„Viel Glück!“ wünschen wir uns zu wichtigen Anlässen und an markanten Lebensstationen: vor Prüfungen, bei Geburtstagen oder zu Jubiläen, am Beginn eines neuen Jahres. Glücklich zu werden, darin sehen sieben von zehn Deutschen den Sinn des Lebens. Aber nur jeder Dritte behauptet, es auch wirklich zu sein.
Kaum ein anderes Thema hat die Dichter und die Denker so beschäftigt wie die Suche nach dem Glück. Durch die Jahrhunderte hindurch lassen sich zwei große Glücks-Fraktionen unterscheiden. Die einen sehen das Streben nach Glück sogar als ein Grundrecht des Menschen – das „pursuit of happiness“ wird in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten ausdrücklich garantiert. Und sie betonen den aktiven Beitrag: „Jeder ist seines Glückes Schmied“, „Fleiß ist des Glückes Vater“ und „Das Glück ist den Kühnen hold“, sagt der sprichwörtliche Volksmund. Und Dichter wie der derbe Plautus („Sein Glück schafft sich jeder selbst“), der klassische Vergil („Den Wagemutigen hilft das Glück“) und der tiefgründige Dostojewskij („Glück ist nur in der Tugend enthalten“) stimmen ihm bei. Glück also als Planung, als Leistung und als Belohnung.
Die anderen sehen den großen Zufallsgenerator in der Lotterie des Lebens am Werk. „Es besteht eine Verwandtschaft zwischen den glücklichen Gedanken und den Gaben des Augenblicks: Beide fallen vom Himmel“, so schreibt Friedrich Schiller am 2. Juli 1799 an seinen Kollegen Goethe. Und Federico Garcia Lorca notiert mehr als ein Jahrhundert später: „Das Glück fällt dem zu, der es am wenigsten erwartet.“
„Das beste Mittel, das Glück zu verpassen, besteht darin, es zu suchen.“ Trotz dieser Mahnung von Paul Claudel sind immer mehr Zeitgenossen auf Glückssuche. Und eine reichhaltige Ratgeberliteratur verspricht ihnen, die Goldadern des Glücks auch wirklich zu finden. Anleitungen zum Glücklichsein haben Konjunktur. Ein Buch mit dem Titel „Die Glücksformel oder Wie die guten Gefühle entstehen“ wurde in kürzester Zeit zum Bestseller – acht Auflagen erschienen in wenigen Monaten.
Die meisten Mitteleuropäer haben heute eher mit Problemen der Fülle als mit Problemen des Mangels zu kämpfen. Waren, Dienstleistungen und Lebensstiloptionen im Überfluss – aber welche davon lösen ihre Glücksversprechen auch wirklich ein?
„Der Buchdruck hat das Glück der Menschen nicht gefördert.“ Trotz dieser pessimistischen Feststellung Tolstois haben sich die Redakteure und Autoren von einsteins nicht davon abhalten lassen, auf Glückssuche zu gehen. Glückssymbole und Glücksspiele, Glückskekse und Glücksforschung, Glück und Unglück in psychologischer, neurologischer und physiologischer Hinsicht – das sind einige der Themen, die in den Reportagen, Berichten und Interviews zur Sprache kommen. Dem Thema des Glückes (gefühls) und der Spaßgesellschaft gilt die Aufmerksamkeit ebenso wie den Ergebnissen der Demoskopie und der interdisziplinären Glücksforschung.
Unsere Zeitschrift erscheint zum dreizehnten Mal. Die 13 ist keine Glückszahl, bedeutet aber eine Premiere: Parallel zur Printausgabe wird einsteins erstmals im Internet präsentiert unter www.ku-eichstaett.de/einsteins. Wo auch immer Sie uns lesen, sehen oder hören – am Ende gilt der Wunsch vom Beginn: Viel Glück!
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Namen
Redaktion: Alexander Godulla, Aroa Moreno, Anne Essei, Anne-Katrin Schneider, Andre Stiefenhofer, Christina Grblber, Christine Latz, Clara de la Flor, Clemens Schömann-Finck, Cornelius Heyer, Danyal Alaybeyoglu, Franziska Rötzsch, Jana von Bergner, Judith Wildt, Julia Bauer, Julia Mend, Julian Knapp, Katharina Rau, Kristina Acker, Liane Rothenberger, Maria Findeiss, Marta Aguilar Castillo, Matthias Karpstein, Matthias Strobel, Matt Smis, Reto Peter Glemser, Ralf Hohlfeld, Stephan Zengerle, Steffen Becker, Steffen Windschall, Stephanie Neumeier, Susanne Kleist, Tobias Schmidt, Walter Hömberg, Jens Schröter
Themen
Der Gewinner | Verona im Schrank, Evlis im Regal
Der Verlierer | Er spielt, er ist süchtig, er ist selbst schuld
Geliebter Tyrann | Er schlägt, er schreit, er ist ein Traummann
Auf nach Irgendwo | Warum man in der Ferne schweift
Hans im Glück | Comic: Geld allein macht glücklich
Ein lebendiger Leichnam | Du hast das Lachen verloren
Eine Frau dreht am Rad | Irene Nentwig bringt die Kugel ins Rollen
Reality TV | Vergesst Atabella. Wir sind die besseren Feen
Baumaschinen brüllen, Staubsauger brummen, Telefone klingeln – wir leben in einer lauten Welt. Autos und Flugzeuge, Radios und Fernsehgeräte sorgen unablässig für Lärmemissionen und produzieren negativen Stress, der sich nicht abstellen lässt. Innerhalb der Zivilisationsumwelt gibt es kaum noch „Stille Örtchen“, die von aufdringlichem Maschinenlärm oder unerwünschten Musikduschen nicht erreicht werden.
