Homosexualität:
Gleiche Liebe – ungleiches Recht

Thomas Hitzlsperger outet sich und wir Deutschen finden das toll. Conchita Wurst gewinnt den Eurovision-Song-Contest und die Medien feiern ihren Sieg. Deutschland scheint tolerant zu sein. Zumindest im Vergleich zu Ländern wie Afghanistan, wo Homosexualität heute noch mit dem Tod bestraft wird. Aber auch in Deutschland werden Schwule und Lesben noch in vielen Bereichen diskriminiert.

Der 11.06.1994 war für viele Schwule ein denkwürdiger Tag, weil sie für sich endlich mehr Gerechtigkeit erhofften: Der „Schwulenparagraph“ 175 wurde abgeschafft. Endlich ist der Sex auch zwischen Männern in Deutschland erlaubt. Bis 1969 war dieser ebenso strafbar wie der Sex mit Tieren. Das Totalverbot wurde zwar immer mal wieder gelockert, aber erst vor 20 Jahren eindeutig abgeschafft. Insgesamt 140.000 Männer wurden wegen diesem Paragraphen in Deutschland verurteilt – fast alle von ihnen mussten ins Gefängnis. Lesben wurden dagegen in dem Gesetz weder erwähnt, noch wurden sie bestraft.

Homophobie: Trotz allem immer noch vorhanden

Seitdem hat sich in Deutschland viel bewegt. Viele weitere Regelungen sind gefolgt, die für mehr Gleichheit sorgen sollen. Andere Länder sind dagegen immer noch extrem schwulenfeindlich: In zehn Ländern gibt es heute noch die Todesstrafe. Und selbst in Ländern wie dem Kosovo, wo Homosexualität nicht verboten ist, müssen Schwule und Lesben um ihr Leben fürchten. Viele Länder machen auch wieder einen Schritt zurück: In Uganda werden Schwule und Lesben verfolgt – nachdem im Februar 2014 ein neues Anti-Homosexuellen-Gesetz in Kraft getreten ist. Zuvor wurde Homosexualität zwar nicht unbedingt toleriert, das Gesetz hat die Lage aber noch deutlich verschlimmert.

Die Karte zeigt, in welchen Ländern Homosexualität illegal ist. Straffreiheit bedeutet nicht zwangsläufig, dass Homosexuelle dort nicht diskriminiert werden und Gesetze gegen homosexuelle Handlungen nicht zwangsläufig, dass auch jemand verurteilt wird.

Aber auch in Deutschland gibt es Menschen, die schwulen- und lesbenfeindlich sind, die sie beschimpfen und diskriminieren – und das trotz Lebenspartnerschaftsgesetz, angepasstem Steuerrecht und Antidiskriminierungsrichtlinien. Auch beim Blutspenden werden Schwule benachteiligt: Weil das Infektionsrisiko für HIV bei Schwulen statistisch gesehen höher ist, dürfen sie kein Blut spenden – ohne Ausnahme. Dadurch werden viele potentielle Spender verloren, denn auf HIV getestet wird letztendlich jede abgegebene Blutspende. Rechtlich verantwortlich für das Spende-Verbot ist das Bundesministerium für Gesundheit. Mit dem 1993 eingeführten Transfusionsgesetz wurde ein Arbeitskreis Blut eingesetzt, der die Blutspende für das Bundesministerium verwaltet und auch für Änderungen der Vorschrift zuständig ist. Dagegen wird zur Zeit heftig protestiert. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland hat eine Open Petition gestartet, bei der bis zum 01. Juli 2014 bereits über 22 500 Menschen unterschrieben hatten – innerhalb von 10 Tagen.

Axel Hochrein, Bundessprecher vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) über Homophobie in Deutschland.


Soll man homosexuelle Partnerschaften rechtlich in allen Punkten mit der Ehe gleichstellen?

Nein
29%
Weiß nicht
5%
Ja
66%

Bei der von Focus beauftragten Studie wurden 2010 1.004 Menschen befragt. © Statista 2014

In welchen europäischen Ländern können homosexuelle Paare die Ehe eingehen, in welchen Ländern die eingetragene Lebenspartnerschaft und in welchen Ländern ist keines von beidem möglich.

