doris wieder in den Osten, um ihre Kleidung zu holen. Heute lebt sie in Niederbayern und führt dort mit ihrem Mann ein italienisches Restaurant. Aus der DDR-Zeit besitzt sie nichts mehr. Sie reist viel und liebt nach wie vor englische Lieder. 1993 erfüllte sie sich den Traum einer USA-Reise. „Es verbindet mich nichts mehr mit dem Osten, das ist nicht meine Heimat“, sagt sie heute.

Türkei – Ständige Migration nach Deutschland


 

Mit fast drei Millionen stellen Menschen aus der Türkei heute die größte ethische Minderheit in Deutschland dar. 1,7 Millionen haben eine türkische Staatsangehörigkeit, 1,3 Millionen haben die deutsche Staatsangehörigkeit.

Die erste große Migrationsbewegung von der Türkei nach Deutschland begann 1961. Der zweite Weltkrieg hatte das Leben vieler junger deutscher Männer gefordert, die Bundesrepublik war auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen. 1961 beschloss Deutschland ein Anwerbeabkommen mit der Türkei. Viele Türken kamen daraufhin als Gastarbeiter nach Deutschland. Die Türkei erhoffte sich dadurch gute Handelsbeziehungen. Ursprünglich sollten die Gastarbeiter zwei Jahre in Deutschland bleiben und danach in ihre Heimat zurückkehren. Ende der 1960er Jahre änderte sich die Situation: Die deutsche Wirtschaft litt. Deutschland musste die Anwerbung von Gastarbeitern stoppen.

Von den 14 Millionen Gastarbeitern, die bis dahin nach Deutschland gekommen waren, kehrten lediglich elf Millionen zurück. Drei Millionen Türken blieben in Deutschland, viele holten ihre Familien nach.

Ende der 1970er Jahre folgte eine weitere große Migrationsbewegung. Die politische und wirtschaftliche Lage in der Türkei verschlechterte sich zunehmend. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Linksextremisten und Rechtsradikalen. Zudem stand das Land kurz vor dem Staatsbankrott. Die soziale Lage in der Türkei war kritisch, viele Menschen flüchteten nach Deutschland. Einige hatten dort Verwandte aus der ersten Einwanderergeneration. Viele der damaligen Gastarbeiter konnten ihre Familie erst sehr spät nachholen. So war es auch bei Familie Özmen: Güllü musste ihre Familie mehrere Jahre in der Türkei zurücklassen, um Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen.

„Die wollten keine Ausländer“

Güllü Özmen (77) kam 1971 als Gastarbeiterin nach Deutschland. Ihr Mann war sehr krank und konnte nicht arbeiten. Sie selbst fand in der Türkei keine Arbeit. Sie kam nach Deutschland, damit ihre Familie überleben konnte. Beim ersten Versuch zu gehen, brachte sie es nicht übers Herz, ihren Mann und ihre vier Söhne zurückzulassen, weil ihre Kinder so sehr weinten. Beim zweiten Anlauf ging sie nachts. Ihr jüngster Sohn Ziya war damals vier. Güllü vermisste ihre Familie sehr. Erst nach zweieinhalb Jahren sah sie sie wieder. In der Zwischenzeit schickte ihr Mann ihr Audiokassetten, die er mit den Kindern für sie aufnahm.

Ziya und zwei seiner Brüder durften 1979, acht Jahre nach ihrer Mutter Güllü, nach Deutschland kommen. Der älteste Sohn und ihr Mann mussten in der Türkei bleiben, weil sie zu diesem Zeitpunkt bereits älter als 21 Jahre waren. Ziyas Vater durfte immer nur für begrenzte Zeit einreisen. Als er einmal zu Besuch kam, überzog er sein 90-Tage-Visum für wenige Tage. Er kam sofort nach Bayreuth ins Gefängnis und wurde wieder ausgeflogen.

