Ungarn: Glücksspiel am Grenzzaun

An der unga­risch-ser­bi­schen Gren­ze leben Men­schen auf der Flucht im Elend. Legal in die Euro­päi­sche Uni­on zu kom­men, ist ihnen kaum möglich. 


von Kilian Beck | Fotos: Amerio Mele

Mit­ten in der fla­chen nord­ser­bi­schen Land­schaft ver­fällt ein Stall, an einem Ende bricht der Dach­stuhl bereits ein. In ihm leben schon lan­ge kei­ne Tie­re mehr. Statt­des­sen hau­sen dort Men­schen. Sie flie­hen vor Krieg und Ver­fol­gung. In der Nähe von Hor­gos, der letz­ten ser­bi­schen Ort­schaft vor der Gren­ze, cam­pie­ren sie auf einem ver­las­se­nen Bau­ern­hof. Gut zehn Minu­ten Fuß­weg vom Bau­ern­hof ent­fernt steht der unga­ri­sche High-Tech-Zaun, der sie dar­an hin­dert, in Euro­pa ihr Glück zu suchen. 

Der Weg zum Camp Hor­gos führt über einen schlam­mi­gen Pfad. Die ein­zi­gen Hel­fer sind Frei­wil­li­ge von Escue­la con Alma, einer spa­ni­schen NGO. Eigent­lich soll­te das Camp eine Durch­gangs­sta­ti­on auf dem Weg in die Euro­päi­sche Uni­on (EU) sein, doch eini­ge har­ren hier schon seit Mona­ten aus. Hin­ter einem zuge­wu­cher­ten Tor erstreckt sich der Hof. Ein Geflüch­te­ter stapft, das Han­dy am Ohr, über den immer fes­ter wer­den­den Pfad. Ein Hase hop­pelt vor­bei. Der Off­roa­der stoppt, die Frei­wil­li­ge Sus­a­na Cos­ta steigt aus. 

Eini­ge Män­ner ste­hen um das Auto her­um. „Here take this“, sagt sie zu einem von ihnen und wuch­tet einen Sack Reis aus dem Auto in sei­ne Arme. Im Kof­fer­raum sind Lebens­mit­tel und Auto­bat­te­rien, als not­dürf­ti­ge Strom­ver­sor­gung. „Give one more, plea­se“, sagt der Mann. Sie holt einen zwei­ten Sack aus dem Auto, bin­nen Minu­ten ist der rand­vol­le Kof­fer­raum aus­ge­la­den. Nach­dem sie die Geflüch­te­ten ver­sorgt hat, gesellt sich Sus­a­na zu ihnen ans Feu­er, das vor dem Stall lodert. 

Sus­a­na Cos­ta hat ihr Stu­di­um der Inter­cul­tu­ral Stu­dies unter­bro­chen. Seit eini­gen Wochen hilft sie Geflüch­te­ten in Serbien.

Über dem Feu­er liegt ein dicker Draht, auf dem mund­ge­rech­te Fleisch­bro­cken auf­ge­spießt sind. Sus­a­na Cos­ta hat ihr Stu­di­um unter­bro­chen, um den Geflüch­te­ten zu hel­fen. Die 28-jäh­ri­ge Por­tu­gie­sin arbei­te­te bereits als Frei­wil­li­ge in ver­schie­de­nen Pro­jek­ten in Por­tu­gal, Ita­li­en und Bos­ni­en. Vor zwei Wochen kam sie nach Subo­ti­ca. Die Stadt ist mit knapp 140 000 Ein­woh­nern die größ­te in Nord­ser­bi­en. In der Regi­on leben vie­le Geflüch­te­te in inof­fi­zi­el­len Camps oder auf der Stra­ße. Dort­hin bringt Sus­a­na Cos­ta das Nötigs­te, das sie zum Leben brauchen. 

