Service für die Platte

In Hoyerswerda betreut Heidi Gebauer als Concierge zwei riesige Hochhäuser. Die Mieter bekommen dort Dienstleistungen, die es sonst nur in Hotels gibt.

Zögernd tritt ein Mann mit zer­zausten grau-braunen Haaren und faltigem Gesicht an den Empfangstresen. Mit der rechten Hand hält er einen kleinen Briefumschlag umklammert. „Kann man bei Ihnen auch Briefmarken kaufen?“ Heidi Gebauer hebt den Blick von ihrem Computerbildschirm und lächelt. „Ja natürlich, Herr Krüger. Ein Standardbrief?“ Der Mann nickt. „Gut, das macht 55 Cent. Den Brief nimmt die Postfrau dann gleich mit.“ Heidis Blick wandert zu der Rückseite des Briefkuverts. Ihre Lippen kräuseln sich. Sie schmunzelt. Auf der Spitze, wo der Brief zugeklebt ist, prangt ein großes Herz. Darunter steht in krakeliger Schrift „R.K.“. Erstaunt sieht sie Rainer Krüger an. Der Mann räuspert sich und flüstert beschwörend: „Sagen Sie’s bitte nicht der Sylvia!“
Ein ungewöhnliches Anliegen – selbst für Heidi Gebauer. Die gelernte Immobilienkauffrau betreut als Concierge zwei große Plattenbauten im sächsischen Hoyerswerda. Heimliche Liebesbriefe decken musste die 25-Jährige bisher allerdings noch nicht. „Aber verraten kann ich ihn auch schlecht.“ Heidi ersetzt nämlich nicht nur den Hausmeister, sondern ist auch die gute Seele des Hauses. Auf Wunsch bringt Heidi Brötchen an die Wohnungstür, bestellt Tickets, ruft Handwerker oder füttert die Haustiere, wenn die Bewohner im Urlaub sind. Die Mieter, die schon vor Einführung des Concierge-Services im Mai 2008 in den Plattenbauten gewohnt haben, müssen für die zusätzlichen Leistungen auch nichts bezahlen. Nur für neue Mieter kostet der Service zwanzig Euro pro Monat.


Zwei Stunden vorher ist es noch dunkel, als Heidi um 6.30 Uhr über den Parkplatz läuft. Vor ihr ragt ein 33 Meter hoher Plattenbau in den Himmel. Durch eine Glastür betritt sie das Foyer und geht in ihr Büro hinter dem Empfang. Dort tauscht sie ihren weißen Mantel gegen ihre Uniform: eine ärmellose blaue Weste und eine blaue Krawatte, die sie über ihrem rosa Pulli trägt. Dann be ginnt Heidi ihren einstündigen Rundgang durch alle Stockwerke der beiden Hochhäuser. Sie inspiziert die Fahrstühle, versichert sich, dass keine Gegenstände die Fluchtwege versperren und stellt fest, ob in den Häusern über Nacht etwas beschädigt wurde.
Vandalismus war bis vor einem Jahr noch ein großes Problem in den beiden Plattenbauten. Sie galten als sozialer Brennpunkt. Fast zwanzig Prozent der 321 Wohnungen standen leer. Um die Häuser wieder attraktiver und sicherer zu machen, beschloss die Genossenschaft Lebensräume Hoyerswerda, zu der die beiden Plattenbauten gehören, einen Concierge-Service einzurichten. Im Mai 2008 wurde
das eigens dafür gebaute videoüberwachte Foyer mit Rezeption eröffnet. Rund 500 000 Euro kostete der Neubau. Mittlerweile muss die Genossenschaft sogar Interessenten abweisen, weil alle Wohnungen vermietet sind.

