Erst die Macht, dann die Mauer

Foto: SMAC Film

Mit Sati­re Poli­tik machen – kann das gut gehen? Mar­tin Son­ne­born sitzt seit 2014 im Euro­pa­par­la­ment und sorgt von dort aus öfter mal für Auf­se­hen. Ein Gespräch mit dem Vor­sit­zen­den der Par­tei „Die PARTEI“ über den Wie­der­auf­bau der Mau­er, Kli­ma­wan­del-Leug­ner und dum­me Ent­schei­dun­gen im Parlament.


von Daniela Blaimer und Sophia Dittmann

Für das Ein­steins-Maga­zin wol­len wir her­aus­fin­den, was es mit dem geplan­ten Mau­er­bau der Par­tei die PARTEI auf sich hat. Unse­re Fra­gen beant­wor­tet Mar­tin Son­ne­born in einem Café im Euro­pa­par­la­ment. Nach dem Inter­view woll­te Son­ne­born uns noch hel­fen, die Euro­pa-Flag­ge für ein opti­ma­les Foto ins rech­te Licht zu rücken. Doch prompt rann­te ein Secu­ri­ty-Mit­ar­bei­ter auf uns zu und schrie uns an. Aber Son­ne­born grins­te nur und flüs­ter­te uns zu: „Die kön­nen mich hier nicht rausschmeißen.“

„Die kön­nen mich hier nicht rausschmeißen.“ 

EINSTEINS: Herr Son­ne­born, Sie sind Vor­sit­zen­der einer Par­tei, die die Mau­er in Deutsch­land wie­der auf­bau­en möch­te ‒ war­um das denn?

Son­ne­born: War­um ich Vor­sit­zen­der bin?

Nein, war­um Sie die Mau­er wie­der auf­bau­en möchten.

Das war mal eine For­de­rung aus dem Jahr 2004. Wir haben damals in der Tita­nic-Redak­ti­on unse­re Par­tei gegrün­det (Anm. d. Red.: Son­ne­born war fünf Jah­re Chef­re­dak­teur des Sati­re-Maga­zins). Aus dem ein­fa­chen Grund, weil wir nicht mehr wuss­ten, wel­che Par­tei­en wir selbst wäh­len sol­len. Danach haben wir nach Allein­stel­lungs­merk­ma­len gesucht, und weil sich Tita­nic eigent­lich schon fünf Minu­ten nach dem Mau­er­fall kri­tisch mit die­ser Situa­ti­on aus­ein­an­der­ge­setzt hat, war’s recht nahe­lie­gend, den Wie­der­auf­bau der Mau­er zu for­dern. Zudem hat­te eine For­sa-Umfra­ge her­aus­ge­fun­den, dass sich rund 22 Pro­zent der Bun­des­bür­ger mit einer Wie­der­tei­lung des Lan­des anfreun­den könn­ten. Das alles hat den ernst­haf­ten Hin­ter­grund, dass wir den Osten bei der Wie­der­ver­ei­ni­gung kom­plett über den Tisch gezo­gen haben: Wir haben den Leu­ten ihre Häu­ser genom­men, ihre Abitur­no­ten run­ter­ge­setzt, ihnen ihre Abschlüs­se aberkannt. Wir haben die Aben­teu­er­lus­tigs­ten und Dümms­ten, die im Wes­ten zu haben waren, da rüber­ge­schickt und in alle Füh­rungs­po­si­tio­nen gesandt. Offi­zi­ell sprach die Bun­des­re­gie­rung immer von blü­hen­den Land­schaf­ten und nie­mand hat rea­li­siert, dass es eine bru­ta­le Über­nah­me war und dass es nach wie vor weit­ge­hen­de Unter­schie­de gibt – kul­tu­rel­le und sozio­öko­no­mi­sche. Die PARTEI hat das sati­risch über­spitzt auf­ge­grif­fen. Damit haben wir natür­lich pro­vo­ziert, plötz­lich stan­den wir auf Titel­sei­ten, auf denen gefragt wur­de: „Wer sind die Irren, die uns so verhöhnen?“ 

Also steht das Vor­ha­ben mit der Mauer?

