Gans sicher
Sind Gänse die besseren Wachhunde?
Von Hannah Anhorn, Franziska Gömmel, Paul Schulz und Dominik Zarychta
Von Hannah Anhorn, Franziska Gömmel, Paul Schulz und Dominik Zarychta
Unser Zuhause ist uns heilig. Dort wollen wir uns sicher und geborgen fühlen. Um diese Sicherheit im eigenen Heim zu gewährleisten, rüsten viele ihr Haus mit Alarmanlagen aus oder schaffen sich einen Hund an. Es gibt aber noch ein anderes Wachtier, das Haus und Hof bewacht und sich durch nichts bestechen lässt: die Gans. Ob sich die vollgefederte, zweibeinige Alarmanlage gegen moderne Technik behaupten kann, haben wir in einem Praxistest herausgefunden.
Gänse und Sicherheit – eine Geschichte, die weit über 2.000 Jahre zurückreicht. Um Gänse, die zur Bewachung eingesetzt wurden, spannen sich viele Mythen und Erzählungen: Im antiken Rom sollen die Gänse vor nahenden Angreifern gewarnt haben, das US-Militär habe in den 80ern verstärkt auf die teilweise recht aggressiven Zweibeiner gesetzt, um das Außengelände von Militärstützpunkten zu bewachen. Im Inneren des Pentagons soll es Gerüchten zufolge bis heute Wachgänse geben. Belegen lässt sich all das nicht. Doch die Mythen um die heroischen Wachgänse halten sich hartnäckig. Vor allem, da die Gans mittlerweile tatsächlich als Wachtier eingesetzt wird. In China unterstützen Gänse die Polizei beispielsweise als Wachschutz an den Grenzen. In privaten Haushalten sind Wachgänse hingegen eher selten geworden. In Eigenheimen sind sie trotzdem noch anzutreffen – die gefiederten Lärmmacher.
Es ist still im Dorf Neuensee in Oberfranken. Das Wochenende ist da und wer nicht mit Heckenschneiden beschäftigt ist, sitzt zu Kaffee und Kuchen auf der Terrasse. So ruhig ist es aber nicht im ganzen Dorf. Zwischen Hühner- und Taubengehegen, Sitzbänken und hohen Zäunen ist einiges in Bewegung – es wird gewatschelt, das Gefieder geschüttelt und sich gebadet. Plötzlich wird die Idylle des Dorfes durch ein Gänseschnattern durchbrochen, welches ungefähr so laut wie eine Kreissäge werden kann. Dort hinten leben drei Gänsefamilien. Wer hier auch wohnt, ist Familie Scheumann. Sie haben allerlei Federvieh hinter ihrem Haus mitten in Oberfranken. In der Werkstatt auf der anderen Seite des Hofes klopft es metallisch. An die Geräusche haben sich die Gänse gewöhnt. Ein Geräusch kennen sie aber nicht – die Schritte der einsteins-Redakteurin. Sie sind irritiert, bleiben um jeden Preis wachsam.
Als Wachposten eignen sich Gänse gut, weil sie „besonders wachsam und sehr aggressiv“ sind, erklärt
Peter Berthold. Ihre Bisse seien schmerzhaft und könnten zu blutenden Wunden oder blauen Flecken führen. Außerdem können Gänse „sehr heftig mit den Flügeln schlagen“, sagt Berthold, „das tut schon weh, ähnlich wie ein Peitschenhieb“. Doch auch ihre familiäre Art mache Gänse zu guten Wachtieren: „Wo sie mehrere Jahre leben, verteidigen sie nicht nur ihre , sondern auch Haus und Hof“.Noch ist es ruhig im Gehege der Gänse, hier in Neuensee. Langsam watscheln sie durch ihr Gehege. Aber sie sind wachsam. Hin und wieder bleiben sie stehen, krümmen ihren langen Hals und zupfen mit ihren orangefarbenen Schnäbeln Gras aus der Erde. Es ist immer eine erwachsene Gans dabei, die auf ein Gössel aufpasst. Die Gänse-Eltern schauen immer wieder auf und mustern aufmerksam die Umgebung. Ihnen entgeht nichts. Sie sehen den Star, der in einer Ecke des Geheges auf dem Boden pickt. Sie recken sich, wenn sie fremde Stimmen hören. Wenn sich eine der Gänse putzt, hält die andere Ausschau. Ihre Gössel würden sie vor jedem verteidigen – sogar gegen Familie Scheumann, obwohl diese sie nur füttert und sogar auf sie aufpasst.
