Die Seele im Edelstein

Andrea Lassnig hat für ihren verstorbenen Ehemann eine besondere Bestattungsform gewählt: den Erinnerungsdiamanten. Der Edelstein verkörpert für die Witwe die Erinnerung ihres geliebten Mannes.
Von: 
Julia Lösch

Die Lassnigs haben viel Verrücktes ausprobiert in ihrem gemeinsamen Leben. Neue Sportarten. Verschiedene Ernährungsrichtungen. Und eine alternative Bestattungsform – die Diamantbestattung. In einer Zeitschrift hat der Ehemann gelesen, wie ein Schweizer Unternehmen aus der Asche von Verstorbenen echte Diamanten herstellt. Über den Tod hatte das Nürnberger Ehepaar bereits gesprochen – der Mann war schwer krebskrank. Sofort war klar: „Boah – das machen wir“, erinnert sich Andrea Lassnig heute. Spontan waren sie schon immer. Offen für Neues. Unbekanntes. Auch für das Danach. Seit mittlerweile drei Jahren trägt die 36-Jährige ihren verstorbenen Ehemann in Form eines hellblauen Diamanten bei sich. Sie wollte den letzten Wunsch ihres schwerkranken Mannes erfüllen, der den langen Kampf gegen den Krebs schließlich verlor.

Auf den Tod vorbereitet - trotzdem kam er zu früh

„Die Lunge ist kollabiert und konnte nicht wieder hergestellt werden. Er ist erstickt.“ Lassnig seufzt tief. Sie zieht die Augenbrauen zusammen.
Ihre braunen Augen werden kleiner. Immer wieder fasst sie ihre Perlenohrringe an. Während sie erzählt, spricht sie von „ihm“ und „ihrem Mann“ – seinen Namen nennt sie nicht. In den letzten vier Jahren ihrer Beziehung sind beide an die Grenzen des Möglichen gestoßen. Sie glaubt, dass er sich entschieden hat, zu gehen bevor beide zu Grunde gehen. Lassnig konnte ihn beim Sterben begleiten, was ihr sehr viel bedeutete. „Als ich erfahren habe, dass er sterben wird, wusste ich, dass ich ihn gehen lassen musste.“ Sie streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht und blickt auf den Boden. Obwohl ihr Mann 23 Jahre älter war als sie, kam der Tod zu früh.

Die meisten Kunden von Algordanza, dem Schweizer Diamantenhersteller, sind auf den Tod nicht vorbereitet. „Wir stellen bei den Aufträgen fest, dass es bei vielen Verstorbenen noch nicht an der Zeit war, zu gehen“, meint Andreas Wampl. Der 47-jährige Österreicher ist Geschäftsführer des Schweizer Unternehmens. Seit vier Jahren gibt es die Firma mittlerweile. Der Hauptsitz liegt nicht ohne Grund im schweizerischen Chur – denn im deutschen Bestattungsrecht ist eine Diamantbestattung verboten. Es herrscht Friedhofspflicht.

Diamantbestattung verboten - es herrscht Friedhofspflicht

Dennoch hat Algordanza rund tausend Diamanten seit 2004 verkauft. Sie kosten zwischen 4500 und 15000 Euro. Der Preis war Andrea Lassnig egal. Um den letzten Wunsch ihres Mannes zu erfüllen, wandte sie sich an ein Fürther Bestattungsunternehmen – die Asche wurde schließlich von dort in die Schweiz zu Algordanza geschickt. Nach knapp einem halben Jahr hatte sie ihren Mann wieder. Mit der Post zugeschickt und in Form eines 0,4-karätigen hellen, marineblauen Diamanten. Lassnig erinnert sich an diesen emotionalen Moment. „Endlich bist du wieder bei mir.“ Sofort richtete sie ihm „seine Ecke“ ein. Sie stellte die mahagonifarbene Schatulle mit dem Edelstein in eine Vitrine, mit einem Foto und getrockneten Blumen von der Trauerfeier.

