2006: Laster und Tugend
Die Summe aller Laster ist konstant, sagt der Volksmund. Und meint damit, dass im Grunde keiner frei von Sünde ist. Jeder Mensch hat große und kleine Scharten auf seinem Kerbholz. Am Ende gibt es bei jedem ein hübsches, breites Muster.
Schon ist alles durcheinander. Laster? Sünde? Kann man das einfach gleichsetzen? Man kann. einsteins kann. Auch Laster sind Sünden, nur nicht die ganz schlimmen. Lässlicher als die Kardinal- oder Todsünden, profan: schlechte Angewohnheiten, tadelnswerte Gewohnheiten mehr als ein Lapsus, aber zu wenig fürs Fegefeuer. Unter Laster ist heute die Gewohnheitssünde zu verstehen. Spätestens seit dem 16. Jahrhundert hatte sich die Bedeutung vom sehr viel breiteren althochdeutschen Wortursprung lastar (Kränkung, Schmähung, Schmach, Schande) abgelöst.
Gelöst vom alten Konzept hat sich auch das Eichstätter Magazin: Dieses Jahr kommt es im Doppelpack. Zwei Hefte in einem. Der Preis von einsteins ist konstant. Nicht nur beim Layout ist die Redaktion „in die Breite gegangen*. Auch thematisch haben die Redakteure mehr als die üblichen schlechten Angewohnheiten Sex, Alkohol und Zigaretten ins Visier genommen: Auf ihren Streifzügen durch die Welt der Gewohnheitssünden sind sie auf habsüchtige Pleiteprofiteure, vergessene Staatsgrund-sätze und den vermeintlichen Zusammenhang zwischen höfischer Wollust und fettleibigen Untertanen gestoßen. Aber auch auf Klassiker wie klerikale Fleischeslust, eifernde Tugendpriester und die zarteste Versuchung.
Einige Autoren haben in ihren Geschichten die positiven Seiten der Laster entdeckt. Ohne Dialektik geht es nicht. Vor allem, wenn sich in unmittelbarer Nähe die Tugend versteckt. Mitunter muss der Mensch lügen, um die Wahrheit zu erkennen. Albert Camus wiederum sah in der Wahrheitsliebe um jeden Preis das Laster der Selbstsucht. Die Faulenzer unter unseren Lesern werden sich über die These freuen, dass Müßiggang nicht unbedingt aller Laster Anfang ist, sondern den Menschen erst frei und zivilisiert macht. Wer schläft, sündigt nicht.
Auch Habgier und Betrug sind nicht automatisch von Übel. Aus großer Entfernung betrachtet, sind Sünden so etwas wie der Mörtel, der die Gesellschaft zusammen-hält. Meinte jedenfalls vor 300 Jahren ein früher Eu-ropäer. Auch wer im Journalismus betrügt, kann in einer globalisierten Welt immer wieder auf die Füße fallen; so treffen wir den Interviewfälscher Tom Kummer wieder.
In diesem Heft kann Laster auch das Geschlecht wech-seln, es kommt dann sehr männlich mit 40 Tonnen daher, wie unser Reporterteam im Truckerparadies Geiselwind erlebte. Es beobachtete, was schon Heinz Erhardt wuss-te: „Mit den Menschen ist es wie mit den Autos: Laster sind schwer zu bremsen.“
Ob etwas als Laster oder als Sünde wahrgenommen wird, ist meist vom Blick abhängig. Niemand hat das so anschaulich vorgeführt wie Tom Wolfe in seinem Roman „Fegefeuer der Eitelkeiten“. einsteins zeigt in der Heftmit-te, dass diese Wahrnehmung nicht nur eine Frage des Blicks, sondern vor allem des Aufnahmewinkels ist. Nicht nur im Fall der Eitelkeit.
Namen
Redaktion: Ralf Hohlfeld, Ralph Kendlbacher, Dominik Stawski, Susanne Klaiber, Pamela Przybylski, Christine Bauer, Alexander Göbel, Marina Anselm, Nina Köstler, Diana Künstler, Sabine Metzger, Henriette Hermanns, Eva Kollmann, Simone A. Mayer, Karin Prummer, Pamela Przybylski, Nastasia Radtke, Kathrin Feigl, Karin Prummer, Christoph Wenzel, Melanie Bradtka, Maria Huber, Sonja Krell, Sebastian Meinberg, Gabriele Pfaffenberger
Dozierende: Walter Hömberg