Einer­seits steht es noch, ande­rer­seits wur­de es erwei­tert. Wir haben ver­sucht uns von die­ser For­de­rung zu tren­nen, weil wir sie nach ein paar Jah­ren lang­wei­lig fan­den. Wir haben alles gemacht, was man mit Mau­ern machen kann – selbst zum zehn­ten Jah­res­tag des Mau­er­falls haben wir unter gro­ßem Medi­en­in­ter­es­se zwi­schen Hes­sen und Thü­rin­gen mit­hil­fe der IG-Bau fünf Meter der Mau­er auf­ge­baut. Als fle­xi­ble, moder­ne Par­tei ohne fes­te Stand­punk­te kann man dann ein­fach umschwen­ken. Wir haben beschlos­sen, dass wir den Mau­er­bau in Zukunft ein­fach anders begrün­den. Näm­lich, dass der zuneh­mend irrer wer­den­de Kapi­ta­lis­mus eine Abgren­zungs­rea­li­tät braucht. Also einen Gegen­spie­ler, einen Kon­tra­punkt. Im Moment ist es so, dass sich in der EU auch die wirt­schaft­li­chen Din­ge in die­ser kapi­ta­lis­ti­schen Rein­form aggres­siv ent­wi­ckeln kön­nen. Ein­fach aus dem Grund, weil es kein Sys­tem mehr gibt, das dem im Wege steht oder mit dem man sich ver­glei­chen müss­te. Der Kom­mu­nis­mus ist geschei­tert. Inso­fern for­dern wir, dass wir das Land mit­hil­fe einer Mau­er wie­der tei­len, um im Osten ein kom­mu­nis­ti­sches Schre­ckens­re­gime zu errich­ten. Ich habe Gre­gor Gysi mal in der Man­yo Bar (Anm. d. Red.: ehe­ma­li­ge Bar in Ber­lin) unse­re Sach­la­ge erklärt und gefragt, ob er das anfüh­ren wür­de und er hat nicht wirk­lich nach­drück­lich abgewunken. 

Wann kann man mit der Mau­er rechnen?

Das folgt erst nach der Macht­über­nah­me (er räus­pert sich). 

Macht­über­nah­me?

Wir haben das mal grob aus­ge­rech­net. Wenn wir zwei- oder drei­mal hin­ter­ein­an­der auf dem glei­chen Wahl­zet­tel ste­hen, dop­peln sich unse­re Wahl­er­geb­nis­se. Füh­ren­de Mathe­ma­ti­ker in der Par­tei haben her­aus­ge­fun­den, dass es noch 64 wei­te­re Bun­des­tags­wah­len braucht, bis wir an der Macht sind. 

Dann sind Sie ja schon steinalt…

Ja, stimmt. Ich bin dann cir­ca 138 Jah­re alt. Die Euro­pa­wahl hat aller­dings auch gezeigt, dass das jetzt offen­sicht­lich noch schnel­ler geht als geplant. Wir haben unse­re Wahl­er­geb­nis­se ver­vier­facht. (Er über­legt) Aber das fällt mir zum The­ma Mau­er­bau noch ein: Es gibt eine inter­es­san­te Aus­sa­ge zum Mau­er­bau um Euro­pa. Wir haben die Idee der Mau­er in Euro­pa ein­ge­bracht, ich habe das auch öfter mal in Reden the­ma­ti­siert, dass wir eine Mau­er um die EU bau­en wol­len. Dass das jetzt tat­säch­lich gemacht wird, ist ambi­va­lent. Auf der einen Sei­te ist mir das natür­lich ein inne­rer Reichs­par­tei­tag, dass es eine unse­rer Par­tei­ideen in die EU geschafft hat und womög­lich aus­ge­führt wird. Auf der ande­ren Sei­te, als nicht voll­kom­men empa­thie­lo­ser Mensch, sehe ich natür­lich ungern, dass jetzt eine Mau­er um kom­plett Euro­pa gebaut wird und dass wei­ter­hin Leu­te im Mit­tel­meer sterben. 

Könn­ten Sie sich vor­stel­len, bei dem The­ma mit Donald Trump in Kon­takt zu treten? 