Ein geografischer Ort, wo man die Stille noch spüren kann, ist die Wüste. „Ich vermag es nicht recht auszudrücken, mein Freund: hier gleitet der Abend an die stehende Zeit. Das Wunder der Ruhe im Leben geschieht. Wie weit bin ich gewandert, um das Wunder zu spüren!“ So beschrieb Johannes Muron vor siebzig Jahren seine Wüstenerfahrungen in dem Buch „Himmel über wanderndem Sand“.
DIE KRAFT DER STILLE
Wer einmal zu Fuß oder auf dem Rücken eines Kamels die Wüste durchquert hat, der hat die Kraft der Stille gespürt. Und er hat neu hören gelernt: Das Flüstern des Sandes, das Wimmern des Windes, der Schrei eines Käuzchens – die natürliche Klangumwelt, am Beginn noch ungewohnt, ja bedrohlich, vermittelt bald ein Gefühl der Geborgenheit. Wenn man dann am Abend im Hotel der tausend Sterne in den Schlafsack kriecht – unter sich die Wellen des Sandes, über sich den Sternenhimmel –, dann fühlt man sich eher beschützt als ausgesetzt. Sven Hedin, der Asienforscher, soll gesagt haben: „Von Zeit zu Zeit braucht jeder Mensch ein wenig Wüste.“ Die absolute Stille – das allerschönste Geräusch.
Soziale Orte, wo man die Stille erfahren kann, gibt es nicht nur an den Rändern, sondern mitten im alten Europa. Vor allem die Klöster kultivieren noch einen Lebensstil, in dem die Stille, das Schweigen und die Zyklen der Zeit zu ihrem Recht kommen. Tag, Monat und Jahr haben ihren eigenen Rhythmus. Vita activa und Vita contemplativa, Achtsamkeit und Betriebsamkeit – wie Ein- und Ausatmen gehören sie zusammen. Mönchsregeln sind nicht zuletzt Kommunikationsregeln, in denen Reden und Schweigen ihren festen Platz haben. Noch nach eineinhalbtausend Jahren bestimmt etwa die Regula des heiligen Benedikt weltweit den Alltag seines Ordens. Von der Gastfreundschaft, die dort ebenfalls festgeschrieben ist, machen immer mehr Menschen Gebrauch.
REDEN UND SCHWEIGEN
Auch die Redakteurinnen und Redakteure des neuen einsteins haben Orte des Schweigens aufgesucht: Klöster und Meditationszentren, Künstlerateliers und Wartezimmer. Zum Kontrast wird die andere Seite vorgestellt: die Lärmhöllen der Flugzeugmechaniker und die Tratschsalons der Friseure. In Reportagen und Porträts kommen Menschen ohne Gehör und ohne Sprache zu Wort. Der Stummfilm, das Beichtgeheimnis und das Schweigen der Mafia sind weitere Themen. Beredt über die Stille und über das Schweigen zu schreiben – das scheint so paradox wie ein Stehkragen, der gut sitzt, oder wie ein Goethe-Denkmal, das durch die Bäume schillert. In jedem Fall ist es nicht leicht für junge Autoren, die sich auf einen Beruf vorbereiten, in dem Reden allemal Gold (beziehungsweise Geld) bedeutet – und das Schweigen verpönt ist. („Vom Aussterben der Sendepause“ – auch das wäre ein Thema gewesen!) Journalisten sind keine Eremiten. Aber auch für sie gilt das Wort des Königs Salomo, der einst Israel zur kulturellen Hochblüte geführt hat: „Reden hat seine Zeit, und Schweigen hat seine Zeit.“
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Namen
Redaktion: Agnes Skutella, Anouk Joester, Claudia Ziob, Elisabeth Harant, Inke Sareyka, Judith Pfeuffer, Julia Andre, Julia Bönisch, Julia Klesse, Kristin Barsuhn, Manuel Bödiker, Manuel Hiermeyer, Maria Findeiß, Manfred Dittenhofer, Miriam Rüffer, Monika Pittroff, Nele Däubler, Rebecca Eisert, Regine Oyntzen, Steffen Windschall, Susanne Kleist, Thomas Steinmann, Walter Hömberg, Wiebke Breuckmann
Dozenten: Walter Hömberg, Ralf Hohlfeld
Themen
Zwischen Gott und Gericht | Er darf selbst Mörder nicht verraten
Folter statt Freiheit | Wer sich auflehnt, muss leiden
Meister des Ausdrucks | Der Stummfilm braucht keine Worte
Tödliches Gelübde | Ein Mafioso muss schweigen können
Böses Brummen | Von einem Geräusch, das schmerzt
Kolumne | Wieviel Kommunikation braucht man?
Eins auf die Ohren | Lärmschutz am Arbeitsplatz
Rauschen ohne Ruhepause | Tinnitus raubt den letzten Nerv
Pausenfüller | Ein ganzes Orchester hält inne
Waschen, Schneiden, Reden | Sprechstunde beim Figaro
Suche nach dem Ich | Zen gegen den Alltagsstress
Unsterbliche Gedanken | Dialog der Dichter
Mauer des Schweigens | Wenn Kinder verstummen
Ratgeber für den Alltag | Das muss einmal gesagt werden
Selbstversuch | Ohne Worte durch den Tag
Zeichen setzen | Gebärden statt Gespräche
Abschied von der Sprache | Rückzug in den Schweigeorden
Versunken in Farben | Ein Maler und seine Stillleben
Schweigen bis der Arzt kommt | Wartezimmer-Impressionen
Sind Sie Trinker?“ Auf diese Frage eines Journalisten soll Winston Churchill geantwortet haben: „Kein Mensch kann leben ohne zu trinken.“ Ja, jeder Mensch hat seine Trinkerbiographie. Sie beginnt – meistens – mit der Muttermilch, und sie endet – häufig – mit lauwarmem Kräutertee aus der Schnabeltasse. Zwischendrin all jene Flüssigkeiten, die eher Genuss- als Nahrungsmittel sind: Am Morgen ein, zwei Schalen des „Türkentranks“, der ursprünglich aus Äthiopien stammt und über die arabische Hafenstadt Mokka seinen Weg in den Orient und von dort nach Europa gefunden hat – „schwarzes Wasser“ als Muntermacher und Treibstoff für das Tagwerk. Mittags eine Karaffe klaren Wassers, damit die Mahlzeit besser rutscht. Am Nachmittag nochmals eine Coffeinspritze – die „Kaffeepause“ hat längst ihre Anerkennung in tariflich vereinbarten Arbeitszeitregelungen gefunden. Abends dann die Kanne Tee – der Beitrag Asiens zu unserem Flüssigkeitshaushalt.