„Der direkte Kontakt mit den Leuten macht mir unheimlich Spaß“

Heidi blickt auf ihre Armbanduhr. Erschrocken kneift sie ihre großen blauen Augen zusammen. 7.30 Uhr. Mit einem lauten Knall lässt sie die Kellertür hinter sich zufallen und rennt die Treppe hoch. Ihre schwarzen Absatzschuhe hallen laut durch das Treppenhaus. Vorbei an der Rezeption. Nur schnell den Mantel aus dem Büro holen. Und schon sprintet Heidi zum Bäcker gegenüber. „Eine Zeitung und drei Brötchen, bitte.“ Zurück ins Hochhaus. In den dritten Stock. Vor dem Spion einer abgewetzten braunen Tür bleibt sie stehen und klingelt. Ein alter Mann mit Brille und Halbglatze öffnet. „Guten Tag Herr Neumann, ihre Zeitung und die Brötchen“, sagt sie außer Atem. „Das macht 1 Euro 31, bitte.“ Der Mann runzelt die faltige Stirn, zählt das Geld ab und gibt es Heidi. „Bis morgen“, sagt er und schließt gemächlich die Tür hinter sich.
Nachdem die Brötchen ausgeliefert sind, hat Heidi bis 11 Uhr Sprechzeit an der Rezeption. Die Schicht am Nachmittag von 15 bis 18.30 Uhr übernimmt eine Auszubildende.
 Heidi hat ihre Ausbildung bei der Genossenschaft Lebensräume Hoyerswerda gemacht. „Als ich gehört habe, dass ein Concierge-Service eingerichtet werden soll, habe ich mich sofort dafür beworben, weil mir der direkte Kontakt mit den Leuten unheimlich Spaß macht.“


Heidi sitzt auf ihrem blauen Schreibtischstuhl hinter dem Tresen. Eine Frau mit kurzen roten Haaren läuft an ihr vorbei. „Guten Morgen Frau Schleif, neue Frisur?“, fragt Heidi lächelnd. In ihren Mundwinkeln bilden sich kleine Grübchen. Die Frau bleibt überrascht stehen. „Ja, seit gestern“, antwortet sie.
Den restlichen Vormittag bleibt kaum Zeit für Smalltalk. Ein Mieter erkundigt sich, ob Heidi in der nächsten Woche seine Pakete entgegen nehmen kann. Eine Frau beauftragt sie, einen Handwerker wegen ihres kaputten Wohnzimmerlichts zu bestellen. Ein Bewohner aus dem Nachbarhaus ruft an, weil wegen des Schnees der Eingangsbereich gestreut werden soll und für einen glatzköpfigen Mann muss Heidi zwei Faxe versenden.
Der Stress kann Heidis guter Laune aber nichts anhaben. „Wenn ich Menschen hundertprozentig helfen kann, ist das ein tolles Gefühl. Mein Job macht mir Spaß, ich bin mit Leib und Seele dabei.“ Trotzdem gibt es auch Grenzen für die 25-Jährige, wenn zum Beispiel Jugendliche sie an ihrem Arbeitsplatz anpöbeln. „Anfangs war ich sehr zurückhaltend, aber mittlerweile lasse ich mir so was nicht mehr gefallen.“

„Wenn ich Menschen hundertprozentig helfen kann, ist das ein tolles Gefühl“

Gerade als Heidis Sprechzeit endet, hinkt eine dicke Frau in grünem Jogginganzug eilig um die Ecke. „Ah Frau Münich, guten Tag“, sagt Heidi freundlich und streicht sich schnell ihre langen rot-braunen Haare aus dem Gesicht. Die Frau bleibt stehen, beachtet Heidi aber nicht. Sie fixiert nur den Paketboten, der gerade zur Tür rein kommt. „Ich bin herzkrank, ich hab ein Hinkebein, ’nen Hüftschaden und ich werd’ dauernd genötigt, meine Pakete in der Eins abzuholen. Ich wohne aber in der Drei!“, fährt sie den Mann wütend an.
Heidi kaut auf ihrer Unterlippe und blickt mit großen Augen von der Mieterin zum Paketboten. Der zuckt nur ratlos mit den Schultern, stellt zwei Pakete an der Rezeption ab und geht eilig wieder davon. „Wissen Sie was, Frau Münich, ich hab jetzt Zeit, ich helfe Ihnen, die Pakete hoch tragen“, sagt Heidi mit sanfter Stimme. „Ach, das ist aber lieb“, grummelt die Frau. Ihre Mundwinkel zucken. Dann lächelt sie.