Generationen:
Miteinander statt nebeneinander

Auf den ersten Blick ein ganz normaler Wohnkomplex. Wer hinter die Fassaden der Lebensräume Oberhausen schaut, erlebt wie gemeinsam den Alltag bestreiten. Von diesem besonderen Zusammenhalt profitiert mittlerweile das ganze Dorf.

Die „Lebensräume“ in der Dorfmitte von Oberhausen.

Die älteste Bewohnerin ist 85, die jüngste gerade einmal zwölf Jahre alt. 18 Menschen verschiedener Generationen leben in den zwölf Wohnungen der Lebensräume Oberhausen. Nach der Eröffnung im Mai 2008 füllte sich die Wohnanlage innerhalb eines halben Jahres. Heute ist die Warteliste so lang, dass die Gemeinde Oberhausen noch ein zweites Wohnhaus der gleichen Größe bauen könnte. Die Motive dort einzuziehen waren dabei ganz unterschiedlich, heute teilen die Bewohner ein gemeinsames Ziel: Sie wollen einander im Lebensalltag zur Seite stehen.

Von:

  • Barbara Alfing
  • Carolin Richter
  • Anika Zidar

Wer wohnt in den Lebensräumen Oberhausen?

Sebastian Büttner, 23 Jahre alt, Elektriker in einem Handwerksbetrieb in Neuburg an der Donau

Eher zufällig kam Sebastian in das Mehrgenerationen-Wohnhaus. Als er Ende 2012 aus Lenggries nach Neuburg kam, hatte er schon ein attraktives Job-Angebot in der Tasche. Doch auf dem Wohnungsmarkt sah er für sich keine Chance: „In Neuburg eine passende Bleibe für mich zu finden, war zu dem Zeitpunkt praktisch unmöglich.“ Einige Monate lang lebte Sebastian bei einem Arbeitskollegen, bis Anfang 2013 in den Lebensräumen eine Wohnung wurde.

Lange hat er damals nicht überlegt, sondern gleich zugegriffen. Als interaktiver und hilfsbereiter Typ hat er sich schnell eingelebt und gerade am Anfang sehr von der Gemeinschaft profitiert: „Wenn man irgendwo neu ist, ist es super, wenn man einfach mal nachfragen kann, wo der nächste Bäcker oder Supermarkt ist!“

Heute wird er selbst gern gebraucht. Als Elektriker greift er den anderen Bewohnern öfter mal unter die Arme, wenn ein neues Gerät anzuschließen ist oder ein älteres streikt. Sebastian geht mit offenen Augen durch die Lebensräume und hilft, wo er kann. Aber: „Kommunikation gehört schon auch dazu“, sagt er: „Wenn jemand etwas von mir braucht, muss er mir das sagen.“

Elke Breu, 45 Jahre alt, Reinigungsfachkraft im Oberhausener Kindergarten

Aus persönlicher Not und glücklicher Fügung gleichermaßen bezog Elke im Juli 2013 mit ihren zwei Töchtern Jasmin (16) und Natalie (12) eine Wohnung in den Lebensräumen. Sie hatte sich gerade von ihrem Mann getrennt und musste das gemeinsame Einfamilienhaus in Oberhausen verkaufen. Auf der Suche nach einer Wohnung hatte sie mit ihren Töchtern bereits eine in Neuburg besichtigt, doch diese kam für keine der Drei infrage.

Zufällig stieß sie im Gemeindeblatt auf die Anzeige der Lebensräume und bewarb sich prompt um die frei gewordene Wohnung. Bei der Vergabe wurde auch ihre persönliche Notlage berücksichtigt und sie durfte einziehen. Ein Glücksfall, denn auch Elkes Eltern wohnen in Oberhausen.

Die Eingewöhnung fiel Elke und ihren Töchtern überhaupt nicht schwer. Von der Hausgemeinschaft wurden sie sofort aufgenommen und in den Wohnalltag eingebunden, erzählt sie: „Natürlich ist es schade, wenn man ein eigenes Haus gehabt hat und es aufgeben muss. Aber die Wohnung hier in den Lebensräumen würde ich nicht wieder eintauschen wollen!“

Günter Then, 47 Jahre alt, Zeitungszusteller in Neuburg an der Donau

Aus Liebe ist Günter Anfang des Jahres 2014 in die Lebensräume eingezogen. Seine Partnerin wohnt schon länger hier, denn sie schätzt den engen Kontakt zu den Bewohnern und hilft gern mit. Günter selbst hat derzeit noch eine eigene Wohnung in Neuburg. Trotzdem lebt er gerne im Mehrgenerationenhaus und unterstützt dieses Modell. Langfristig möchte er nur noch hier wohnen.

In die Wohngemeinschaft bringt sich Günter bislang noch nicht so stark ein, wie er vielleicht könnte, sagt er: „Mein Engagement beruht momentan noch auf kleinen Pläuschchen und netten Worten für andere, also einfach mal stehen zu bleiben und den Menschen zuzuhören.“ Kommunikation ist ihm allgemein sehr wichtig und er kann sich gut vorstellen, anderen Bewohnern demnächst regelmäßig etwas vorzulesen. Ganz sicher ist er sich darin aber auch noch nicht, denn: „Ich weiß ja nicht, ob das überhaupt erwünscht ist.“

In seinem ersten halben Jahr in den Lebensräumen hat Günter auch schon kleine Nachteile am Mehrgenerationen-Wohnen entdeckt. Manchmal fühlt er sich etwas verpflichtet, gemeinschaftliche Ereignisse mitzunehmen und in einer so offenen Wohngemeinschaft bleibt auch wenig geheim.