Nicht nur im Rhythmus des Alltags, auch in den kalendarischen Riten und bei den festlichen Höhepunkten unseres Lebens haben die Getränke ihren festen Platz: Beim Übergang in ein neues Jahr knallen die Champagnerkorken, im Fasching haben Bowle und Punsch Konjunktur, und bei der Hochzeit von Kanaa wurde von allerhöchster Stelle wie selbstverständlich Wasser in Wein verwandelt. Die Getränke haben ihren Sitz im Leben. Und sie haben ihre eigenen Institutionen hervorgebracht. Was wären die Kommunikationsberufe ohne das Kaffeehaus? Und was wären sie ohne die Bar?
Das Wiener Feuilleton zum Beispiel – ohne die Literatencafes undenkbar. Im Cafe GriensteicU trafen sich Schnitzler, Saiten, Hofmannsthal und Hermann Bahr. Franz Werfe!, Hermann Brach und Robert Musil bevorzugten das Cafe Herrenhof, nur wenige Steinwürfe entfernt. Das Cafe Central war der Lieblingsort von Karl Kraus, Egon Friedell und Peter Altenberg, der sich dort sogar die Post zustellen ließ.
Stammgast Alfred Polgar notierte vor 75 Jahren: „Das Cafe Central liegt unterm wienerischen Breitengrad am Meridian der Einsamkeit. Seine Bewohner sind größtenteils Leute, deren Menschenfeindschaft so heftig ist wie ihr Verlangen nach Menschen, die allein sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen.“
Für viele Autoren war das Kaffeehaus Wartesaal, Beobachtungsstand und Büro zugleich. Der Literat Hermann Kesten bekennt: „Zuweilen sehe ich nichts im Cafe, zuweilen mit einem Blick mehr als andre in einer Stunde. Es ist meine Welt, mein Schreibzimmer, mein Acker.“
Manche Kollegen gingen lieber in Bars – und favorisierten andere Getränke: Gottfried Benn das Bier, Hemingway Schnäpse und Rum, Erich Käsmer Rotwein und Whisky. Und manche haben sich buchstäblich zu Tode gesoffen – wie der schwermütige Hotelnomade Joseph Roth: Er starb kurz vor Erscheinen seiner „Legende vom heiligen Trinker“.
Das Kaffeehaus war nicht nur ein Paradies für Schreiber, sondern auch für Leser. „Die gesamten Tagespressen des In- und Auslandes und alle schöngeistigen Zeitschriften liegen aus“, so warb das Wiener Cafe Central, das bis heute ein Mekka für Zeitungssüchtige geblieben ist.
Tucholsky hatte als Student in Berlin die hübsche Idee, am Kurfürstendamm eine „Bücher-Bar“ zu eröffnen. Dort gab es billigen Lesestoff zu kaufen – und die „feinen Herrschaften“ bekamen dazu einen Schnaps serviert …
Eine Idee, die sich freilich noch perfektionieren ließe: Dringendes Desiderat bleibt ein Verfahren, mit dem man Bücher gleich auf Flaschen ziehen kann. Statt eine Bibliothek würde man dann eine Bar aufsuchen, um dort seine Bestellung aufzugeben: ein Stamperl Joyce, ein Viertel Bernhard, eine Halbe Johnson. Und für uns würde an der Mirnahmetheke auch die Fachliteratur bereitstehen: ein Kasten Groth, eine Bouteille Luhmann, eine Büchse Beck. Kommunikationsrationalisierung könnte man das nennen.
Das Trinken, fürwahr ein weites Feld. Mineralwasser und Muttermilch, Absinth und Cola, Tee und Tequila, Wein und (Pardon!) Urin: Die einsteins-Redaktion hat sich als Vorkoster betätigt und nichts ausgelassen, was zwischen Aperitif und Digestif, Ver- und Entsorgung, Genuss und Notdurft von Bedeutung ist. Investigativ, kritisch und serviceorientiert zugleich hat sie Geschichte und Gegenwart der Produktion und des Konsums von Flüssigkeiten jedweder Art ins Visier genommen.
Für die Kommunikationswissenschaft bleibt viel zu tun. Vor allem die Wirkung des Trinkens auf Kommunikatoren, Inhalte und Rezipienten ist empirisch noch unzureichend erforscht. (Ich empfehle den dynamisch-transaktionalen Ansatz.)
Es bleibt dabei: Kein Mensch kann leben ohne zu trinken… In diesem Sinne: Wohl bekommt!
