Der Konsum-Kenner

Ferrari oder Mercedes? Wahl oder Qual? Auf den Luxusmärkten dieser Welt tummeln sich trotz Wirtschaftskrise mehr vermögende Menschen als je zuvor. Doch wohin mit der ganzen Kaufkraft? Mit dieser Frage verdienen Luxusforscher wie Klaus Heine ihr Geld. Ein Gespräch über Gucci-Typen, neureiche Chinesen, Luxus als Massenware und einen wirklich krisensicheren Job.

Geiz ist nicht geil: Zumindest nicht für die weltweit 10 Millionen vermögenden Menschen, die der World Wealth Report 2008 gezählt hat – allein in Deutschland leben mehr als 800.000 Millionäre. Mittlerweile beschäftigen sich sogar Wissenschaftler mit dem Kaufverhalten der Reichen. Klaus Heine ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Marketing-Lehrstuhl der Technischen Universität Berlin und versucht dem Luxus auf die Schliche zu kommen. Nicht einfach, denn was ist überhaupt Luxus? Eine klare Definition gibt es noch nicht.

,,Zunächst einmal bedeutet Luxus ganz einfach ,,mehr als notwendig und gewöhnlich“ – dieses grundlegende Verständnis teilen alle“, sagt der Diplom-Kaufmann. Doch zwischen den Fachrichtungen gehen die Meinungen weit auseinander. Während sich Soziologen und Philosophen eher damit beschäftigen, wie sich Luxus mit der Zeit verändert oder welchen Stellenwert er in einer Gesellschaft einnimmt, befassen sich Heine und seine Kollegen mit dem betriebswirtschaftlichen Verständnis: ,,Ich beschäftige mich nur mit Luxusprodukten wie einem Porsche oder einem Louis-Vuitton-Täschchen, die zur relativ überschaubaren Luxusbranche gehören.“

Vom Statusdenken zur Selbstverwirklichung

Wer, wann und warum zum Geldbeutel greift, um sich einen solchen Luxusartikel zu kaufen, darum geht es in der neuesten Luxusstudie. In Zusammenarbeit mit Lehrstuhlinhaber Volker Trommsdorff hat Heine rund 2000 Luxuskonsumenten nach ihren Kaufmotiven befragt. Früher spielte bei der Anschaffung von teuren Produkten vor allem soziales Statusdenken eine wichtige Rolle – Luxuskäufe dienten dazu, den eigenen Reichtum zu demonstrieren. In Zeiten des Postmaterialismus, wo es dem Einzelnen zunehmend darum geht, die eigene Persönlichkeit zu verwirklichen, werden persönliche Motive immer wichtiger.

Obwohl also Kundenwünsche gerade im Luxusbereich immer individueller werden, gibt es keinen typischen Luxuskonsumenten. Ganz im Gegenteil: Die Studie hat geszeigt, dass eine ganze Reihe unterschiedlicher Typen existiert, die sich nicht nur optisch ähneln, sondern auch Werte und Einstellungen miteinander teilen.

 

Herr Heine, in ihrer Studie versuchen Sie Konsumenten in Kategorien einzuteilen, je nachdem, ob sie sich zum Beispiel eher einen Porsche oder einen Mercedes kaufen würden. Welche Typen lassen sich denn nun unterscheiden?

Ganz prägend ist ein sehr traditioneller Luxustyp. Bei diesen Konsumenten sind beliebte Marken typischerweise Hermès oder englische Marken wie zum Beispiel Hackett, aber durchaus auch Audi. Die genannten Modemarken verkörpern eher traditionelle Werte. Ihr zeitlicher Anker liegt also eher in der Vergangenheit als in der Zukunft. Traditionelle Konsumenten sind außerdem sehr produktorientiert, entscheiden sich also vor allem für einzelne Produkte und nicht wie andere grundsätzlich für Marken. Sie würden also nicht unbedingt eine Brillantuhr tragen, sondern es geht ihnen eher um Understatement. Diese dezente Form des Konsums passt ganz gut zu Audi – Ferrari dagegen ginge auf keinen Fall. Häufig sind das adlige Leute, denen Anstand und Höflichkeit, aber auch Pflichtbewusstsein und Disziplin wichtig sind.