Ziya Özmen (47), Güllüs jüngster Sohn, kam 1979 mit 13 Jahren nach Deutschland und ging dann auf eine deutsche Schule. Als er mit der Schule fertig war, suchte Ziya eine Ausbildungsstelle und stellte sich vergeblich bei allen Firmen in seinem Heimatort Bad Wörishofen vor. „Die wollten keine Ausländer“, sagt er heute. Schließlich half ihm sein ehemaliger Klassenlehrer und schickte ihn zu einer Firma, die ihn eigentlich bereits abgelehnt hatte. Als Ziya dort ankam, lag schon der Ausbildungsvertrag auf dem Schreibtisch.

1985, 14 Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland, kehrte Ziyas Mutter Güllü in ihr Heimatland zurück. Sie hatte immer zurückgewollt. Ziya blieb in Deutschland, er war damals mitten in seiner Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. Er war so stolz, eine Ausbildungsstelle bekommen zu haben, sagt er selbst. Den Gedanken zurückzugehen, habe er nie gehabt: „Drüben kenn‘ ich niemanden mehr.“ Seine heutige Frau Rabiye (47) lernte Ziya bei einem Besuch in der Türkei kennen. 1988 heirateten sie. Elf Jahre später bestanden sie gemeinsam den Einbürgerungstest und haben seitdem die deutsche Staatsangehörigkeit.

Ziya arbeitet heute nach wie vor in dem Autohaus, bei dem er seine Ausbildung gemacht hat. Rabiye hat jahrelang als Zimmermädchen gearbeitet. Heute arbeitet sie in einer Kurklinik, ebenfalls in Bad Wörishofen. Ihre Söhne Emre (22) und Eren (17) sind in Deutschland geboren. Emre macht ein duales Studium bei dem Automobil-Konzern BMW und schreibt zurzeit in Shanghai an seiner Bachelorarbeit. Eren macht nächstes Jahr das Abitur.

Rumänien – Ceaușescus Geburtenpolitik


 

Der Fall der Mauer betraf nicht nur Deutschland. Er markierte gleichzeitig das Ende des Kalten Krieges und stieß die Revolution in Rumänien mit an. 1965 bis 1989 stand Nicolae Ceaușescu als Diktator an der Spitze des Landes. Er hatte den Plan, die Bevölkerungszahlen in die Höhe zu treiben. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind außerdem immer mehr Menschen abgewandert, vor allem sogenannte Rumänien-Deutsche, weshalb Ceaușescu mit dieser Politik  dem Bevölkerungsrückgang entgegenwirken wollte. Dazu sollten bis zum Jahre 2000 fünf Kinder pro Familie Standard sein. Denn eine größere Bevölkerung bedeutet automatisch mehr Einfluss und damit mehr Macht. Und genau das wollte Ceaușescu erreichen.

Ceaușescu verbot jegliche Verhütungsmittel. Bei einer Abtreibung drohte den Frauen eine Gefängnisstrafe von bis zu 25 Jahren. Weil die Familien so viele Kinder oft nicht ernähren konnten, mussten Familien zum Teil hungern. Frauen führten Abtreibung an sich selbst durch. Dubiose Methoden wie schwer heben machten die Runde: die Frau sollte sich so überanstrengen,

dass es zu einer Fehlgeburt kam. Mediziner gehen davon aus, dass bei solcherlei Abtreibungsmethoden weit über 11.000 Frauen starben.

Ein Spitzel- und Unterdrückungsapparat setzte die Macht des kommunistischen Diktators durch. Große Unternehmen waren alle verstaatlicht, Wasser oder Strom wurde zeitweise abgestellt. Pro Auto gab es nur eine gewisse Menge Benzin. Die Wirtschaft verschlechterte sich deutlich und so kam es Ende der 1980er Jahre zu Volksaufständen. Eine Welle des Widerstands schwappte über das Land und führte 1989 zur Revolution, die zum Tod Ceaușescus führte. In der nachkommunistischen Zeit konnte sich Rumänien nur schwer von den Folgen der Diktatur und katastrophalen wirtschaftlichen Lage erholen. Viele Rumänen wanderten daher ab und Rumänien wurde zu einem Abwanderungsland.

