Catcalling – Belästigung to Go
Warum anzügliche Sprüche nicht nur Worte sind und Respekt kein Flirtverbot bedeutet
von Lea Brugger, Simon Mühlbacher und Sarah Schreier
von Lea Brugger, Simon Mühlbacher und Sarah Schreier
Triggerwarnung: In diesem Beitrag wird sexuelle Belästigung thematisiert. Wenn dich das Thema belastet, schau dir diesen Beitrag besser nicht an.
Ungefragte obszöne Gesten, Hinterherpfeifen, Bedrängen – das und vieles mehr ist Catcalling. Es sind eben nicht nur Worte, sondern eine Form von sexueller Belästigung in der Öffentlichkeit. Doch nicht jeder erkennt das Problem. Eine politische Lösung gibt es in Deutschland bisher nicht.
Du bist auf dem Weg zu deinen Freund:innen. Ihr wollt euch im Café treffen und mal wieder quatschen. du freust dich schon auf einem heißen Kakao und deinen Lieblingskäsekuchen. Wie es wohl Caro…? – „Hey, Puppe! Geiler Arsch! Na, haste Lust zu Ficken?!“ schreit dir ein Mann hinterher. So kann Catcalling sein. Das ist sexuelle Belästigung und ein großes Problem in Deutschland.
Der Begriff „Catcalling“ ist angelehnt an das Pfeifen und Locken einer Katze oder eines Haustieres und umfasst viele unterschiedliche Handlungen. Unter Catcalling fallen zum Beispiel: Hinterherhupen, Anstarren, sexuelle Bemerkungen, Anspielungen und Angebote und Beschimpfungen, obszöne Witze, Kommentare über den Körper, sexuelle Belästigung in Briefen oder im Internet sowie Verfolgen. Ein Rechtsbegriff ist Catcalling aber nicht.
Catcalling erleben überwiegend Frauen, aber auch Männer können betroffen sein. Teilweise erzählen Frauen, dass sie solche Situationen schon mit 13 Jahren erlebt haben. Dabei ist es egal, was sie anhaben, wenn sie unterwegs sind. Es ist auch egal, ob sie zu Fuß oder auf dem Fahrrad unterwegs sind und wo. Denn Catcalling gibt es in größeren Städten und in Dörfern. Das Alter der Täter:innen ist unterschiedlich: Es sind nicht nur junge Männer. Oft sind es auch Gruppen von Männern aus denen sexuell aufgeladene Sprüche kommen. Passant:innen greifen meistens nicht ein.
Ein Problem bei Catcalling ist, dass es schwer nachweisbar ist. Wenn es um sexuelle Sprüche oder Geräusche geht, ist es in vielen Fällen kaum möglich gegen den oder die Täter vorzugehen. Catcalling als solches ist bisher in Deutschland nicht strafbar. In vielen Fällen wird Catcalling nicht ernstgenommen. Viele Täter:innen sehen in ihrem Verhalten kein Problem.
Die Sozialpädagogin Melanie Schmalzl vom Frauennotruf München sagt, dass Catcalling immer etwas mit vermeintlicher Macht zu tun hat. Es ginge darum, Dominanz und Kontrolle zu zeigen. Deswegen findet Catcalling ihrer Meinung nach nicht aus Versehen statt, sondern ist geplant. Catcalling würde so zu einem Mittel, um Frauen herabzuwürdigen.
Ganz ähnlich sieht es auch Andreas Schmiedel. Er ist ausgebildeter Sozialpädagoge und leitet das Münchner Informationszentrum für Männer. Das ist ein gemeinnütziger Verein, der ein neues Selbstverständnis und Rollenbewusstsein von Männern fördern möchte. Schmiedel sagt, dass Männer, die in der Öffentlichkeit catcallen, vor allem eines zeigen möchten: „Ich bin hier Chef im Ring“. Das heißt, es ginge vielen Männern gar nicht um den eigentlichen Akt von Sexualität oder Partnerschaft, sondern um Dominanz in der Öffentlichkeit. Dazu passt auch, dass nicht jeder oder jede das Bewusstsein für Catcalling hat. Weite Teile der Bevölkerung wüssten zwar inzwischen, dass Catcalling ein problematisches Verhalten ist, sagt Schmiedel. Warum es problematisch sei, wüssten viele aber noch nicht. Nur, dass das Verhalten nicht mehr erwünscht ist. Dabei gibt es aber auch Unterschiede je nach Bildungsgrad und je nachdem, ob es im eigenen Umfeld eine Auseinandersetzung mit dem Thema gibt.