Die Erkenntnis, dass sich Gänse als Wachtiere eignen, ist keine Neuheit: Bereits in der Antike wusste man offenbar darum. Allerdings könne man nicht behaupten, dass die Gans in der Antike weit verbreitet als Wachtier genutzt wurde, erklärt Philipp Köhner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Alte Geschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Dafür sei die Quellenlage zu schwammig. Lediglich im Zusammenhang mit dem Mythos der kapitolinischen Gänse, die die Römer durch ihr Schnattern vor einem Angriff gewarnt haben sollen, thematisiert die antike Literatur Wachgänse.
Unter den kapitolinischen Gänsen versteht man die Gänse, welche zur Zeit der Antike, genauer gesagt um 387 v.Chr., im römischen Kapitol lebten. Der Geschichtsschreiber Livius berichtet von den „heiligen Gänsen der Göttin Juno“ – der Göttin der Lebenskraft. Ein Auszug: „[…] einer der Gallier hatte bei einem Rundgang einen verborgenen Zugang entdeckt. Dort stieg des Nachts eine Anzahl mutiger Männer hinauf, um die Römer im Schlafe zu überraschen. Schon waren sie lautlos bis an den Mauerrand vorgedrungen, und noch immer zeigte sich kein Posten auf dieser Seite. Da fingen die heiligen Gänse ängstlich an zu schnattern […]. Markus Manlius erwachte und stürzte eilig zu der unbewachten Stelle.“
Bei der Fütterung schnattern und zischen die Gänse wild durcheinander. Die Züchterin Roswitha Scheumann kommt im ärmellosen Blumenkleid auf das Gehege zu. In der Hand hat sie Salatköpfe. Die Gänsefamilie läuft aufgeregt schnatternd in ihre Richtung. Kommen sie wegen des Essens oder wollen sie ihr Revier verteidigen? Der
bäumt sich am Zaun auf. Er reckt den Hals nach oben, breitet seine Flügel aus und faucht zischend. Die Spannweite liegt bei circa eineinhalb Metern. Nicht nur die Fütterung löst das wilde Schnattern aus.Ihre Besitzerin steht jetzt nah am Zaun, dem Revier der Gänse. Roswitha murmelt beruhigend, doch der Ganter lässt sich davon nicht beeindrucken. Schwungvoll wirft sie den Salat über den Zaun und lässt die Gänsefamilie wieder in Frieden. Die Fütterung läuft nicht immer so friedlich ab. Es kommt nicht selten vor, dass Roswitha mit blauen Flecken und abgezogener Haut an ihren Armen aus dem Gehege kommt. Während die meisten Züchter Gänse halten, um sie nach einem Jahr zu schlachten, züchtet Familie Scheumann sie mit Ziel, so nah wie möglich an das Idealbild der fränkischen Landgans zu kommen. Das bedeutet, dass immer die „gelungenste“ Gans weitergezüchtet wird, um so hoffentlich in der nächsten Generation eine noch passendere Gans heranzuzüchten. Dass sie damit Tag und Nacht eine aktive Alarmanlage haben, welche den ganzen Hof bewacht, ist ein willkommener Nebeneffekt.
„Es wäre unvernünftig, darauf nicht zu reagieren.“
Andreas Scheumann
Doch auch wenn Gänse mittlerweile nicht mehr primär wegen ihrer Wachfunktion gehalten werden, profitieren Scheumanns davon. Roswithas Ehemann Andreas ist Hauptverantwortlicher für die Gänsezucht. Seine Familie und er achten auf die Warnzeichen der Gänse: „Wenn es entsprechend laute Geräusche sind, wir da sind und es uns zu ungewohnt vorkommt, schauen wir sicher mal nach, was da los ist. Es wäre ja unvernünftig, darauf nicht zu reagieren.“
Ob Gänse tatsächlich die vermeintlichen Ritter in schillernder Rüstung sind, haben sich auch die einsteins-Redakteur:innen gefragt. Kommen sie vielleicht sogar gegen eine hochmoderne Alarmanlage an? Um auf diese Fragen eine Antwort zu erhalten, hat sich Gänsezüchterfamilie Scheumann dazu bereiterklärt, ihren Hof als Testfeld zur Verfügung zu stellen. In einem Versuchs-Szenario soll auf den Hof eingebrochen werden.
Hannah Anhorn
Textredaktion, Social-Media-Redaktion
Franziska Gömmel
Redaktionsleitung
Paul Schulz
Layoutredaktion (CvD)
Dominik Zarychta
Textredaktion, Autor:innen-Gruppenleitung