Sprechstunde im Sperrgebiet
- von Pascal Tannich
Thea Schulz ist Ärztin — zweimal die Woche musste sie zur Sprechstunde nach Lauchröden ins Sperrgebiet.
Thea Schulz hat seit 30 Jahren die gleiche Frisur. Wenn sie nachts raus musste, weil sie Bereitschaft hatte, musste es schnell gehen. Seit 1987 praktiziert Thea Schulz im thüringischen Oberellen als Ärztin: „Ich bin mit der Grenze aufgewachsen, ich kannte es nicht anders“, erzählt die 63-Jährige. Zwei Mal die Woche musste sie in Lauchröden und Unterellen Sprechstunden halten. Jeder Ort hatte zwar eine Gemeindeschwester, die täglich Sprechstunden hatte, aber einen Arzt oder eine Ärztin gab es nicht. Es musste jemand von außerhalb der Sperrzone her: Thea Schulz.
Da sich die beiden Dörfer im 500-Meter-Schutzstreifen befanden, der das Gebiet vom Rest der DDR trennte, bekam Schulz einen Passierschein, der jedes Jahr neu verlängert werden musste. Ohne Genehmigung durfte der Schutzstreifen von niemandem betreten werden, auch nicht von DDR-BürgernInnen. Alles was sie zum Praktizieren brauchte, wurde vom Staat gestellt. Ein Blutdruckmessgerät, ein Stethoskop und eine Waage. Mehr brauchte sie nicht, sagt sie heute. Sie habe es ja auch nie anders gekannt.
Die Grenzöffnung 1989 machte Schulz zunächst Angst. Sie befürchtete, dass viele ihrer Patienten in den Westen abwandern würden. „Sie dachten, es wäre im Westen alles besser und schöner. War es aber nicht“, erzählt Schulz. Einige Patienten seien tatsächlich gleich nach der Wende nach Herleshausen zum Arzt gegangen, dann aber wieder zu ihr zurückgekommen. „Die haben ganz schnell gemerkt, dass da auch nur mit Wasser gekocht wird“.
1991 machte Schulz sich selbstständig, eröffnete eine Praxis. Über dieser lebt sie mit ihrem Mann seit 1994. Thea Schulz macht sich Sorgen um die künftige ärztliche Versorgung der Dörfer. „Wenn ich bald aufhöre, sieht es ganz schlecht aus. Keiner will mehr aufs Dorf”, sagt sie. In Lauchröden und Unterellen gäbe es auch keinen anderen Arzt mehr, viele müssten bei Krankheiten bald in die nächstgrößere Stadt fahren. Für sie selbst ist es unverständlich, dass keiner mehr aufs Dorf will. Sie sei ein Kind des Dorfes, sie wollte nie weg. Daran hat auch die Zeit in der DDR nichts geändert.