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Namen
Redaktion: Andrea Arthen, Annika Rechmann, Annika Rechmann, Andreas Stumpf, Christoph Mayerl, Claudia Stegmann, Denisse Belträn, Dorothea Gaipl, Julia Mend, Katrin Birner, Maren Klein, Matthias Strobel, Michael Beyer, Natalie Bajon, Ralf Hohlfeld, Sandra Csapo, Sandra Rothhardt, Silvia Scheibenbogen, Stephanie Wiehler, Stephan Zengerle, Stefanie Kittl, Susanne Pypke, Thomas Schmid, Ulsin Jenrich, Walter Hömberg
In der Lehrveranstaltung im Wintersemester 1999/2000 wurden auch virtuelle Seminarteile getestet: In Zusammenarbeit mit dem Institut für Journalistik an der Universität Hamburg (Prof. Dr. Irene Neverla und Jens Schröter) wurden die Rahmenbedingungen für eine gemeinsame journalistische Produktion von räumlich getrennten Einheiten erprobt und explorativ untersucht. Die Studentinnen und Studenten diskutierten via Newsgroup und schrieben gemeinsam an einem Text zu einem bestimmten Thema aus dem Bereich der neuen journalistischen Darstellungsformen im Web.
Die Print-Ausgabe 2000 ist leider verschollen. Wir freuen uns sehr über eine digitale Kopie.
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Namen
Redaktion: Tom Gebhardt, Nele Gijbels, Juan Rodríguez Gómez-Aller, Carolien Joos, Lena Kuder, Florian Preuß, Katarina Slodicakova, Cornelia Babl, Edith Bollich, Claudia Möbus, Christine Oertel, Eva Schatz, Birgit Schindlbeck, Beatriz Anta, Oscar Cardo, Florian Dötterl, Markus Putz, Georg Kleesattel, Stefan Kreutzer, Stefan Wehler, Mai Laubis, Alexander Matterstock, Andrea Mlitz, Jan Pawlofsky, Peter Szarafinski, Dirk Weber
Dozent: Klaus Meier
Themen
NS-Zeit in Eichstätt | Juden wurden vertrieben und ermordet, Nazi- Gegner erhängt, ein kritischer Bischof versetzt. Die Zeit des Nationalsozialismus hinterließ auch in der bayerischen Kleinstadt Eichstätt tiefe Spuren.
Stimmen im Bauch | Ein Mönch, der zum Puppenspieler wurde: Bauchredner Patrick Martin bringt nicht nur Kinder zum Lachen.
Frankensteins Erben | Der Erschaffer künstlichen Lebens spukt heute noch durch Ingolstadt. Verfolgen Sie seine Wege durch die mittelalterlichen Gassen.
Geschichte hat Konjunktur: Die ZDF-Reihe „Hitlers Helfer“ findet an die sechs Millionen Zuschauer, historische Literatur dringt in die Bestsellerlisten vor, kein aktuelles Nachrichtenmagazin ohne (zeit-)geschichtliche Serie. Das Ende des Jahrhunderts, mit dem gleich ein Jahrtausend endet, motiviert zur Vorausschau, stimuliert aber auch zum Rückblick. In der Tat: Wer der Zukunft entgegensteuert, tut gut daran, sich im Rückspiegel zu versichern, ob der Kurs stimmt. Die Vergangenheit bietet immer wieder Anlass für aktuelle Kontroversen: Die Walser-Debatte, der Meinungskampf um die Wehrmachtsausstellung, der Historikerstreit – sie alle haben die Frage nach dem (richtigen) Geschichtsbild ins Zentrum gestellt. Seit zehn Jahren bereits wird über das Berliner Holocaust-Mahnmal öffentlich diskutiert – anderthalbtausend Bücher, Essays und sonstige Druckwerke zu diesem Thema liegen inzwischen vor. Die Massenmedien sind große Zeit-Zentrifugen, die permanent Vergangenheit vergegenwärtigen. Das geschieht bei der Aktualisierung der kalendarischen Riten, der kirchlichen und weltlichen Festkreise. Das geschieht auch angesichts der vielen Gedenktage und Jahresjubiläen. Nach dem Prinzip Wiedervorlage erinnern uns die Medien an „runde“ Geburts- und Gründungstage: Vor 250 Jahren wurde Goethe, vor 100 Jahren Erich Kästner geboren, vor 50 Jahren entstand die Bundesrepublik Deutschland.
Neben dem Anfang wird auch des Endes gedacht: Vor 150 Jahren starben Edgar Allan Poe und August Strindberg, Johann Strauß und Frédéric Chopin, zum Beispiel. Die Medien behandeln häufig nicht die historischen Figuren oder Ereignisse selbst, sondern reagieren auf andere Medien, die sich mit diesen Personen oder Aktionen beschäftigen: auf Sach- und Fachbücher, historische Romane und Radiofeatures, Spielfilme und Fernsehdokumentationen. Kommunikation und Anschlusskommunikation also.
Während das Veränderungstempo wächst, steigt gleichzeitig das Interesse an der Geschichte: Die Museen melden ständig neue Besucherrekorde, historische Ausstellungen finden öffentliche Aufmerksamkeit wie niemals zuvor. Sie werden häufig schon als Multimedia-Ereignisse inszeniert: Zur Ausstellung erscheinen dann Kataloge und Begleitbände, Bildserien und Videos, und parallel finden Tagungen, Vorträge und Podiumsdiskussionen statt. Und viele Ausstellungen wandern von Ort zu Ort, das Prinzip der Kommunikationskette nutzend.
Massenmedien und Geschichte – die Autorinnen und Autoren der neuen Ausgabe von „einstein“ nähern sich dem Thema in kleinen Schritten. Am Beginn steht die Erinnerung an die deutsch-deutsche Vereinigung vor zehn Jahren, die sie alle – als Schüler – noch selbst erlebt haben. Die Studentenbewegung der sechziger Jahre ist für die Verfasser schon ferne Vergangenheit, nur durch Zeitzeugengespräche rekonstruierbar. Für noch weiter zurückliegende Zeiträume müssen Dokumente und zeitgenössische Drucksachen sprechen.