Die Diktatur Ceaușescus traf die Menschen aus der Stadt meist härter als die Menschen auf dem Land. So schildern es die Eheleute Thomas und Louise (Namen von der Redaktion auf Wunsch des Ehepaares geändert).

„Offiziell staatenlos“

Thomas (55) und Louise (53) stammen aus dem rumänischen Gebiet Siebenbürgen. Staatsangehörigkeit rumänisch, Volkszugehörigkeit deutsch, so stand es in ihrem Ausweis. Durch wechselnden Besitz, Grenzverschiebungen, Evakuierungen und die Tatsache, dass Rumänien im Zweiten Weltkrieg bis 1944 auf deutscher Seite stand, waren die Familien in Rumänien zersplittert. Fast jeder hatte Verwandte oder Bekannte in Deutschland. 1965 kam in Rumänien Nicolae Ceaușescu an die Macht. Thomas und Louise haben die kommunistische Diktatur miterlebt. Aber sie empfanden das selbst als nicht so schlimm. „Auf dem Dorf wusste man sich zu helfen“, sagt Thomas. „In der Stadt war das schlimmer.“ Louise erinnert sich an einen Besuch bei einer Freundin in der Stadt: Die hatte überall – in der Badewanne, in Waschbecken – Wasser gebunkert. Für den Fall, dass es wieder abgestellt wurde. Auf dem Land hatte man Brunnen. Rind durfte gesetzlich nicht geschlachtet werden und Kälbchen, die zur Welt kamen, mussten registriert werden. „Zufällig“ sind dann aber häufig Kälbchen „bei der Geburt gestorben“, erzählt Thomas. Und wurden stattdessen geschlachtet und gegessen.

Die Wirtschaft konnte sich in den 1980er Jahren nicht stabilisieren. 1984 beschloss Thomas‘ Familie nach Deutschland zu gehen, da viele Verwandte in Deutschland waren und sie sich dort bessere Berufschancen erhofften. Thomas war zu dem Zeitpunkt 24 Jahre alt. Sie mussten die rumänische Staatsbürgerschaft abgeben und durften keine Besitztümer mehr in Rumänien haben. Sie waren damit offiziell „staatenlos“. In Nürnberg bekamen sie dann problemlos ein Einbürgerungsdokument, weil sie Deutsche waren. Es dauerte nur wenige Wochen, bis Thomas in Deutschland arbeiten konnte.

Damals waren er und Louise zwar schon zusammen, aber noch nicht verheiratet. Louise musste erst einen Antrag stellen, um einen „Ausländer“ heiraten zu dürfen – so hieß es von offizieller Seite. Drei Jahre lang musste sie dafür auf eine Genehmigung warten. Im Dezember 1986 heirateten sie, danach zog Louise auch nach Deutschland. Heute arbeiten beide in technischen Berufen. Sie haben zwei Kinder, die in Deutschland geboren sind. Das Ehepaar spricht miteinander heute noch den siebenbürgisch-sächsischen Dialekt.

Siebenbürger-Sachsen

Mit dem deutschen Bundesstaat Sachsen hat der Begriff Siebenbürger-Sachsen nichts zu tun. Die Siebenbürger-Sachsen sind eine deutsche Minderheit in Rumänien, deren Wurzeln auf das 12. Jahrhundert zurückgehen. Die deutschen Wurzeln in Siebenbürgen, das zu dem Zeitpunkt noch Ungarn war, sind bis heute nicht ganz klar.

