Roma in Deutschland
Tanzen gegen Vorurteile
Ich bin der Beweis dafür, dass Integration funktionieren kann.
David Kwiek (30)David Kwiek wächst in Mannheim auf. Seine Familie kommt in den 1960er Jahren von Polen nach Deutschland. Kwiek ist der Name einer bekannten Roma-Familie aus Osteuropa. Davids Urgroßvater war damals ein bekannter König der Roma. Von klein auf hatte David mit Vorurteilen zu kämpfen. Schon zu seiner Schulzeit wurde er ausgegrenzt. Doch er wurde nicht nur gemobbt, weil er Rom ist, sondern auch, weil er mit deutschen Kindern spielte. Intoleranz von zwei Seiten. David entschied sich für keine der beiden: Er ist Deutscher. Er ist Rom. Er ist Mannheimer. Und er ist auch Tänzer. Seine Leidenschaft zum Tanzen führte ihn in eine Welt, in der Herkunft, Hautfarbe, Nation und Kultur keine Rolle spielen. Vor vier Jahren gab er seinen Beruf als Staplerfahrer auf und entschied sich, als Tanzlehrer sein Geld zu verdienen.
David will die urbane zeitgenössische Kultur pflegen. Die Hip-Hop-Szene in Mannheim wieder beleben und die Gemeinschaft in Mannheim stärken. Gemeinsam mit seiner Freundin gründet David die Kinder des Mannos. Sie stehen für Mannheim, für eine Gemeinschaft. Jeder kann zum offenen Training kommen. Heute ist David nicht nur wegen seines Nachnamens bekannt. Er selbst hat sich einen Namen gemacht. Neben zahlreichen Tanzkursen und Wettbewerben plant er momentan auch soziale Projekte mit Asylbewerbern.
Rom heißt Mensch
Seit Jahrhunderten wird das Volk der Roma vorverurteilt und ausgegrenzt. Bis heute werden sie von vielen als fremdartige Randgruppe betrachtet. Obwohl die meisten in Deutschland lebenden Roma auch die deutsche Staatsbürgerschaft innehaben. Aber was bedeutet es wirklich, Rom zu sein? Und wieso muss das Volk noch immer gegen Vorurteile ankämpfen? Einsteins hat nachgefragt.
Sinti und Roma
Seit 600 Jahren leben Sinti und Roma in Deutschland. Ihr Volk verteilt sich über die ganze Welt. Roma ist ein Oberbegriff, Sinti beschreibt eine Gruppe europäischer Roma. In diesem Projekt geht es um Roma mit deutscher Staatsbürgerschaft, deswegen verwendet Einsteins nur die Begriffe Rom/Roma.
Das Volk der Roma
Rom sein bedeutet nicht, eine bestimmte Religion oder Staatsangehörigkeit zu haben. Rom heißt wörtlich übersetzt Mensch und ist ein Oberbegriff für eine Reihe von Bevölkerungsgruppen. Diese bilden insgesamt keine geschlossene Gemeinschaft, sondern teilen sich in unterschiedliche Gruppierungen mit vielfältigen Kulturen, Geschichten und Besonderheiten auf. Wie viele Untergruppen der Roma es auf der ganzen Welt gibt, ist unbekannt.
Forscher nehmen an, dass diese Bevölkerungsgruppen ursprünglich aus dem heutigen Indien stammen. Für die ersten Wanderungen gab es unterschiedliche Gründe, wie Armut oder Verfolgung – vollständig bewiesen wurden diese allerdings noch nicht. Mittlerweile leben Roma nach Schätzungen von Forschern seit mindestens 600 Jahren in Europa. Erste Aufzeichnungen über Sinti und Roma in Deutschland entstanden im 15. Jahrhundert im niedersächsischen Hildesheim.