 

Gibt es einen Typen, der diesem völlig entgegensteht?

Ja, nicht ganz überraschend ist das der moderne Luxustyp, die „Leistungsorientierten Individualisten“. Sie sind zukunftsorientiert, teilweise sogar exzentrisch. Diesem Typ geht es darum Neues auszuprobieren, innovativ oder schräg zu sein. Zu ihren bevorzugten Marken gehören dann unter anderem Moschino, Dolce&Gabbana oder etwa auch Hugo Boss.

Während man auf der Webseite von Louis Vuitton relativ schnell mit dem Gründungsjahr der Marke vertraut gemacht wird, findet man bei Hugo Boss keine Informationen zur Geschichte. Marken wie Hugo Boss und Jil Sander wurden nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet und können oder wollen mit ihrer Historie nicht wuchern. Ihr zeitlicher Anker liegt eher in der Zukunft. Moderne Konsumenten sind tendenziell weniger dezent. Sie zeigen ganz selbstverständlich ihren Wohlstand.

 

Gab es auch Überraschungen, auf die Sie erst im Verlauf der Studie gestoßen sind?

Ja, denn bei Luxus denkt man ja zunächst an Reichtum, Leistung und so weiter. Und natürlich ist es so, dass genau das wesentliche Luxuswerte sind. Die Studie hat aber gezeigt, dass es auch Luxusgüterkonsumenten gibt, die mit Macht- und Leistungsdenken wenig anfangen können und stattdessen Werte wie Naturverbundenheit, Umweltschutz oder soziale Gerechtigkeit als wichtig empfinden. Dazu gehören zum Beispiel die „Kreativen Intellektuellen“.
 

Ein Großteil dieser Konsumenten hat seinen Wohlstand geerbt, selbst hätten sie vielleicht nicht unbedingt nach Reichtum gestrebt. Zum Beispiel haben wir ein Interview mit einer Dame durchgeführt, die die Firma ihres Mannes übernommen hat und damit ein Vermögen von etwa sieben Millionen Euro. Sie arbeitet hart, aber Schwerpunkt in ihrem Leben ist neben ihrer Familie das Wohlergehen und die Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter. Sie kauft Luxusprodukte vor allem wegen ihrer Qualität, auch aus Konformitätsgründen. Luxusprodukte sind ihr aber nicht wichtig. Sie hat sogar Probleme bei der Aussprache von Louis Vuitton.

 
Konnten Sie denn nun die DNA des deutschen Luxus entschlüsseln?

Naja, mit DNA von Luxus oder von Luxusprodukten meint man zunächst schlicht deren notwendige Eigenschaften. Wir beschäftigen uns mit Absicht nicht einfach mit Millionären, denn finanzieller Reichtum heißt nicht unbedingt zwingend, dass man auch viele Luxusprodukte konsumiert. Wir betreiben also keine Reichenforschung, sondern untersuchen den Luxusproduktkonsum.

Die Befragungsteilnehmer wurden zu ihrer Wahrnehmung von Luxusmarken befragt. Dadurch haben wir sechs Merkmale von Luxusprodukten bestimmt, also zum Beispiel Preis, Qualität, Außergewöhnlichkeit und so weiter. Damit lassen sich Luxusprodukte von Nicht-Luxusprodukten abgrenzen. Es eignet sich aber auch als eine Art Bauplan. Man versteht damit zum Beispiel, wie man aus einem ollen Schrank ein Luxusschrank macht oder aus einem normalen Glas ein Luxusglas

 
Alle Typen für sich haben eigene Motive, weshalb sie sich für den Kauf von Luxusgütern entscheiden. In der Studie werden diese nach rationalen, sozialen und  persönlichen Gründen aufgeteilt. Zu welcher Gruppe gehören denn die meisten Luxuskonsumenten?