Catcalling findet meistens im öffentlichen Raum statt. Deswegen gibt es in vielen Situationen auch Passant:innen, die das Catcalling mitbekommen. Opfer von Catcalling erzählen aber, dass Zeug:innen meistens nicht eingreifen. Hier geben Expert:innen Tipps, wie du bei Catcalling helfen könntest.
Catcalling macht etwas mit der Psyche der betroffenen Person: Wer häufig objektifiziert wird, fängt oft selbst an, seinen Körper und sein Aussehen zu überwachen. Das kann bis zu Depressionen und Essstörungen führen. Viele Betroffene meiden auch Orte, an denen sie sich unsicher fühlen und ändern ihre gewohnten Routinen. Jede:r geht aber anders damit um. Wie sich Catcalling auf die betroffene Person auswirkt, hänge davon ab, wie alt sie ist, ob sie sich generell sicher fühlt und schon einmal Catcalling erlebt hat, sagt Psychologin und Therapeutin Christiane Sautter.
Melanie Schmalzl vom Frauennotruf München hat den Eindruck, dass inzwischen auch viele Frauen „das über sich ergehen lassen, weil es so eine Art gesellschaftliche Norm gibt“. Viele Frauen würden sich auch selbst Vorwürfe machen: „Ich hatte ja auch sexy Kleidung an… Habe ich vielleicht irgendwie Signale gesendet?“ Melanie Schmalzl stellt aber klar, dass die Schuld immer beim Täter liegt.
Über die Verbreitung von Catcalling gibt es bisher nur wenige Studien, die sich explizit auf Catcalling beziehen. Eine größere Studie zu diesem Thema hat das Kriminologische Forschungsamt Niedersachsen (KFN) im Jahr 2021 erstellt. Im Rahmen einer Onlinebefragung zum Thema „Sexuelle Belästigung als Alltagserfahrung“ nahmen fast 4.000 Personen teil. Sie waren im Schnitt etwa 30 Jahre alt – und gut 90 Prozent der Befragten waren schon von Catcalling betroffen. Mehr als die Hälfte von ihnen erlebte Beleidigungen aufgrund des Geschlechts. Mehr als 42 Prozent sind schon sexistisch beschimpft worden.
Catcalling richtet sich meist gegen Frauen, aber auch Männer können Opfer von Catcalling werden. Aber seltener, denn bei Catcalling belästigt die dominantere Seite die weniger dominante Seite, sagt Sozialpädagoge Andreas Schmiedel. Also meistens die Männer die Frauen. Es gehe aber auch anders herum: Bei Jungesellinnenabschieden, oder wenn bestimmte Frauencliquen im Club sind, erzählt Andreas Schmiedel.
Im Jahr 2016 haben Aktivist:innen aus den USA den Instagram-Account „Catcallsofnewyork“ gegründet. Die Idee dahinter war, dass Betroffene von Catcalling per Direktnachricht ihre Erlebnisse weitergeben können. An der Idee von „Catcallsofnewyork“ orientieren sich inzwischen Aktivist:innen aus der ganzen Welt. Auch in Deutschland gibt es Accounts, zum Beispiel in Mainz, Augsburg und Nürnberg.