Ehe/Lebenspartnerschaft: Noch keine rechtliche Gleichstellung

2001, 15 Jahre nach der Abschaffung des „Schwulenparagraphen“, wurde das Lebenspartnerschaftsgesetz eingeführt – die Miniaturausgabe der Ehe. Ein gemeinsamer Name, Erbrecht und Zeugnisverweigerungsrecht – das alles ist bei homosexuellen Paaren genauso geregelt, wie bei heterosexuellen Paaren. Das Lebenspartnerschaftsgesetz ist allerdings nur der erste Schritt zu einer völligen Gleichstellung mit der Ehe. Das haben sich im Jahr 2010 immerhin 66 Prozent der deutschen Bevölkerung gewünscht. Im europäischen Vergleich hängt Deutschland dabei ziemlich hinterher: Es gibt kein gemeinsames Adoptionsrecht, Frauenärzten wird aus rechtlichen Gründen abgeraten, Lesben künstlich zu befruchten, und Schwule dürfen sich in Deutschland keine Leihmutter suchen.

Besonders schwer haben es Schwule und Lesben, die gläubig sind. Sie dürfen sich weder in der evangelischen noch in der katholischen Kirche trauen lassen. Immerhin: Manche evangelische Landeskirchen segnen gleichgeschlechtliche Paare, was einer kirchlichen Trauung sehr nahe kommt. Jede Landeskirche kann selbst entscheiden, wie sie mit homosexuellen Paaren in ihrer Kirchengemeinschaft umgeht.

Die evangelische Kirche in Eichstätt hatte bis jetzt noch kein offen schwules oder lesbisches Paar in ihrer Kirchengemeinde. Trotzdem hat sich Pfarrer Sieghart Schneider schon überlegt, wie die evangelische Kirche in Eichstätt mit lesbischen und schwulen Protestanten umgehen wird.

In der katholischen Kirche wird dagegen alles zentral geregelt. Es gibt für alle Kirchen und Katholiken eine gültige Weisung, was homosexuelle Paare in der katholischen Kirche angeht. Der Moraltheologe Prof. Dr. Stefan Müller beschäftigt sich zwar mit dem Thema Ehe, aber nicht direkt mit Homosexualität. Trotzdem hat er versucht zu erklären, wieso Schwule und Lesben in der katholischen Kirche nicht heiraten können und was die Bibel zum Thema Sexualität sagt.

Interview mit Pfarrer Sieghart Schneider über die Einstellung der evangelischen Kirche zu Homosexualität:

Wie steht die evangelische Kirche zu Homosexualität?

Es gibt unterschiedliche Positionen: Die einen sagen, es ist Sünde, und die anderen sagen, es ist ganz normal. Das liegt daran, dass es innerhalb der Kirche unterschiedliche theologische Positionen gibt und auch innerhalb der Bibel unterschiedliche Aussagen. Das Leitbild der jedoch ist, dass man monogam und heterosexuell zusammenlebt. Dass also Mann und Frau zusammengehören und auch auf eine Beziehung beschränkt sind. Und jetzt war das Problem der EKD: Wie ist das mit Menschen, die homosexuell zusammenleben? Kann ich einen vergleichbaren Segenszuspruch machen?

Die evangelische Kirche hat sich entschieden anders an das Thema Homosexualität heranzugehen als die katholische. Wie genau steht die evangelische Kirche zu homosexuellen Christen, die heiraten wollen?

Die Positionen beider Kirchen sind unterschiedlich, das ist richtig. Unsere evangelische Position ist: Wenn jemand homosexuell orientiert ist, ist das zu respektieren und zu achten. Der Staat schützt ja die homosexuelle Beziehung über die eingetragene Lebenspartnerschaft. Und wenn sich ein homosexuelles Paar als Christ versteht und auch lebenslang zusammenhalten will, füreinander da sein will, dann kann ich in der Kirche für dieses Paar durchaus Gott um seinen Segen bitten und auch ihnen den Segen zusprechen.

Interview mit dem Moraltheologen Prof. Dr. Stefan Müller über die Einstellung der katholischen Kirche zu Homosexualität:

Wieso können Homosexuelle keine Ehe eingehen?

Die kirchlichen Sexualethik geht vom biblischen Schöpfungsbericht aus: Der Mensch wird als Mann und Frau erschaffen. Die Ehe ist für Mann und Frau bestimmt und auf Familie ausgerichtet. Auf diese Weise werden die beiden Sinnwerte der Sexualität in einer Ehe erfüllt: treue Liebe auszudrücken und Fruchtbarkeit zu realisieren. Die Sinnfülle der Sexualität wird in der Homosexualität nicht voll zugänglich.

Wie geht die katholische Kirche mit Homosexuellen um?

