Nackt auf der Flucht

Dass schöner Schmuck Frauen zum Verhängnis werden kann, weiß Miss Misty Valentine ganz genau. Wieder einmal hat sie sich mit nicht gerade legalen Mitteln der glitzernden Geschmeide bemächtigt und ist auf der Flucht. Doch etwas ist bei ihr anders als bei normalen Diebinnen. Sie ist nackt und plötzlich im Scheinwerferlicht.

Miss Misty Valentine Foto: Tessa SchlickHalbnackt, so steht sie hinter der Bühne. Miss Misty Valentine trägt lediglich ein Rüschenhöschen. Vor ihren schlanken Oberkörper hält sie zwei schwarze Federfächer. Mit sicheren Schritten geht sie zur Bühne. Ihre schwarzen Lackpumps klackern auf dem schwarzen Holzboden. Gleich wird sie anfangen zu tanzen. Anfangen, sich auf dem roten Samtsofa auf der Bühne zu räkeln. Anfangen, den 150 Menschen im Publikum ihren Körper zu zeigen. Sie atmet noch ein Mal tief durch. Die Musik beginnt.

Am Tag vorher: Sarah alias Miss Misty Valentine und fünf andere Mädchen treffen sich zum ersten Mal in der Münchner Tanzbar Paradiso. Überall in der Tanzbar stehen Koffer herum, liegen Klamotten und Schminksachen auf dem Boden und den Tischen. Das Licht ist diffus. An den schwarzen Wänden hängen riesige Spiegel. Die 23-Jährige sitzt auf der mit rotem Samt bezogenen Bank an der Wand. Davor stehen schmiedeeiserne Tischen. Sie werden das erste Mal an einem Burlesque-Workshop teilnehmen. Von der Berliner Burlesque-Gruppe „The Teaserettes“ werden sie lernen, sich erotisch zu entblättern.

Bei der Burlesque geht es um andere Werte als bein normalen Strip

Bekannt wurde Burlesque durch Dita von Teese. Es entstand aber bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Amerika als eine Form von Unterhaltungstheater, das Tanz, Gesang und angedeuteten Striptease verband. Im Unterschied zum normalen Striptease, mit denen die Burlesquetänzer nicht in eine Schublade gesteckt werden wollen, ist, dass beim Burlesque nicht alle Hüllen fallen, Unterhosen schon gar nicht. Die Brustwarzen werden mit bunten Aufklebern, die mit Pailetten verziert sind, bedeckt. Musik und Kostüme sind auch heute noch im Stil der damaligen Zeit. Das war auch Sarahs Grund um sich auf die burlesque Art und Weise auszuziehen. „Beim Burlesque geht es einfach um andere Werte als beim normalen Strip.“

Aber warum zahlen Mädchen wie Sarah 120 Euro um zu lernen wie man sich auszieht? Sarah ist im richtigen Leben Bürokauffrau, arbeitet nebenbei als Model und beim Piercer. Sie hat auch schon zwei Mal auf einer Bühne getanzt. Allerdings ohne sich auszuziehen. Darum geht es ihr auch weniger, sondern mehr um diese Form der Darstellung. „Ich mache bei dem Workshop mit um von "Fachfrauen" gezeigt zu bekommen wie es geht und auch um Kontakte zu knüpfen“.

Das Ausziehen passiert irgendwie von selbst

In Dreiergrüppchen, eine Teaserette und zwei Mädels, werden dann die einzelnen Shows besprochen. Denn am zweiten Tag des Workshops dürfen die Mädels vor Publikum auf der Bühne auftreten. Das Besondere am Burlesque: Jeder Strip erzählt eine Geschichte. Sarah spielt heute die Rolle einer Femme Fatale, die Schmuck liebt und nach einem Raubzug auf der Flucht ist.

„Das Ausziehen passiert irgendwie von selbst. Ich weiß ja, dass ich nicht billig rüberkomme. Aber ich bin trotzdem froh, dass ich die Aufkleber habe“, sagt Sarah nach ihrem Auftritt. Aufregung kennt sie nicht. „Warum auch? Es bringt mir ja nichts.“

Die Musik beginnt. Langsam stolziert Miss Misty Valentine alias Sarah auf die Bühne. Die Anhänger an ihrem Rüschenhöschen wackeln und glitzern im Schweinwerferlicht. Ab und zu schaut sie verstohlen ins Publikum um ihre Augen dann sofort wieder verführerisch zu verschießen. Dann stolziert sie rüber zum Sofa. Lasziv räkelt sie sich darauf. Im Takt der Musik zieht sie sich Netzstrümpfe, Rock und Tülloberteil an. Sie weiß: auch anziehen kann sehr erotisch sein. Immer wieder wird die Musik, der Geschichte entsprechend von Polizeisirenen unterbrochen, auf die Miss Misty Valentine mit erschrockenem Gesichtsausdruck reagiert. Sie verstaut den Schmuck in einer Handtasche und stolziert dann in Trenchcoat und mit Humphrey-Bogart-Hut von der Bühne. Das Publikum in der Münchner Tanzbar Paradiso johlt und grölt, der Applaus scheint nicht enden zu wollen. Morgen wird sie wieder im Hosenanzug im Büro sitzen. Ob sie ihr Rüschenhöschen darunter trägt, ist ihr Geheimnis.