Mut zum Makel

Marina Maurer hat einen Schönheitswettbewerb gewonnen. Jetzt will die junge Rollstuhlfahrerin modeln. Von der großen Karriere in der Welt der Werbung können Behinderte aber nur träumen.

Die junge Frau im beigen Abendkleid versucht zu lächeln. Erst vor wenigen Stunden hat der Visagist ihre Lippen rot geschminkt, die Augen mit schwarzem Kajal umrandet. Jetzt sitzt sie, Marina Maurer, auf der Bühne im Varieté-Theater in Hannover. Neben ihr acht weitere Frauen in eleganten Kleidern. Vor der Bühne gut 200 Zuschauer, die gespannt auf die neun Finalistinnen schauen. Endlich verkündet die Jury, wer die Schönste von ihnen ist: „Marina Maurer.“ Die Zuschauer klatschen, Kameras blitzen, die anderen acht gratulieren, nur Marina sitzt im ersten Moment wie versteinert da. Erst nach ein paar Sekunden löst sie die Bremse ihres Rollstuhls und fährt der Jury entgegen.

Die 24-jährige Marina aus dem baden-württembergischen Renchen hat im September vergangenen Jahres den Schönheitswettbewerb für Rollstuhlfahrer, Beauties in Motion, gewonnen. Als Erstplatzierte wurde sie in die gleichnamige Modelagentur aufgenommen, die einzige Agentur in Deutschland, die sich auf Rollstuhlfahrer spezialisiert hat. Die Models werden zum Beispiel für Werbeaufnahmen im Fernsehen oder in Zeitungen und Zeitschriften gebucht. Oft sind es Hersteller von Reha-Artikeln, die die Rollstuhlfahrer ablichten. Manchmal bewerben die Models aber auch Produkte, die nicht speziell für Behinderte gemacht sind, und hin und wieder wird der Rollstuhl bei den Aufnahmen ganz weggelassen. Dann erkennt man nicht, dass die Schönheit auf dem Foto eigentlich nicht gehen kann.

„Wenn man dranbleibt, kann man alles schaffen“

Renate Weidner leitet die Agentur seit ihrer Gründung im Jahr 2005. Inzwischen sind zwölf Frauen und sieben Männer bei Beauties in Motion unter Vertrag. Weidner erklärt die Idee: „Behinderung ist eine selbstverständliche Sache und die Werbung sollte die Normalität widerspiegeln. Wir wollen Menschen im Rollstuhl präsentieren, weil sie ein ganz normaler Teil der Gesellschaft sind.“

Marina ist das neueste Mitglied der Agentur. Sie hat es sich auf einem Stuhl am Esstisch in ihrer Wohnung bequem gemacht und mit den Händen ein Bein über das andere gehoben. Selbstbewusst sitzt sie da und rührt in einer Tasse Kaffee. Stünde der Rollstuhl nicht neben dem Tisch, würde man fast vergessen, dass die junge Frau nicht gehen kann.

Marina redet nicht gern über ihren Autounfall vor knapp sechs Jahren. Lieber erzählt sie, wie sie 2006 in einer Zeitschrift von dem Schönheitswettbewerb gelesen hat. Sie bewirbt sich, um ein bisschen Abwechslung von den Reha-Maßnahmen zu bekommen und weil sie Gleichgesinnte kennen lernen will, wie sie sagt. Zuhause in Renchen gebe es nur wenige junge Rollstuhlfahrerinnen wie sie.

Schon damals schafft Marina es auf Anhieb unter die ersten zehn. Am Finale kann sie aber nicht teilnehmen: Weitere Reha-Maßnahmen kommen dazwischen. 2008 versucht sie es noch einmal, und obwohl sie sich im Vorfeld wenig Chancen ausgerechnet hat, gewinnt sie den Titel Miss Beauties in Motion. Heute ist Marina froh, dass sie an dem Wettbewerb teilgenommen hat. Sie ist offener geworden und hat neue Leute kennen gelernt. „Es war geil, das miterlebt zu haben. Aber ich rechne nicht mit der großen Modelkarriere. Der Sieg war wie ein kurzes, schönes Feuerwerk.“ Marina will für eine Laufbahn im Rampenlicht nicht alles umkrempeln. Sie ist zufrieden mit ihrem Leben: Sie hat einen Freund, eine eigene Wohnung im Haus ihrer Eltern und einen Job als Bürokauffrau.

