Clicktivism – der Trend zu Online-Petitionen
Molly Katchpole hat die Schnauze voll. Für ihre Karte bei der Bank of America soll sie neuerdings fünf Dollar pro Monat zahlen. Ein bisschen viel erscheint ihr das, nur für die Nutzung ihrer Karte. Sie setzt sich an den PC, loggt sich auf der Plattform change.org ein und startet eine Petition. Schnell unterzeichnen 300 000 weitere Kunden der Bank. Daraufhin macht die Bank einen Rückzieher, die Karte bleibt kostenlos. Katchpole gewinnt: Ihre Petition besiegt eine der größten Banken der USA.
Katchpoles Petition ist nur ein Beispiel von vielen: Online-Petitionen gibt es im ganz Kleinen und im ganz Großen. Manche erreichen Millionen von Unterstützern, manche knacken nicht einmal die Hundertermarke. Einige kanalisieren großen öffentlichen Druck auf Institutionen, Organisationen und Verantwortliche. Andere versanden ungehört im Datennirvana des Worldwide Web. Wir begeben uns auf Spurensuche:
- Warum nutzen immer mehr Menschen Online-Petitionen?
- Wer nutzt sie?
- Was sind die Nachteile?
- Bringen sie überhaupt etwas und können sie mehr Gerechtigkeit schaffen?
Wir befragen drei Initiatoren, die eine Petition gestartet haben, zu Gründen, Problemen und Folgen ihrer Petition.
Pressestimmen
Lanz, Rente, Grundeinkommen: drei Petitionen und die Menschen dahinter
Maren Müller platzte der Kragen. Noch am selben Abend startete sie auf openpetition.de die Petition“Lanz raus aus meinen Rundfunkgebühren”. Scheinbar war sie nicht die Einzige, die das Verhalten des Moderators wütend machte. Innerhalb weniger Stunden hatten tausende Menschen die Petition unterzeichnet. Insgesamt 233 355 Unterzeichner unterstützten letztlich das Anliegen von Maren Müller.
Ende Februar überreichte Maren Müller die gesammelten Stimmen an das ZDF-Landesstudio in Dresden. Intendant Thomas Bellut gab daraufhin zu, dass “die Konstellation der Gesprächsteilnehmer unausgewogen war”, betonte aber, dass Lanz als Moderator seine Meinung zum Ausdruck bringen darf.
Im Nachgang der Aktion rief Maren Müller mit anderen Mediennutzern den Verein Ständige Publikumskonferenz ins Leben. Der Verein setzt sich für mehr Kommunikation zwischen den Mediennutzern und den Verantwortlichen in den öffentlich-rechtlichen Medien ein.
Einer von ihnen: Marc Sauter. Er hält das Rentenpaket finanzpolitisch für sinnlos und irrational. Deshalb startete er auf change.org seine Petition“Stoppen Sie die Rente mit 63!”. Bisher konnte er 1216 Unterstützer für sein Anliegen werben.
Noch läuft die Petition zwar, das Rentenpaket wurde allerdings bereits vom Bundestag verabschiedet. Deshalb können viele Arbeitnehmer ab nächstem Jahr mit 63 Jahren in Rente gehen. Die Petition konnte das Rentenpaket zwar nicht verhindern. Die öffentliche Aufmerksamkeit konnte sie trotzdem erregen und so die Anliegen der Unterzeichner kommunizieren.
Für viele ist unvorstellbar, dass so etwas funktionieren könnte. Nicht so für Susanne Wiest. Sie startete eine E-Petition beim Bundestag. Schnell zeigte sich: Mehr Menschen als gedacht, haben auf die Petition gewartet. Es unterzeichneten so viele Bürger, dass sogar der Petitionsserver des Bundestags zusammenbrach.
Susanne Wiest bekam mit ihren mehr als 50 000 Unterstützern genug Unterschriften, damit die Petition im Petitonsauschuss beraten wird. Sie selbst sprach vor dem Ausschuss und bezog Stellung zu dem Thema. In der Debatte zeigte sich: In allen Parteien gibt es Sympathisanten des Vorhabens. Aber auch viele Gegner.
Durch ihre Petition konnte Susanne Wiest das Thema Bedingungsloses Grundeinkommen in Öffentlichkeit und politische Gremien tragen. So sorgte sie dafür, dass sich politische Entscheidungsträger mit dem Thema beschäftigen. Auch wenn sie mit ihrer Petition nicht erreichen konnte, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt wird: Susanne Wiest hat den Kampf nicht aufgegeben undsetzt sich weiterhin für ihr Anliegen ein.
