Einer zahlt den hohen Preis

Die preiswerten Klamotten der Textildiscounter sind zwar begehrt bei den Kunden, gehen aber auf Kosten der Arbeiterinnen - sie sind es, die für ein Kik-Shirt bezahlen.
Von: 
Julia Haug

Hier möchte man nicht einkaufen, hier muss man. Die signalroten Schilder lassen keinen Widerspruch zu. Grelles Neonlicht strahlt von der Decke. Straßendreck, von Schuhen herein getragen, kreist um Wühltische. Vollgestopfte Kleiderständer stehen neben Nagellackfläschchen und Paketband.

Zwischen den 1,99-Euro-Schnäppchen im Kik-Verkaufsraum versteckt sich ein Super-Schnäppchen: ein ärmelloses türkisfarbenes Baumwollshirt, ein Euro. Einst 1,99 teuer – jetzt um fast die Hälfte verbilligt. Die Kunden, deren Hände den Plastikbügel quietschend von links nach rechts schieben, schert es nicht, wie dieser Preis zustande kommt. Darauf setzt das Unternehmen. Nach eigenen Aussagen spricht es „in erster Linie den cleveren Kunden“ an. Also den, der schlau genug ist, geizig zu sein. Oder eben Familien mit Kindern, die streng wirtschaften müssen.

Von denen gibt es in Deutschland immer mehr. Und deshalb müssen jährlich Millionen türkisfarbene Shirts knapp 6000 Kilometer Luftlinie zurücklegen, bevor sie in Deutschland über den Preisscanner rutschen. „Made in Bangladesh“ steht auf dem Schildchen am inneren Saum. Das Land östlich von Indien gehört zu den ärmsten der Welt – die 145 Millionen Bewohner leben vom Ackerbau, von Reis, Kartoffeln und Hülsenfrüchten. Trotzdem leidet ein Viertel der Menschen unter ständigem Hunger. In diesem Land nimmt man jede Arbeit an. In diesem Land traut man sich nicht, mehr Lohn zu fordern oder gar bezahlte Überstunden. Zwei Millionen Menschen arbeiten in Bangladeschs Textilwirtschaft, die drei Viertel des Gesamtexports ausmacht. Die Mehrheit der Arbeiter sind Frauen.

Eine davon war es, die die Stoffteile des türkisfarbenen Shirts von Kik durch die Nähmaschine geschoben hat, wie tausende Hemden zuvor und abertausende danach – pro Ein-Euro-Shirt verdient sie einen Cent. 25-mal so viel rechnet das Unternehmen allein für Werbespots und Prospekte ein. Der Lohn der Näherin von dreißig bis vierzig Euro im Monat fällt da nicht ins Gewicht. „Kik setzt nur ein Mindestmaß an Sozialstandards. Das reicht nicht aus“, sagt Gisela Burckhardt. Sie ist entwicklungspolitische Gutachterin und unabhängige Beraterin staatlicher und kirchlicher Hilfsorganisationen. Die Kampagne für Saubere Kleidung hat 2008 unter ihrer Mitarbeit eine Studie über die Einkaufs­praktiken von Discountern durchgeführt – die schlimmen Auswirkungen auf die Arbeiter in der Dritten Welt eingeschlossen. Neben den Hungerlöhnen, den vielen unbezahlten Überstunden und den oftmals miserablen hygienischen Verhältnissen sei das Verbot der Organisierung das größte Problem der Näherinnen in Bangladesch – von einem Betriebsrat haben die Frauen dort noch nie gehört.
Was nach Bananenrepublik klingt, ist auch deutsche Wirklichkeit. Das türkisfarbene Hemd wird von einer deutschen Teilzeitbeschäftigten für einen Nettolohn von 5,20 Euro pro Stunde ausgepackt, aufgehängt und über den Scanner gezogen. Auch in der grellen Einkaufswelt von Kik gibt es bislang keinen Betriebsrat. Wenn es nach der Meinung des Unternehmens geht, brauchen die etwa 14 000 Mitarbeiter auch keine Vertretung. Zwar ist die Unternehmensleitung „aus unternehmensstrategischen Gründen“ zu keinem persönlichen Gespräch bereit, stellt aber auf vorgelegte Fragen schriftlich klar: Die Gründung eines Betriebsrates werde von der Belegschaft gar nicht gewünscht, weil Kik ein „sehr teamorientiertes“ Unternehmen sei. „Mögliche Probleme werden bei uns im persönlichen Gespräch geklärt, nicht über Dritte“, bekräftigt Unternehmenssprecherin Aniko Nadine Kalle.

Doch unter den Kik-Mitarbeitern gibt es auch Widerstand: Martina Kraft aus Nordrhein-Westfalen und zwei ihrer Kolleginnen hatten den Mut, sich gegen ihren Arbeitgeber Kik aufzulehnen und für mehr Lohn vor Gericht zu ziehen. Mut brauchten sie tatsächlich, denn die Reaktion von Kik folgte prompt: Statt wie vorher bis zu achtzig Stunden im Monat, wurde die Arbeitszeit der drei Aufmüpfigen auf jeweils zehn Stunden im Monat gekürzt. Das Monatseinkommen von 52 Euro machte ein menschenwürdiges Leben unmöglich. „Hinzu kam, dass sie aus Angst um den eigenen Arbeitsplatz von den Kolleginnen gemieden wurden“, beschreibt Henrike Greven von der Gewerkschaft Verdi die Situation der Drei. Selbst von ihrer Geschichte erzählen wollen die Frauen nicht mehr. Sie haben genug von Presseanfragen.

Die erste Instanz gab Martina Kraft Recht. Das Gericht hielt 8,21 Euro für angemessen und verpflichtete Kik zu Nachzahlungen von bis zu 10 000 Euro. Doch Kik ging in Berufung, und erst im Frühjahr 2009 wird das Landesarbeitsgericht Hamm als nächsthöhere Instanz die endgültige Entscheidung fällen. Falls sie zu Gunsten der drei Frauen ausgeht, werden bei Henrike Greven von Verdi noch andere um Unterstützung bitten. Schon jetzt haben sich fast dreißig gemeldet.