Eigentlich ist es schon traurig: Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes muss dafür sorgen, dass die Politik auch die Interessen der jungen Generation ernst nimmt. Das Klimapaket der Bundesregierung verstößt gegen die Freiheitsrechte junger Menschen, der Klimaschutz darf nicht auf die lange Bank geschoben werden – das sagen die Karlsruher Richter:innen. Dabei kämpfen wir schon seit Jahren für echte Klimapolitik. Die 1,4 Millionen Teilnehmer:innen auf dem Höhepunkt der Fridays for Future-Demonstrationen zeigen das eindrucksvoll. Mehr als bloße Lippenbekenntnisse sind von den Politiker:innen bisher aber nicht gekommen. Mal wieder, denn die Anliegen der jungen Generationen fallen seit Jahrzehnten unter den Tisch. Die Politik will die Zukunft gestalten – nur dumm, dass sie dabei diejenigen übersieht, denen sie eigentlich gehört. Es wird Zeit, dass Politiker:innen uns junge Menschen endlich vertreten, bevor wir uns endgültig abwenden.
Das Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Die Bundesregierung hatte im November 2019 ein Klimaschutzgesetz verabschiedet. Es sieht unter anderem eine Minderung der Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 vor. Bis 2050 sollte Deutschland klimaneutral werden. Für die Zeit dazwischen fehlten konkrete Vorgaben. Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz teilweise für verfassungswidrig erklärt. Wichtige Schritte zur Reduktion der Emissionen dürften nicht zu Lasten der jungen Generation aufgeschoben werden. Die Karlsruher Richter:innen fordern, dass die Politik auch für die Zeit nach 2030 konkrete Reduktionsziele vorgibt.
Gerade beim bedeutendsten Thema unserer Generation, dem Klimaschutz, braucht es schnelle und effiziente Lösungen. Besser heute als morgen. Zwar hat die Bundesregierung umgehend auf das Urteil reagiert und die Klimaschutzziele verschärft, aber das reicht nicht aus. Konkrete Maßnahmen sucht man weiterhin vergeblich. Damit etwas vorangeht, müssen endlich mehr junge Menschen in die Politik, denn sie sind mit einem größeren Klimabewusstsein aufgewachsen und mit am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen. Und wer sonst könnte die Sorgen der jungen Menschen besser verstehen als junge Menschen? Doch wirft man einen Blick in den Deutschen Bundestag, fällt sofort auf, dass die Politik von älteren Menschen dominiert wird. Gerade einmal zwei von 709 Abgeordneten sind unter 30 Jahre alt. Das Parlament ist kein strukturgleiches Abbild unserer Gesellschaft. Sollte es aber sein – zumindest annähernd.
Fühlst du dich von der Politik vertreten?
„Nicht in einem Land, in dem Entscheidungen fast ausschließlich von Rentnern getroffen werden.“
Luca Basile (20)
Bezeichnend ist auch, dass Politiker:innen sich gerne als Kämpfer:innen für die Interessen der jungen Generation ausgeben. Bestes Beispiel dafür ist die Reaktion von Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) auf das Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: „Ich habe immer gesagt: Klimaschutz ist die wichtigste Aufgabe unserer Zeit“, lobte er sich. Schön für ihn – dass seine Partei aber seit 2013 Teil der Regierung ist und im Bundestag auch für das Klimapaket in ihrer ursprünglichen Fassung gestimmt hat, scheint er vergessen zu haben. Selbst die Grünen, die sich gerne als Vorreiter:innen beim Klimaschutz inszenieren, entfernen sich immer mehr von ihren einstigen Idealen. Früher hätten sie sich selbst auf Bäume gesetzt, um die Abholzung des Hambacher Forstes zu stoppen. Heute machen sie Politik für SUV-fahrende Greenwasher:innen vom Prenzlauer Berg. Immer getreu dem Motto: Hauptsache der grüne Anstrich stimmt, was dahintersteckt ist egal. So wollen die Grünen zwar Kurzstreckenflüge „überflüssig“ machen, die Forderung nach einer Kerosinsteuer sucht man in ihrem Wahlprogramm aber vergeblich. Bloß keine Wähler:innen mehr verschrecken vor der Wahl!
Das größte Wählerpotenzial liegt dabei unbestritten in faltigen Händen. Über 20 Prozent der Wahlberechtigten sind 70 Jahre und noch älter. Der Anteil an Erstwähler:innen erscheint dagegen fast winzig – gerade einmal 4,6 Prozent laut Angaben des Bundeswahlleiters. Rein statistisch gesehen ergibt es also schon Sinn, dass sich die etablierten Parteien auf die Interessen älterer Leute fixieren. Moralisch verwerflich ist es trotzdem. Die Folgen der Politik von heute müssen schließlich wir ausbaden. Immer getreu dem Motto: „Das Schiff geht unter, aber wir spielen weiter.“ Titanic lässt grüßen. Schuldenbremse aussetzen (Geld ausgeben ist doch schön), Digitalisierung verschleppen (Haben Sie mein Fax erhalten?), Bildungsgelder kürzen (Kein Kopiergeld, kein Arbeitsblatt!) – denkt eigentlich auch jemand an Menschen unter 50? Dass wir uns von der Politik nicht mehr vertreten fühlen, braucht da niemanden zu wundern.
Fühlst du dich von der Politik vertreten?
„Nein. Es sollten alle Bevölkerungsschichten langfristig abgedeckt sein. Das vergessen die Politiker, und zwar jedes Mal.“
René Leidel (28)
Wenn die Politik die Interessen junger Menschen nicht ernst nimmt, wird sie jede noch so gesunde Demokratie über kurz oder lang an die Wand fahren. Dass wir uns nun aufdrängen, ist nichts Neues: Die 68er-Bewegung hat zu ihrer Zeit auch Veränderungen erzwingen müssen, von denen Deutschland bis heute profitiert. Emanzipation, ein freierer Umgang mit Sexualität, Reformen in der Erziehung und im Bildungssystem – all das haben junge Menschen vor über 50 Jahren mit ihrem Engagement bewegt. Wer uns nun belächelt, weil wir für mehr Klimaschutz auf die Straße gehen, macht sich selbst lächerlich. Fortschritt braucht Veränderung – und jetzt sind wir an der Reihe. Das fängt schon beim Kohleausstieg an: Warum erst 2038? Schneller raus aus der Kohle, dafür mehr Windenergie – und das nicht erst nach jahrelangen Genehmigungsverfahren für Windräder. Weiteres Beispiel: Will man von Berlin nach Paris, kostet der Flug ganze 23 Euro. Mit der Bahn zahlt man fast das Vierfache. Fliegen muss teurer werden, und dazu braucht es endlich eine Besteuerung von Kerosin.
Fotos: Daniel Peter