Die wichtigsten Plattformen im Überblick
Der offizielle Weg
E-Petitionen des Bundestages
– „Geplante Internetsperren verhindern“ mit 135 404 Unterzeichnern
– „Steuerfreiheit für private Ballet-, Tanz. oder Musikschulen“ mit 97 078 Unterzeichnern
– „Verbesserung der Rahmenbedingungen in der Altenpflege“ mit 92 739 Untersützern
Offene Plattformen
openpetition.de
„Raus mit Markus Lanz aus meinem Rundfunkbeitrag“ forderte 2013 Maren Müller und traf damit einen wunden Punkt. Innerhalb von kürzester Zeit erreichte die Petition tausende von Menschen. Am Ende hatten mehr als 230 000 Menschen die Petition unterzeichnet. Im Februar 2014 wurde die Petition an das ZDF übergeben. Im Nachgang der Aktion wurde eine Ständige Publikumskonferenz gegründet, der künftig zwischen den Beitragszahlern und den öffentlich-rechtlichen Medien vermittelt.
Die „Saatgutvielfalt in Gefahr“ – das sah 2013 Anreas Riekenberg und begann Unterschriften gegen Monsanto & Co zu sammeln. Insgesamt 150 000 Unterstützer konnte er werben, 95 000 davon auf openpetition.de. Anfang 2014 legte er die gesammelte Beschwerde der EU vor. Das Parlament entschied letztlich gegen die Saatgut-Verordnung.
campact.de
„Fracking stoppen: Rettet unser Trinkwasser“. Die Fracking-Methode steht unter heftiger Kritik. Zusammen mit BUND und weiteren Partnern versucht Campact den Protest zu kanalisieren. Mehr als 400 000 Unterzeichner konnten sie so schon erreichen. Auch diese Aktion läuft noch: die 500 000-Marke ist anvisiert.
Die Debatte um die Zulassung von Gen-Mais in Europa hat viele Bürger bewegt. Vor allem auch die mehr als 200 000 Unterstützer der Kampagne „Gen-Mais: Nur ein Nein schützt“. Nicht nur mit der Petition, sondern auch mit vielen Demonstrationen und Aktionen versuchte der Verein die Einführung des Gen-Mais zu verhindern. Letztlich jedoch ohne Erfolg: im Februar 2014 wurde Gen-Mais zugelassen.
change.org
„Prosecute the killer of our son“. In den USA machte 2012 die Ermordung des 17-jährigen Trayvon Martin Schlagzeilen. Der Schütze George Zimmerman wurde strafrechtlich nicht verfolgt. Ein großer Aufschrei ging durch die amerikanische Bevölkerung. Die Eltern des ermordeten Jungen starteten schließlich eine Petition und sammelten mehr als zwei Millionen unterschriften. Der Staat Florida sicherte schließlich zu, eine Strafe gegen den Chef der neighborhood watch, der auch Zimmerman angehörte, auf den Weg zu bringen.
„Bienensterben stoppen“. Die EU plante 2013 drei Pestizide zuzulassen, die für Bienen giftig sind. Umweltorganisationen, die Deutschen Imker und tausende Bürger begehrten dagegen auf. Manfred Hederer, selbst Mitglied des Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbundes, startete schließlich eine Petition und holte mehr als 363 000 Unterschriften. Im Mai 2013 lehnten insgesamt 15 Mitgliedsstaaten den Entwurf ab und verhinderten so, dass die Pestizide zugelassen wurden.
avaaz.org
„Korruption in Brasilien? Nein Danke.“ Die größte Petition in der Geschichte Brasiliens erreichte mehr als 1,6 Millionen Menschen. Die Petition forderte, den Senatspräsidenten zu entlassen, der wegen Korruptionsvorwürfen ausgesetzt war. Nur knapp entging der Senatspräsident einer Amtsenthebung.
„Ein Sieg für die Bienen in Europa“ Auch auf avaaz.org wurde eine Kampagne gegen die geplante Einführung der Pestizide in Europa gestartet. Neben viele anderen Aktionen, die organisiert wurden, unterzeichneten 2,6 Millionen Menschen die Petition und setzten so ein Zeichen. Schlussendlich kamen die bienengefährdenden Mittel nicht auf den Markt.