Edda Seidemann, 74 Jahre alt, Rentnerin

Wie eine Erlösung aus der Einsamkeit nimmt Edda ihren Einzug in die Lebensräume auch heute noch wahr. Anfang 2011 verstarb unerwartet ihr Ehemann. In der Doppelhaushälfte, in der sie jahrelang gemeinsam gewohnt hatten, fühlte sich Edda daraufhin fremd und einsam. Die Arbeit in Haushalt und Garten konnte sie allein kaum mehr bewältigen. Als ihr Sohn vorschlug, eine Wohnung in den Lebensräumen zu beziehen, war sie begeistert.

Seit sie hier lebt, fühlt sich Edda nicht mehr allein. Intensiv pflegt sie Kontakte innerhalb des Mehrgenerationenprojekts, aber auch mit Dorfbewohnern außerhalb der Wohnanlage kommt sie ins Gespräch. In Oberhausen kann sie auch ohne Auto gut alt werden, findet sie: „Ich vermisse nichts, hier ist alles, was ich brauche!“ Und möchte sie doch einmal in Neuburg einkaufen, wird Edda von ihren Nachbarn mitgenommen, ohne groß nachfragen zu müssen.

Wo sie gebraucht wird, hilft auch Edda gerne anderen. Sie hilft nachmittags manchmal den Kindern anderer Bewohner bei den Hausaufgaben oder isst mit ihnen gemeinsam zu Mittag, wenn die Eltern nicht da sind. Für die Seniorengruppe, welche donnerstags im Gemeinschaftsraum ist, verteilt sie des Öfteren Kaffee und Kuchen.

Wie lebt man hier?

Seit ihrem Einzug haben Sebastian, Elke, Günter und Edda schon so einiges erlebt. In den Lebensräumen haben sie zwar viele Vorteile, stehen aber immer wieder auch vor kleineren und größeren Herausforderungen. Was die vier Bewohner am Mehrgenerationen-Wohnen besonders schätzen und was ihnen Schwierigkeiten bereitet, erzählen sie.

Mehr als nur gute Nachbarn

Gibt es den perfekten Bewohner?

Wilhelmine Forster-Hüttlinger erklärt, welche Eigenschaften Bewerber zusätzlich zum passenden Alter mitbringen sollten.

Doch nicht jeder ist geeignet für das Wohnen in Mehrgenerationen-Wohnprojekten. Ein harmonisches Miteinander zwischen Jung und Alt ist nicht immer ganz einfach. In gewisser Weise stehen die Generationen in Konkurrenz zueinander und haben mit Klischees zu kämpfen. Die Leiterin des Seniorenbüros von Oberhausen, Wilhelmine Forster-Hüttlinger, achtet darauf, dass die Altersstruktur in den Lebensräumen dem Idealmodell nahe kommt: ein Drittel junger Leute unter 30, ein Drittel Menschen mittleren Alters und ein Drittel Senioren ab 60. So wird gewährleistet, dass verschiedene Generationen sich gegenseitig helfen können und sich niemand überlastet fühlt.

Gemeinsam für alle

Sebastian und Elke bringen sich mit zwei anderen Nachbarn im Bewohnerbeirat ein. In unregelmäßigen Abständen überlegen sie gemeinsam, wie sie die Bewohner der Lebensräume noch näher und häufiger zusammenbringen können. Von Oktoberfest-Abend, Filmnächten bis hin zum Public Viewing bei der Weltmeisterschaft haben sie schon so einiges organisiert. Der Einsatz des Bewohnerbeirats kommt allen Bewohnern der Lebensräume zu Gute. Und die Tatkraft der kleinen Gruppe steckt an: Unregelmäßig, aber immer wieder machen auch andere Bewohner mit.

Den Nachmittag vor dem ersten WM-Spiel der Deutschen nutzen Sebastian, Elke und ihre 16-jährige Tochter Jasmin für die letzten Vorbereitungen. Schon einige Tage vorher hatten sie alle Bewohner der Lebensräume zum gemeinsamen Fußballabend eingeladen.

Begegnungsort für das ganze Dorf

Anfangs waren die Dorfbewohner von Oberhausen skeptisch. Warum sollte in einem so traditionellen Dorf ein derart neumodisches Wohnprojekt gebraucht werden? Nach Meinung vieler war in Oberhausen bereits alles zu finden, was ihr Leben bereicherte. Viele hielten das Modellprojekt der Lebensräume erst für eine Art Seniorenheim, in dem ausschließlich alte Menschen miteinander leben würden. Die Gemeinde Oberhausen lud das ganze Dorf zum Richtfest ein und informierte über das Vorhaben.

Mittlerweile sind die Lebensräume für alle Oberhausener ein Treffpunkt für gemeinschaftliche Aktivitäten. Der Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss eignet sich bestens für Kurse und Kleingruppen. Vom Seniorenbüro werden regelmäßig Filmabende oder Vorträge zu Gesundheitsthemen organisiert. Und neben der Gymnastikgruppe für Damen ab 50 finden sich hier auch einmal wöchentlich eine junge Sportgruppe, eine Krabbelgruppe, eine Seniorengruppe und ein Computerkurs ein.

Anders als die meisten bayerischen Mehrgenerationen-Wohnprojekte liegen die Lebensräume Oberhausen nicht in einer Großstadt, sondern im ländlichen Raum im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen. Doch gerade dort erfüllen sie in der Mitte des Dorfes mehr als nur die Aufgabe, Jung und Alt zusammen zu bringen. Sie integrieren nämlich auch Alteingesessene und Neuzugezogene.

Anika ZidarGenerationen: Miteinander statt nebeneinander