Ich habe ver­sucht, mit wider­wär­ti­gen Men­schen mög­lichst wenig Kon­takt zu pfle­gen. Inso­fern wür­de ich das ableh­nen. Das ist auch für mich kein ernst­zu­neh­men­der (er zögert) Mensch. Mir ist alles zuwi­der, was ich von ihm höre. Ich schla­ge den Medi­en immer vor, dass man sei­ne Twit­ter-Ver­laut­ba­run­gen ein­fach mal igno­riert, schließ­lich hat er ja offi­zi­el­le Ver­laut­ba­rungs­ka­nä­le. Man muss nicht jeden Quatsch, den er ins Netz stellt, so wich­tig nehmen. 

Wie stel­len Sie sich vor, das Pro­jekt der Mau­er zu finanzieren?

Geld. Sobald wir an der Macht sind, ver­fü­gen wir über rela­tiv hohe Steu­er­ein­nah­men – über Milliarden. 

Mar­tin Son­ne­borns Büro­lei­ter Dus­tin Hoff­mann, der eben­falls bei dem Inter­view anwe­send ist, unter­bricht und sagt: „Frau­en­kir­che abreißen!“

(Son­ne­born lacht) Frau­en­kir­che abrei­ßen, genau, um Bau­ma­te­ri­al zu holen. Eine alte Par­tei­for­de­rung. Wir haben das mal 2002 oder 2004 den Dresd­nern ver­sucht nahe zu brin­gen. Die Idee ist da nur lei­der auf sehr viel Unver­ständ­nis gesto­ßen. Aber ja, es gibt genug Bau­ma­te­ri­al im Land und auch genug Geld für unser Vorhaben. 

Könn­ten Sie sich bei dem Pro­jekt auch vor­stel­len, eine Koali­ti­on mit einer ande­ren Par­tei zu bil­den? Allein wird der Mau­er­bau schwer zu stem­men sein. 

Es gibt eine Stan­dard­ant­wort auf die­se Fra­ge: Wir neh­men jeden, der sich als Steig­bü­gel­hal­ter andient. Außer der FDP, weil wir nicht mit Spaß­par­tei­en koalie­ren. Ande­re Par­tei­en kön­nen sich ger­ne (er stockt). AfD auch nicht, da ist zu viel ver­brann­te Erde zwi­schen uns, glau­be ich zumin­dest. Aber sonst kön­nen wir eigent­lich alle berücksichtigen. 

Wis­sen Sie denn noch was Sie am 9. Novem­ber 1989 gemacht haben?

Ja. Ich war betrun­ken an einem Bil­lard­tisch in der Burg­gas­se in Wien und spiel­te gegen mei­nen Freund Han­nes. Er hat wahr­schein­lich ver­lo­ren und ich sah dann in einem Fern­se­her, der irgend­wo hing, jubeln­de Menschenmassen. 

Die­ses Jahr jährt sich der Mau­er­fall zum 30. Mal – wird das in Ihrer Par­tei gefeiert?

Wir wer­den das sowohl fei­ern, als auch betrau­ern. Es wird schon ein State­ment aus der Par­tei zu den offi­zi­el­len Fei­er­lich­kei­ten geben. Wenn man sich die poli­ti­sche Land­schaft ansieht, die AfD-Wahl­er­geb­nis­se drü­ben im Osten, sind wir, glau­be ich, die Par­tei, die sich am aggres­sivs­ten mit der AfD aus­ein­an­der­setzt. Dann kann man sich an sol­chen Daten auch mal ins Bewusst­sein rufen, dass die­se Ver­hält­nis­se eine Fol­ge des Umgangs mit den Men­schen im Osten sind. 

Spre­chen wir genau­er über Ihren Arbeits­platz: das Euro­pa­par­la­ment. Wenn Sie einen Wunsch von der EU erfüllt bekom­men könn­ten, wel­cher wäre das? 

Ich möch­te ein Initia­tiv­recht für das Euro­pa­par­la­ment. Ich möch­te, dass Nico Sems­rott Kom­mis­si­ons­prä­si­dent wird. Und ich möch­te, dass die EU sozia­ler, fried­li­cher und – ja, das war’s eigent­lich, sozia­ler und fried­li­cher wird. 

Was tra­gen Sie dazu bei?

