In der Welt zu Hause
Was und wo ist für die Menschen in unserer globalisierten Welt eigentlich noch Heimat? Sicher ist: Seit einigen Jahren taucht vermehrt eine neue Spezies Mensch auf - die Jobnomaden.
Zlatko Zagorac (57) ist seit über 30 Jahren auf der ganzen Welt unterwegs. Als Purser, also Chef der Flugbegleiter, trägt er die Verantwortung für die komplette Kabinenbesatzung im Flugzeug. Nur etwa fünf Monate im Jahr verbringt er zu Hause bei seiner Familie.
Michael André Ankermüller (27) verdient Geld, indem er seine Reiseerlebnisse teilt. Für seine Arbeit ist er etwa vier Monate im Jahr im Ausland unterwegs. Sein Travel- und Lifestyleblog wird von etwa 1.000 bis 2.000 Lesern besucht – und das täglich.
Markus Morgenroth (38) rettet als „On-Board-Kurier“ Leben, indem er Organe oder Knochenmark weltweit zu Leukämiepatienten fliegt. Dafür ist er pro Jahr etwa 100 Mal in der Luft. Manchmal kann er Wochen im Voraus planen, manchmal nimmt er aber auch ganz kurzfristige Aufträge an.
Stefanie (37) und Sebastian Vogt (35) leben im Wohnwagen, ihren festen Wohnsitz haben sie 2014 aufgegeben. Sie verdienen ihr Geld unter anderem mit Online-Vorlesungen und sind als Social-Media-Berater für Unternehmen tätig. Das machen sie alles mobil – von dem Ort aus, wo sie gerade Leben möchten.
Zlatko, Michael, Markus, Stefanie und Sebastian sind sogenannte „Jobnomaden“. Jobnomaden sind beruflich viel unterwegs, manche von ihnen haben nicht einmal mehr einen festen Wohnsitz.
Feste Arbeitsplätze mit vorgegebenen Arbeitszeiten scheinen in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung zum Auslaufmodell zu werden. Warum die Bilanz im lauten Großraumbüro erstellen, wenn man das genauso gut in einem Strandkorb auf Sylt machen kann? Schließlich lassen sich heutzutage von überall auf der Welt Daten und Informationen abrufen und das Handy, Tablet oder Notebook sind ohnehin immer mit dabei. Es ist heute einfacher denn je, mobil zu leben und mobil zu arbeiten.
"Der Begriff von 'Heimat' wird sich ändern"
Werden wir bald alle nur noch mobil arbeiten und wie wird sich dieser Trend weiterentwickeln? Gundula Englisch hat ein Buch über „Jobnomaden“ geschrieben:
EINSTEINS: Was ist mobiles Arbeiten?
Mobiles Arbeiten hat für mich nicht alleine mit Technik zu tun, also mit Handys oder Tablets. Auch die geistige Mobilität spielt beim mobilen Arbeiten eine Rolle. Ich denke, wir müssen in Zukunft viel flexibler und in verschiedene Richtungen denken können, um in der mobilen Arbeitswelt Erfolg zu haben.
EINSTEINS: Wird der klassische Bürojob bald verschwinden?
Eine physische Präsenz, vor allem für das Arbeiten im Team, wird auch in Zukunft unverzichtbar sein. Deshalb wird der klassische Bürojob vermutlich nicht vollständig verschwinden. Selbst wenn man über soziale Netzwerke Kontakte hält, ist man in einem Homeoffice doch immer isoliert. Der direkte Austausch von Mensch zu Mensch ist meiner Meinung nach nicht zu ersetzen.
Gundula Englisch
2001 schrieb sie das Buch „Jobnomaden“ über die Zukunft der mobilen Arbeitswelt. Heute leitet sie das Redaktionsbüro „Future Live“ und lebt mit ihrer Familie in der Nähe von München.

EINSTEINS: Und der feste Wohnsitz, wird der bald überflüssig?
Ich denke nicht, dass der feste Wohnsitz ganz wegfallen wird. Allerdings gehe ich davon aus, dass vor allem junge Menschen in Zukunft durchaus darauf verzichten können. Andere Lebensphasen hingegen – zum Beispiel die Kindererziehung – werden auch in Zukunft ohne einen festen Wohnsitz nicht zu managen sein.
EINSTEINS: Was wird der Begriff „Heimat“ künftig bedeuten?
Das „zu Hause sein“ wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen, aber nicht mehr im Sinne des alten Heimatbegriffs. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es den Jobnomaden möglich ist, sich an mehreren Orten zu Hause zu fühlen – eben genau da, wo man seine sozialen Netzwerke hat und wo man eingebunden ist.

