Luxus und Finanzkrise

Klaus Heine über nicht mehr allzu geilen Geiz, extremen Luxus in Zeiten des Massenbankrotts und die Zukunft seines Berufes.

Egal wo man hinsieht, überall lauert die Finanzkrise mit ihren Totschlagargumenten. Müssen Sie als Luxusforscher nicht auch so langsam um ihren Job bangen?

Nein, vor allem nicht, da ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter ja vor allem Zeuge bin. Die Luxusproduktbranche hat aber tatsächlich derzeit mit starken Umsatzrückgängen zu kämpfen. Langfristig wird sich die Luxusproduktbranche aber wahrscheinlich weiter überdurchschnittlich entwickeln. Der Trend zur Selbstverwirklichung ist intakt. Außerdem wird die Zahl der wohlhabenden Menschen wieder relativ stark steigen, da die Weltwirtschaft sich erholen wird und auch die soziale Ungleichheit wird zunehmen – auch wenn wir das nicht wollen. Der stark wachsende Luxusproduktmarkt hat ja die Entstehung von „Extreme Luxury“ begünstigt beziehungsweise überhaupt erst ermöglicht.

 

Wie kann so ein Trend entstehen, wenn doch die Kaufkraft insgesamt nachlässt?

Früher gab es eine relativ klare, feine und vor allem kleine Schicht von Menschen, die sich Luxusprodukte leisten konnten. Jetzt ist diese reiche Gruppe viel größer und heterogener geworden. Auch Reiche wollen sich abgrenzen, zum Beispiel von den gewöhnlichen Reichen. Die altbekannten Luxusprodukte waren dazu zu gewöhnlich. So entstand das neue Segment des „Extreme Luxury“ mit teilweise bizarren Produkten, zum Beispiel mit Diamanten besetzten Lockenwicklern und anderen Nutzlosigkeiten. Extrem-Luxusmarken haben aber noch eine zweite Ursache: Durch die Demokratisierung von Luxus gehören in den letzten Jahren nicht mehr nur wohlhabende Menschen zur Kundschaft. Einige Luxusprodukte, häufig Accessoires, sind heute für viele Leute erschwinglich. Den Startschuss dafür setzte Cartier Mitte der 80er Jahre.

Wenn sich aber eine Marke mehr in Richtung Masse orientiert, dann muss sie im Gegenzug auch wieder etwas auf das Markenkonto einzahlen. Diese Ergänzung an beiden Enden der Luxushierarchie kann man bei vielen Luxusmarken beobachten. Mercedes hat sich zum Beispiel auf der einen Seite mit der A-Klasse in ein niedrigeres Preissegment bewegt, dafür aber den Maybach oben drauf gesetzt.

 
Die Finanzkrise hat also keinerlei Auswirkung auf den Luxusmarkt, weil sie die ganz Reichen gar nicht betrifft?

Vor einiger Zeit ging man noch davon aus, dass die Luxusbranche relativ unabhängig von Finanzkrisen ist, da sich wohlhabende Konsumenten ja trotzdem noch teure Produkte leisten können. Das trifft auf die derzeitige Wirtschaftskrise aber aus vielen Gründen nicht zu. Zunächst einmal vergeht selbst denjenigen, die kaum von der Krise betroffen sind, in Zeiten einer allgemeinen Trauerstimmung oft wenigstens etwas der Appetit auf Shopping. Allerdings sind von dieser Krise auch Reiche betroffen. Viele von ihnen haben einen berächtlichen Teil ihres Vermögens verloren.

Die Luxusbranche ist aber ohnehin anfälliger geworden für Wirtschaftskrisen. Das liegt vor allem daran, dass durch die Demokratisierung von Luxus in den letzten Jahren die Kundschaft weit über die wohlhabenden Konsumenten in die Mittelschicht erweitert wurde, die traditionell eher von Wirtschaftskrisen betroffen ist.

 

Wie relevant ist denn dieser Mittelschichtsluxus für die Firmen? Schließlich lassen sich dort auch nur weniger gute Preise erzielen.

Mit Masse macht man Kasse. Und mit Luxusmasse eben auch. Der Großteil der Luxusproduzenten hat sein Angebot für den Mittelstand zugänglich gemacht – mit diesen Konsumenten erwirtschaften sie bereits einen großen Teil ihrer Umsätze. Nur wenige Marken wie zum Beispiel Chanel haben komplett auf demokratische Angebote verzichtet, um ihrer Marke nicht zu schaden.