Ich mache dar­auf auf­merk­sam, dass es nicht so ist. Also dass es ein sozia­les Ungleich­ge­wicht gibt, in Deutsch­land, genau wie in Euro­pa. Wir haben Euro­stat-Daten (Anm. d. Red.: Sta­tis­ti­sches Amt der Euro­päi­schen Uni­on) ange­schaut, die zei­gen, dass in den letz­ten zwan­zig Jah­ren ein kon­stan­ter Armuts­fak­tor von 22 Pro­zent in der EU geherrscht hat. Ich ver­su­che das publik zu machen, damit die Leu­te sehen, dass es um sozia­le Umver­tei­lun­gen oder um sozia­le Abfe­de­rung geht. Dann kämp­fen wir gegen die Mili­ta­ri­sie­rung — es gibt eine unfass­ba­re Remi­li­ta­ri­sie­rung Euro­pas. Im nächs­ten EU-Haus­halt, den ich selbst mit abge­stimmt habe, gibt es zum ers­ten Mal mehr Geld für Grenz­si­che­rung, sprich Waf­fen­ent­wick­lung, als für Ent­wick­lungs­hil­fe. Also diver­se Mil­li­ar­den, die eigent­lich nicht in mili­tä­ri­sche Pro­jek­te gesteckt wer­den dür­fen, laut des Lis­sa­bon-Ver­trags. Dar­um ver­su­chen wir, das öffent­lich zu machen und zumin­dest eine Dis­kus­si­on dar­über anzu­re­gen. Bevor wir es näm­lich auf­ge­grif­fen haben, gab es rela­tiv wenig Resonanz. 

Herr Son­ne­born, Sie bezeich­nen Per­so­nen, die sich vor Flücht­lin­gen fürch­ten, als Fürcht­lin­ge. In Ihrem Wahl­pro­gramm steht unter ande­rem, dass Sie die­se Fürcht­lin­ge in die DDR zurück­füh­ren wol­len. Wie ernst kann man das nehmen? 

Ich glau­be, dass die Leu­te, die uns wäh­len, zwi­schen den Zei­len lesen kön­nen oder ver­ste­hen, dass es kei­ne eins-zu-eins ernst­zu­neh­men­den For­de­run­gen sind. Fürcht­lin­ge in die DDR zu schi­cken bezieht sich eigent­lich dar­auf, dass wir kein Flücht­lings­pro­blem haben. Die paar Flücht­lin­ge im Land. Der Zau­ber, der da von der irren regio­na­len Split­ter­par­tei CSU ver­an­stal­tet wur­de, weil irgend­wie sie­ben Leu­te über die öster­rei­chisch-deut­sche Gren­ze kom­men: Das ist ja alles kom­plet­ter Wahn­sinn, dass sowas mög­lich ist. 

Was hat es mit den Wahl­pro­gramm-For­de­run­gen auf sich, eine Atom­bom­be für Deutsch­land und dem Füh­rer­schein-Ent­zug für Klimawandel-Leugner? 

Man ist rela­tiv geschichts­ver­ges­sen. Der Zwei­te Welt­krieg sagt eurer Gene­ra­ti­on nicht mehr viel. Ich weiß aus Erzäh­lun­gen mei­nes Groß­va­ters, dass das etwas ist, was man nicht wie­der erle­ben möch­te. Es ist auch ver­ges­sen wor­den, wie viel Unheil Atom­bom­ben anrich­ten kön­nen. Es gibt Atom­bom­ben in Deutsch­land, es gibt EU-Pro­jek­te, die dahin zie­len, atom­bom­ben­fä­hi­ge Flug­zeu­ge zu ent­wi­ckeln und es gibt auch klei­ne­re stra­te­gi­sche Bom­ben. Die Dis­kus­si­on wird irgend­wann kom­men, ob wir das in Deutsch­land auch haben wol­len. Wir woll­ten ein­fach die ers­ten sein und dar­auf hin­deu­ten, dass sol­che Bestre­bun­gen im Gan­ge sind. Was war die letz­te Forderung? 

Sie wol­len mit Füh­rer­schein-Ent­zug gegen Kli­ma­wan­del-Leug­ner vorgehen. 