EINSTEINS: „Modernes Nomadentum“, ist das die Zukunft unserer Gesellschaft?
Vor einigen Jahren sprachen noch viele Anzeichen dafür. Heute sehe ich eher einen Trend in die gegenläufige Richtung. Um die Jahrtausendwende gab es Freiheiten in der Arbeitswelt, die sich auf Dauer nicht halten konnten. Irgendwann haben wir zum Beispiel geglaubt, dass Präsenz im Büro schon in ein oder zwei Jahren von keinem Arbeitgeber mehr verlangt werden würde. Doch heute sind solche Dinge mehr denn je gefragt.
EINSTEINS: Wie wird sich mobiles Arbeiten auf unser Sozialleben auswirken?
Mobile Arbeiter sind wie keine andere Berufsgruppe auf ein gut funktionierendes soziales Netzwerk angewiesen. Sie brauchen gute soziale Beziehungen, um nicht vollkommen orientierungslos in der Welt herumzuirren. Zwar können diese sozialen Kontakte über die ganze Welt verstreut sein, aber Familie und Freunde werden weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Allerdings müssen sich die mobilen Arbeiter um ihre Beziehungen deutlich mehr bemühen.

Ein Pfarrer auf Reisen
Wenn die Menschen nicht mehr in die Kirche gehen, dann muss die Kirche zu den Menschen kommen. Das war die Idee von Pfarrer Frank Meckelburg, als er sich eine mobile Kirche für seine Gemeinde bauen ließ.
Seit einem Jahr fährt Frank Meckelburg während der Sommermonate durch die Orte der evangelischen Gemeindepfarrstelle Daun (Rheinland-Pfalz) und feiert „mobile Gottesdienste“.
Das Angebot wird gut angenommen, manchmal kommen bis zu 150 Menschen.
In seinen kleinen Hänger passen: ein mobiler Turm (inklusive Turmuhr), Stühle, Bibeln, Kerzen und ein Kreuz. Außerdem noch, falls es regnen sollte, ein Zelt.
Rechtzeitig vor dem „10-Uhr-Läuten“ wird der mobile Kirchturm hochgeklappt. Da muss der Pfarrer selbst ran.
Aber: „Ohne die Hilfe der Ehrenamtlichen wäre der mobile Gottesdienst nicht möglich“, davon ist Pfarrer Meckelburg überzeugt. Fünf bis sechs Freiwillige helfen jeden Sonn- und Feiertag tatkräftig beim Aufbau mit.
Die ersten Besucher sind schon da – obwohl es regnet und ein kalter Wind bläst. Die mobile Kirche bietet den Gläubigen mehr als einen traditionellen Gottesdienst: In dem kleinen Zelt vor der Kirche wird gemeinsam gesungen und musiziert. Anstelle von festen Strukturen und stumpfen Belehrungen steht die Gemeinschaft im Vordergrund.
„Wir wollen die Kirche zu den Menschen bringen,“ so der engagierte Pfarrer.
Die Gemeindemitglieder schätzen an dem ungewöhnlichen Kirchenprojekt besonders die lockere Atmosphäre. „Und auch die Regentropfen haben ihren Reiz”, sagt eine ältere Dame. Kein Wunder, denn Messen finden sonst nur selten in der frischen Luft statt.
Es kann losgehen. Zuerst begrüßt Frank Meckelburg seine Gemeinde. Heute sind etwa 70 Menschen zum Gottesdienst gekommen. Der Pfarrer ist froh, dass sich „richtige Eifler nicht von ein bisschen erhöhter Luftfeuchtigkeit abschrecken lassen“.
Kerze und Bibel: Im Inneren des Wagens gibt es alles, was man für einen Gottesdienst braucht, auch ein ansprechender Blumenschmuck darf nicht fehlen.
Und noch etwas ist besonders: Zu jedem mobilen Gottesdienst wird eigens ein kleines Liederheft gestaltet, mit immer neuen Liedern und Texten.
Wenn Zelt und Turm im Wagen verstaut sind, geht es für die mobile Kirche wieder zurück in die Garage. Für heute hat das Kirchenmobil Feierabend.
Ruth de Carné
Lidia Piechulek
Magdalena Seidenspinner
Lisa Vollnhals
Elisa Wiesnet
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