Warum nutzen Menschen Online-Petitionen?
Egal, ob Hundesteuer abschaffen oder Atomenergie stoppen: So vielfältig wie die Themen sind auch die Motive, eine Online-Petition zu starten. Die ganze Vielfalt der Anliegen, Bitten und Forderungen wiederzugeben scheint unmöglich. Die Plattform avaaz.org führt allerdings auf seinem Internetauftritt eine ständige Umfrage zu Themen, Ideen und Nutzern durch, die einen gewissen Blick auf die Menschen hinter den Petitionen zulässt.
Gegen die Korruption, für das Gemeinwohl
Die Umfrageergebnisse zeigen: Die Probleme, die den Nutzern am meisten am Herzen liegen, sind wirtschaftlicher Natur. Bekämpfung von Korruption und Einfluss der Eliten sowie die Schaffung eines Wirtschaftssystem, das auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist – das halten fast 90 Prozent der Befragten für die größten Herausforderungen. Aber auch Umwelt- und Menschenrechtsthemen sind hoch im Kurs.
Außerdem fragt avaaz.org nach den Werten, die den Nutzern wichtig sind. Hier bestätigt sich das Bild: Die Meisten halten Gleichberechtigung, Umwelt und persönliche Verantwortung für wichtige Werte.
Nachgefragt – Warum habt ihr eure Online-Petition gestartet?
Wer nutzt Online-Petitionen?
Ralf Lindner und Ulrich Riehm haben sich wissenschaftlich mit dem Thema Beteiligung im Internet beschäftigt. In der Zeitschrift für Parlamentsfragen erläuterten sie 2009, wie der typische Initiator von Online-Petitionen aussieht.
Er ist männlich, gut gebildet und im höheren Alter. Außerdem ist er überdurchschnittlich oft aktiv in gesellschaftlichen und politischen Organisationen. Unterrepräsentiert sind hingegen Frauen, Jugendliche, Senioren und Menschen mit geringem Bildungsstand. Die Einführung von Online-Petitionen konnte den Anteil dieser unterrepräsentierten Gruppen auch nicht erhöhen. Die Merkmale des typischen Online-Petenten decken sich weitestgehend mit denen von “klassischen” Antragsstellern.
Nur eine Bitte von unten?
Wofür sind Online-Petitionen überhaupt gut? Zunächst einmal kann jeder eine Petition starten und zwar ohne großen Aufwand. Dabei kann sich der Petent überlegen, welche Plattform für ihn die Richtige ist. Ist das Thema weltweit wichtig? Dann sind vielleicht die international agierenden Plattformen der richtige Weg. Oder wende ich mich mit einer E-Petition direkt an den Bundestag? Oder möchte ich mich lieber an einer Kampagne beteiligen, die schon ein Verein wie zum Beispiel Campact gestartet hat?
Jeder hat die Möglichkeit, sein persönliches Anliegen einzubringen. Wirbt er genug Unterstützer, kann er damit sein Thema auf die Agenda setzen. Eine rechtsbindende Wirkung haben Petitionen jedoch nicht. Die vielen erfolgreichen Beispiele zeigen dennoch, dass Online-Petitionen viele Menschen erreichen und so öffentlichen Protest kanalisieren können. In viele Fällen reagieren die Verantwortlichen auf die Online-Petitionen.
Nachgefragt – Was hat eure Petition bewirkt?
Die Nachteile von Online-Petitionen
So viele Unterzeichner eine Online-Petition auch erreichen mag: Eine Garantie, dass das Anliegen Gehör findet gibt es nicht. Denn Online-Petitionen haben keine Rechtsverbindlichkeit und auch beim Verfahren gibt es noch viele Schwachstellen. Unterzeichner können in auf manchen Plattformen anonym bleiben und müssen sich nicht formell identifizieren. Nachhaltige demokratische Beteiligung ist aber nur dann möglich, wenn die Bürger auch als solche mit ihrem Namen ein Anliegen unterzeichnen.
Der Stammtisch im Netz
Über Online-Petitionen werden nicht nur politische Anliegen kommuniziert, oft sind sie auch Plattform für Meinungen und populistische Parolen. Besonders die Petition von Maren Müller löste eine Debatte über die Sinnhaftigkeit von Online-Petitionen aus. Kritiker monierten, Online-Petitionen seien nicht mehr als ein virtueller Stammtisch. So wird die Beteiligungsmöglichkeit ein Stück weit entwertet.