Sowjetunion – Die Rückkehr der Russlanddeutschen


 

1989 fiel die Mauer und Ceaușescu wurde gestürzt. Es löste sich auch der sogenannte Ostblock auf. Zu den Ostblockstaaten zählten die Sowjetunion, die DDR, Bulgarien, Rumänien, die Tschechoslowakei und Polen. Zwei Jahre später folgte der Untergang der Sowjetunion: Sie zerfiel in 15 unabhängige Staaten. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts kamen etwa 4,5 Millionen Menschen aus dem Ostblock nach Deutschland. Bis Ende der 1980er Jahre dominierten dabei Polen und Rumänien als Herkunftsländer, danach die ehemalige Sowjetunion. Nach 1990 zogen rund zwei Millionen sogenannte Russlanddeutsche nach Deutschland. Hier fiel ihnen vor allem die Eingliederung schwer. Besonders wegen der Sprache, wie Ludmila Dik erzählt.


„Die ersten ein bis zwei Jahre habe ich nur geweint“

Noch bevor Ludmila Dik (54) ein Jahr alt war, war ihre Familie das erste Mal auf der Flucht. Von Russland nach Usbekistan, denn Russland war arm. Sie mussten hungern. Usbekistan liegt in Zentralasien. Dort lernte sie auch ihren heutigen Mann, einen Russlanddeutschen kennen. 1989 begann der Krieg zwischen Usbekistan und der Türkei. Zwei Jahre später flüchteten sie nach Deutschland. Sie kamen mit dem Zug nach Bielefeld und dann erst einmal für zwei Wochen in ein Übergangslager. Ludmila hat sich durch die Ungewissheit sehr ängstlich gefühlt, sagt sie heute. „Aber meine Familie war bei mir, es ging irgendwie.“ Danach ging es weiter nach Deggendorf in Niederbayern: „Die ersten ein bis zwei Jahre habe ich nur geweint“, sagt Ludmila. Ihre Kinder konnten nach einem halben Jahr Deutsch. Sie selbst besuchte einen Sprachkurs und sprach trotzdem nicht so gut Deutsch wie ihre Kinder. Später arbeitete sie als Tanzlehrerin, wie auch schon früher in Russland. Zuerst hatte sie Hemmungen wegen der Sprache, doch zu ihrer ersten Tanzstunde kamen 25 Kinder und die Eltern ermutigten sie. Ludmila ist heute noch Tanzlehrerin an der Volkshochschule in Deggendorf.

Russland-Deutsche

Katharina die Große, eine Deutsche, regierte von 1762 bis zu ihrem Tod im Jahr 1796 Russland. Sie war die Frau eines russischen Zaren im 18. Jahrhundert. Sie holte viele Deutsche nach Russland, die in der Industrie arbeiten sollten. Katharina die Große bestand darauf, dass die Deutschen ihre Sprache beibehielten. Viele sind dort geblieben, manche haben Russen geheiratet. Die Nachfahren dieser Menschen werden als Russlanddeutsche bezeichnet.

Afghanistan – Ungebrochene Herrschaft der Taliban


Seit 1978 ist in Afghanistan Krieg: Erst gegen die Sowjetunion, dann herrschte Bürgerkrieg im Land und später griffen US-Soldaten ein. Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 wird das Land Afghanistan oft mit Terrorismus in Verbindung gebracht. Ausgeführt wurden die Anschläge von der Terrorgruppe al-Qaida, deren Anführer Osama bin Laden war. Doch weil die Taliban sich weigerten, Osama bin Laden an die USA auszuliefern, starteten die USA Luftangriffe auf Afghanistan.

Bereits im November 2001 brach der Widerstand der Taliban zusammen und die NATO griff als internationale Friedenstruppe ein. Auch deutsche Bundeswehrsoldaten wurden in Afghanistan stationiert, um beim Wiederaufbau zu helfen.

Die Herrschaft der Taliban ist dennoch bis heute nicht gebrochen: Seit 2014 ziehen sich die internationalen Truppen langsam aus Afghanistan zurück und die Taliban versuchen, das Land Stück für Stück zurückzuerobern. Die Stabilisierung des Landes ist problematisch. Selbstmordanschläge und Bombenattentate hindern das Land daran, Frieden zu finden. Es fehlen staatlich kontrollierte Sicherheitsorgane, eine unabhängige Justiz, freie Medien und demokratische Parteien.

