Unser Zuhau­se ist uns hei­lig. Dort wol­len wir uns sicher und gebor­gen füh­len. Um die­se Sicher­heit im eige­nen Heim zu gewähr­leis­ten, rüs­ten vie­le ihr Haus mit Alarm­an­la­gen aus oder schaf­fen sich einen Hund an. Es gibt aber noch ein ande­res Wach­tier, das Haus und Hof bewacht und sich durch nichts bestechen lässt: die Gans. Ob sich die voll­ge­fe­der­te, zwei­bei­ni­ge Alarm­an­la­ge gegen moder­ne Tech­nik behaup­ten kann, haben wir in einem Pra­xis­test herausgefunden.

Gän­se und Sicher­heit – eine Geschich­te, die weit über 2.000 Jah­re zurück­reicht. Um Gän­se, die zur Bewa­chung ein­ge­setzt wur­den, span­nen sich vie­le Mythen und Erzäh­lun­gen: Im anti­ken Rom sol­len die Gän­se vor nahen­den Angrei­fern gewarnt haben, das US-Mili­tär habe in den 80ern ver­stärkt auf die teil­wei­se recht aggres­si­ven Zwei­bei­ner gesetzt, um das Außen­ge­län­de von Mili­tär­stütz­punk­ten zu bewa­chen. Im Inne­ren des Pen­ta­gons soll es Gerüch­ten zufol­ge bis heu­te Wach­gän­se geben. Bele­gen lässt sich all das nicht. Doch die Mythen um die heroi­schen Wach­gän­se hal­ten sich hart­nä­ckig. Vor allem, da die Gans mitt­ler­wei­le tat­säch­lich als Wach­tier ein­ge­setzt wird. In Chi­na unter­stüt­zen Gän­se die Poli­zei bei­spiels­wei­se als Wach­schutz an den Gren­zen. In pri­va­ten Haus­hal­ten sind Wach­gän­se hin­ge­gen eher sel­ten gewor­den. In Eigen­hei­men sind sie trotz­dem noch anzu­tref­fen – die gefie­der­ten Lärmmacher.

Es ist still im Dorf Neu­en­see in Ober­fran­ken. Das Wochen­en­de ist da und wer nicht mit Hecken­schnei­den beschäf­tigt ist, sitzt zu Kaf­fee und Kuchen auf der Ter­ras­se. So ruhig ist es aber nicht im gan­zen Dorf. Zwi­schen Hüh­ner- und Tau­ben­ge­he­gen, Sitz­bän­ken und hohen Zäu­nen ist eini­ges in Bewe­gung – es wird gewat­schelt, das Gefie­der geschüt­telt und sich geba­det. Plötz­lich wird die Idyl­le des Dor­fes durch ein Gän­se­schnat­tern durch­bro­chen, wel­ches unge­fähr so laut wie eine Kreis­sä­ge wer­den kann. Dort hin­ten leben drei Gän­se­fa­mi­li­en. Wer hier auch wohnt, ist Fami­lie Scheu­mann. Sie haben aller­lei Feder­vieh hin­ter ihrem Haus mit­ten in Ober­fran­ken. In der Werk­statt auf der ande­ren Sei­te des Hofes klopft es metal­lisch. An die Geräu­sche haben sich die Gän­se gewöhnt. Ein Geräusch ken­nen sie aber nicht – die Schrit­te der ein­steins-Redak­teu­rin. Sie sind irri­tiert, blei­ben um jeden Preis wachsam.

Wach­sam und schmerzhaft

Als Wach­pos­ten eig­nen sich Gän­se gut, weil sie „beson­ders wach­sam und sehr aggres­siv“ sind, erklärt Orni­tho­lo­ge Peter Bert­hold. Ihre Bis­se sei­en schmerz­haft und könn­ten zu blu­ten­den Wun­den oder blau­en Fle­cken füh­ren. Außer­dem kön­nen Gän­se „sehr hef­tig mit den Flü­geln schla­gen“, sagt Bert­hold, „das tut schon weh, ähn­lich wie ein Peit­schen­hieb“. Doch auch ihre fami­liä­re Art mache Gän­se zu guten Wach­tie­ren: „Wo sie meh­re­re Jah­re leben, ver­tei­di­gen sie nicht nur ihre Gössel, son­dern auch Haus und Hof“.

Noch ist es ruhig im Gehe­ge der Gän­se, hier in Neu­en­see. Lang­sam wat­scheln sie durch ihr Gehe­ge. Aber sie sind wach­sam. Hin und wie­der blei­ben sie ste­hen, krüm­men ihren lan­gen Hals und zup­fen mit ihren oran­ge­far­be­nen Schnä­beln Gras aus der Erde. Es ist immer eine erwach­se­ne Gans dabei, die auf ein Gössel auf­passt. Die Gän­se-Eltern schau­en immer wie­der auf und mus­tern auf­merk­sam die Umge­bung. Ihnen ent­geht nichts. Sie sehen den Star, der in einer Ecke des Gehe­ges auf dem Boden pickt. Sie recken sich, wenn sie frem­de Stim­men hören. Wenn sich eine der Gän­se putzt, hält die ande­re Aus­schau. Ihre Gössel wür­den sie vor jedem ver­tei­di­gen – sogar gegen Fami­lie Scheu­mann, obwohl die­se sie nur füt­tert und sogar auf sie aufpasst.

Lau­te Gän­se – est. 387 v. Chr.

Die Erkennt­nis, dass sich Gän­se als Wach­tie­re eig­nen, ist kei­ne Neu­heit: Bereits in der Anti­ke wuss­te man offen­bar dar­um. Aller­dings kön­ne man nicht behaup­ten, dass die Gans in der Anti­ke weit ver­brei­tet als Wach­tier genutzt wur­de, erklärt Phil­ipp Köh­ner, wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter am Lehr­stuhl für Alte Geschich­te an der Katho­li­schen Uni­ver­si­tät Eich­stätt-Ingol­stadt. Dafür sei die Quel­len­la­ge zu schwam­mig. Ledig­lich im Zusam­men­hang mit dem Mythos der kapi­to­li­ni­schen Gän­se, die die Römer durch ihr Schnat­tern vor einem Angriff gewarnt haben sol­len, the­ma­ti­siert die anti­ke Lite­ra­tur Wachgänse.

Kapi­to­li­ni­sche Gänse

Unter den kapi­to­li­ni­schen Gän­sen ver­steht man die Gän­se, wel­che zur Zeit der Anti­ke, genau­er gesagt um 387 v.Chr., im römi­schen Kapi­tol leb­ten. Der Geschichts­schrei­ber Livi­us berich­tet von den „hei­li­gen Gän­sen der Göt­tin Juno“ – der Göt­tin der Lebens­kraft. Ein Aus­zug: „[…] einer der Gal­li­er hat­te bei einem Rund­gang einen ver­bor­ge­nen Zugang ent­deckt. Dort stieg des Nachts eine Anzahl muti­ger Män­ner hin­auf, um die Römer im Schla­fe zu über­ra­schen. Schon waren sie laut­los bis an den Mau­er­rand vor­ge­drun­gen, und noch immer zeig­te sich kein Pos­ten auf die­ser Sei­te. Da fin­gen die hei­li­gen Gän­se ängst­lich an zu schnat­tern […]. Mar­kus Man­li­us erwach­te und stürz­te eilig zu der unbe­wach­ten Stelle.“

Bei der Füt­te­rung schnat­tern und zischen die Gän­se wild durch­ein­an­der. Die Züch­te­rin Ros­wi­tha Scheu­mann kommt im ärmel­lo­sen Blu­men­kleid auf das Gehe­ge zu. In der Hand hat sie Salat­köp­fe. Die Gän­se­fa­mi­lie läuft auf­ge­regt schnat­ternd in ihre Rich­tung. Kom­men sie wegen des Essens oder wol­len sie ihr Revier ver­tei­di­gen? Der Ganter bäumt sich am Zaun auf. Er reckt den Hals nach oben, brei­tet sei­ne Flü­gel aus und faucht zischend. Die Spann­wei­te liegt bei cir­ca ein­ein­halb Metern. Nicht nur die Füt­te­rung löst das wil­de Schnat­tern aus. 

Ihre Besit­ze­rin steht jetzt nah am Zaun, dem Revier der Gän­se. Ros­wi­tha mur­melt beru­hi­gend, doch der Ganter lässt sich davon nicht beein­dru­cken. Schwung­voll wirft sie den Salat über den Zaun und lässt die Gän­se­fa­mi­lie wie­der in Frie­den. Die Füt­te­rung läuft nicht immer so fried­lich ab. Es kommt nicht sel­ten vor, dass Ros­wi­tha mit blau­en Fle­cken und abge­zo­ge­ner Haut an ihren Armen aus dem Gehe­ge kommt. Wäh­rend die meis­ten Züch­ter Gän­se hal­ten, um sie nach einem Jahr zu schlach­ten, züch­tet Fami­lie Scheu­mann sie mit Ziel, so nah wie mög­lich an das Ide­al­bild der frän­ki­schen Land­gans zu kom­men. Das bedeu­tet, dass immer die „gelun­gens­te“ Gans wei­ter­ge­züch­tet wird, um so hof­fent­lich in der nächs­ten Gene­ra­ti­on eine noch pas­sen­de­re Gans her­an­zu­züch­ten. Dass sie damit Tag und Nacht eine akti­ve Alarm­an­la­ge haben, wel­che den gan­zen Hof bewacht, ist ein will­kom­me­ner Nebeneffekt.

„Es wäre unver­nünf­tig, dar­auf nicht zu reagieren.“ 

Andre­as Scheumann

Doch auch wenn Gän­se mitt­ler­wei­le nicht mehr pri­mär wegen ihrer Wach­funk­ti­on gehal­ten wer­den, pro­fi­tie­ren Scheu­manns davon. Ros­wi­t­has Ehe­mann Andre­as ist Haupt­ver­ant­wort­li­cher für die Gän­se­zucht. Sei­ne Fami­lie und er ach­ten auf die Warn­zei­chen der Gän­se: „Wenn es ent­spre­chend lau­te Geräu­sche sind, wir da sind und es uns zu unge­wohnt vor­kommt, schau­en wir sicher mal nach, was da los ist. Es wäre ja unver­nünf­tig, dar­auf nicht zu reagieren.“

Ob Gän­se tat­säch­lich die ver­meint­li­chen Rit­ter in schil­lern­der Rüs­tung sind, haben sich auch die einsteins-Redakteur:innen gefragt. Kom­men sie viel­leicht sogar gegen eine hoch­mo­der­ne Alarm­an­la­ge an? Um auf die­se Fra­gen eine Ant­wort zu erhal­ten, hat sich Gän­se­züch­ter­fa­mi­lie Scheu­mann dazu bereit­erklärt, ihren Hof als Test­feld zur Ver­fü­gung zu stel­len. In einem Ver­suchs-Sze­na­rio soll auf den Hof ein­ge­bro­chen werden.

Wer schlägt bes­ser und schnel­ler an? Gans oder Alarm­an­la­ge? Die Ant­wort und auf wel­che uner­war­te­ten Pro­ble­me unse­re Redakteur:innen beim Test gesto­ßen sind, erfahrt ihr im Video.

Han­nah Anhorn
Text­re­dak­ti­on, Social-Media-Redaktion

Fran­zis­ka Göm­mel
Redak­ti­ons­lei­tung

Paul Schulz
Lay­out­re­dak­ti­on (CvD)

Domi­nik Zarych­ta
Text­re­dak­ti­on, Autor:innen-Gruppenleitung