„Die Landfahrerzentrale“
In Deutschland waren die Roma schon immer Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt, etwa zu Zeiten des deutschen Kaiserreiches oder in der Weimarer Republik. In der Zeit des Nationalsozialismus gipfelte die Ausgrenzung und Verfolgung in einem Völkermord. Ab 1935 begann die offizielle Verfolgung aus rassistischen Gründen, ab 1940 wurden Roma in Arbeits- und Konzentrationslager vor allem in das nationalsozialistisch besetzte Polen deportiert. Mit „Vernichtung durch Arbeit“ und Zwangssterilisation wollten die Nationalsozialisten das „Zigeunerproblem“ lösen. Schätzungsweise wurden im nationalsozialistisch besetzten Europa und in den mit Hitler-Deutschland verbündeten Staaten zwischen 220 000 und 500 000 Roma ermordet.
Nach Ende des Nationalsozialismus erfuhren Roma keinerlei Anerkennung vom Staat. Im Gegenteil: Das System der Erfassung, der Ungleichbehandlung und Diskriminierung wurde nach 1945 von der Polizei weitergeführt. Bis in die 1970er Jahre bestand eine sogenannte „Landfahrerzentrale“. In dieser wurden alle Roma aufgeführt: mit Namen, Wohnort und Beruf. Diese Registrierungen wurden abgeschafft – denn heute will man eine Sondererfassung und ethnische Diskriminierung der Roma unbedingt vermeiden.
Wer offen als Rom lebt, bekennt sich zu einer Minderheit
Die Roma sind immer noch die größte Minderheit in ganz Europa, ein Volk ohne Staat. Wie viele Roma es in Europa genau gibt, ist schwer zu sagen. Denn jeder kann frei entscheiden, ob er sich öffentlich zur Minderheit bekennt oder nicht. Die publizierten Zahlen liegen meist weit unterhalb der tatsächlichen Anzahl der Roma, die in Europa leben. Das kommt daher, dass viele Roma ihre ethnische Zugehörigkeit nicht angeben wollen.
Anzahl der Roma in Europa
Die Karte zeigt die geschätzte Anzahl der Roma in europäischen Ländern. Etwa 120 000 Roma leben in Deutschland, 70 000 davon mit deutscher Staatsbürgerschaft. (Quelle: Berlin-Institut)
Gestatten: Quick
Mannheim, Hauptbahnhof. David Kwiek (30) steht unter der Anzeigentafel. Er wartet keine zwei Minuten, als eine Traube von Kindern auf ihn zurennt. Sie schreien durcheinander, ziehen an seinen Baggy-Hosen. David will alles hören, was sie erlebt haben. Die kleinen Tänzer zeigen ihrem Lehrer ein paar coole Moves vom Wettbewerb, David lacht und klatscht. Dann ertönt hinter ihm plötzlich eine Stimme: Entschuldigung, Personalkontrolle, gehen Sie einen Schritt zurück. David dreht sich um, er sieht zwei Polizisten, die sich vor ihm aufbauen: Sie verhalten sich auffällig, sagen die beiden. Personalausweis bitte. Ein Blick auf den Ausweis: Aaaaah, Kwiek also? Die Polizisten tauschen einen Blick. Einen Blick, so kurz, dass er kaum zu sehen ist. Außer für David. Er kennt diesen Blick.
Sie greifen ihn am Arm, ziehen ihn zur Seite, weg von den Kindern. Sie tasten ihn ab, von den Sneakers bis zur Kappe. Nein, er hat keine Vorstrafen. Nein, er trägt keine Waffen bei sich. Er ist nur hier, um seine Tanzschüler abzuholen. Die Polizisten merken schnell – bei diesem Kwiek ist nichts zu finden. Sie drehen sich um und gehen. Ohne ein Wort zu sagen.
„In dem Moment, als sie meinen Namen gelesen haben, dachten sie, sie haben den Jackpot geknackt. Ein Kwiek in Mannheim, ein Zigeuner, bestimmt ein Gesuchter.” David kneift die Augen zusammen, als er sich an die Szene erinnert. Eine Falte bildet sich auf seiner Stirn. Sein Name hat ihm in Deutschland schon oft Probleme gemacht. „Kwiek ist der Name einer bekannten Roma-Sippe in Osteuropa. Der Name hat einen Ruf.”