2,6 Millionen Menschen sind bis 2014 aus Afghanistan geflohen. Auch nach Deutschland flüchteten in den vergangenen Jahren immer mehr Afghanen. Innerhalb der letzten neun Jahre hat sich die Zahl auf über 9.000 Anträge verdreizehnfacht. Über 700 afghanische Flüchtlinge haben sich im Jahr 2005 um Asyl in Deutschland beworben.

 

Ehemaliges Jugoslawien – Bürgerkrieg nach dem Zerfall


 

Zum ehemaligen Jugoslawien gehörten die heutigen Staaten Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Mazedonien sowie der Kosovo. Als Slowenien, Kroatien, Makedonien (FYROM) und Bosnien-Herzegowina aus dem Bund austreten wollten, brachen im Jahr 1991 Kriege zwischen den verschiedenen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens aus. 1992 brach in Bosnien-Herzegowina ein Krieg zwischen Bosniern, Serben und Kroaten aus. 1,3 Millionen Menschen wurden aus dem Land vertrieben und migrierten nach Kroatien, Serbien, Montenegro, Slowenien und in andere europäische Länder. Die NATO flog Luftangriffe, konnte die Auseinandersetzungen zwischen der jugoslawischen Armee und verschiedenen Partisanen jedoch nicht stoppen.

Bis zum Ende des Jahres 1999 flohen viele Menschen vor dem Bürgerkrieg aus dem ehemaligen Jugoslawien: Fast 15.000 Flüchtlinge kamen bis Mitte des Jahres nach Deutschland. 180.000 Personen aus dem Kosovo lebten außerdem in Deutschland, obwohl sie ausreisepflichtig waren. Unter ihnen waren vor allem Kosovo-Albaner und Roma. Zusätzlich stellten beinahe 35.000 Menschen aus Serbien und Montenegro in Deutschland einen Asylantrag. Die Mehrheit der Bürgerkriegsflüchtlinge und Ausreisepflichtigen kehrte nach Ende des Krieges in ihre Heimatländer zurück.


Irak – Der Terror durch den IS


 

Flüchtlinge aus dem Irak warten darauf, dass sie in ihr Heimatland zurückkehren können. (Foto: DFID – Rachel Unkovic (CC BY 2.0) / Wikimedia Commons)

Schon während Saddam Husseins Herrschaft von 1979 bis 2003 sind mehrere Tausend Iraker aus dem Land geflohen. Im Jahr 2003 zogen die USA und Großbritannien in den Irak ein. Zwar erklärten die USA und Großbritannien den Krieg noch im selben Jahr für beendet, doch die Siegermächte blieben als Besatzer im Irak.

2011 zogen die ausländischen Truppen aus dem Irak ab. Drei Jahre später folgte die nächste große Krise: Der Terrororganisation ‚Islamischer Staat‘ (IS) gelang ein Vorstoß in den nördlichen Teilen des Iraks. Einige Gebiete brachte der IS unter seine Kontrolle. Seitdem kommt es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen dem IS und den irakischen Regierungstruppen.

Die Zahl der irakischen Flüchtlinge in Deutschland wächst. 2011 stellten mehr als 5.800 Iraker Antrag auf Asyl in Deutschland, 2014 waren es knapp 9.500.

Pakistan – Gewalt im Land durch Taliban und Naturkatastrophen


 

Bis Ende 2014 hat Pakistan die zweitmeisten Flüchtlinge aufgenommen. Doch Pakistan nimmt nicht nur Flüchtlinge auf, viele Menschen fliehen auch von dort – die meisten in die angrenzenden Länder wie Afghanistan und Indien. Viele kommen aber auch nach Deutschland: So stellten mehr als 4.000 Pakistaner im Jahr 2013 Antrag auf Asyl. Grund dafür sind Naturkatastrophen und anhaltende Konflikte im Inland. Die Menschen verloren in Pakistan ihre gesamte Lebensgrundlage durch die Militäroffensive der pakistanischen Armee gegen die Taliban. Die Taliban unterdrücken die Bevölkerung seit Jahren. Das bedroht die innere Sicherheit Pakistans. Die Menschenrechtslage ist in den Gebieten, die von der Terrororganisation beherrscht werden, besonders heikel. Auch die hohe Zahl an aufzunehmenden Flüchtlingen belastet das Land.

