Junge Einwanderer auf Zeit

 

Als Au-Pair ankommen, als Student bleiben

Lorena Barrera in der Bibliothek der Uni Regensburg – nach dem Au-Pair-Jahr studiert sie BWL und lebt ein völlig anderes Leben als in ihrer Heimat Kolumbien. (Foto: Amanda Müller)

Die deutsche Sprache klingt sexy. Wenn ich meiner damaligen Lieblingsband Tokio Hotel zuhöre, finde ich das immer noch.

Lorena Barrera

BWL-Studentin


Lorena Barrera

Bevor Lorena (25) nach Deutschland kam, lebte sie mit ihrer Familie in Acacías in Kolumbien. Mit 17 Jahren zog sie in die kolumbianische Hauptstadt Bogotá, um Moderne Sprachen zu studieren. Als Tanzlehrerin verdiente sie sich neben dem Studium das nötige Geld dazu: Sie unterrichtete Joropo, eine Art Volkstanz, und trat manchmal bei Geburtstagen oder anderen Veranstaltungen auf. Es zog Lorena für ein Au-Pair-Jahr ins Ausland, um die deutsche Sprache nicht nur in der Theorie zu lernen. Im Sommer 2010 flog Lorena von Bogotá nach München zu ihrer Gastfamilie.

Das Au-Pair-Jahr

Als Lorena einige Zeit lang in Deutschland gelebt hatte, stand ihr Entschluss fest: Sie will hier bleiben. In Deutschland fand Lorena „Ruhe und Sicherheit, ganz anders als in Kolumbien“. Die Landschaft, die netten Leute und der deutsche Ordnungssinn begeisterten Lorena. Ihr Leben in Kolumbien war ein völlig anderes: Dort war sie bei einer Art Miss-Wahl zur Volkskönigin gewählt worden. Als solche durfte sie einige Privilegien genießen und ihre Heimatstadt Acacías auf öffentlichen Veranstaltungen repräsentieren. Als Au-Pair war ihr Aussehen nicht wichtig. Vielmehr galt es, die Gastfamilie in ihrem Alltag zu unterstützen und für die Kinder da zu sein. Das war „ein völlig neues Leben“.

Ein Mädchen aus ihrem Sprachkurs brachte Lorena schließlich auf die Idee, ihr Visum durch ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) zu verlängern. Lorenas ursprünglicher Plan: während des Au-Pair-Jahres Deutsch lernen und danach in Kolumbien eine gute Abschlussprüfung schreiben. Nun wollte sie ihr Studium in Kolumbien abbrechen und in Deutschland BWL studieren.

Ein harter Weg zum Studienvisum

Während ihres FSJ machte Lorena außerdem einen Deutschkurs, der auf die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang vorbereitet. Denn nur, wer diesen Test auf Niveau C1 besteht, darf in Deutschland studieren. „Die Zeit war wirklich anstrengend, weil ich jeden Tag nach der Arbeit in den Kurs gegangen bin und am Wochenende viel gelernt habe. Ich wollte es unbedingt schaffen“, erinnert sich Lorena. Freizeit gab es in den Monaten kaum. „Aber das FSJ war ein guter Ausgleich zum Lernen. Die Arbeit mit Kindern mit Behinderung in München hat mir viel Spaß gemacht.“

Die harte Arbeit hat sich gelohnt – Lorena bestand den Test und konnte sich an der Uni Regensburg einschreiben. Dort studiert sie seit drei Jahren BWL. Wie es danach für sie weitergehen wird, weiß Lorena noch nicht. Sie möchte sehr gerne in Deutschland bleiben, hier leben und arbeiten. Doch wenn sie zurück nach Kolumbien gehen müsste, wäre das auch nicht schlimm. Denn sie glaubt, dass alles, was passiert, einen Grund hat. „Es wird sich zeigen, was die Zukunft bringt“, sagt Lorena und lächelt.


Lorenas Leben

Fotos 1-5 und 7: Privat | Foto 6 und 8: Amanda Müller |

Die Rahmenbedingungen

Von Zuhause weg ins fremde Deutschland: Über 24.000 junge Menschen aus dem visumpflichtigen Ausland haben laut Auswärtigem Amt in den Jahren 2010 bis 2014 ein Visum erhalten. Damit dürfen sie in Deutschland als Au-Pair arbeiten, allerdings nur für maximal ein Jahr. Einige dieser jungen Menschen möchten jedoch länger bleiben und nutzen nach diesem Jahr die Möglichkeit, in Deutschland zu bleiben, etwa indem sie eine Ausbildung oder ein Studium beginnen. Wie viele Au-Pairs genau bleiben, ist allerdings nicht klar: Weder bundesweit noch auf regionaler Ebene werden Zahlen erhoben.


Visumpflichtige Länder

Menschen aus dem Ausland, die länger als 90 Tage in Deutschland bleiben wollen oder hier arbeiten oder studieren möchten, brauchen grundsätzlich ein Visum. Ausgenommen sind Menschen aus der Europäischen Union, Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz.