Ahja, die Kli­ma­kri­se. Ich hab’s gera­de gemerkt, als ich hier­her gejoggt bin. Sie ist kein lee­res Gespenst an der Wand mehr. Beson­ders die Leu­te, die in Bel­gi­en woh­nen, pro­fi­tie­ren davon. Weil es hier immer acht Grad käl­ter ist als in Ber­lin. Und wenn es in Ber­lin dann 34 Grad hat, dann hat man hier ange­neh­me Tem­pe­ra­tu­ren. Inso­fern befür­wor­te ich den Kli­ma­wan­del, aber weiß natür­lich auch um die Pro­ble­me, die er mit sich bringt. Ich glau­be, der Füh­rer­schein-Ent­zug ist das bru­tals­te Mit­tel, das Kli­ma­wan­del­leug­ner tref­fen kann. 

War­um den­ken Sie, haben Sie so vie­le bei der Euro­pa­wahl gewählt? 

Ich habe mich bedankt bei den Kol­le­gen der Gro­Ko-Haram (Anm. d. Red.: Son­ne­borns Bezeich­nung für die Gro­ße Koali­ti­on in Deutsch­land). Die gro­ßen Par­tei­en haben viel dafür getan, dass man sie nicht mehr wäh­len kann: CDU, SPD, FDP, CSU, Grü­ne, Lin­ke, AfD (er über­legt). Wer möch­te sowas schon wäh­len? Und dann bleibt ein­fach nicht mehr viel auf dem Wahl­zet­tel und wir bemü­hen uns, rela­tiv sub­stanz­los, stand­punkt­arm und eini­ger­ma­ßen sym­pa­thisch in der Öffent­lich­keit rüber­zu­kom­men.  Und das ist, glau­be ich, eine gute Strategie. 

Ich wür­de mich nicht als Sati­ri­ker bezeichnen.“

War­um braucht man Sati­ri­ker wie Nico Sems­rott und Sie im EU-Parlament? 

Ich wür­de mich nicht als Sati­ri­ker bezeich­nen. Ich bezeich­ne mich selbst als Spit­zen­po­li­ti­ker, der moderns­te Tur­bo-Poli­tik fabri­ziert und das ist für mich das Arbei­ten mit sati­ri­schen Metho­den und Mit­teln. Trotz­dem haben wir ernst­haf­te Anlie­gen, natür­lich, und ernst­haf­te Posi­tio­nen. Uns ste­hen nur begrenz­te Mit­tel zur Ver­fü­gung und wir haben fest­ge­stellt, dass die rela­tiv effek­tiv sind, weil sie Öffent­lich­keit her­stel­len und sich Leu­te dann für Poli­tik inter­es­sie­ren. Wir sehen ja sehr viel Poli­ti­sie­rung durch lus­ti­ge Aktio­nen der PARTEI, über lus­ti­ge Pla­ka­te, über lus­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit der AfD. Ich glau­be man bräuch­te Sati­ri­ker im Par­la­ment nicht, aber wenn sie drin­nen sind, hat das den Vor­teil, dass Leu­te etwas inter­es­sier­ter und genau­er hin­schau­en kön­nen. Weil wir Din­ge öffent­lich machen, die hier pas­sie­ren. Ich habe in den letz­ten fünf Jah­ren sehr vie­le Zuschrif­ten von Leu­ten bekom­men, die gesagt haben, dass sie in die­sen fünf Jah­ren viel mehr über das Euro­pa­par­la­ment gelernt haben, als in den zehn Jah­ren davor. Seit­dem wir Berich­te schrei­ben, Fil­me machen und die aso­zia­len Medi­en befüllen. 

Aso­zia­le Medien?

Face­book. Twit­ter ist nicht ganz so schlimm, aber Face­book ist natür­lich eine furcht­ba­re Platt­form. Ist mir auch sehr unan­ge­nehm, dass ich da offen­sicht­lich der reich­wei­ten­stärks­te deut­sche Poli­ti­ker bin. Die Tages­schau hat übri­gens einen lus­ti­gen Arti­kel ver­öf­fent­licht. Es gibt eine Gra­fik und da ist ersicht­lich, dass die PARTEI und mein Account die reich­wei­ten­stärks­ten sind, gefolgt von irgend­wel­chen AfD-Schwach­köp­fen, lei­der. Und da wur­de visua­li­siert, wie viel Gel­der die Par­tei­en da wirk­lich rein­ste­cken. Das fängt an mit CDU 370 000 Euro auf Face­book und Insta­gram, SPD etwas weni­ger, FDP weni­ger, CSU weni­ger, Grü­ne weni­ger, Lin­ke weni­ger und zum Schluss kommt die Par­tei mit…

…gar nichts. 