Das ist schwer zu sagen. Die rein rationalen Gründe würde ich erstmal ausklammern. Denn wenn Luxuskäufe rational wären, dann könnte ich mein Geld ja auch einfach irgendwo anlegen. Mit jemand, der Kunst rein aus Investitionsgründen kauft, beschäftigen wir uns in der Studie nicht.

Wir konzentrieren uns also auf die sozialen und persönlichen Motive. Früher dachte man, dass eigentlich nur die sozialen Motive relevant sind. Eine große Luxuswelle in der bürgerlichen Welt ermöglichte die Industrialisierung vor mehr als 100 Jahren. Den Leuten ging es verständlicherweise erst mal darum, ihr Geld und ihren Erfolg durch möglichst teure Produkte mit großem Label zu zeigen.

Ein klassisches soziales Motiv ist zum Beispiel der Snob-Konsum. Snobs kaufen ein Auto vor allem dann, wenn es sich wegen des hohen Preises möglichst wenige andere leisten können. Für die Firmen heißt das: Je teurer ein Produkt ist, desto höher ist die Nachfrage danach. Das ist genau umgekehrt als bei den Massengütern.

 

Heutzutage spielt die Schichtzugehörigkeit aber doch eine wesentlich kleinere Rolle als früher. Begünstigt das die persönlichen Motive? 

Einzigartigkeit und Abgrenzung sind grundlegende Bedürfnisse aller Menschen, egal in welcher Zeit wir leben, Menschen wollen sich immer von anderen Menschen in irgendeiner Weise abgrenzen. Die sozialen Motive bleiben also relevant. Gleichzeitig werden die persönlichen Motive durch den Trend zur Selbstverwirklichung wichtiger. Dieser Trend bedingt auch, dass vielen Menschen weniger wichtig ist, was andere von ihnen denken. Das erinnert an den typischen Berlin-Lifestlye. Solche Konsumenten entscheiden sich für Produkte, die vor allem ihrer eigenen Idee der Welt entsprechen. Die Übereinstimmung mit der eigenen Persönlichkeit ist besonders wichtig. Dahinter steht auch das Konzept der Marke als Beziehungspartner. Also ganz märchenhaft ausgedrückt bedeutet das, dass wir ins KaDeWe laufen und nicht Produkte, sondern Freunde suchen, deren Werte und Persönlichkeit uns entsprechen.

Soziale und persönliche Motive nach ihrer Wichtigkeit zu vergleichen, ist unglaublich schwer. Denn niemand kauft etwas nur aus einem Motiv heraus, das heißt, bei jedem Kauf spielen fast alle Motive eine Rolle, nur die Gewichtung ist verschieden. Bei Snobs ist also garantiert das soziale Motiv entscheidend, bei Postmaterialisten hingegen werden eher persönliche Motive überwiegen.

 

Werden denn darüber hinaus tatsächlich Faktoren fernab des Geldes wie Zeit oder Aktivitäten mit Freunden immer wichtiger?

Das hängt davon ab, was man als Luxus einstuft und was nicht. Es gibt zum Beispiel das „Distance“-Segment, die Luxus-Verweigerer. Sie sind sehr postmodern orientiert und den traditionellen Luxusprodukten gegenüber eher negativ eingestellt. Sie brauchen keine Luxusprodukte, sondern bevorzugen stattdessen zum Beispiel, ihre Zeit frei einteilen zu können.

Die grundlegende Luxusdefinition heißt ja: Luxus ist, was mehr als notwendig und gewöhnlich ist. Und wenn ich Manager bin, dann ist natürlich Zeit für mich etwas ganz besonderes und deshalb ist es Luxus. Deshalb ist es nicht überraschend, dass der Trend zu immateriellen Gütern hin geht und dabei auch durchaus hin zu mehr Zeit. Trotzdem müssen Luxusproduktfirmen keine Angst haben, denn oft ist das ein „und“. Also ich kaufe mir die teure Uhr UND fahre in den Urlaub.