Theodizee: Warum lässt er das zu?

Unsere Lebensentwürfe wandeln sich, neue gesellschaftliche Fragen tauchen auf und unsere Ansichten verändern sich – viele  Menschen suchen in diesen Phasen nach Halt in einem Glauben. Doch wie lässt sich Glauben an Gott und die Ungerechtigkeit der Welt vereinbaren?

Es trifft einen meist unerwartet. Plötzlich stirbt die Tante, ein Bekannter hat einen Unfall oder eine Freundin wird mit Diagnose Krebs konfrontiert. Und man fragt sich: Warum passiert das gerade jetzt und ausgerechnet ihnen? Wenn es Gott gibt und Gott gut ist, mit welcher Rechtfertigung lässt er dann das Böse auf der Welt zu?
Diese Frage wird seit dem frühen Aufklärer Gottfried Wilhelm von Leibniz als Theodizee-Frage bezeichnet. Der Begriff stammt aus dem Griechischen und meint „Rechtfertigung Gottes“. Viele Religionen gehen nämlich von einem allmächtigen Gott aus – und müsste dieser nicht Naturkatastrophen, Krankheiten und Kriege vermeiden?

„Ich glaube schon, dass es Gott trotz Ungerechtigkeit in der Welt geben kann. Es gibt ja auch einen Friseur und trotzdem Leute, die mit einer schlechten Frisur rumlaufen.“Fatma, Studentin an der KU Eichstätt.

Wir haben elf Personen aus der ganzen Welt diese Frage gestellt. Sie erzählen uns von ihren Ansichten über Gott und Gerechtigkeit.


In den Videos können viele Gott und Gerechtigkeit nicht miteinander verbinden. Trotzdem schließen sie ihn deshalb nicht unbedingt aus. Heute ist Religion nicht gleich Religion und Glaube nicht gleich Glaube. Mehr als ein Fünftel aller Deutschen setzen sich ihr eigenes Glaubensbild aus Puzzleteilen verschiedener Religionen zusammen. Um jedoch auf den Grund der Ansichten zu gehen, lohnt sich ein Blick auf die eigentlichen Ansichten der großen Weltreligionen:

Das Christentum

Das Christentum geht ursprünglich vom Sündenfall aus: Eva hat vom verbotenen Apfel gegessen und dadurch die Harmonie zerstört. Die Sünde des Menschen bringt das Leid in die Welt. Eine neuere Theorie nach Alfred North Whitehead ist die sogenannte Prozess-Theorie. Sie geht davon aus, dass das Übel schon immer auf der Welt bestand. Das Paradies existiert demnach nicht. Gott ist dieser Theorie zu Folge nicht allmächtig, er greift in das Weltgeschehen nur lenkend ein und versucht die Menschen durch seine Liebe zum guten Handeln zu bewegen.

Das Judentum

Im Judentum ist die Gerechtigkeitsfrage zentral: Die Juden glauben an einen Gott der Gerechtigkeit. Wenn doch Leid geschieht, dann gibt es zwei Interpretationsmöglichkeiten: Zum einen wird Leid als eine Strafe Gottes gesehen. Gott hat das Volk Israel erwählt, dieses hat versagt und wird durch das Leid geläutert. Frieden wäre also möglich, wenn Gottes Volk sich bekehren würde. Doch gerade seit dem Holocaust wird dieses Verständnis von Leid kritisch hinterfragt: Kann Gott sein Volk auf solche Art bestrafen wollen? Ein weiterer Interpretationsansatz des Leides ist daher, dass Gott den Gläubigen prüft. Gottes Gründe hierfür sind dem Gläubigen unergründlich, doch Gott leidet mit seinem Volk.

Der Islam

Der Islam hingegen beschreibt einen gütigen Gott. Allah fügt den Menschen kein Leid zu – es sind die Menschen selbst, die das untereinander tun. Leid bedeutet, dass der Mensch falsch gehandelt hat, es ist ein Aufruf Allahs zur Umkehr. Man unterscheidet dabei zwei Denkrichtungen: Die Mu’tazilaten glauben, dass Gott allmächtig ist und damit grundsätzlich auch über das Böse verfügen könnte. Weil er jedoch gerecht ist, tut er das nicht. Vielmehr muss es Gegensätze wie gut und böse auf der Welt geben, damit dass Leben einen Sinn hat. Das Böse ist damit eine Wahl menschlicher Freiheit. Die As’ariten hingegen gehen davon aus, dass der allmächtige Gott Urheber von allem ist, also auch vom Schlechten. Doch Gott will nur das Beste für den Menschen. Das Leid wird damit zum Mittel: Alles, was dem Gläubigen im Leben geschieht, ist letztendlich zum Guten vorbestimmt.

Der Hinduismus

Der Hinduismus ist weniger eine Religion, als ein Sammelbegriff für verschiedene Glaubensströmungen. Hindus glauben nicht an einen, sondern an mehrere Götter. Der Ursprung allen Leidens ist für sie der Wiedergeburtenkreislauf. Geregelt wird dieser Kreislauf durch das Prinzip des Karmas: Wer Gutes tut, dem wird Gutes widerfahren, wer schlecht handelt, dem wird Schlechtes geschehen. Dieses Gute oder Schlechte wird auf die verschiedenen Wiedergeburten übertragen. Der Mensch ist für sein Leid also selbst verantwortlich – kann sich aber auch selbst davon befreien. Daher spricht man auch von einer moralisierenden Theodizee. Ungelöst bleibt, wo das erste schlechte Karma herkam.

Der Buddhismus

Der Buddhismus lehnt den Glauben an einen personalen Schöpfer ab. Damit bleibt nicht Gottes Einfluss auf das Übel zu erklären, aber doch die Frage, wieso es Leid gibt. Für den Buddhisten ist das Leid das Leben selbst. Der Mensch leidet, weil alles Glück vergänglich ist. Damit wird er jedoch weder geprüft, noch bestraft. Vielmehr soll es das Ziel des Buddhisten sein, sich vom Leiden zu befreien. Das schafft er, indem er aufhört, sich an materielle vergängliche Dinge zu klammern. Die Erlösung vom Leid ist im Buddhismus ein Frei-Sein von allem Wünschen und Wollen.

Markus WolfTheodizee: Warum lässt er das zu?