Die neun Pinguine stehen stumm und konzentriert in einer Reihe. Jeder hält ein silbernes Tablett mit feinstem Räucherlachs darauf. Ein zehnter Pinguin klatscht in die Hände. Der Frack wird noch einmal glatt gestrichen, die Schultern nach hinten gestreckt, dann setzt sich die Reihe in Bewegung. Nur nichts fallen lassen. Der Prüfer hat seine Augen überall.
Einer der Pinguine ist Karsten Lachmann. Der gelernte Koch, Konditor und Hotelkaufmann arbeitet für den Fußballverein Arminia Bielefeld in der VIP-Betreuung. Er reist viel, lernt interessante Menschen kennen. Doch die Arbeit macht den 42-jährigen Bielefelder nicht glücklich. Er wünscht sich einen einzigen Vorgesetzten. Für ihn möchte Lachmann da sein, Tag und Nacht, sieben Tage in der Woche. Er möchte Butler werden.
Tisch decken mit dem Meterstab
Es ist Prüfungstag an der Internationalen Butlerakademie im holländischen Zeist. Die neun Anwärter erhalten die Aufgabe, bis zum Abend ein Dinner vorzubereiten. Die Gäste: dreizehn Kandidatinnen für die Wahl zur Miss Holland 2009. „Ein Dinner vorzubereiten, und dann auch noch für so viele Gäste, das kann schon den ganzen Tag in Anspruch nehmen“, erzählt Robert Wennekes, Gründer der Butlerakademie. „Da gehört viel mehr dazu als nur Gläser polieren.“
Lachmann kniet vor dem langen Festmahltisch, einen Meterstab in der Hand. Damit misst er die Abstände zwischen Tischkante und Teller, zwischen Teller und Messer und zwischen Messer und Gabel. Jeder Abstand ist millimetergenau vorgeschrieben und muss stimmen. Sonst ist Chief Butler Wennekes nicht zufrieden. „Was ist falsch an diesen beiden Tellern?“, fragt Wennekes den Butleranwärter. Lachmann rückt seine Brille zurecht und betrachtet die beiden Teller ganz genau, bis sie seine Nase fast berühren. Der Chief Butler hilft ihm. „Die Verzierungen auf den Tellern schauen nicht in eine Richtung. Es muss eine Linie bestehen, der gedeckte Tisch muss zum Essen einladen. Sonst ist die ganze Arbeit umsonst.“ „Jawohl, Sir“.
Hausherr gesucht
Die Ausbildung an der Butlerakademie dauert acht Wochen, Kosten: 12 500 Euro. Nach einem erfolgreichen Abschluss kann sich der Butler seinen Hausherrn oder seine Familie auswählen. Jahresgehalt: Minimum 50 000 Euro. Robert Wennekes bekommt regelmäßig Anfragen aus der ganzen Welt. „Die Entscheidung fällt dem Butler oft nicht leicht. Schließlich ist es eine Entscheidung über das restliche Leben“, erzählt Wennekes. „Der Butler bleibt zunächst ein Jahr bei seinem Hausherrn. Er muss den Rhythmus der Familie kennen lernen. Gibt es keine Probleme nach dieser Zeit, bleibt der Butler im Normalfall bis zum Ruhestand in der Familie.“
Seit der Gründung im Jahr 2000 hat Wennekes 200 Butler ausgebildet, nur wenige bestehen die Prüfung nicht. Zwanzig Prozent der Anwärter sind Frauen. „Das Berufsbild hat sich verändert. Ein Butler ist heute mehr ein Manager. Er ist ein Familienmitglied, das sich mit Wein auskennt, die Kleider wäscht und auf die Kinder aufpasst.“ Eine Aufnahmeprüfung gibt es nicht. „Jeder kann sich anmelden. Das muss man für sich selbst entscheiden. Man muss dieses Gefühl haben, für seinen Beruf zu leben, jemand anderen immer wichtiger zu finden als sich selbst.“
Die acht Wochen an der Akademie verlangen Ehrgeiz und Ausdauer von den Anwärtern. Sie haben kein freies Wochenende, müssen nach langen Theorie- und Praxistagen zusätzliche Hausaufgaben erledigen. Doch das macht Karsten Lachmann nichts aus. „Freizeit habe ich zwar keine, aber ich vermisse sie auch gar nicht. Wenn ich mal einen Tag frei habe, dann erlebe ich diese Zeit einfach intensiver als andere Menschen“, erzählt er. „Ebenso wenig vermisse ich es, eine Familie zu haben.“
Achtung Lippenstift
Der Tisch für das Festmahl ist mittlerweile fast fertig gedeckt, da hat Wennekes eine Überraschung für die Anwärter. Statt der geplanten dreizehn Gäste kommen nur noch zwölf zu Besuch. Das wirft den ganzen Plan durcheinander. Der Tisch muss neu ausgemessen werden. Arbeiten unter Zeitdruck, in drei Stunden kommen die Gäste. Wennekes hat diese Situation geplant. Er möchte sehen, wie seine Anwärter unter Stress reagieren. „Es ist ein Rollenspiel. Die Anwärter müssen lernen, schnell und effektiv zu arbeiten.“ Wennekes greift in seine Tasche und holt eine goldene Taschenuhr heraus. „Noch fünfzehn Minuten Gentlemen. Es muss perfekt sein.“
Lachmann beginnt zu schwitzen, seine Brille rutscht immer wieder von seiner Nase. Der Chief Butler ist mit den polierten Weißweingläsern nicht zufrieden. Auf einem findet er Lippenstiftabdrücke. „Gentlemen, so etwas darf nicht passieren“, sagt er und schaut die Anwärter der Reihe nach an. „Jawohl, Sir“. Lachmann nimmt eine Taschenlampe und leuchtet jedes einzelne Glas nach Abdrücken ab. Seine Kollegen messen währenddessen den Abstand zwischen Tischkante und Stuhllehne.Dann ist der Tisch gedeckt.
Es ist 7 Uhr. Das Licht wird gedämpft, Kerzen angezündet. Im Hintergrund spielt die Wassermusik von Georg Friedrich Händel. Aus dem Treppenhaus hallen Stöckelschuhe und Frauenlachen in den Vorbereitungsraum der Anwärter. Lachmann und seinen Kollegen ist die Anspannung nicht anzusehen. Keiner sagt einen Ton. Stattdessen wird mit den Fingern gezeigt, wo welcher Anwärter zu stehen hat. Dann klatscht der Chief Butler in die Hände, die neun Anwärter ziehen ihre schneeweißen Handschuhe an, nehmen ein Tablett in die Hand. Wennekes klatscht noch einmal, die Reihe setzt sich in Bewegung. Die Gäste im Festsaal kichern, als die Anwärter einen Gang nach dem anderen servieren: Räucherlachs, Kartoffelcreme mit gebackenem Kalb, Limonensorbet mit Früchten, Rind mit Knoblauchbrot, Tiramisu mit Espressosirup. Alles ist genau vorgegeben. Wie der Deckel vom Teller hochgehoben wird, nach wie vielen Sekunden die Anwärter die Teller vom Tisch nehmen. Lachmann ist konzentriert, die Haltung gestreckt.
Am Ende des Abends lässt sich Lachmann im Vorbereitungsraum auf einen Stuhl fallen. Erschöpft lässt er die Schultern hängen. Er zieht seine schneeweißen Handschuhe aus und lächelt. „Den einen oder anderen Fehler hab ich schon gemacht. Aber jetzt fällt die Anspannung ab.“