Syrien – Kampf für die Demokratie


 

Beinahe 3,9 Millionen Syrer flohen im Jahr 2014 aus ihrem Heimatland – 40.000 von ihnen beantragen in Deutschland Asyl. Aus Syrien kommen derzeit die meisten Flüchtlinge nach Deutschland.

Grund für die Flucht ist der Bürgerkrieg, der nun schon vier Jahre andauert: Seit Frühjahr 2011 setzten sich syrische Protestbewegungen für den Sturz der Regierung des Diktators Baschar al-Assad ein. Die Menschen demonstrierten für politische Reformen, doch die syrischen Sicherheitskräfte gingen drastisch gegen die friedlichen Proteste vor.

Das führte dazu, dass immer mehr Menschen protestierten. Sogar Soldaten der syrischen Armee stellten sich letztlich gegen das Regime. Versuche des UN-Sicherheitsrats, Assad zu verurteilen, scheiterten immer wieder an den Vetomächten Russland und China.

Zusätzlich wütet aktuell die radikalislamische Terrororganisation ‚Islamischer Staat‘ im Land und bringt immer größere Teile des Landes unter ihre Kontrolle. Wegen des andauernden Terrors werden viele Menschen zur Flucht gezwungen. Über Umwege gelangen viele nach Deutschland.


„Nichts außer zwei Päckchen getrocknete Datteln“

Mazen Saramijou (42) kommt aus Syrien. Sein Heimatort Altal wurde mehrmals bombardiert. Einmal flog ein Bombensplitter direkt an seinem Gesicht vorbei, und das in seinem eigenen Haus. 2013 flüchtete Mazen mit seiner Frau und seinen vier Kindern von Syrien nach Ägypten.

Ein paar Monate später entschied er sich für die gefährliche Flucht über das Mittelmeer und ließ seine Familie vorerst in Ägypten zurück. Zwei Wochen verbrachte Mazen auf einem Schiff mit 450 Menschen, ohne seiner Familie sagen zu können, dass er lebt. Er hatte nichts zu essen außer zwei Päckchen getrocknete Datteln. Morgens und abends gab es nur einen kleinen Schluck Wasser. Im untersten Raum des Schiffes teilte sich Mazen zwei Betten mit sieben anderen Flüchtlingen – es gab kein Fenster und kein Licht. Der hölzerne Rumpf des Schiffes war zum Teil kaputt. Mazen war vorher auf einem kleineren Schiff, das ihn anschließend zu dem großen gebracht hat. Doch bei dem Zusammentreffen sind die beiden Schiffe kollidiert und das größere ist beschädigt worden. Mazen hatte Angst, die Fahrt nicht zu überleben.

Als das Schiff Italien erreichte, wurde Mazen erst einmal festgenommen. Als er dann freikam, fuhr er per Bus von Stadt zu Stadt, unter anderem nach Mailand und Paris. Über Umwege landete Mazen im Oktober 2014 in Quierschied, im Saarland. Die Gemeinde unterstützt ihn bis heute: Im Juni 2015 konnte Mazen nach mehr als einem Jahr Bürokratie seine Familie nach Deutschland holen – per Flugzeug. In Syrien hatte Mazen als Elektroingenieur gearbeitet, im Moment lernt er fleißig deutsch und besucht eine Schule, um bald in Deutschland einen Job zu bekommen.



 

Autoren: Anna Eberle, Alena Eichler, Daniela Preis

Sonstige Mitwirkende: Sarah Beham

Bildquellen: Türkei, Rumänien: Alena Eichler; Syrien: Voice of America News – Henry Ridgwell (Public domain) / Wikimedia Commons; Afghanistan: ISAF [CC BY 2.0] / Wikimedia Commons

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