Im Katechismus heißt es wörtlich: „Ihnen ist mit Achtung, Mitgefühl und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen.“ – Das ist natürlich die allererste Aussage. Die Würde des Menschen ist unantastbar. In der kirchlichen Lehre ist die Würde des Menschen in der Schöpfung begründet: Der Mensch ist von Gott erschaffen und von ihm geliebt. Und das gilt für jeden Menschen. Man kann einen Menschen nicht allein nach seiner sexuellen Orientierung beurteilen. Jeder Mensch hat eine Berufung, jeder Mensch hat im Plan Gottes eine Bedeutung und Aufgabe und darum geht es im Leben zu allererst.

Wie sehen Sie die allmähliche Gleichstellung von homosexuellen Paaren mit der Ehe, beispielsweise beim Ehegattensplitting?

Wenn man homosexuelle Partnerschaft mit der Ehe beim Ehegattensplitting rechtlich gleichstellt, wird Ungleiches gleich behandelt. Die Ehe ist steuerlich privilegiert, weil sie der Raum ist, um Familie zu gründen. Deshalb werden natürlich auch Kinder steuerlich berücksichtigt. Es liegt im ureigensten Interesse des Staates Familien zu fördern.

Hat sich die Kirche in ihrer Einstellung zu Homosexuellen verändert?

Ich glaube, dass da von Beginn an eine relative Kontinuität in der Einstellung der katholischen Kirche da ist. Natürlich auch biblisch begründet. Es gibt biblische Aussagen zum Thema Homosexualität, die ein negatives Urteil formulieren. Natürlich wird man hier berücksichtigen müssen, dass man über Homosexualität damals in den ersten Jahrhunderten nach Christus noch keine Erkenntnisse hatte, wie wir sie heute haben. Zum Beispiel bezüglich der Frage der Reversibilität oder Irreversibilität.

Adoptionsrecht: Homosexuelle Beziehung ja, aber ohne Kind

Wie wir gezeigt haben, dürfen Schwule und Lesben ihre Homosexualität ausleben, sie dürfen sich als Paar rechtlich aneinander binden, sie dürfen den Steuervorteil von Ehegattensplitting nutzen. Aber wenn Kinder bei zwei Mamas oder bei zwei Papas aufwachsen, hat nicht nur Angela Merkel ein „komisches Gefühl im Bauch“. Kinder in homosexuellen Beziehungen sind immer noch ein heftig diskutiertes Thema.

In welchen europäischen Ländern dürfen homosexuelle Paare gemeinsam Kinder adoptieren, in welchen Ländern gibt es die Stiefkindadoption und in welchen Ländern haben Homosexuelle keine der beiden Möglichkeiten.

Eine gemeinsame Adoption von homosexuellen Paaren ist immer noch verboten. Aber wenn Paare sich wirklich ein Kind wünschen, dann suchen sie nach Möglichkeiten, das Adoptionsverbot zu umgehen. Das ist mit viel Aufwand, Bürokratie und auch Geld verbunden. Schwule Paare müssen die Leihmutter bezahlen, lesbische Paare sich Sperma. Und sobald die biologischen Hürden genommen wurden, müssen sie dem Jugendamt erst einmal beweisen, dass es dem Kind bei ihnen gut geht.

Auch die Leihmutterschaft ist in Deutschland verboten und die Bundesärztekammer rät Gynäkologen davon ab, lesbische Frauen zu befruchten. Was homosexuellen Paaren bleiben sind Stiefkindadoption und die sukzessive Adoption. Erstens: Bei der Stiefkindadoption kann der eingetragene Lebenspartner das leibliche Kind des anderen adoptieren. Zweitens: Bei der 2014 eingeführten sukzessiven Adoption kann der Lebenspartner auch das nichtleibliche Kind des anderen adoptieren. Letztendlich entscheidet aber das Jugendamt, ob es wirklich dem Wohl des Kindes dient, wenn der Lebenspartner adoptiert.

Lesben und Schwule in Deutschland haben inzwischen viele Rechte. Aber bis sie sich nicht mehr als diskriminierte Minderheit fühlen, muss noch einiges geschehen – vor allem die Angleichung der eingetragenen Lebenspartnerschaft an die Ehe. Denn damit könnten homosexuelle Paare auch gemeinsam ein Kind adoptieren. Dann wäre eine homosexuelle Familie mit Kindern irgendwann keine Sensation mehr, sondern einfach nur das, was es wirklich ist: eine Familie, in denen Eltern ihre Kinder lieben.

Marina SpeerHomosexualität: Gleiche Liebe – Ungleiches Recht