Alick Wie die Vergangenheit in der Erinnerung, so wird die Zukunft in der Erwartung vergegenwärtigt. Journalisten versuchen alle drei Zeitebenen zu verknüpfen – auch in diesem Heft.
Bundespräsident Herzog hat in seiner Rede am Gedenktag zur Befreiung von Auschwitz vor kurzem die jüngere Generation aufgerufen, eigene Wege zum Erinnern zu finden: „Brechen Sie mit Ihrer Art zu fragen die alten Denkmuster und die alten Sprachspiele auf! Wenn das gelingt, hat Erinnerung eine Zukunft.“ Roman Herzog hat recht.
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Namen
Redaktion: Andrea Mlitz, Bernhard Hampp, Birgit Schindlbeck, Carotin Schairer, Christine Oertel, Christiane Steiner, Christine Preuß, Claudia Möbus, Comelia Babl, Cornelia Schindlbeck, Eva Schatz, Florian Preuß, Isabell Schreml, Markus Putz, Melanie Bachhuber, Oliver Kalkofe, Peter Szarafinski, Sigrid Gamisch, Silke Woppmann, Simone Horn, Stefan Kreutzer, Stefan Wehler, Suzanne Frank, Thomas Gebhardt, Tina Bauer, Ulrike Müller, Walter Hömberg
„Von Zähneputzen bis zum – unser Leben besteht aus Ritualen. Jeden Tag könnten wir ganz neu anfangen und ganz anders gestalten, aber meist folgen wir vertrauten Mustern. Das gilt auch für den Umgang mit unseren treuesten Begleitern, den Medien.
Etwa jeder dritte Zeitgenosse schaltet gleich nach dem Aufstehen das Radio ein. Eine kurze Musikdusche, Frühnachrichten – viele brauchen das wie die morgendliche Koffeindosis, um richtig wach zu werden. Auch die Zeitung ist vor allem ein Morgenmedium. Sie hat die höchsten Einschaltzahlen während des Frühstücks – und dann noch einmal zwischen acht und neun, wenn die Beamten ihre Büros erreicht haben. Ganz anders das Fernsehen: Es zieht uns am Abend in seinen Bann. Mehr als die Hälfte der Bundesbürger sitzen zur „Tagesschau“-Zeit vor dem flimmernden Kasten. Die traditionelle Zeit der Hochkultur, die Zeit der Kammerkonzerte, der Theateraufführungen und der Abendvorträge – sie ist inzwischen weitgehend vom Fernsehen absorbiert. Die Medien synchronisieren nicht nur den Tag, sondern auch die Woche, den Monat, das Jahr. Montags ist, ganz nach Gusto, „Spiegel“- oder „Focus“-Tag, einmal im Monat kommen „Merkur“, „Marie Claire“ oder „Merian“ ins Haus, und jeweils am ersten Januar hängen wir den neuen Kalender an die Wand.
Die Simultanmedien Rundfunk und Internet haben die periodischen nicht verdrängt und die periodischen nicht die Ad-hoc-Medien, die zu bestimmten Anlässen erscheinen: die Jubelbücher zu den Fußballweltmeisterschaften, die Gedenkbände für Lady Di. Die bunte Fauna und Flora der ereignisbezogenen Kleinpublizistik nicht zu vergessen: Geburtsanzeigen, Abizeitungen, Hochzeitskarten, Totenzettel… Kleine und große Drucksachen begleiten uns von der Wiege bis zur Bahre. Rituale und Routinen bannen den Alltag. In der Flut der Nachrichten wählen sie nach professionellen Aufmerksamkeitsregeln aus. Vor Jahrzehnten schon hat Carl Warren in seinem „ABC des Reporters“ das Rezept beschrieben: Neuigkeit und Nähe, Konflikt und Kuriosität, Prominenz und Relevanz, Gefühle und Sex, Dramatik und Fortschritt sind die Hauptbestandteile der Medienmenüs.
Das Spektakuläre hat Vorrang: „Man bites dog“ lautet die Formel. Und damit das Außergewöhnliche die Leser, Hörer und Zuschauer nicht zu sehr irritiert, wird es immer wieder in den gleichen Rahmen gepresst: Die Seiten der Zeitungen und die Formate der Sendungen folgen bewährten Gestaltungsregeln, die nur gelegentlich durch ein (Zeitungs-) Relaunch und eine (Programm-) Reform variiert oder geändert werden. Manche Kommunikationskonventionen haben sich kulturspezifisch entwickelt: So schreiben (und lesen) wir die Buchstaben, Wörter und Sätze von links nach rechts und von oben nach unten – im Unterschied zu den Chinesen, die ihre Schriftzeichen in Säulen von oben nach unten und in Zeilen von rechts nach links aneinanderreihen. Anderes ist importiert oder aus berufskulturellen Zusammenhängen zu erklären. So werden Nachrichten meist nach dem Modell der umgekehrten Pyramide verfasst: Das Wichtigste zuerst, dann die Details. Dieser „Lead“-Stil orientiert sich am Nachrichtenkern. Er bündelt zum einen die Aufmerksamkeit des Lesers, zum anderen ermöglicht er es dem Redakteur, bei knappem Raum die Agenturmeldungen von hinten zu kürzen.
Rituale und Routinen begleiten den Alltag. In der vorliegenden Ausgabe von einsteins. Das Spektrum reicht vom Amoklauf bis zur Kaffeefahrt, von Volksbräuchen bis zur Jugendkultur, von Scientology bis zu Soap Operas, von Weihnachtsriten bis zu Nationalstereotypen – und die Medien sind immer beteiligt.