Auf der ande­ren Sei­te des Zauns regiert seit neun Jah­ren die Fidesz-Par­tei von Staats­prä­si­dent von Vik­tor Orbán. Er strebt, nach eige­ner Aus­sa­ge, eine illi­be­ra­le Demo­kra­tie an. In einem sol­chen Staat gäbe es kei­ne Min­der­hei­ten­rech­te mehr. Seit 2010 erlebt Ungarn den Abbau von Rechts­staat­lich­keit, Men­schen- und Bür­ger­rech­ten sowie der Pres­se­frei­heit. Alle Tages­zei­tun­gen gehö­ren inzwi­schen Fidesz-nahen Olig­ar­chen. Gera­de auf dem Land gibt es daher kaum noch regie­rungs­kri­ti­sche Stim­men. Migra­ti­on wird von der Orbán-Regie­rung und dem Groß­teil der unga­ri­schen Medi­en mit Ter­ro­ris­mus gleich­ge­setzt. NGOs, die aus dem Aus­land finan­ziert wer­den, gel­ten in Ungarn als bezahl­te Akti­vis­ten aus­län­di­scher Inter­es­sen und müs­sen eine Son­der­steu­er bezah­len. Der Grenz­zaun, der 2016 fer­tig­ge­stellt wur­de, ist die letz­te Kon­se­quenz die­ser Politik. 

Zwei Asylanträge pro Tag

Ziel der Geflüch­te­ten ist es, über die unga­risch-ser­bi­sche Gren­ze in die EU zu kom­men. Legal ist das kaum mög­lich, da Ungarn nur zwei Asyl­an­trä­ge pro Werk­tag annimmt. In bei­den Tran­sit­zo­nen darf jeweils ein Asyl­an­trag pro Werk­tag gestellt wer­den. Außer­halb der Tran­sit­zo­nen wer­den in Ungarn kei­ne Asyl­an­trä­ge ange­nom­men. So berich­tet es die Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on Hun­ga­ri­an Hel­sin­ki Com­mit­tee (HHC) Ein­steins. Eine Sta­tis­tik der EU-Sta­tis­tik­be­hör­de Euro­stat zeigt, dass in Ungarn im Zeit­raum von April 2018 bis April 2019 ledig­lich 505 Asyl­an­trä­ge gestellt wur­den. Außer­dem müss­ten sie dann, wegen des Dub­lin-III-Abkom­mens, in Ungarn blei­ben. Der Ver­trag besagt, dass Geflüch­te­te in dem EU-Land blei­ben müs­sen, in dem sie zuerst regis­triert wor­den sind. 

Die Ein­schrän­kung des Grund­rechts auf Asyl geht laut dem HHC noch wei­ter: Geflüch­te­te, die auf der unga­ri­schen Sei­te des Zauns auf­ge­grif­fen wer­den, fal­len häu­fig gewalt­tä­ti­gen Poli­zis­ten zum Opfer. Sie wer­den geschla­gen, oft stun­den­lang unter unmensch­li­chen Umstän­den fest­ge­hal­ten und in vie­len Fäl­len ihrer Wert­sa­chen beraubt. Die­se Sofort-Abschie­bun­gen wer­den push-backs genannt. Das Por­tal bor­der­vio­lence sam­melt Berich­te über push-backs. Gemel­det wer­den die­se von den vor Ort täti­gen NGOs wie Escue­la con Alma. Von Mai 2018 bis Mai 2019 ver­zeich­ne­te das Por­tal in der Regi­on Subo­ti­ca 101 Per­so­nen, die Opfer von push-backs wur­den. Vie­le von ihnen waren damals noch min­der­jäh­rig. Das jüngs­te Opfer war Ende Mai 2018 vier Jah­re alt. Eini­ge der Berich­te umfas­sen Bil­der von Schnitt­ver­let­zun­gen und Prel­lun­gen. Das geschil­der­te Aus­maß der Gewalt bestä­ti­gen Gesprä­che mit Geflüch­te­ten in Hor­gos und Subo­ti­ca. Sie sind gestran­det zwi­schen der EU, die ihnen nicht hel­fen will, und Ser­bi­en, das ihnen nicht hel­fen kann. 