(Er grinst) Ja genau, null Euro. Das ist schon ziem­lich lustig.

Was war denn in den letz­ten fünf Jah­ren Ihre wich­tigs­te Akti­on im Parlament?

Wahr­schein­lich wird es eine mei­ner Reden gewe­sen sein. Ich habe ja irgend­wie sie­ben Reden gehal­ten. Das ist immer auf eine Minu­te beschränkt, mal ein biss­chen län­ger, als Mar­tin Chulz (Anm. d. Red.: gemeint ist der ehe­ma­li­ge Par­la­ments­prä­si­dent Mar­tin Schulz) noch Chef war und mir 20 Sekun­den zusätz­lich gab. Die Rede gegen Erdo­gan damals ist über fünf Mil­lio­nen Mal auf ver­schie­de­nen Por­ta­len abge­ru­fen wor­den. Das war das ers­te Mal, dass eine ver­nünf­ti­ge Gegen­po­si­ti­on zu die­sem Irr­sinn — mit den Mil­li­ar­den in die Tür­kei ver­schie­ben — for­mu­liert wur­de. (Anm. d. Red.: Die EU zahlt im Vor­aus Geld an zukünf­ti­ge Bei­tritts­kan­di­da­ten, wie bei­spiels­wei­se die Türkei.)

Und die dümms­te Aktion?

(Er lacht) Ich habe mal gegen die Straf­bar­keit von Kon­ver­si­ons­the­ra­pien (Anm. d. Red.: Psy­cho­the­ra­pie, mit dem Ziel homo­se­xu­el­le Nei­gun­gen in hete­ro­se­xu­el­le umzu­keh­ren) gestimmt. Das war aber eine unbe­wuss­te Abstim­mung. Bei 50 Ände­rungs­an­trä­gen habe ich näm­lich abwech­selnd mit Ja und Nein im Par­la­ment abge­stimmt. Also wenn es nicht dar­auf ankam auf die Stim­me. Ich glau­be wir haben in 40 Minu­ten 240 Abstim­mun­gen in Straß­burg durch­ge­prü­gelt. Wir haben fest­ge­stellt, dass ich im Umwelt­schutz­be­reich, trotz des Ja/N­ein-Stim­mens mit über 60 Pro­zent zu den akti­ve­ren und bes­se­ren Abge­ord­ne­ten gehö­re. Die CDU lag irgend­wie so bei 15 Pro­zent oder 20 Pro­zent Zustim­mung zu Umwelt­the­men. Mei­ne The­se dar­aus ist: Wenn die gan­ze CDU/C­SU-Grup­pe abwech­selnd mit Ja und Nein stim­men wür­de, dann wäre das bes­ser für Europa. 

Wol­len Sie in der neu­en Legis­la­tur­pe­ri­ode etwas anders machen als bisher?

Ja. Das ers­te Man­dat kam sehr über­ra­schend und war so auch nicht geplant. Das war eine Metho­de hier rein­zu­ge­hen und ganz naiv auf alles zu schau­en und das dann zu berich­ten. Das wird aber so nicht die nächs­ten fünf Jah­re tra­gen. Da wir aber jetzt zu zweit sind und Nico in die Frak­ti­on der Grü­nen ein­ge­tre­ten ist, haben wir ande­re Mög­lich­kei­ten und wer­den auch mal ver­su­chen, legis­la­tiv zu arbei­ten und auch einen Geset­zes­vor­schlag machen. Einen, der mög­lichst vie­le Leu­te inter­es­siert und der die Inter­es­sen von Jün­ge­ren und viel­leicht auch netz­af­fi­nen Leu­ten berück­sich­tigt, um dann zu doku­men­tie­ren, wie so etwas schei­tert. Das wird inter­es­sant, weil die Leu­te dann ver­fol­gen kön­nen, wie schwie­rig es ist, eigent­lich eine bür­ger­freund­li­che Gesetz­ge­bung anzustoßen. 

Vie­len Dank für das Gespräch, Herr Sonneborn.

Es war mir ein Ver­gnü­gen. Sonst hät­te ich mich wohl mit mei­nem Büro­lei­ter unter­hal­ten müssen.

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