Einige von ihnen erreichen selbst Kultstatus. Ob einsteins auch dazugehört?“
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Redaktion: Antje Klickemanns, Barbara Kraupa, Christina Zuber, Claudia Scheiderer, Diana Bauhammer, Dirk Weber, Ela Zimmermann, Florian Dötterl, Georg Kleesattel, Ines Treffler, Jan Pawlofsky, Joachim Dangel, Lena Kuder, Margit Buch, Michael Harnischmacher, Oliver Kalkhofe, Raul Gonzalez, Ralf Hohlfeld, Sascha Matternstock, Simone Natter, Stefanie Bley, Stephan Ley, Tanja Liebmann, Ursula Wagner
Journalismus – dieser Begriff umreißt ein Berufsfeld, wie es heterogener kaum sein könnte. Trotz all der unterschiedlichen Arbeitsweisen und Tätigkeitsprofile in diesem Metier: Das Urbild des Journalisten bleibt der Reporter.
Die Ratgeberbücher für Journalisten und solche, die es werden wollen, charakterisieren den Reporter üblicherweise als Augenzeuge. „Der Reporter führt den Leser oder Hörer durch die Reportage ‚vor Ort‘; der Leser oder Hörer sieht die Dinge mit den Augen des Reporters“, schreibt Walther von La Roche.
Für die Form der Reportage wird in der Metaphorik von Foto und Film insbesondere der „Wechsel der Perspektive“, der „Wechsel von Naheinstellung und Gesamtsicht“, der „Zoom-Effekt“ als bedeutsam bezeichnet. Auch Forderungen nach „farbenreicher Schilderung“ und „anschaulicher Darstellung“ zeigen die Dominanz des Visuellen.
Hörfunkleute verweisen zusätzlich auf die akustische Komponente: „Neben der Sprache sind alle anderen Originaltöne, also Musik, Geräusche und künstliche O-Töne, weitere wichtige Elemente, die eine Reportage ‚hautnah‘ werden lassen“ (Roland Machatschke).
Nasen auf!
Ein kürzlich erschienenes „Handbuch des Journalismus“ fordert nun die Reporter auf, nicht nur Augen und Ohren, sondern auch die Nasen aufzusperren.
Journalisten stecken zwar ihre Nase in viele Dinge, ihr Geruchssinn scheint aber nicht besonders ausgeprägt. Gelegentlich durchweht exotisches Aroma eine Reisereportage: Der Große Bazar von Teheran duftet geheimnisvoll nach süßen Parfums und aromatischen Gewürzen, die die stickigen Gassen erfrischen“ (Süddeutsche Zeitung“, 21. Januar 1997).
Aber sonst ist von Gerüchen in den Medien selten die Rede. Vielleicht weil sie diese, von parfümierten Werbeanzeigen (bitte aufreißen!) abgesehen, (noch) nicht reproduzieren können?
Dabei gibt es durchaus eine Tradition journalistischer Nasenzeugenschaft.
So schildert Daniel Defoe in seiner großen Rekonstruktionsreportage über „Die Pest zu London“ – im Jahre 1722, zwei Menschenalter nach dem Ereignis, erschienen – das „Durcheinander der Gerüche“: … die ganze Kirche war wie eine Riechflasche; in einer Ecke duftete alles nach Parfümen: in der anderen nach allen möglichen Drogen und Kräutern, Balsamen und Aromaten; in der nächsten wieder nach Riechsalz und alkoholischen Essenzen, eben ganz wie jeder sich zur eigenen Bewahrung versehen hatte.“
Reporters Riecher
Die frühen Sozialreporter ignorierten nicht den „Gestank der Tatsachen“ (Alfred Polgar).
Georg Weerth beschwört ihn in seinen sozialkritischen Skizzen aus dem frühindustriellen England. Über die Ankunft in Bradford heißt es da: „Jede andere Fabrikstadt Englands ist ein Paradies gegen dieses Nest; die Luft in Manchester liegt einem wie Blei auf dem Kopfe: in Birmingham ist es nicht anders, als säße man mit der Nase in einer Ofenröhre; in Leeds muss man vor Staub und Gestank husten, als hätte man mit einem Male ein Pfund Cayennepfeffer verschluckt – aber alles das lässt sich noch ertragen! In Bradford glaubt man aber nirgendsonstwo als beim leibhaften Teufel eingekehrt zu sein.“ Und Max Winter beschreibt in einer seiner Rollenreportagen aus der Spätzeit der österreichischen Monarchie „Eine Nacht im Asyl für Obdachlose“: „Der Geruch des Elends umfängt uns. Mir verschlägt das Gemisch von Fuseldunst, Schweißgeruch und der Ausdünstung alter Wäsche und Kleider eine Weile den Atem“ („Arbeiter-Zeitung“, 25. Dezember 1898).
Diese Tradition wird noch einige Zeit weitergeführt, etwa von Egon Erwin Kisch. Seine Schilderungen der Obdachlosen von Whitechapel, der Morgue in Paris und, in den Fußstapfen Heinrich Heines, des Flohmarkts von Clignancourt machen deutlich, dass der „rasende Reporter“ neben scharfen Augen und offenen Ohren auch eine gute Nase hatte.
Das kann man von seinen heutigen Kollegen nicht behaupten.
Gewiss, die Situation hat sich geändert: Kein Pesthauch mehr (gottseidank) und kaum Blütenduft (die Glashauszüchtungen duften nicht, leider). Künstliche Geruchsemissionen haben die Lufthoheit übernommen. Doch zwischen Chemieparfüm, Benzindämpfen, Industriegestank und esoterischem Duftlampenaroma – gibt es da gar nichts mehr?