Ein jun­ger Mann kommt aus einer Öff­nung im Stall. Erst als er im Frei­en steht, kann er sich auf­rich­ten. Er trägt eine graue Jog­ging­ho­se und einen grau­en Pull­over. Ein­zi­ger Farb­klecks: Das um sei­nen Hals gewi­ckel­te rot-grün-schwar­ze Kufi­ya, ein ara­bi­sches Kopf­tuch, das als Son­nen­schutz getra­gen wird. Er setzt sich ans Feu­er, zün­det sich eine Ziga­ret­te an, greift nach einem der Fleisch­bro­cken, träu­felt etwas Zitro­nen­saft dar­auf und beißt hin­ein. Dann stellt er sich als Khan vor. 

Die grau­en Flip-Flops an Khans Füßen ver­sin­ken im san­di­gen Boden. Er steht kei­ne ein­ein­halb Kilo­me­ter außer­halb der EU. Die Son­ne brennt vom Him­mel. Nor­ma­ler­wei­se geht der jun­ge Afgha­ne nur nachts zur Gren­ze, ein Über­tritt bei Tages­licht ist völ­lig unmög­lich. Heu­te will er den Zaun zei­gen, der zwi­schen ihm und sei­nen Träu­men steht. Er geht im Schat­ten einer Hecke. An bei­den Sei­ten säu­men Hanf­pflan­zen den Feld­weg. „They aren’t smo­ka­ble“, sagt er mit einem ent­täusch­ten Unter­ton. In sei­ner lin­ken Hosen­ta­sche steckt eine Packung Dreh­pa­pier. In der Rech­ten hat er sein Han­dy und eine Box, aus der ara­bi­sche Pop­mu­sik dudelt. 

Er zün­det sich eine Ziga­ret­te an. Dann blickt er Rich­tung Wes­ten: „Up the­re, they are.“ Mit der rech­ten Hand zeigt er auf einen cir­ca 30 Meter hohen Wach­turm der unga­ri­schen Grenz­po­li­zei. Khan steht jetzt noch einen hal­ben Kilo­me­ter von der Gren­ze entfernt. 

Go back, bla, bla, bla“

Hin­ter einem manns­ho­hen Erd­wall lässt sich der ers­te Sta­chel­draht erah­nen. „That’s it“, sagt Khan und schal­tet die Musik aus. Hun­dert Meter sind es noch bis zum Grenz­zaun, der die euro­päi­sche Außen­gren­ze an die­ser Stel­le fast unüber­wind­bar macht. 

Khan rüt­telt an einer der Stahl­stan­gen, die den Sta­chel­draht vor dem Zaun hal­ten. Die Win­dun­gen des Sta­chel­drahts rei­chen ihm bis zu den Schul­tern. Er erklärt, wie er den Zaun bereits über­wun­den hat: „You cut this, this and this“, er zeigt auf die drei Sta­chel­draht­spi­ra­len. „Don’t cut or touch this“, sagt er und blickt auf den gut zwei Meter hohen Maschen­draht­zaun. Oben auf dem Zaun: wie­der Sta­chel­draht. Durch den Maschen­draht zie­hen sich zwei schwar­ze Kabel. „When you touch this, it opens spea­k­er“, sagt er und meint die Sprech­an­la­ge, die am Zaun instal­liert ist. „You’re at Hun­ga­ry bor­der. Go back, bla, bla, bla“, äfft er die Stim­me nach, die sonst aus dem Laut­spre­cher kommt. „Wait, I’ll throw some­thing against it“, sagt er, geht ein paar Schrit­te und zieht einen toten Ast aus dem hohen Gras. Er wirft ihn gegen den Zaun, doch nichts pas­siert. Khan hebt kurz die Augenbrauen. 