„Der Diamant ist wahnsinnig hilfreich in der Bewältigung der Trauer. Die wird dadurch nicht verlängert, sondern intensiver erlebt und angenehmer empfunden“, betont Andreas Wampl. Doch für Andrea Lassnig war der Diamant anfangs eine schwere Last: „Im Laufe der Zeit habe ich gemerkt, wie schwierig es doch ist, wenn man den Partner auf diese Weise immer bei sich hat. Wie schwierig es doch ist“, ihre Stimme wird leiser. Sie dachte, dass sie ihr Leben durch den Diamanten leichter meistern würde. „Das war aber leider nicht so, weil ich ja nicht mit ihm sprechen konnte.“ Sie war nicht frei. Die Bindung war zu stark. Damit konnte die Witwe anfangs nicht umgehen. Manchmal hat sie den Diamanten weggeräumt, um ihn nicht jeden Tag sehen zu müssen. Manchmal, glaubt Lassnig, wäre das Loslassen wesentlich leichter gewesen, wenn es eine traditionelle Grabstätte gegeben hätte.

"Makaber und gruselig" - viele Menschen haben Zweifel

Ohne die Unterstützung ihrer Freunde hätte die Witwe die Trauerarbeit nie bewältigen können. Ihre engsten Vertrauten haben sie in ihrer Entscheidung bestärkt und die Energie und Ausstrahlung des Diamanten angesprochen. Dennoch ist auch ein Teil ihres einstigen Freundeskreises einfach weggeblieben. „Makaber“ und „gruselig“ sei eine solche Bestattungskultur. Viele haben Angst vor einer solchen Nähe und Bindung zu dem Toten.

Trotz dieses Vorurteils kommen vierzig Prozent der Bestellungen aus Deutschland, dagegen mehr als die Hälfte aus Japan. Dies liegt an einer dortigen Kremationsrate von nahezu hundert Prozent und einem anderen Umgang mit dem Tod. Auch in Deutschland kann Geschäftsführer Wampl ein Umdenken erkennen: „Aber es braucht natürlich seine Zeit. Ich würde sagen, es dauert noch eine Generation, bis ein anderer Zugang zur Bestattungskultur stattfindet.“ Der christliche Glaube ist für Wampl kein Widerspruch zu den Erinnerungsdiamanten: „Der Diamant ist ja auch eine Art des Reliktes.“ Schließlich haben die Hinterbliebenen ein persönliches Erinnerungsstück bei sich, das sie begreifen und anfassen können. „Ein Symbol für die Gefühle und Emotionen, die den Diamanten so wertvoll machen“, erklärt er weiter.

"Du hast mich zu dem gemacht, was ich heute bin"

Heute – nach knapp drei Jahren – weiß Andrea Lassnig, dass ihr Leben weitergehen muss. „Da war immer noch diese Bremse, mich zu entwickeln, weil mein Mann immer bei mir zu Hause ist“, erzählt die Witwe. Da sie die Vergangenheit aufgearbeitet und bewältigt hat, steht sie heute wieder mitten im Leben. Geholfen hat ihr bei dieser Entwicklung ein Coaching zur spirituellen Psychologie. Hier wurden festgefahrene Muster und Verhaltensweisen aufgelöst. Andrea Lassnig hat die Chance genutzt, sich aus dieser Erkenntnis zu entwickeln. Der Diamant ist heute mehr Stütze als Bremse.

Einen neuen Partner hat die Witwe aber noch nicht. Damit will sie sich Zeit lassen. Beim Betrachten des marineblauen Diamanten sieht Lassnig keine Bilder – aber sie fühlt. Zufriedenheit. Frieden. Ihre haselnussbraunen Augen funkeln. Andrea Lassnig ist wieder eine selbstbewusste, moderne Frau geworden, die viel lacht und gerne redet. Ihre Worte klingen sanft, aber bestimmt. Mit ihren 36 Jahren wirkt sie gezeichnet, aber lebendig und voller Tatendrang. Nach drei Jahren kann die Witwe behaupten, dass endlich Ruhe eingekehrt ist. Ruhe zwischen ihr und dem Diamanten.