Darüber hinaus gibt es einen Trend zum „New Luxury“ Das sind keine Luxusprodukte, sondern Premiumprodukte. Sie erfüllen nicht alle Merkmale von Luxusprodukten; zum Beispiel ist die Qualität, vor allem aber der Preis geringer. Trotzdem werden diese Produkte sehr emotional positioniert. Ein Beispiel dafür ist Zara oder auch Häagen Dazs-Eiscreme. Das ist Luxus-Feeling und Glamour für den Massenmarkt. „New Luxury“ wird sich in Zukunft sicherlich auf weitere Produktkategorien ausbreiten.

 
 
Hat man denn als Luxusforscher gar keine Angst vor der Geiz-ist-geil-Welle?
 
Also ich denke, die Geiz-ist-geil-Welle ist soweit abgeebbt. Das wurde zu viel gesagt und gehört. Vielleicht führt die Wirtschaftskrise zu einer neuen Geiz-Welle. Luxus gab es aber schon immer und so wird das auch bleiben. Die Frage ist nur, welche Erscheinungsform Luxus annehmen wird.
 

 

Allerdings kaufen aber gerade wohlhabende Menschen ihre Lebensmittel zum Beispiel beim Discounter, während sie sich bei Luxusprodukten aber dann an die entsprechenden Marken halten. Wie hängt das zusammen?

Na ja, das ist ein klassisches, hybrides Konsumentenverhalten. In einigen Lebensbereichen werden günstige Produkte gekauft – das machen fast alle, egal ob arm oder reich. Dafür wird mehr Geld für Dinge ausgegeben, die einem persönlich am Herzen liegen. Das kann ein Pullover, ein Surfboard oder eine Reise sein. Durch dieses hybride Konsumentenverhalten bleibt also tendenziell mehr Geld für den Konsum von Luxusprodukten übrig

Hier in Berlin zum Beispiel wollen viele Menschen gar kein Auto haben, ob mit Abwrackprämie oder ohne, sie wollen keins. In den 1950er Jahren galt das Auto als der gesellschaftliche Traum. Jeder hat danach gestrebt und dafür gespart. Heute wird einigen Leuten klar, dass ein Auto eher Last als Luxus ist. Diese Menschen sind ohne Auto zufriedener und freier, fahren lieber mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und Taxis und fliegen dafür irgendwohin. Das wird als viel luxuriöser empfunden, als ein Auto zu haben.

 
Geben denn die Menschen heute eher mehr oder weniger für Luxus aus als früher?

Wir geben sicherlich einen Großteil unseres Geldes heute für Dinge aus, die vor einiger Zeit noch als Luxus galten. Insofern werden wir immer mehr Luxus konsumieren, ohne dass wir es vielleicht wirklich merken, denn wir erkennen ihn vielleicht nicht mehr als solchen.

Da langfristig mehr Menschen Luxusprodukte kaufen können und wollen, wird der Luxusproduktkonsum aber sicherlich zunehmen. Der Wunsch nach Luxus liegt ja durchaus in der Natur des Menschen. Die Motive und die Symbolik werden sich aber ändern: weg vom „Ich bin besser als du“ eher zu einem „Ich bin besser, aber vor allem anders als du“.

 
Aber macht nicht immer mehr, auch immer unzufriedener? So als würde Luxus einen Unzufriedenheitsstrudel auslösen.

Es gibt natürlich Fälle, in denen Luxus zur Droge werden kann, aber es kann auch genau anders herum ablaufen. Es gibt die Viel-Shopper, die günstig bei H&M kaufen, aber einfach gerne einkaufen und immer wieder etwas Neues wollen. Anderseits gibt es die nachhaltigen Luxus-Shopper, die Luxuskleidung mit der Absicht kaufen, sie für viele Jahre zu tragen. Sie wollen das Beste, aber sie wollen nicht ihre Zeit zum Shopping verschwenden. Sie wollen sich auch nicht durch Besitz belasten. Luxusprodukte sind besonders langlebig, oft reichen wenige gute Stücke aus. Menschen, die Shopping vermeiden wollen und das Wesentliche im Leben suchen, sind also mit Luxusprodukten durchaus gut bedient.

 
Es ist also tatsächlich so, dass Luxus dauerhaft glücklich macht?
 
Das kommt darauf an, aber es kann.