Die Helfer:innen schreiben die Sprüche und Erlebnisse mit Straßenkreide genau dort auf die Straße, wo sie passiert sind. Danach fotografieren sie ihre Zeilen auf der Straße und posten die Fotos. Die Absicht dahinter erklärt Clara von Catcallsofmainz so: „Wir wollen die Plattform sein, damit die Betroffenen sich selbst wehren können, aber es eben nicht selbst tun müssen.“
Dafür nehmen sie alle Einsendungen ernst. Das sind nicht wenige: Leonie von „Catcallsofnuernberg“ erzählt, dass sich allein dort in den vergangenen Jahren jeweils über 140 Betroffene gemeldet haben. Die Grenze ziehen die Aktivist:innen aber bei Seelsorgearbeit. „Wir können nicht Seelsorgearbeit leisten für jemanden, der Vergewaltigung oder Gewalt erfahren hat“, sagt Clara von Catcallsofmainz. In solchen Fällen verweisen sie auf Hilfsangebote, wie den Frauennotruf, mit dem sie in Mainz kooperieren.
Wie Passant:innen auf die Ankreidungen reagieren ist jedoch unterschiedlich. Eine Seniorin ist begeistert und schreibt in einer E‑Mail, sie hätte die letzten 60 Jahre gedacht, sie müsste sich das gefallen lassen. Aber es kommt auch vor, dass sich Passant:innen abfällig äußern oder die Ankreidungen entfernen. Deswegen gehen die Aktivist:innen normalerweise nicht alleine zum Ankreiden. Das ist aber nicht immer möglich, weil für die Menge an Aktionen oft auch die Leute fehlen.
Leonie ist seit 2019 bei „Catcallsofnürnberg“ dabei. Im Interview erzählt sie uns warum.
„Mir war das dann wichtig, dass andere Leute denen das passiert, eine Stimme bekommen.“
Leonie, Aktivistin bei Catcallsofnürnberg
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„Ich bin aber direkt zum Thema gekommen, weil es mir selbst öfter passiert ist. Und ich hatte auch eine Aktion, die relativ stark in der Diskussion stand auf dem Account.“ Mir war das dann so wichtig, dass dass man dafür eine Stimme bekommt. Das hatte ich selbst erwartet und nicht bekommen und das war dann der perfekte Anlass zu sagen, hey ok. Dann möchte ich das anderen Betroffenen zumindest geben können.“
In Deutschland gibt es bisher kein Gesetz, das Catcalling unter Strafe stellt. Strafbar wird Catcalling nur dann, wenn es noch andere Tatbestände erfüllt. Äußerungen, in der eine Person zu einem Sexualobjekt herabgewürdigt wird, können als Beleidigung angezeigt werden. Auch menschenverachtende Beweggründe bei einer Tat sind strafbar, wie explizit ein Geschlecht zu beleidigen.
Kommt es zu einer Ehrverletzung, ist das ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Seit 2016 ist in Deutschland die sexuelle Belästigung strafbar: Dafür muss aber eine körperliche Berührung stattgefunden haben. Die gibt es aber bei Catcalling normalerweise nicht. Wenn Catcalling unter keinen der anderen Tatbestände fällt, kann es bisher nicht strafrechtlich verfolgt werden. Es gibt in Deutschland also eine Gesetzeslücke.
Andere Länder haben das Problem erkannt und Catcalling in ihrer Rechtssprechung verankert. Diese Lösungen präsentieren einige andere Länder aus der EU:
Die Studentin Antonia Quell hat im Jahr 2020 eine Petition gestartet. Sie heißt „Es ist 2020. Catcalling sollte strafbar sein.“ Knapp 70.000 Personen haben sie unterschrieben. Antonia Quell möchte damit auf den nachlässigen Umgang mit verbaler sexueller Belästigung hinweisen und erreichen, dass Catcalling strafbar wird.
Da sie ihre Petition nicht auf der Seite des Bundestages gestartet hat, ist sie nicht rechtlich bindend. Für vergeblich hält sie ihre Petition aber nicht: Im Interview sagt sie, dass sie mit der Petition auch das Bewusstsein für das Thema Catcalling schärfen wollte. Sie sieht gute Chancen, aber rechnet damit, dass die Umsetzung dauern kann.