Es fehlen die journalistischen Supernasen! Auch deshalb sind in dieser Ausgabe von „einstein“ junge Journalisten dem x-ten Sinn auf der Spur.
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Autoren: Alejandra López Garcia, Almundena Sanchez, Anita Haas, Arne Schulte-Eckel, Bettina Müller, Bjorn Verhelst, Carl Leenaerts, Christiane Reiter, Daniela Pickl, Dirk Vollmer, Ezekiel C. Kanje, Frank Bayer, Friederike Harzer, Guido Fromm, Harald Filipetz, Holger Hespelein, Jens Schröter, Judith Reischl, Melanie Yankers, Michael Baudisch, Michael Defrancesco, Michael Just, Michael Marquard, Michael Ruddigkeit, Nicola Rechmann, Oliver Kalkofe, Sandra Martin, Simone Notter, Sibylle Winter, Sonja Fink, Sorana Puie, Stefan Stein, Steffi Hutschenreuter, Thomas Linke, Ulrich Bien, Ursula Ibrahim, Volker Sagstetter
Dozenten: Ralf llohlfcld, Klaus Meier
Themen
Studieren in Eichstätt | ein Survival-Guide
Von Kanada bis zum Nil | ein Travel-Guide
Fünf Taxis. Fünf Kurzgeschichten. Zur gleichen Zeit.
Die Stadt der Nasen | Grasse in der Provence ist das Zentrum der Parfumindustrie. In Labor werden die Düfte geschaffen, die später die ganze Welt erobern.
Lavendel läßt die Kassen klingeln
Das Gefühl wohnt in der Nase
Wildwechsel der Gefühle | Geruch manipuliert das Unterbewußtsein. In Feuerwerk von Signalen entscheidet über Sympathie und Ablehnung.
Geruchswelten
Duft aus der Dose
Dufte Dollar in der Werbepause
Rosen riechen wie sie wollen | Edelblilten sind Karl Hetzels Leidenschaft. Nur vier Rosenzüchter gibt es in Deutschland. Er ist einer von ihnen.
Rauschgift im Kuli
Ich hasse die Notaufnahme
… dann leihnt man sich eine Nase
Es stinkt im Netz | Der Cyberraum, unendliche Weiten. Auch die virtuelle Welt de Internets ist voll von allerlei verschiedenen Gerüchen.
Bücher
Filme
Himmlische Düfte für Leib und Seele | Ernstzunehmendes Heilverfahren oder Scharlatanerie? Die Aromatherapie kämpft um ihre Anerkennung.
Donnerstag, 17. August, später Vormittag. Bummel über Londons Covent Garden Market, östlich von Soho, südlich von Bloomsbury, gleich neben der St. Pauls Church. Wunderbares Viertel mit Cafés, Boutiquen, Pubs und Restaurants.
Als ich durch die Läden streife, fällt mir eine schmale gelbe Karte auf: Albert Einstein, auf einer Bank sitzend, schaut den Betrachter mit aufmerksamen Augen an. Darunter zwei Sätze: „When a man sits with a pretty girl for an hour, it seems like a minute. But let him sit on a hot stove for a minute – and it’s longer than any hour.“ Relativitätstheorie in nuce, formuliert von einem herausragenden Wissenschaftler, der zugleich ein großer Popularisator war.
Dass Einstein zu Beginn dieses Jahrhunderts die Vorstellung einer einheitlichen Zeit aufgab, bedeutete für die Physik eine Revolution. Newtons Theorie von der absoluten Zeit war damit passé. Den Psychologen war es längst vertraut: Bei monotonen Tätigkeiten kriecht die Zeit wie eine Schnecke, abwechslungsreiche Stunden vergehen wie im Fluge. Thomas Mann hat im „Zauberberg“ das Paradoxon beschrieben, dass als kurzweilig erlebte Zeitstrecken sich in der Erinnerung dehnen, langweilige dagegen schrumpfen. Wenn ich in diesem langen, zähen und kalten Eichstätter Winter an die sommerlichen Stunden in Covent Garden zurückdenke, kann ich dies nicht dementieren.
Fünf Jahre gibt es „einsteins“ nun schon – für ein studentisches Magazin ein geradezu biblisches Alter. Da wird es Zeit, sich mit der Zeit zu befassen: mit der Zeitmessung und dem Zeiterleben, mit Zeitrausch und Zeitsparen, Zeitvergeudung und Zeitverzögerung. Die Redaktion tut dies in Reportagen und Glossen, in Berichten und Interviews. Und auf ihre Bitte hin hat mancher prominente Zeitgenosse ein „Zeitwort“ beigesteuert. Kein Wunder, dass sich gerade Journalisten gern des Themas annehmen – der Journalismus ist ein Zeitberuf wie kaum ein zweiter.
Die Medien weisen täglich darauf hin, etwa wenn sie „Zeitzeichen“ (WDR), „Zeitspiegel“ (BR) oder „Zeit im Bild“ (ORF) offerieren. Wie manche seiner Zeitgenossen verstand sich etwa Ludwig Börne als „Zeitschriftsteller“, und zeitweise redigierte er ein Blatt mit dem Titel „Zeitschwingen“. Gerade Periodika mit programmatischem Anspruch tragen gern die Zeit im Namensschild: Karl Kautskys Revue „Die neue Zeit“ (1883-1923) und Hermann Bahrs Wochenzeitschrift „Die Zeit“ (1894-1904) mögen als Beispiele genügen.
Häufig verweisen die Titelangaben auch auf die Erscheinungsrhythmen: „Tages-Anzeiger“, „Die Woche“, „Der Monat“, „Deutsche Vierteljahrsschrift“…
Seit gut fünf Jahrhunderten ziehen die Medien immer engere Kreise: Jahr, Monat, Woche, Tag – längst sind wir bei der Gleichzeitigkeit angekommen. Zwar hat die Liveberichterstattung die periodischen Medien nicht verdrängt – die aktuelle Information jedoch hat sie längst okkupiert.