Maren Müller sagt selbst im Interview, dass sich mit einer populistischen Zuspitzung mehr Unterstützer erreichen ließen. Sie sieht das problematisch: “Ich würde die Petition nicht noch einmal so machen”, sagt Müller.
Keine soziale Gerechtigkeit
Im Schnitt sind viele soziale Gruppen sind bei Online-Petitionen unterrepräsentiert. Frauen, Jugendliche, Senioren und Menschen mit niedrigem Bildungsstand nutzen viel weniger die Online-Petitionen, als Männer im mittleren Alter mit überdurchschnittlich hoher Bildung. In einer Untersuchung über die E-Petition zeigte sich, dass sich durch Online-Petitionen derzeit soziale Unterschiede bei der demokratischen Beteiligung im Netz eher verschärfen.
Nachgefragt – Was sind die Nachteile von Online-Petitionen?
Todessterne und Backpfeifen
Nicht zuletzt gibt es eine Menge Petitionen, die sehr spezielle Anliegen haben oder die nicht ernst gemeint sind. Von Petitionen, die sich gegen Online-Petitionen richten ganz zu schweigen. Eine Übersicht der skurrilsten Petitionen ist im Folgenden aufgelistet:
Was bringt die Online-Petition?
Sind die elektronischen Petitionen nicht mehr als eine amüsante Nebenbeschäftigung? Eine Möglichkeit für Couch-Aktivismus, die letztlich nichts bringt? Oder bringen sie die direkte Demokratie voran?
Die verschiedenen Plattformen zeigen auf ihrer Homepage die gesammelten Erfolgsgeschichten. Hier zeigt sich: Online-Petitionen können etwas bewegen. Oft geben sie den entscheidenden Anstoß für mehr Engagement, weißen auf Missstände hin oder üben Druck auf Verantwortliche aus
Ein großes Wort: Gerechtigkeit
Auch Maren Müller, Marc Sauter und Susanne Wiest sind von der Wirkung ihrer Petitionen überzeugt. Aber Wirksamkeit garantiert nicht Gerechtigkeit. Ob Lanz unfair gehandelt hat, ob die Rente mit 63 irrational ist oder ob ein bedinungsloses Grundeinkommen unser Zusammenleben verbessert, ist oft nicht eine Frage der Gerechtigkeit, sondern des subjektiven Empfindens.
Was also meine die drei Petenten? Können Online-Petitionen eine gerechtere Gesellschaft schaffen?
Die Erfolge der Plattformen
– “Geplante Internetsperren verhindern” mit 135 404 Unterzeichnern
– “Steuerfreiheit für private Ballet-, Tanz. oder Musikschulen” mit 97 078 Unterzeichnern
– “Verbesserung der Rahmenbedingungen in der Altenpflege” mit 92 739 Unterstützern
Nachgefragt – Schaffen Online-Petitionen Gerechtigkeit?
Fazit
Drei Petitionen und drei Meinungen, was diese bewirken können. Eines ist sicher: Maren Müller, Marc Sauter und Susanne Wiest liegen mit ihrer demokratischen Beteiligung durch Online-Petitionen im Trend. Immer mehr Menschen nutzen die elektronischen Plattformen um Anliegen und Probleme, aber auch Meinungen und Wünsche zu kommunizieren. Viele Beispiele zeigen, dass Online-Petitionen eine Möglichkeit für mehr direkte demokratische Beteiligung sind. Andere Fälle wiederum lassen erkennen, dass noch lange nicht alles perfekt läuft.
Es liegt an uns
Wie Online-Petitionen in zwanzig Jahren bewertet werden, das liegt an den Nutzern, also an uns. Vielleicht werden sie das Symbol für Couch-Aktivismus und Clicktivism, für digitale Hetzjagden und Online-Stammtische oder dienen bestenfalls als Unterhaltung wegen kurioser und lustiger Petitionen.
Vielleicht sind sie aber der Schritt in ein neues Zeitalter der Beteiligung und der E-Demokratie. Immer mehr Tools der Online-Beteiligung entstehen. Von Liquid Democracy und e-voting bis hin zur vollständigen E-Demokratie: die Möglichkeiten werden vielfältiger, direkter und besser. Online-Petitionen sind nur eine Melodie in der großen Symphonie der Online-Beteiligung. Das Internet bietet für die demokratische Bürgergesellschaft eine Chance – die Chance, eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen.