Error 599 – Bunker not found
Wie Deutschland seine Bunker verlor und wir uns im Bunker.
von Mai-Charlott Heinze, Michelle Milewski, Sarah Schreier, Lukas Verdross und Thorge Wulff
Quelle: Historischer Verein Ingolstadt, Maximilian Schuster
von Mai-Charlott Heinze, Michelle Milewski, Sarah Schreier, Lukas Verdross und Thorge Wulff
Täglich erreichen uns Bilder aus der Ukraine. Menschen sitzen in U‑Bahn-Stationen und Kellern. Warten darauf, dass der Krieg vorbei ist. Aber wie sieht die Schutzraumsituation eigentlich in Deutschland aus? Gibt es überhaupt noch Bunker und wer ist für sie zuständig? Und die wichtigste Frage: Wo ist der nächste Bunker in meiner Nähe?
In Deutschland gibt es 12.829 Hotels. Darin könnte jede:r 46-ste Deutsche gleichzeitig übernachten. 58.500 Kitas bieten bundesweit Platz für etwa 3,7 Millionen Kinder. Schutzräume gibt es aber nur 599 in ganz Deutschland. Sie bieten Platz für 488.089 Personen. Das wäre jede:r 170-ste Deutsche. Zu wenig für ein Land mit 83 Millionen Einwohner:innen?
Wenn wir an Bunker in Deutschland denken, fallen uns Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg ein, die wir aus der Schule oder Nachkriegsfilmen kennen. Menschen sitzen eng zusammengepfercht in dunklen, kalten Kellern – das Ziel: Hauptsache überleben. Diese Bunker gibt es heute nicht mehr.
Später, im Kalten Krieg, wurden neue
zum Schutz der Bevölkerung gebaut. Doch heute sind die meisten Anlagen aus dem Kalten Krieg nicht mehr zu gebrauchen. Nach dem Fall der Sowjetunion verloren die Schutzräume stark an Bedeutung und ihre Instandhaltung sank in der Priorität. Das ging so weit, dass 2007 Bund und Länder beschlossen, die öffentlichen Schutzanlagen nicht mehr weiter zu erhalten. Betreut mit der Rückabwicklung wurden dafür das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und seit 2020 die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben .Seitdem wurden die meisten der ehemals 2.000 Anlagen verkauft oder zurückgebaut. Übrig blieben nur 599 Schutzräume bundesweit, die heute noch „formal dem
sind, teilt das BBK mit. Weiter heißt es: „Mit dem Fall der Mauer und der Beendigung des Ost-West-Konflikts schien das Szenario eines konventionellen Krieges nicht mehr zeitgemäß.“Nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs scheint ein „konventioneller Krieg“ aber auch in Deutschland gar nicht mehr so unwahrscheinlich. Das BBK sagt hierzu, dass aufgrund der geänderten Angriffsszenarien neue „konzeptionelle Überlegungen für den physischen Schutz der Bevölkerung“ stattfinden. Das bedeutet, dass die Rückabwicklung der Bunker vorerst gestoppt ist. Auch prüft die BImA momentan die noch verbliebenen Schutzräume und untersucht, ob es möglich wäre, viele der inaktiven Schutzräume zu reaktivieren. Außerdem führt das BBK aktuell ein Forschungsprojekt durch, bei dem innovative Schutzkonzepte entwickelt werden.
In Ostdeutschland sieht es besonders schlecht aus: Dort gibt es offiziell gar keine öffentlichen Schutzräume mehr. Zumindest keine, die der Zivilschutzbindung unterliegen. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden die ehemaligen
nicht mit in das gesamtdeutsche Schutzkonzept übernommen.Es gibt keine öffentliche Liste, wo im Krisenfall der nächste Bunker ist. Aus Sicherheitsgründen werden die genauen Standorte nicht gesammelt bekannt gegeben. Bei Bedarf wären die Kommunen für die Veröffentlichung und Verteilung der Bunker-Plätze zuständig. Wie gut das System im Ernstfall funktionieren würde, lässt sich nicht sagen. Detaillierte Listen zu Schutzräumen werden als Hobbyprojekte, von Bunkerfreund:innen und ehrenamtlichen Vereinen erstellt. Kleinere Regionalzeitungen berichten über Bunker in ihren Landkreisen – wenn es denn welche gibt.
In der Region Oberbayern befinden sich laut Angaben der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben noch 59 Bunker- und Schutzanlagen, auf die der Bund im Notfall zurückgreifen kann. Diese stehen unter anderem in den Landkreisen München, Rosenheim und Starnberg.
Nur weil der Bund auf diese 59 Anlagen zurückgreifen kann, heißt das nicht, dass sie im Ernstfall wirklich als Schutzraum zu gebrauchen wären. Viele der Bunker sind baufällig und haben nicht mehr die nötige Ausstattung, um in einer Krise zu schützen. Dies bestätigen auch BImA und BBK.
Aktive und funktionstüchtige Anlagen gibt es nur wenige in Oberbayern. So teilt der Katastrophenschutzbeauftragte des Landkreises Traunstein auf Anfrage mit, dass nur ein einziger Schutzraum benutzbar sei. Die Stadt Rosenheim hat gleich drei und auch in Freising gibt es noch sechs einsetzbare Schutzräume.
Andere Landkreise verweisen nach Anfrage auf das BBK oder die BImA. Diese berufen sich auf die Geheimhaltung und verweigern nähere Auskünfte. Manche Landratsämter scheinen nicht mal zu wissen, wer denn eigentlich für die Bunker zuständig ist. Sie verweisen teils auf die Zuständigkeit der Regierung von Oberbayern, doch die erklärt: „Die Katastrophenschutzplanung ist Aufgabe der jeweiligen Kreisverwaltungsbehörden.“ Die
werden hin und her geschoben.Viele der ehemaligen Schutzräume befinden sich nach der Rückabwicklung mittlerweile in Privateigentum. Andere sind heute Mehrzweckhallen, Lagerräume oder Museen. So war Schloss Zinneberg in Ebersberg früher ein unterirdisches Hilfskrankenhaus und die Ingolstädter Tiefgarage am Theater war mal einer der größten Schutzräume Europas.
Also wohin, wenn es ernst wird? In den Keller? Oder sollte man lieber die alten Schutzräume aus dem Kalten Krieg reaktivieren? Realistischer ist tatsächlich die erste Variante. Denn unsere heutige
würde im Krisenfall gar nicht mal schlecht schützen. Das BBK gibt an, dass die Bundesrepublik heute flächendeckend über eine Bausubstanz verfügt, „die unter bestimmten Voraussetzungen bereits einen signifikanten Schutz vor dem Einsatz von Kriegswaffen bieten kann.“ U‑Bahn-Stationen, Tiefgaragen und Kellerräume bieten demnach bereits einen , falls keine Bunker verfügbar sein sollten.Doch wie sieht das Sicherheitskonzept in den einzelnen Landkreisen genau aus? Wir schauen uns dafür den Landkreis Eichstätt an. Beim Anruf im Landratsamt kommt raus, dass es in Eichstätt noch drei Bunker gibt. Diese befinden sich allerdings in privater Hand und haben demnach keine Relevanz für die Öffentlichkeit. Außerdem erklärt man uns, dass keine Notfallpläne für Schutzplätze existieren. Stattdessen verweist man auf Nachfrage auf alternative Schutzräume. Einer davon wäre die Tiefgarage in der Pedettistraße 4, im Zentrum Eichstätts. Diese wird von den Stadtwerken Eichstätt betrieben. Zeit, sich die Alternative genauer anzusehen.
Kaum drinnen, riecht es nach Abgasen und abgestandener Luft. Zigarettenkippen liegen in den Parkbuchten. Die ehemals weiß gestrichenen Beton- und Steinwände sind geschwärzt von Ruß. Neonröhren flackern. Das Notausgangsschild blinkt traurig, wenn der Bewegungsmelder ausgeht. Die sechs unterirdischen Parkebenen sind jeweils etwa 2,50 Meter hoch. Allerdings reicht bis in die vierte Parkebene ein Schacht, sodass sich lediglich die untersten zwei Etagen im Krisenfall als Schutzplatz eignen würden. Hier sind die Wände tatsächlich massiv und wirken stabil.
Trotzdem stellt sich kein Sicherheitsgefühl ein. Allein schon deshalb nicht, weil es an wichtiger Notfalltechnik fehlt, so wie es wohl in den allermeisten alternativen Schutzanlagen der Fall ist. Schließlich werden Vorräte und Trinkwasser in U‑Bahn-Stationen nur selten gelagert. Und die wenigsten Keller haben einen Luftfilter. Damit würden sie bei chemischen oder nuklearen Angriffen überhaupt keinen Schutz bieten. Und wohin gehen die vielen Menschen, die keinen Keller haben? Sie wären im Notfall auf den Bund angewiesen. Und ob die Schutzräume, die noch dem Bund gehören tatsächlich funktionstüchtig sind, wird sich hoffentlich niemals zeigen müssen.
Mai-Charlott Heinze
Textredaktion, Social-Media-Redaktion, Autor:innen-Gruppenleitung
Michelle Milewksi
Layoutredaktion
Sarah Schreier
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Lukas Verdross
Textredaktion (CvD)
Thorge Wulff
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