Khan möch­te nach Frank­reich. Noch steht der Grenz­zaun zwi­schen ihm und sei­nem Traum. ©Kili­an Beck

Eine Ziga­ret­ten­län­ge spä­ter taucht eini­ge hun­dert Meter in öst­li­cher Rich­tung ein schwar­zer Pick-Up mit Lade­flä­chen­ab­de­ckung auf. „Hun­ga­ri­an Poli­ce, we should go“, sagt Khan völ­lig ent­spannt. Der Zaun hat in Sicht­wei­te kei­ne Tore auf der ser­bi­schen Sei­te. So blei­ben die unga­ri­schen Grenz­po­li­zis­ten in Ungarn und Khan in Ser­bi­en. „Don’t show them your face“, schiebt er hin­ter­her. Gemäch­lich geht es zurück Rich­tung Camp. Lang­sam rollt der Pick-Up den Weg zwi­schen den zwei Zäu­nen hin­ab, an der Stel­le vor­bei, an der Khan den Zaun erklärt hat. Es geht der Grenz­po­li­zei dar­um, Prä­senz zu zeigen. 

Nach­dem die Poli­zei weg ist, latscht Khan noch ein­mal kurz Rich­tung Zaun. Dort klin­gelt sein Han­dy. Er tele­fo­niert, spricht eine Mischung aus meh­re­ren Spra­chen: „Salam Alei­kum“, ein paar Fet­zen Far­si oder Urdu, zwei in Afgha­ni­stan gän­gi­ge Spra­chen. „Ins­hal­lah I will come to France.“ Ges­tern war Zucker­fest, das Fas­ten­bre­chen nach dem isla­mi­schen Fas­ten­mo­nat Rama­dan. „It’s like Christ­mas, ever­yo­ne calls ever­yo­ne“, sagt Khan auf dem Rück­weg ins Camp. 

I will try again“

Am nächs­ten Tag sit­zen zwei Män­ner vor dem Stall. Einer von ihnen war ges­tern noch nicht da. Er heißt Sad­dam, trägt ein blau­es Hemd und eine sand­far­be­ne Hose. 

Gebeugt auf einem der Bret­ter sit­zend, erzählt er, war­um er ges­tern nicht da war. „I tried again“, stam­melt er. Khan sei heu­te Mor­gen nach Bel­grad auf­ge­bro­chen, erzählt er. „To the game“, sagt er. So nen­nen die Geflüch­te­ten das Glücks­spiel, die Gren­ze zu über­que­ren. In Bel­grad star­ten die LKWs, in denen Geflüch­te­te teil­wei­se Tage ver­brin­gen, um in eines der EU-Län­der zu gelan­gen, in dem sie Asyl bean­tra­gen kön­nen. Für die Geflüch­te­ten wird es immer schwe­rer, in die­sem Glücks­spiel zu gewin­nen. „They have scan­ners at the bor­der“, sagt Sad­dam, der ges­tern in einem LKW ent­deckt und von der unga­ri­schen Grenz­po­li­zei wie­der nach Ser­bi­en abge­scho­ben wurde. 

Hei­ner Bie­le­feldt, Inha­ber des Lehr­stuhls für Men­schen­rech­te und Men­schen­rechts­po­li­tik an der Uni­ver­si­tät Erlan­gen-Nürn­berg, sieht hier­in einen Ver­stoß gegen Arti­kel 33 der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­tio­nen. Die­ser ver­bie­tet die unbe­grün­de­te Aus- und Zurück­wei­sung. Die ein­zi­ge Aus­nah­me in Arti­kel 33: Nur wer wegen eines beson­ders schwe­ren Ver­ge­hens bereits rechts­kräf­tig ver­ur­teilt ist, kann abge­scho­ben werden. 

Der Tag von Sad­dam (links) im Camp Hor­gos beginnt mit Holzhacken.