Für den Journalismus bedeutet das ein Schrumpfen von Raum und Zeit. Und es bedeutet auch, dass die Distanz zum Berichtsobjekt immer mehr schwindet. Dadurch schwindet die Möglichkeit zur gründlichen Recherche, zum Gegencheck, zur Einordnung – das System Journalismus wird für Fehler immer anfälliger. Und es schwinden die Chancen zur Reflexion – der Livereporter neben dem „Fly-away“, der Satellitenschüssel, hat schlicht keine Zeit dazu.
Seit Ende des 16. Jahrhunderts sind graphische Darstellungen überliefert, die vorne den Postreuter mit Pferd oder Kutsche zeigen – er bringt die Nachrichten in größter Eile. Im Hintergrund humpelt der Hinkende Bote heran – er korrigiert dann die Falschmeldungen des Postreuters.
Vielleicht muss auch der Journalismus die Langsamkeit als korrigierendes Element wieder entdecken. Schließlich sind – siehe Einstein – Zeitempfinden und Zeitbewusstsein relativ.
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Redaktion: Andrea Trübenbacher, Barbara Liepert, Cati Watermann, Christiane Reiter, Denes Szechenyi, Eva Wehrum, Friederike Harzer, Irene Preisinger, Jens Schröter, Karin Bühler, Katja Borngräber, Katrin Brekenkamp, Katrin Kraft, Liliana Puigdefabrigas, Michael Lermer, Michael Ruddigkeit, Nadine Mutschler, Peter Schumacher, Ruth Petscharnig, Stephan Eichenseher, Tiny Callens, Ulrich Bien, Wolfgang Pütz
Lange Zeit stand der Wirtschaftsjournalismus im Kreuzfeuer der Kritik. Einerseits hat man ihm einseitige Orientierung an den Interessen der Wirtschaftstreibenden, der Produzenten, Investoren und Händler, vorgeworfen. Andererseits wurde die Vermittlungs qualität bemängelt, das Festhalten am Fachjargon, die Nähe zur Expertenkommunikation.
Diese Kritik ist nicht ohne Wirkung geblieben: Auch Wirtschaftsseiten und Wirtschaftssendungen sind in den letzten Jahren ieser-, hörer- und zuschauerfreundlicher geworden. In immer mehr Medien geht der Trend weg von nüchternen Bilanz- und Börsenberichten hin zu Infotainment und Servotainment. Auch dieser Trend hat freilich seine Tücken. Um es metaphorisch auszudrücken: Genußmittel ohne Nährwert nützen genauso wenig wie Nahrungsmittel, die ungenießbar sind. Es kommt eben immer auf die richtige Mischung an.
Die vorliegende Ausgabe von einsteins wirft Schlaglichter auf die Situation von Handwerk und Handel, Land- und Automobilwirtschaft, Arbeitsmarkt und Unternehmungsplanung. Und wie immer – gilt die journalistische Neugier dabei der Region, in der unser Magazin erscheint. Die Autoren haben versucht, Produktion, Handel und Konsum gleichermaßen ins Visier zu nehmen.
Besonders wichtig ist die Beschäftigung mit den Schnittstellen von Wirtschaft und Politik auf der einen und Ökonomie und Ökologie auf der anderen Seite. Ein Journalistik-Studiengang, der einen neuen Studienschwerpunkt „Wirtschaft und Soziales“ vorbereitet, muß gerade den Vernetzungen Aufmerksamkeit schenken.
Apropos Kritik: Das Redaktionsteam kann zwar jedes Lob vertragen. Aber dankbar ist es den Lesern vor allem für kritische Rückmeldungen.
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Autoren: Elisabeth Arndt, Matthias Biebl, Annekatrin Blasczyk, Ute Dilg, Andre Duck, Harald Filipetz, Christine Fleckenstein, Christiane Hilsmann, Anne Hoffmann, Wiebke Huhs, Simone Kienzle, lnge Lamparter, Anne Massenkeil, Claudia Neudecker, Elke Schirmer, Stephan Schmidt, Susanne Sporrer, Andreas Teichmann, Kerstin Walter
Dozent: Wolfgang Pütz
Themen
Wachstumsraum mit vielen Möglichkeiten | Wirrschaftsdaten der Region 10
Nach jeder siebten Karotte eine Zwiebel | Unternehmenspolitik bei Hipp
Raps: Pflanze der Zukunft | Energieversorger Landwirtschaft
Kontrolliert und dennoch frei | Biobauern setzen auf Selbstvermarktung
Michmix-Misere | Kommentar
Effizienter arbeiten, Fehler verhindern, Gewinne steigern | Qualitätssicherung nach den ISO Normen 9000
ISO Norm – nur ein Etikettenschwindel? | Kommentar
Auswärtige Investoren nicht um jeden Preis | Wirtschaftspolitik in Eichstätt
Sponsoren-Kultur | Kommentar
Warten auf die Marktlücke | Pampastrauße statt Schweinemast
Kundenfang mit Service und Kultur | Beratung statt Niedrigpreise
Offenes Ohr für die Verbrauchersorgen | Recht für Kunden
„Manchmal komme ich mir nutzlos vor“ | Arbeitslosigkeit in der Region
„Der Standort könnte nicht besser sein“ | Neugründungen
Der Schlankmacher | Interview bei Audi
Glaube, Hoffnung, Liebe | Wie die Politiker in der Region wirtschaften wollen
Mit Hammer und Feile aus der Kriese | Arbeitsplatz am Handwerk
Mit Messer und Gabel was erleben | Neue Wege in der Gastronomie