David rückt seine Kappe gerade und zieht an der Zigarette. Er sitzt im Schatten eines großen Baumes am Paradeplatz in Mannheim. Es ist Anfang Juni, die Sonne knallt vom Himmel, Kinder spielen im Brunnen, alte Herren sitzen auf den Bänken, diskutieren lautstark, prosten sich zu. Menschen hasten zur Straßenbahn. David ist hier aufgewachsen, in den Straßen von Mannheim, im Multikulti-Viertel Jungbusch.
Fremdenfeindlichkeit gegenüber Roma
Obwohl viele Roma schon seit langer Zeit in Deutschland leben und die meisten von ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft haben, müssen sie noch heute gegen Vorurteilen und Klischees kämpfen. Das zeigt eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zur Bevölkerungseinstellung gegenüber der Sinti und Roma von 2013.
Sinti und Roma sind die Minderheit in Deutschland, der am wenigsten Sympathie entgegen gebracht wird. Jeder dritten befragten Person wären Sinti und Roma in der Nachbarschaft sehr oder eher unangenehm. Außerdem meint jeder Dritte, Sinti und Roma in der Öffentlichkeit erkennen zu können. Die Studie belegt, dass dabei hauptsächlich das äußere Erscheinungsbild der Sinti und Roma entscheidend ist.
Infos zur Studie
Befragt wurden 2.001 Personen ab 18 Jahren. Zusätzlich wurden 18 Interviews durchgeführt. Ziel der Studie war es, herauszufinden, welches Wissen und welche Vorurteile über Sinti und Roma die deutsche Bevölkerung hat.
Fremd durch Vorurteile
Aber warum werden Minderheiten wie Sinti und Roma noch heute hauptsächlich Merkmale wie „kriminell“ oder „verwahrlost“ zugewiesen? Emran Elmazi hat mit Einsteins darüber gesprochen. Er ist Referatsleiter des Referatdialogs im Dokumentationszentrum in Heidelberg.
Es gibt nichts Spezielles an mir, das anders ist.
Emran Elmazi (28)Emran Elmazi arbeitet im Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Mit seinem Beruf versucht er, die Kommunikation zwischen Mehr- und Minderheit zu stärken und Vorurteile gegenüber der Minderheit aufzubrechen. Mit diesen Vorurteilen kennt er sich gut aus. Denn Emran Elmazi ist Rom. Er wurde in Deutschland geboren, seine Eltern stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Als er als Kind in die Schule kommt, gibt er sich als deutscher Moslem aus, denn die Angst vor Diskriminierung ist zu groß. Seine Zugehörigkeit zur Minderheit der Roma verheimlicht er in der Öffentlichkeit. Bis 2008. Emran Elmazi wird Bundesvorsitzender bei Amaro Drom, einer interkulturellen Jugendselbstorganisation von Roma und Nicht-Roma in Deutschland. Seitdem hat er es sich zur Aufgabe gemacht, gegen Rassismus zu kämpfen und Vertrauen zwischen den Kulturen zu schaffen.
Woher kommen die Vorurteile gegenüber Sinti und Roma?
Wie wird ein Rom in Deutschland wahrgenommen?
Aus welchem Grund bestehen diese Vorurteile noch heute?
Was muss geschehen, um die Stereotypen aufzubrechen?
BGH entschuldigt sich für Rechtssprechung
Pro Gemeinschaft
Die Vorurteile sind also noch stark in den Köpfen der Menschen verankert. Einfache Stereotypen, die auf andere Menschen projiziert werden. Doch Emran Elmazi erkennt Fortschritte in dem, was Kommunen, Städte und der Staat tun, um die falschen Bilder von der Minderheit aus den Köpfen der Menschen zu bekommen. Die Studie zur Bevölkerungseinstellung gegenüber Sinti und Roma zeigt: 91 Prozent aller Befragten sind sich einig, dass Integrationsangebote zu einem guten Zusammenleben verhelfen können.
Die Kinder des Mannos, die David trainiert, sind das beste Beispiel für ein solches Integrationsangebot. Hier teilen alle die gleiche Leidenschaft: nämlich die Liebe zum Tanzen. PEACE. LOVE. UNITY. heißt es auf der Facebookseite. Frieden, Liebe, Einheit. – David hat es geschafft, durch Tanzangebote die Gemeinschaft ein Stück weit zu stärken.