I tried six times“, erzählt Sad­dam mit zitt­ri­ger Stim­me. Ein­mal haben ihm unga­ri­sche Poli­zis­ten all sein Geld abge­nom­men. „Ano­ther time they took my pho­ne and beat me with fists and sticks“, sagt er. Das Hun­ga­ri­an Hel­sin­ki Com­mit­tee bestä­tigt ein hohes Maß an Gewalt durch unga­ri­sche Poli­zis­ten gegen Geflüch­te­te. „I was pushed back six times by now“, sagt Sad­dam. „But I will try again, what should I do?“ Sad­dam stammt aus Kabul, vor einem Jahr ent­schloss er sich, nach Euro­pa zu flie­hen. „My brot­her died in a bomb blast“, sagt er. Sei­ne Augen fül­len sich mit Tränen. 

Leben am Abstellgleis

Abends sieht Sus­a­na nach den unge­fähr 20 Geflüch­te­ten, die im Camp Train Sta­ti­on leben. Sie hau­sen im Ran­gier­bahn­hof von Subo­ti­ca. Auf dem Weg dort­hin erzählt sie vom ein­zi­gen ihr bekann­ten Weg, die Scan­ner an der unga­ri­schen Gren­ze aus­zu­trick­sen. „They hide, whe­re the motor is“, sagt sie. Auf­grund der man­geln­den Sau­er­stoff­zu­fuhr und der enor­men Hit­ze unter dem Füh­rer­haus ist es aber lebens­ge­fähr­lich, sich so in die EU zu schmug­geln. Ein Stück ent­fernt vom Bahn­hof wird das Auto abge­stellt, „the secu­ri­ty and the poli­ce shouldn’t see the car“, sagt sie. Pro­ble­me mit Sicher­heits­dienst und Poli­zei soll es in der Ver­gan­gen­heit immer wie­der gege­ben haben. Sus­a­na ist des­halb noch unsi­cher, ob sie im Ran­gier­bahn­hof erwünscht ist. 

Die Son­ne ver­schwin­det hin­ter dem Bahn­hof von Subo­ti­ca. Sus­a­na betritt das Gelän­de durch ein Tor in der Back­stein­mau­er. Ihr Blick schweift über die Anla­ge. „We have to watch out for the secu­ri­ty“, raunt sie, „I’m not sure if they allow us, to help them“. 

Mit­ten durch die Behau­sung der Geflüch­te­ten im Ran­gier­bahn­hof ver­läuft ein Gleis­bett. Auf bei­den Sei­ten ver­fal­len Häu­ser, Putz blät­tert von den Wän­den. Unkraut wuchert und Müll liegt zwi­schen den Schie­nen. Es sieht nicht so aus, als wür­den hier Züge fah­ren. Mit­ten­drin hockt Yasim, unter sei­nem rech­ten Auge zeugt eine zwei Fin­ger brei­te Nar­be von sei­ner Ver­gan­gen­heit in Afghanistan. 

Immer wie­der kippt Yasim nach vor­ne und fängt sich mit bei­den Hän­den auf den Schie­nen ab. Die Venen an sei­nen Unter­ar­men tre­ten her­vor. „Look, I got this, after the IED“, sagt Yasim. Er zeigt auf eine wei­te­re, unge­fähr eine Hand breit lan­ge Nar­be, die sich an der lin­ken Sei­te sei­nes Kop­fes zwi­schen sei­nen kurz rasier­ten Haa­ren ent­lang zieht. 

Ein Mann in signal­gel­ber Warn­wes­te läuft durch das Gleis­bett, es ist ein Secu­ri­ty-Mit­ar­bei­ter. Als er durch die Grup­pe geht, wer­den die Gesprä­che rund um ihn her­um lei­ser. Er wech­selt ein paar Wor­te auf Ser­bisch mit einem der Geflüch­te­ten. Danach ver­schwin­det er ent­lang des Gleis­bet­tes. Anschei­nend ist Sus­a­nas Anwe­sen­heit für den Mann in der Warn­wes­te kein Problem. 


Einsteins im TV: Die Hoffnung stirbt am Zaun — Eine Reportage über die Zustände an der ungarisch-serbischen Grenze.