Umfrage

Da es keine offiziellen Zahlen gibt, hat Einsteins bei zehn deutschen Au-Pair-Agenturen nachgefragt, wie viele der vermittelten Au-Pairs in Deutschland bleiben. Die Einschätzungen gehen sehr weit auseinander: Während eine Agentur berichtet, dass von den vermittelten Au-Pairs der eigenen Agentur 95 Prozent länger bleiben, gibt eine andere an, dass gerade einmal jedes zehnte Au-Pair den Aufenthalt verlängert. Im Schnitt haben die Schätzungen der Agenturen ergeben, dass circa 40 Prozent der jungen Menschen aus visumpflichtigen Ländern nach ihrem Au-Pair-Jahr in Deutschland bleiben.


Andres Vargas

Andres Vargas ist einer von wenigen Jungen, die als Au-Pair ins Ausland gehen. (Foto: Amanda Müller)

Am meisten gefällt mir in Deutschland, dass es Sommer und Winter gibt. Wo ich herkomme, geht um sechs Uhr die Sonne auf und um 18 Uhr die Sonne unter. Jeden Tag. In meiner Heimat gibt es keine Jahreszeiten.

Andres Vargas

Sprachstudent


Andres ist vor anderthalb Jahren nach Deutschland gekommen – seine Familie lebt in Bogotá. Deutsch lernen, das wollte Andres schon länger. Die Neugierde auf fremde Länder und Kulturen liegt in der Familie: Seine Brüder, die ebenfalls einige Zeit im Ausland verbrachten, ermutigten ihn bei seinem Vorhaben.

Durch eine Bekannte der Familie kam er auf die Idee, als Au-Pair nach Deutschland zu kommen. Obwohl er wusste, dass die deutsche Sprache schwer zu erlernen war, wollte er die Herausforderung annehmen. Als er erfuhr, dass seine Gastfamilie in Niederbayern wohnt, war er besonders neugierig auf die bayerische Kultur.



Die Zeit als Au-Pair

Im November 2013 flog er zu seiner Gastfamilie und betreute die zwei und sieben Jahre alten Kinder. Während des einjährigen Au-Pair-Aufenthaltes entschloss sich Andres, in Deutschland zu bleiben und ein Studium zu beginnen. Die Zeit bei seiner Gastfamilie hat ihm sehr gut gefallen, noch heute fährt er gerne nach Münster bei Straubing und besucht die Familie. Dann erinnern sie sich an gemeinsame Ausflüge und Urlaube.


Der Traum vom Studium

Im Moment besucht Andres einen Deutschkurs, mit dem er sich – wie Lorena vor einiger Zeit – auf die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang vorbereitet. Er möchte Mikrobiologie studieren. Damit er sein Studium finanzieren kann, arbeitet er bei einem Cateringservice mit. „Bei der Bedienung halte ich mich lieber noch zurück, weil ich mich unsicher in der Sprache fühle“, sagt er. Außerdem bekommt er finanzielle Unterstützung von seiner Familie in Kolumbien.


„Ich möchte erstmal hier bleiben“

Heimweh hat Andres nicht – durch WhatsApp ist er für seine Familie jederzeit erreichbar. Ständig tauscht er mit Familie und Bekannten aus der Heimat Fotos oder Sprachnachrichten aus. Und neue Freunde hat er in Regensburg auch schon gefunden: Neben Studienkollegen trifft er sich regelmäßig mit einer größeren Gruppe anderer Kolumbianer, die in Regensburg arbeiten oder studieren.

Andres weiß noch nicht, wie es nach seinem Studium weitergehen soll. Ob er nach seinem Abschluss zurück nach Kolumbien gehen oder in Deutschland arbeiten möchte, muss er noch entscheiden. Im Moment weiß er jedoch: „Ich möchte erstmal hier bleiben.“


Nächstes Ziel: Studienvisum

Wenn Andres sich für ein Studium in Deutschland entscheidet, muss er allerdings noch eine Hürde nehmen: Er braucht ein Studienvisum. Damit junge Menschen aus dem Ausland hier studieren können, müssen sie nicht nur die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang bestehen, sondern auch nachweisen, dass sie genug finanzielle Mittel für ein Studium in Deutschland besitzen.

Für ein Studienvisum müssen Menschen aus dem visumpflichtigen Ausland circa 7.000 Euro pro Jahr auf ein sogenanntes Sperrkonto einzahlen, von dem sie dann monatlich eine festgelegte Summe abheben können. Diesen Weg hat auch Andres gewählt, der von seiner Familie aus Kolumbien finanziell unterstützt wird. Lorena hat nicht so viel Geld und kann deshalb nur mit einer Verpflichtungserklärung in Deutschland studieren. Bei dieser verpflichtet sich eine Person, die in Deutschland lebt, für den Studenten notfalls finanziell aufzukommen.


 

Autoren: Elisabeth Korn, Antonia Küpferling

Sonstige Mitwirkende: Bianca Hofmann

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