Frauen, die Catcalling, verbale oder sexuelle Gewalt erleben, können sich professionelle Hilfe holen. Zahlreiche Hilfetelefone bieten das kostenlos an. Eines davon ist der Frauennotruf München. Dahinter steckt ein gemeinnütziger Verein, der sich über Spenden finanziert. Melanie Schmalzl berät dort Betroffene.
„Ganz klar: Der Täter trägt die Verantwortung.“
Melanie Schmalzl, Frauennotruf München
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„Ganz klar: Der Täter trägt die Verantwortung, niemals die Betroffenen. Sie haben in keiner Art und Weise irgendeine Mitschuld oder Mitverantwortung – Das muss klar sein! Und das muss auch in der Gesellschaft ganz klar so angenommen sein und auch verbreitet werden.“
Aber Catcalling nur über Strafen zu bekämpfen, reicht nicht aus. Deswegen empfiehlt Sozialpädagoge Andreas Schmiedel das gesellschaftliche Problem auch über die Erziehung zu lösen. Das sei dann möglich, wenn die Erziehung von Kindern von Anfang an Gleichberechtigung auf vielen Ebenen vermittle. Also nicht-rassistische Erziehung und gleichberechtigte emanzipatorische Erziehung.
Dabei geht es für ihn auch um Empathie: Wie geht es der anderen Person, wenn ich mich entsprechend verhalte? Dabei muss für ihn klar zum Ausdruck kommen: Männer und Frauen haben die gleichen Rechte. Das heißt aber nicht, dass Männer keine Frauen mehr ansprechen dürfen, sondern, dass sich beide auch beim Flirten mit Respekt begegnen sollten.
Bündnis90/Die Grünen thematisieren Catcalling in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 explizit. Dort heißt es: „Verbale sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum wollen wir nicht hinnehmen und werden auch geeignete Ordnungsmaßnahmen prüfen.“ Die Partei möchte einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft und sieht es als letztes Mittel, dass Catcalling strafbar wird.
Noch nicht so konkret sehen die Positionen von SPD und FDP aus. Teile der SPD haben dazu 2021 einen Antrag gestellt, dass das Thema auf dem Bundesparteitag 2023 besprochen werden soll. Ihre Forderung: Eine Straf- oder Bußgeldnorm, die Catcalling unter Strafe stellt und eine umfassende Aufklärungskampagne. Die FDP hat zum Thema Catcalling aktuell keine Beschlusslage und sieht ein Problem darin, den Tatbestand abzugrenzen.
Bei der CDU/CSU und bei der Linken haben wir keine finale Antwort erhalten. Wir greifen hier deswegen zwei Zitate von Bundestagsabgeordneten heraus: Reinhard Brandl (CSU) schreibt, dass es mithilfe einer Form der Kriminalstatistik mehr Transparenz und Dokumentation bei frauenfeindliche Straftaten geben soll. Cornelia Möhring (Die Linke) schreibt, dass sie der Strafrechtsverschärfung kritisch gegenüberstehe und es Zweifel am Mittel gebe.
Die AfD hat gar nicht auf unsere Anfrage reagiert. Teile der Partei scheinen Catcalling auch nicht als Problem aufzufassen. So schreibt der Bundestagsabgeordnete Thomas Seitz unter der Petition von Antonia Quell: „Junge Männer müssen die Kontaktanbahnung mit jungen Frauen erst erlernen.“
Der Deutsche Juristinnenbund hat mehrere Forderungen, damit Catcalling strafbar wird: Verbale sexuelle Belästigungen soll künftig auch als Beleidigungen aufgefasst werden. Auch geschlechtsspezifische Beweggründe sollen explizit ergänzt werden. Der Deutsche Juristinnenbund möchte einen eigenen Straftatbestand oder eine Ordnungswidrigkeit für „unzumutbar aufgedrängte Sexualität“.
Lea Brugger
Layoutredaktion
Simon Mühlbacher
Textredaktion
Sarah Schreier
Layoutredaktion