NATO, good people, but they left me“

I work­ed as an inter­pre­ter“, sagt Yasim. Er fuch­telt, um sich gegen die Mos­ki­tos zu ver­tei­di­gen. Yasims Arme über­zie­hen klei­ne Schwüls­te von den Sti­chen. „I work­ed with NATO, good peo­p­le, but they left me“, flüs­tert Yasim. 2014 sag­te die Bun­des­re­gie­rung zu, afgha­ni­sche Hel­fer auf­zu­neh­men. Im Jahr dar­auf ver­wei­ger­te das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge einem afgha­ni­schen Über­set­zer der Bun­des­wehr Asyl. Jedoch bekam der Über­set­zer vor dem Ver­wal­tungs­ge­richt Mün­chen Recht und durf­te in Deutsch­land bleiben. 

Nach­dem Yasim in der Regi­on Helm­and in Afgha­ni­stan Opfer einer Spreng­fal­le wur­de, konn­te er nicht mehr als Über­set­zer arbei­ten. Laut dem letz­ten Bericht des Afgha­ni­st­an­be­auf­trag­ten des US-Kon­gres­ses ist die Pro­vinz Helm­and momen­tan die gefähr­lichs­te der 34 afgha­ni­schen Pro­vin­zen. Aus Angst vor den Tali­ban floh er aus sei­ner Hei­mat. „I’m cra­zy now, my mind doesn’t work“, sagt Yasim, dann lacht er schal­lend. Er habe zwei Jah­re stu­diert und woll­te sei­nen Abschluss in Afgha­ni­stan machen. 

Vor ein­ein­halb Jah­ren hat Yasim sich auf den Weg nach Euro­pa gemacht. „I came here to find peace“, sagt er. Ange­kom­men sei er vor eini­gen Wochen in Bel­grad. Von der Situa­ti­on vor Ort berich­tet er, dass es so gut wie kei­ne Mög­lich­keit gibt, sich in die Gesell­schaft zu inte­grie­ren. Daher bil­den sich Grup­pen. Man­che von ihnen wer­den aus der Per­spek­tiv­lo­sig­keit her­aus kri­mi­nell oder grei­fen zu Dro­gen. „Peo­p­le drink and snuff things and they beco­me cra­zy“, sagt er und lacht. 

Yasim erwischt eine der Mücken und schnippt ihre Über­res­te von sei­nem behaar­ten Unter­arm. „I want to visit my brot­her in Ger­ma­ny, he is in nur­sing school“, sagt Yasim, als es um sei­ne Plä­ne geht. Zuerst wird sein Weg ihn aller­dings nach Ita­li­en füh­ren. Er glaubt, dort sei es ein­fa­cher Asyl zu bekommen. 

Plea­se help me build an Afghan com­mu­ni­ty in Bel­grad!“, schreit er in Rich­tung von Sus­a­na, die gera­de die Wäsche der Geflüch­te­ten ein­sam­melt. Sie blickt ihn kurz an, lächelt und macht dann wei­ter. Die ande­ren im Camp reagie­ren nicht auf ihn. Nie­mand scheint ihn ernst zu nehmen. 

Die unge­fähr zehn Geflüch­te­ten, die um das Gleis­bett her­um­sit­zen, ste­hen auf. Auf der ande­ren Sei­te der Glei­se blei­ben sie ste­hen und war­ten. Ein lee­rer Zug, der einer S‑Bahn ähnelt, rollt im Schritt­tem­po vor­bei. Als der Zug vor­bei ist, stellt Yasim sich zwi­schen die Glei­se. „If you stand here, he stops, I tried“, sagt er und lacht laut. 

Weni­ge Minu­ten spä­ter, die Son­ne ist inzwi­schen ver­schwun­den, fällt Sus­a­na in den Auto­sitz und es geht zurück ans ande­re Ende von Subo­ti­ca. Mor­gen wird sie den Geflüch­te­ten im Ran­gier­bahn­hof Anti-Mücken­spray vorbeibringen. 


Einsteins-Reporter Sebastian berichtet von seinen Erfahrungen während der Recherche an der ungarisch-serbischen Grenze: Grenzerfahrungen


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