Nur für die Kamera in den Rollstuhl

Allein vom Modeln würde Marina auch nicht leben können, denn das kann bisher keiner der Rollstuhlfahrer, nicht einmal Nina Wortmann, das wohl erfolgreichste behinderte Model in Deutschland. Die 28-Jährige ist vor fünf Jahren bei Beauties in Motion unter Vertrag gegangen – auch sie hatte zuvor an dem Wettbewerb teilgenommen. Ihr Mann musste sie dazu überreden, denn Nina war damals sehr kamerascheu. Inzwischen hat sie schon für einen Werbespot von Aktion Mensch und für eine Modestrecke in der Brigitte posiert. Nina möchte anderen jungen Frauen im Rollstuhl zeigen, dass sie auch mit Behinderung ihre Ziele erreichen können. „Wenn man dranbleibt, kann man alles schaffen“, sagt sie. Dennoch: Behinderte Models sind in den Medien selten. Seit ihrem Unfall bemerkt das auch Marina. Wenn sie dann doch einmal einen Rollstuhlfahrer in einem Film oder in der Werbung sieht, sind es oft Schauspieler oder Models, die eigentlich laufen können und sich nur vor der Kamera in einen Rollstuhl setzen. „Früher ist mir das gar nicht aufgefallen, aber jetzt ist sowas für mich eine Verarschung“, sagt die 24-Jährige.

Außerdem gibt es laut Agenturchefin Weidner immer häufiger Unternehmen, die zwar ein Model mit echter Behinderung fotografieren, das Model für seine Arbeit aber nicht bezahlen wollen. Weidner: „Die Unternehmen behaupten dann, sie hätten nicht so viel Geld. Außerdem sei so ein Shooting auch ohne Bezahlung eine tolle Chance und die Models bekämen danach ja auch die Fotos.“ Weidner glaubt allerdings, dass die Unternehmen in Wahrheit nur Geld sparen wollen. „So etwas finde ich sehr schlimm. Die Rollstuhlfahrer arbeiten doch auch professionell. Aber das Thema Models im Rollstuhl ist anscheinend zu neu.“

„Manche Leute denken: Was will die denn hier?“

Günter Hofbauer, Professor für Marketing an der Fachhochschule Ingolstadt, nennt einen Grund, warum Werbetreibende selten Rollstuhl-Models engagieren: „Der Mensch strebt nach Glück und innerem Gleichgewicht. Alles, was dieses Gleichgewicht stören könnte, wird verdrängt. Dazu zählen Dinge wie Unfall, Krankheit und auch Behinderung.“ Die meisten Verbraucher blocken eine Werbebotschaft also ab, die ein behindertes Model übermittelt. Trotzdem hält es der Experte für möglich, dass in Zukunft öfter Behinderte in der Werbung auftauchen. Voraussetzung sei allerdings, dass sich die Gesellschaft mehr öffne und Schönheit neu definiere.

Das würde sich auch Marina wünschen. Vor allem wenn sie abends mit Freunden etwas Trinken geht, spürt sie die Blicke anderer. „Das ist Mitleid oder Neugier und ich glaube, manche Leute denken: Was will die denn hier?“ Auch Nina findet, dass die Hemmschwelle gegenüber Behinderten hoch ist. Dennoch sieht sie positiv in die Zukunft: „Die Agentur ist die richtige Richtung. In zehn oder fünfzehn Jahren hat sich die Situation für Rollstuhl-Models vielleicht schon verbessert.“

Bis es soweit ist, muss Beauties in Motion einen Rückschlag einstecken: Aus Mangel an Sponsorengeldern wird es in Zukunft keinen Schönheitswettbewerb mehr geben. Die Modelagentur bleibt aber bestehen. Um das Budget nicht weiter zu strapazieren, hat Marina sogar auf ihr Preisgeld über 2000 Euro verzichtet: „Mir ging es nicht ums Geld, ich wollte einfach mitmachen und Spaß haben. Ich finde es sehr traurig, dass so eine super Sache wie der Wettbewerb am Finanziellen scheitert.“